J. Spielvogel: Septimius Severus

Cover
Titel
Septimius Severus.


Autor(en)
Spielvogel, Jörg
Reihe
Gestalten der Antike
Erschienen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Dem nicht nur wegen der schlechten Quellenlage diffus erscheinenden Charakter des römischen Kaisers Septimius Severus (193-211) biografisch gerecht zu werden, ist nicht ganz leicht: Zu widersprüchlich ist das Bild, das sich von seiner Persönlichkeit mitteilt: einerseits vom tüchtigen Militär und Verwalter, dem es gelingt, nach Jahren der Unruhe das römische Reich zu konsolidieren, andererseits vom Herrscher, der auf unbedingte Durchsetzung seines Willens bedacht, doch keineswegs frei von Abhängigkeiten ist. Jörg Spielvogel nähert sich dem Kaiser mit Hilfe des psychohistorischen Ansatzes, "um die Kausalzusammenhänge der persönlichen Entscheidungen in bestimmten historischen Situationen tiefer zu durchdringen" (S. 14). Diese Absichtserklärung bleibt von vornherein ein wenig nebulos. Spielvogel ist sich des Problems auch bewusst, dass er sich damit angesichts begrenzter Quellenaussagen auf ein Kausalitäten eigentlich fremdes Terrain begibt, doch rechtfertigt er seinen methodischen Ansatz mit zweifelsfrei ermittelbaren Charakterzügen des Kaisers, "die einen wesentlichen Anteil am historischen Verlauf und an wichtigen Entscheidungsprozessen besitzen" (S. 16).

Ein wenig erinnert diese Vorgehensweise an die Verstehenskategorie des Historismus, von Spielvogel hier eingesetzt zur Vervollständigung eines in den Quellen lückenhaft erscheinenden Bildes und natürlich als Trumpf gegenüber anderen Biografien über Septimius Severus. Zwar kann Spielvogel damit aufwarten, die erste deutschsprachige Biografie über diesen Kaiser seit mehr als achtzig Jahren vorzulegen1, so dass dem interessierten allgemeinen Lesepublikum vielleicht Neuheiten geboten werden, doch dieser Vorzug wird, fachwissenschaftlich betrachtet, durch die wesentlich jüngeren fremdsprachlichen Abhandlungen von Anthony Birley und Anne Daguet-Gagey relativiert.2 Birley etwa die Einseitigkeit vorzuwerfen, sich auf Ereignisgeschichte zu konzentrieren (vgl. S. 16), wird dieser Biografie angesichts ihrer Verdienste um die Erfassung der Bedeutung des nordafrikanischen Raumes für das Römische Reich des 2. und 3. Jahrhunderts und ihrer Leistungen auf dem Gebiet der Prosopografie, ganz zu schweigen von der – quellenkritischen – Würdigung der Person des Septimius Severus, aber nicht ganz gerecht.

Spielvogel gliedert seinen Gegenstand in fünf Kapitel. Das erste ist dem Lebensweg des Septimius Severus von der Geburt in Leptis Magna am 11. April 145 oder 146 bis zur Statthalterschaft von Oberpannonien gewidmet und schließt zur "historischen Einbettung der biografischen Intentionen und Hintergründe" (S. 27) eine Vorstellung seiner nordafrikanischen Heimat ebenso ein wie die Umrisse der Lage des Römischen Reiches im 2. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht die Laufbahn, die über die Aufnahme in den Senatorenstand Zugang zu einer respektablen Karriere gewährte. Dabei stellt Spielvogel neben den Beziehungen des Septimius Severus (etwa zu dem einflussreichen P. Helvius Pertinax) mit Hilfe seines methodischen Ansatzes dessen persönliche Konditionen heraus: Disziplin, Strenge, Pflichtbewusstsein bei der tatkräftigen Erfüllung der ihm überantworteten Aufgaben, ein "Muster altrömischer Tugenden" (S. 43). Mangels Quellen bleibt allerdings manches Vermutung, so dass Aussagen, die auf das Konto der Psychohistorie gehen, vielfach im Konjunktiv stehen und so zur beweiskräftigen Untermauerung der Dispositionen des Septimius Severus nicht immer viel beizutragen vermögen. Letztlich wirken sie oft nicht integrativ-erklärend, sondern wie Zusatzinformationen, die plausible Erläuterungen liefern sollen, wo die Quellen in dieser Hinsicht nichts hergeben.

Etwas anders wird das Bild, wenn Ereignisgeschichte in den Vordergrund tritt: Im zweiten Kapitel geht es um die Usurpation des Septimius Severus und seinen vierjährigen Kampf um die Alleinherrschaft. An psychohistorischen Kategorien spielen der Durchsetzungswille des neuen Kaisers, die Instrumentalisierung seiner Anhänglichkeit an den ermordeten Pertinax für die Rechtfertigung der Usurpation und vor allem der Anschluss an die antoninischen Kaiser zur Betonung der Kontinuität des Prinzipats und damit besseren Fundierung seiner eigenen Herrschaft, nicht zuletzt auch zur Ausschaltung von Konkurrenz, wichtige Rollen. Hier gelingt es Spielvogel, seinen Ansatz als Ausgangspunkt für die herrschaftslegitimatorischen Aspekte fruchtbar zu machen, in deren Zusammenhang auch das Verhältnis zum Senat und die innergesellschaftlichen Verschiebungen zugunsten des Militärs und des Ritterstandes zu nennen sind. Gleiches gilt für quellenkritische Gesichtspunkte: Im negativen Septimius-Severus-Bild Herodians und in der kritischen Sicht Cassius Dios sieht Spielvogel Vorverurteilungen und Rückprojizierungen aufgrund der weiteren Entwicklung im 3. Jahrhundert; im grausam mit Clodius Albinus und dessen Anhängern abrechnenden Septimius Severus erkennt er die Motivation, die erreichte Position als Herrscher mit allen Konsequenzen zu behaupten, ohne, wie er eigens herausstellt (vgl. S. 99), diese Vorgehensweise des Kaisers dadurch rechtfertigen zu wollen.

Im dritten Kapitel geht es um den Osten des Reiches, den Partherfeldzug und die anschließende Inspektionsreise, die den Kaiser erst nach mehrjähriger Abwesenheit 202 wieder nach Rom führte. Hier steht die außenpolitische Bewährung des Septimius Severus im Vergleich zu den Leistungen Trajans im Mittelpunkt, die Reisetätigkeit und der damit verbundene Euergetismus in Anlehnung an Hadrian und Marc Aurel. Die innenpolitische Entwicklung bis zum Beginn des Britannienfeldzuges wird im nächsten Kapitel thematisiert: Die Dezennalien des Kaisers und die Hochzeit seines Sohnes Caracalla mit der Tochter des Prätorianerpräfekten Fulvius Plautianus leiten über zur Betrachtung und Bewertung der Spannungen innerhalb der severischen Familie unter Einschluss des ehrgeizigen Kommandeurs der Prätorianergarde. Es folgen der kaiserliche Besuch in der afrikanischen Heimat im Jahre 202, sodann die Säkularfeier von 204. Durchzogen ist das Kapitel von Reflexionen über das Verhältnis zwischen Septimius Severus und seinem langjährigen Weggefährten und Vertrauten Plautianus, der sich im kaiserlichen Schatten eine eigene Machtbasis aufbaute, bis er unter Hochverratsverdacht geriet; sein Sturz bildet den Höhepunkt des Kapitels. Leider muss das inzwischen in beliebigen Zusammenhängen jeglicher Art verwendete Brecht-Wort von den "Mühen der Ebene" herhalten, den heterogenen Aspekten dieses Kapitels eine wenig aussagefähige Überschrift zu geben.

Das letzte Kapitel gilt dem Britannien-Feldzug. Obwohl der Kaiser inzwischen im siebten Lebensjahrzehnt stand und obendrein schwer an Gicht litt, leitete er angesichts des desolaten Verhältnisses seiner Söhne untereinander und nicht zuletzt wegen der Ungeduld und Ambitionen seines Ältesten Caracalla diesen Krieg selbst. Spielvogel nutzt die letzte Lebensphase des Septimius Severus, um anhand der Beleuchtung dieser Familienverhältnisse ebenso die Konsequenz im dynastischen Denken des Kaisers zu betonen wie die Tragik eines Mannes, der sich aufgrund einer Weissagung gewiss ist, "dass seine Dynastie in Blut waten werde" (S. 183). Das Resümee stellt schließlich die wesentlichen Momente der Herrschaft des Septimius Severus unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen auf die römische Geschichte des 3. Jahrhunderts systematisch zusammen: den Aufstieg aus der regionalen Elite in Nordafrika, die Usurpation, die dynastische Anknüpfung an die Antoninenkaiser, die in die Zukunft weisende Akzentuierung des Militärs als Herrschaftsstütze zu Lasten anderer gesellschaftlicher Gruppen, die innerfamiliären Verhältnisse in Anbetracht der dynastischen Erfordernisse, seine Religiosität und seine Baupolitik, schließlich die literarische Rezeption späterer Zeit.

Es ist gewiss nicht leicht, mit Hilfe der literarischen Nachrichten so zweifelhafter Quellen wie Herodians und der Historia Augusta, der lückenhaften Überlieferung Cassius Dios, der Inschriften, Münzen und Bauten eine alle Wünsche befriedigende, abgerundete Lebensdarstellung des Septimius Severus vorzulegen. Am ehesten könnte es vielleicht noch gelingen, sie in eine Gesamtdarstellung der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert zu integrieren, aber diesen Weg verfolgt Spielvogel nicht. Infolgedessen muss er sich an der nur wenig umfangreicheren Septimius-Severus-Biografie von Birley messen lassen.

Dass Spielvogel dabei unterlegen ist, liegt gewiss nicht allein an seinem psychohistorischen Ansatz. Es hat auch mit seiner Art der Quellenrezeption zu tun. Kritische Aspekte zu Herodian und Cassius Dio kommen im Laufe der Biografie zur Sprache, merkwürdigerweise aber so gut wie nicht zur Septimius-Severus-Vita der Historia Augusta, die zumeist unter dem fiktiven Verfassernamen Aelius Spartianus angeführt wird, ohne dass Einzelheiten und Hintergründe zur Glaubwürdigkeit dieser Quelle und ihrer angeblichen Autoren angeführt würden. Ein grundsätzliches Kapitel zu den Quellen der Zeit und den damit verbundenen Problemen hätte der Biografie gut angestanden. Fragwürdig ist auch die Haltung Spielvogels zum so genannten "Adoptivkaisertum". So stellt er anlässlich des Eingehens auf die Nachfolge Marc Aurels durch Commodus das Adoptionsprinzip und das dynastische Prinzip gegenüber (vgl. S. 45), obwohl jedem Römer klar gewesen sein wird, dass ungeachtet der Propaganda gerade das Adoptionsprinzip einer Sicherstellung der Erbfolge diente. Vollends unverständlich ist die Aussage, Septimius Severus habe in seiner Herrschaft eine "Fortführung des Adoptivkaisertums" (S. 187) gesehen, legt Spielvogel doch allenthalben das Bemühen des Kaisers um dynastische Anknüpfung an die Antoninen, speziell an Marc Aurel und damit auch an dessen Sohn Commodus, und fast für den Preis der Selbstaufgabe um die Sicherstellung der späteren Herrschaftsübernahme durch seine Söhne Caracalla und Geta dar. Spielvogel meint mit der zitierten Ausdrucksweise natürlich nicht die vorgebliche Weitergabe des Prinzipats an den "Besten" im Staate statt an den eigenen Nachwuchs, sondern den Anspruch des Septimius Severus, seine Herrschaft im Sinne der Antoninenkaiser des 2. Jahrhunderts fortzuführen; er bezeichnet diese aber kollektiv immer wieder als "Adoptivkaiser", was angesichts der dynastischen Ambitionen des Septimius Severus im Interesse der Nachfolge seiner Söhne nur Verwirrung stiften kann.

Dieses Problem der Nomenklatur führt zu einem weiteren gravierenden Nachteil der Biografie. Die Reihe "Gestalten der Antike", in der das Buch erschienen ist, richtet sich über die Fachwelt hinaus an einen größeren interessierten Leserkreis und will insoweit mit biographisch aufbereiteten historischen Inhalten auch Lesevergnügen bereiten. Den sprachbewussten Leser/innen wird die Lektüre aber oftmals zur Qual: Ausdrucksfehler, stilistische Unebenheiten wie Nominalstil und unpassende Metaphorik, Grammatikfehler wie Inkongruenz und falscher Kasus hemmen den Lesefluss. Angesichts eines solchen Befundes fragt man sich natürlich, ob es nicht auch die Aufgabe eines wachsamen Verlagslektorats gewesen wäre, hier glättend einzugreifen.

Spielvogels Septimius-Severus-Biografie lässt manche Wünsche offen. Der psychohistorische Ansatz wirkt nicht als integraler Bestandteil der Biografie, sondern aufgesetzt; er scheint Überlieferungs- und Erklärungslücken füllen zu sollen, um Veranlagungen und Handlungsweisen des Kaisers zu deuten, zu denen die Quellen kein abgerundetes Urteil erlauben, vermag jedoch ein ganzheitliches Bild dieses Mannes letztlich kaum zu fördern. Zu diesen und anderen Unklarheiten trägt die sprachliche Form nicht wenig bei. In Rechnung gestellt wird mit diesem Urteil durchaus, dass Septimius Severus kein einfacher Gegenstand für eine biografische Behandlung ist. Diese Herausforderung bleibt also bestehen, und gemessen wird das Ergebnis zu Recht an Birleys biografischer Leistung.

Anmerkungen:
1 Vgl. Hasebroek, Johannes, Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Septimius Severus, Heidelberg 1921.
2 Vgl. Birley, Anthony R., The African Emperor. Septimius Severus, London 1988; Daguet-Gagey, Anne, Septime Sévère. Rome, l'Afrique et l'Orient, Paris 2000.

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