K. Marxen u.a. (Hrsg.): Inszenierungen des Rechts

Cover
Titel
Inszenierungen des Rechts. Schauprozesse, Medienprozesse und Prozessfilme in der DDR


Herausgeber
Marxen, Klaus; Weinke, Annette
Anzahl Seiten
234 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Krause, Wissen für Entscheidungsprozesse, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Der vorliegende, von dem Rechtswissenschaftler Klaus Marxen und der Historikerin Annette Weinke herausgegebene Sammelband ist im wesentlichem das Ergebnis einer im Juni 2005 veranstalteten Tagung. Hierzu wurden Historiker, Medienwissenschaftler und Rechtswissenschaftler eingeladen, die „Inszenierungen des Rechts“ in den Massenmedien der DDR aufzuzeigen, kritisch zu hinterfragen und so für die (juristische) Zeitgeschichtsschreibung nutzbar zu machen. Das erklärte Ziel ist es, „ein Forschungsthema zu etablieren, das zwei juristisch-zeithistorische Tendenzen verbindet“. Zum einen soll „neben der unmittelbaren repressiven Funktion des Rechts in der DDR [...] auch dessen mittelbare systemstabilisierende Funktion als eine auf gesellschaftliche Integration zielende Ordnung beachtet werden“. Zweitens soll dieser Ansatz berücksichtigen, dass „das Zeitalter der Medien“ auch die „Setzung und Verwirklichung von Recht“ formal und inhaltlich prägt (S. 5).

Die insgesamt neun Beiträge widmen sich der Medialisierung des Rechts in der DDR von verschiedenen Ausgangspunkten. Eingeleitet wird der Band durch zwei einführende Beiträge der beiden Herausgeber, die den Problemrahmen vorgeben. So wirft Marxen in seinem Beitrag (S. 19-36) die grundsätzliche Frage auf, inwieweit sich das Recht auch in der DDR den Anforderungen der modernen Massenmedien angepasst habe und auf diesem Wege zunehmend „mediatisiert“ wurde. Zur Veranschaulichung verweist er auf die unterschiedlichen propagandistischen Maßnahmen seitens der DDR-Führung, den Bürgern die sozialistische Rechtsprechung nahe zu bringen. Diese Maßnahmen orientierten sich an den technischen Möglichkeiten ihrer Zeit: angefangen bei öffentlichen Schauprozessen in Hallen und Theatersälen, über Rundfunkübertragungen aus dem Gerichtssaal und der Produktion spezieller Fernsehformate. Dass diese „Inszenierungen des Rechts“ unter strenger Kontrolle der SED und ihrer Sicherheitsorgane erfolgte, ist mithin selbstverständlich. Marxens Hinweis, dass die „Fiktionalisierung“ des Rechts in der DDR nicht erst mit der Einführung des Fernsehkrimis, sondern bereits in den „Drehbuchprozessen“ gegen „West-Spione“ oder Gegner des DDR-Regimes begann, in denen der Verlauf des Verfahrens und das Urteil bereits vor Prozessbeginn feststanden, verweist auf die Realitäten der DDR-Justiz. Die These, dass sich auch die DDR-Justiz in Folge der technischen Entwicklungen den Zwängen der massenmedialen Logik nicht entziehen konnte, relativiert diese Aussage nur auf den ersten Blick. Denn so stark der Einfluss der Massenmedien an sich auch gewesen sein mag, letztlich entschied die Partei, was wie veröffentlicht wurde - und vor allem: was nicht veröffentlicht wurde.

Annette Weinke gibt dem Leser einen ausführlichen Überblick über die historische Entwicklung des Rechtssystems und die Methoden der Rechtsinszenierung in der DDR. Von den durch „inszenierte ‚Scheinöffentlichkeiten’“ (S. 41) geprägten stalinistischen Schauprozessen der Anfangsjahre bis zur „fernsehkompatiblen Rechtsberatung der Honecker-Ära“, wie es im Titel des Beitrages heißt, kann sie anschaulich zeigen, wie sehr die massenmediale Aufbereitung des Rechts auf engste verbunden war mit den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und den Diskussionen um eine spezifisch sozialistische Kriminalitätstheorie. Im Laufe der Zeit, so Weinke, hätten die DDR-Massenmedien einen spezifischen „Erzählmodus“ entwickelt, in welchem „sich der absolute Wahrheitsbegriff der kommunistischen Erziehungs- und Weltanschauungsdiktatur mit dem metaphysischen Wahrheitsbegriff des bürgerlichen deutschen Strafprozesses und justizkritischen Traditionen aus der Weimarer Periode zu einer neuen Hybridform“ verbunden habe (S. 72). Ein wesentliches Ziel dabei war, den jeweiligen „strafpolitischen Kurs“ (S. 69) der SED auch medial zu flankieren und zum Erfolg zu führen. Dass dieser Erzählmodus besonders zuschauerfreundlich gewesen ist und beim Kampf um die „Einschaltquote“ mit der Konkurrenz im „Westfernsehen“ mithalten konnte, ist eher zu bezweifeln. Auch Weinke ist sich dessen wohl bewusst und weiß um den permanenten Kampf um die Zuschauer in der damaligen deutsch-deutschen Medienlandschaft. Dennoch stellt sie am Ende ihres Beitrags die Hypothese auf, dass „mediengestützte Kriminalitäts- und Justizdiskurse“ in der DDR insbesondere ab den 1960er-Jahren „einen Teil jener systemstabilisierenden und gesellschaftsintegrierenden Funktionen übernommen haben, die zuvor von staatlichen Strafverfolgungsorganen ausgefüllt worden waren“ und hält den „erkennbaren Wandel in der Rechtsentwicklung“ der DDR „möglicherweise“ auch für „medienbedingt“ (S. 72).

Diese Hypothese gilt es mit Hilfe zukünftiger Forschung zu prüfen. Erste Ansatzpunkte hierzu finden sich in den Beiträgen des vorliegenden Bandes, die sich der massenmedialen Inszenierung des Rechts in der DDR an ausgesuchten Beispielen zuwenden. So analysiert Günter Agde die „medienstrategischen und filmhistorischen Aspekte“ zweier, von der Sowjetunion beziehungsweise der DEFA produzierter Dokumentarfilme über das Konzentrationslager Sachsenhausen und gibt uns damit einen Einblick in die Traditionslinien der massenmedialen Inszenierung des Rechts in der DDR (S. 121-139). Detlef Kannapin widmet sich in seinem etwas kurz geratenen Beitrag den frühen DEFA-Spielfilmen und den dort präsenten „rechtspolitischen Auffassungen“ (S. 141-150). Der „Repräsentation des Gerichts im Fernsehen“ der DDR nimmt sich Hennig Wrage an, wobei er einen Überblick über die wichtigsten Fernsehformate zum Thema Recht gibt: von den Berichten über spektakuläre Schauprozesse gegen NS-Täter in der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ bis hin zur halbfiktionalen Sendereihe „Der Staatsanwalt hat das Wort“ (S. 175-208). Roger Engelmann beschreibt an ausgesuchten Beispielen die Rolle der Stasi bei der Durchführung und medialen Inszenierung von Schauprozessen gegen „Diversanten“ und westliche „Agenten“ in den 1950er-Jahren (S. 85-100). Dabei arbeitet er anschaulich heraus, wie perfide das SED-Regime bei der Instrumentalisierung des Rechts für propagandistisch-politische Zwecke vorging. Ein Befund, der von Gunter Holweißig unterstrichen wird. In seinem Beitrag zur „Medienberichterstattung über politische Prozesse“ (S. 209-221) legt er ausführlich dar, wie die SED und das MfS die Kontrolle über jeden als relevant erachteten Strafprozess ausübten. Eigens dafür zuständige Mitarbeiter sorgten für den gewünschten Verlauf eines solchen Prozesses und für die entsprechende massenmediale Inszenierung. Dies konnte auch bedeuten, dass man, um beispielsweise die „Entspannungspolitik“ der 1970er-Jahre nicht zu gefährden, auf eine Medienöffentlichkeit verzichtete (S. 216).

Einem spannenden Beispiel wendet sich Marion Detjen zu: der propagandistischen Ausschlachtung der Strafprozesse gegen Fluchthelfer (S. 101-118). In ihrem kenntnisreichen Aufsatz arbeitet sie anschaulich heraus, wie sehr die DDR-Führung darum bemüht war, die Fluchthelfer als skrupellose „Menschenhändler“ darzustellen und sie so auch im Westen zu diskreditieren, was ihr in den späteren Jahren durchaus gelang. „Das zum Teil auch heute noch vorherrschende, generalisierte Bild der kommerziellen Fluchthilfe als ‚widerwärtiges Gewerbe’“, so das Fazit von Marion Detjen, ist „ein Ergebnis zahlreicher diskursiver Repräsentationen, die in ihrer Entstehung eng mit den Interessen der DDR verknüpft sind“ (S. 117).

Ein besonders hervorzuhebender Artikel des Bandes stammt von Reinhold Viehoff, dem es gelingt, grundsätzliche medientheoretische Überlegungen auf den Fall DDR anzuwenden (S. 151 - 173). Die Verwendung von empirischen Daten der Zuschauerforschung in Verbindung mit der kritischen Reflexion des Zusammenhanges von in der DDR diskutierten kriminologischen Theorien und der massenmedialen Inszenierung des Rechts im DDR-Fernsehen trägt dazu bei, die Realität der Massenmedien im SED-Staat besser zu verstehen. Es war eben nicht der Logik der Massenmedien geschuldet, wenn bestimmte Themen zum Gegenstand – oder auch nicht zum Gegenstand – einer Fernsehsendung wurden. Vielmehr stand hinter dem Kommissar im „Polizeiruf 110“ oder dem „Professor Kaul“ die Partei mit ihren Theorien über die Ursachen von Kriminalität und Gewalt. „Die Medien hatten in der DDR“, so Viehoff, „eine spezifische Orientierungsfunktion zu erbringen, die staatlich kontrolliert wurde“ (S. 171). Auf den Zuschauergeschmack reagierte die SED erst dann, wenn sie feststellen musste, dass die DDR-Bürger das „Westfernsehen“ dem eignen, staatlich kontrollierten Programm vorzogen. Eine Folge davon war, dass das von der Parteiführung verfolgte Konzept, die Bürger via Fernsehen auf eine spezifische Wahrnehmungsperspektive hin festzulegen, letztlich nicht erfolgreich war (S. 171f).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das angestrebte Ziel, auf die Bedeutung der Massenmedien für die Wahrnehmung und Darstellung des Rechts in der DDR hinzuweisen, und damit auch ein neues Forschungsthema zu etablieren, lobenswert und richtig ist. Der vorgelegte Band ist ein erster Schritt in diese Richtung. Er bietet gute Ansätze, kommt aber auch an der einen oder anderen Stelle etwas schleppend und begrifflich unpräzise daher. Bemerkenswert ist, dass in den verschiedenen Beiträgen wiederholt auf die gleichen Beispiele zurückgegriffen wird, so dass der Eindruck entsteht, dass die massenmediale Inszenierung des Rechts in der DDR recht übersichtlich war. Hier könnte ein tieferer Blick in die Empirie – insbesondere im Hinblick auf fiktionale Formate – weitere Erkenntnisse liefern. Es bleibt zu hoffen, dass an diesem Thema weitergearbeitet wird, um die vorhandenen guten Ansätze weiterzuverfolgen.

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