G. Brudzynska-Nemec: Polenvereine in Baden

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Titel
Polenvereine in Baden. Hilfeleistung süddeutscher Liberaler für die polnischen Freiheitskämpfer 1831-1832


Autor(en)
Brudzynska-Nemec, Gabriela
Erschienen
Anzahl Seiten
370 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Oliver Loew, Deutsches Polen-Institut Darmstadt Email:

In der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen spielt die Polenfreundschaft im Vormärz eine besondere Rolle: Nach den Teilungen Polens und vor der Nationalisierung Zentraleuropas mit all ihren Belastungen für die deutsch-polnische Nachbarschaft flammte 1831/32 in vielen deutschen Staaten eine Begeisterung für Polen auf, die ebenso heftig wie von kurzer Dauer war.

Gabriela Brudzynska-Nemec legt mit ihrer Freiburger Dissertation nun erstmals eine umfassende geschichtswissenschaftliche Analyse der südwestdeutschen Polenvereine vor. Damit schließt sie eine empfindliche Lücke der Forschung. Zwar waren insbesondere die literarischen Früchte der Zeit ("Polenlieder") bereits Gegenstand literaturwissenschaftlicher Beschäftigung gewesen1, die zumeist liberalen Bemühungen in den Regionen, den polnischen Soldaten während des Novemberaufstandes und dann beim Durchzug der Emigranten nach Westen Hilfe zu leisten, hatten sich jedoch in der Historiografie bislang nur in verstreuten Aufsätzen niedergeschlagen. Dabei waren sowohl Bürgertums- und Liberalismusforscher wie Osteuropahistoriker aktiv gewesen. 2

Aber was bewegte die südwestdeutschen Polenfreunde zu ihrem Engagement, wie organisierten sich die Vereine, wie wurden sie aktiv? Brudzynska-Nemec widmet sich ganz der Situation in Baden – einer Hochburg der Polenfreundschaft – und geht nur am Rande auf das Hambacher Fest in der damals bayrischen Pfalz ein. Ihrem regionalgeschichtlichen Ansatz entsprechend klärt sie zunächst die politische Lage im Großherzogtum, das als bekannt liberales Land 1831 eine heftige Debatte über Pressefreiheit erlebte, ein Hintergrund, vor dem die Polenbegeisterung auch dazu diente, Grenzen und Möglichkeiten öffentlicher Meinungsäußerung auszuprobieren.

Mehr noch als die Juliereignisse in Paris beschäftigten die Vorgänge in Polen die Gemüter der Liberalen; sie trugen "zur direkten Politisierung der Gesellschaft bei" (S. 54). Und so entstanden im Sommer 1831 in allen größeren badischen Städten Polenvereine, zunächst vor allem, um Verbandmaterial und Geldspenden zu sammeln und nach Polen zu schicken. Federführend waren überwiegend Vertreter des liberalen Bürgertums – eine detaillierte sozialhistorische Analyse fehlt allerdings in dieser Studie –, die sich nicht impulsiv für die polnische Sache begeisterten, sondern deren nachaufklärerischer Elan eine ganz deutliche innenpolitische Funktion besaß. Die Vereine wurden zu einer Plattform, um "im Rahmen des Verfassungssystems [...] Initiative und [...] soziales Engagement" (S. 220) entwickeln zu können, sie dienten aber auch zur verklausulierten Äußerung antipreußischer Einstellungen (S. 135f.). Diese nationale Funktion der Polenvereine verdeutlichte sich nach dem Fall von Warschau, als viele von ihnen – des äußeren Motivs verlustig gegangen – sich in patriotische Vereine umzuwandeln suchten.

Der Durchzug der polnischen Offiziere im Sommer 1832 ließ die Polenbegeisterung neu aufleben: Feierliche Begrüßungen, Festmähler in fast jeder erreichten Stadt, Organisation des weiteren Transports – die Begegnung mit den "geschlagenen Helden" ließ romantische Wunschvorstellungen des liberalen Bürgertums ein wenig Wirklichkeit werden, auch wenn die direkte Konfrontation mit den Helden für beide Seiten mit Irritationen verbunden war (die Polen empfanden den deutschen Freudentaumel bisweilen als lästig, die Deutschen wiederum waren über manche Gewohnheiten der slawischen Gäste verwundert).

Ein eigenes Kapitel widmet die Autorin den Frauen-Polenvereinen, die sich vor allem um das Herrichten von Kleidung und die Herstellung von Verbandstoff ("Charpienzupfen") bemühten. Dabei legten manche Frauen großen Einsatz an den Tag, wie in Freiburg Emma Welcker, die Gattin des liberalen Politikers Karl Theodor Welcker (S. 240-244). Auch die badische Polendichtung arbeitet Brudzynska-Nemec mit vielen neuen Quellen auf. Wie im Grunde während der gesamten Polenbegeisterung ging es auch hier nur zu einem Teil darum, Kenntnis und Verständnis für das unglückliche Volk im Osten zu vermehren, sondern die Gedichte entstanden "vor allem für die Einheimischen [...]. Die Polenfreunde haben sich da selbst so präsentiert, wie sie gerne gesehen werden wollten: als freie, patriotische Männer, Brüder der heldenhaften Polen, Verwalter eines glücklichen Landes." (S. 313)

Brudzynska-Nemec hat ein Buch von beeindruckender empirischer Dichte vorgelegt, das zahlreiche Quellen aus Archiven (Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg, Konstanz, Rastatt) und der zeitgenössischen Presse neu erschließt und unser Wissen um Funktionieren und Funktionen der Polenvereine in Baden ganz erheblich erweitert. Kritisch angemerkt werden muss jedoch die teils ungenügende Einbindung der Arbeit in den geistes-, aber auch regional- und emigrationsgeschichtlichen Kontext, die oft ermüdende Aneinanderreihung von langen Quellenzitaten und teils arg störende stilistische Schwächen ("Den Gespenst der Revolution", S. 34; der Eifer der Polenfreunde habe an "Eindringlichkeit" gegrenzt, S. 198 und viele andere mehr, außerdem viele Fehler in der Zeitenfolge). Die fehlende Schlussredaktion trübt aber den grundsätzlich positiven Eindruck nur unwesentlich.

Anmerkungen:
1 So zum Beispiel: Kozielek, Gerhard (Hrsg.), Polenlieder. Eine Anthologie, Stuttgart 1982.
2 Etwa: Langewiesche, Dieter, Humanitäre Massenbewegung und politisches Bekenntnis. Polenbegeisterung in Südwestdeutschland 1830-1832, in: Beyrau, Dietrich (Hrsg.), Blick zurück ohne Zorn, Tübingen 1999, S. 11-37; sehr verdienstvoll bis heute der Quellenband von: Bleiber, Helmut; Kosim, Jan (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte der deutsch-polnischen Freundschaft 1830-1832, Berlin [Ost] 1982.

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