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Titel
Pazifismus. Ideengeschichte, Theorie und Praxis.


Herausgeber
Bleisch, Barbara; Strub, Jean-Daniel
Erschienen
Bern 2006: Haupt Verlag
Anzahl Seiten
346 Seiten
Preis
€ 24,90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Holger Nehring, Department of History, University of Sheffield

"Frieden" und "Pazifismus" gehören zu den schillerndsten historischen Grundbegriffen. So durfte die Bewahrung von "Frieden" besonders in der Zeit nach 1945 zur Rechtfertigung von militärischen Interventionen herhalten. Die Herausgeber nehmen die gegenwärtigen Debatten um "humanitäre Interventionen" und das militärische Eingreifen der Vereinigten Staaten und ihrer Alliierten denn auch zum Anlaß, philosophische und sozialwissenschaftliche Debatten zum Thema "Pazifismus" à jour zu bringen. Die Leitfrage des Bandes ist entsprechend explizit politisch: "Lässt sich heute noch [...] eine pazifistische Position vertreten, oder ist der Pazifismus endgültig in Himmel oder Hölle verwiesen und auf jeden Fall ad acta zu legen?" (S. 9). Es geht den Herausgebern also letztlich darum, Legitimationen für Pazifismus philosophisch und sozialwissenschaftliche auf Herz und Nieren zu prüfen. Die Einleitung stellt ausführlich verschiedene Taxonomien des Pazifismusbegriffs vor, ohne allerdings maßgeblich über die von Martin Ceadel schon Mitte der achtziger Jahre vorgeschlagenen Kategorisierungen hinauszugehen 1.

Der Band gliedert sich in drei Teile unterschiedlichen intellektuellen Gewichts. Der erste Teil nähert sich dem Thema ideengeschichtlich an. Ulrike Kleemeier arbeitet in dichter Argumentation die Friedensbegriffe und deren Begründungen bei den für die Debatte zentralen Klassikern Thomas Hobbes und Immanuel Kant heraus. In einem beeindruckenden Parforceritt durch ein Jahrhundert friedensphilosophischer Debatten führt Thomas Kater in einem konzisen Beitrag diese Diskussionen vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre und betont vor allem den außerordentlich diffusen Charakter philosophischer Friedensbegriffe im Wechselspiel von Kriegsdrohung und Friedenshoffnungen. Andrew Alexandra setzt sich kritisch mit Martin Ceadels Unterscheidung von "pacifism" und "pacificism" auseinander, ohne allerdings selbst eine überzeugendere Klassifizierung anbieten zu können.

Der zweite Teil des Bandes widmet sich der "Theorie", die sich allenfalls aufgrund ihrer Gegenwartsnähe von den Ansätzen des vorhergehenden Teils unterscheidet und qualitativ deutlich abfällt. Jan Narveson wärmt seine Kritik an der Selbstwidersprüchlichkeit des Pazifismus aus den sechziger Jahren wieder auf 2. Robert L. Holmes, Philip Smith, Michael Haspel und Olaf L. Müller bieten Erörterungen aus der Perspektive der internationalen Beziehungen und nehmen dabei besonders die Ethik humanitärer Interventionen in den Blick, ohne allerdings wesentlich Neues zu bieten. James P. Sterba und Soran Reader setzen sich insbesondere mit der Moral von Pazifismus und pazifistischer Moral nach den Anschlägen des 11. September auseinander. Rüdiger Bittner bietet knappe Gedanken zur Ethik der Notwehr in den internationalen Beziehungen, und Sybille Tönnies äußert ihre auch schon aus anderen Zusammenhängen bekannte Skepsis gegenüber Jürgen Habermas' Konzept einer europäischen Friedensordnung als Verwirklichung einer tragfähigen Friedensordnung.

Der dritte Teil soll eigentlich auf die Praxis des Pazifismus zu Beginn des 21. Jahrhunderts eingehen. Letztlich handelt es sich dabei allerdings um einen Kessel Buntes. Politikveteran Erhard Eppler steuert gewichtige Erörterungen zum "Pazifismus im 21. Jahrundert" bei, der GRÜNEN-Politiker Winfried Nachtweih sucht und findet einen Pazifismus "zwischen Ideal und politischer Realität". Barbara Haering und Josef Lang steuern Schweizer Perspektiven zum Thema Pazifismus bei. Beiträge von maßgeblich im außerparlamentarischen Raum engagierten Aktivisten sucht man dagegen vergebens.

Und genau diese Lücke verweist auf die zentrale Schwäche des Bandes. "Frieden" und "Pazifismus" werden, mit Ausnahme der Beiträge Kleemeiers und Katers, nie als moderne, auf die Planung der Zukunft gerichtete Bewegungsbegriffe analysiert, sondern stets als klar definierbare philosophische Kategorien 3. Das mag an der philosophisch-ethischen Prägung der Herausgeber und der meisten Beiträger liegen. Doch selbst aus philosophisch-ethischer Perspektive wird man bei Versuchen, Friedens- und Pazifismusbegriffe zu verwissenschaftlichen, nicht um diese zentrale historische Tatsache herumkommen. Vor diesem Hintergrund enttäuscht denn die Sektion zur Praxis des Pazisfismus besonders. Letztlich bietet dieser Band also einen nur in Teilen geglückten Versuch, die Debatten über "Pazifismus" und "Frieden" an die zentralen Fragen der Gegenwart heranzuführen und eine kritische Perspektive zu entwickeln.

1 Ceadel, Martin, Thinking about Peace and War, Oxford 1989.

2 Narveson, Jan, Pacifism: A Philosophical Analysis, in: Ethics, 75, 4 (1965), S. 259-271.

3 Bonacker, Thorsten, Frieden in der globalisierten Moderne. Neue und alte Antinomien, in: Mittelweg 36, 15, 1 (2006), S. 49-60.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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