F. Becker u.a. (Hrsg.): Mythos USA

Titel
Mythos USA. "Amerikanisierung" in Deutschland seit 1900


Herausgeber
Becker, Frank; Reinhardt-Becker, Elke
Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Campus Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Adelheid von Saldern, i.R. Historisches Institut, Universität Hannover

Offensichtlich kommt dem Themenfeld Amerikanisierung so viel Attraktivität zu, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen immer wieder in seinen Bann gezogen werden. Doch eigentlich ist es nahe liegend, sich mit den Einflüssen der einzig verbliebenen Weltmacht in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder auf’s Neue auseinanderzusetzen. Darüber hinaus handelt es sich um einen theoretisch attraktiven Untersuchungsgegenstand, der zudem viele Chancen zur interdisziplinären Zusammenarbeit bietet. So soll das vorliegende Buch entsprechend unter zwei Fragestellungen gelesen werden: Was bringt es Neues? Und was ist in den zehn darin veröffentlichten Aufsätzen besser, anders oder genauer nachzulesen als in den mittlerweile recht zahlreichen schon veröffentlichten Studien zum gleichen Thema?

Als erstes fällt auf, dass der Mitherausgeber Frank Becker mit zwei Artikeln sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht das Profil des Buches bestimmt. In seinem ersten Beitrag gibt er einen Überblick über Amerikanisierung und Amerikabild im 20. Jahrhundert. An seinen Grundaussagen über die Zwischenkriegszeit lässt der Autor keinen Zweifel: Dem Kern nach sei es erstens um Diskurse über Modernisierung gegangen, und zweitens zeichne den mit der Modernisierung eng verbundene Fordismus eine Polyvalenz aus, die es ermöglichte, von diversen politischen Richtungen akzeptiert und in unterschiedliche Kontexte integriert zu werden. Etwas verschwommener sind seine Ausführungen über Amerikanisierung im Zusammenhang mit der Geschichte der Bundesrepublik, changieren sie doch ohne Fixpunkte zwischen der Erzählung der realen Geschichte und den Diskursen darüber. Konziser als der letzte Teil dieses Überblicks sind die Ausführungen Beckers in seinem zweiten Aufsatz über die NS-Zeit. Hier fasst er den Forschungsstand präzise zusammen. Doch das, was den Aufsatz im Vergleich zu früheren Arbeiten zu diesem Themenkomplex auszeichnet, ist seine klare, überzeugende Interpretation des Fordismus jener Phase, der von der Janusgesichtigkeit der Moderne geprägt worden sei (S. 155). Das fordistische Konzept sei unter rassistischen Gesichtspunkten angeeignet und dabei umgewandelt worden. Selbst die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten habe im Zeichen einer „rational-planerische(n), von wissenschaftlichen Erkenntnissen geleitete(n) Umbildung der Verhältnisse“ gestanden. Damit seien sie „strukturell dem Projekt der Moderne verhaftet“ geblieben (S. 166). Hinsichtlich der eugenischen Politik wirft Becker einen Blick auf ähnliche Erscheinungen in den USA, um dann jedoch prägnant den entscheidenden Unterschied zu benennen: die jeweils ganz verschiedenartige Konstellation der politisch-kulturellen Kräfteverhältnisse sowie die fundamentale Unterschiedlichkeit der politischen Systeme nach 1933.

Anders als die beiden Beckerschen Aufsätze sind die übrigen Beiträge konzipiert. In den literaturwissenschaftlichen Betrachtungen dominieren Einzelstudien. Dieter Heimböckel stellt in seiner Untersuchung einiger Romane bereits für die Jahrhundertwende eine „signifikante Einstellungsverschiebung“ fest (S. 50). Schon damals, und nicht erst – wie viele HistorikerInnen meinen – in den 1920er-Jahren, sei die Zukunftsmacht Amerikas projektiert, antiamerikanische Ressentiments entwickelt und mit antisemitischen Weltanschauungen verbunden worden. Elke Reinhard Becker, Mitherausgeberin des Bandes, analysiert den Liebesdiskurs während der Weimarer Republik. An Hand verschiedener Romane arbeitet sie die neue Sachlichkeit in den Paarbeziehungen heraus, weist jedoch deren Etikettierung als Amerikanisierung aus den oben schon genannten Gründen als nicht griffig zurück. Sie konstatiert, dass eine Enterotisierung die essayistischen und literarischen Texte durchdrungen habe. Dies führt sie auf die androgyne Mode und auf die Sportbewegung zurück, wobei sie vorschnell verallgemeinert, dass sportliche Körper keine erotischen Körper seien und dass der damaligen Mode „Schlüsselreize zur Erzeugung sexueller Erregung“ gefehlt hätten (S. 120f.) – eine wohl viel zu pauschale Bewertung. Der letzte Beitrag von Seiten der Literaturwissenschaften betrifft die in die USA führende Reiseerzählung von Jacob Hein (2003). Die Verfasserin des Aufsatzes, Andrea Payk-Heitmann, untersucht die autobiografische Erzählung Heins auf die Frage hin, ob und gegebenenfalls wie sehr die oppositionelle Einstellung des in der DDR aufgewachsenen Protagonisten zum offiziellen Amerika-Bild der DDR nachwirkte, als er sich 1991, also nach der Wende, auf die Reise in die Neue Welt machte. Sie kommt zum Ergebnis, dass die Reise ihm eine Chance bot, die „adoleszent-pubertierende(n) Amerikavisionen“ zu überwinden (S. 220f.). Dadurch wurde ihm eine „Ankunft im Westen“ ermöglicht, bei der die USA in ihrer Vielseitigkeit inkorporiert war.

Auf ganz andere Weise war das Amerikabild dem Neuen Frankfurt der 1920er-Jahre einverleibt, wie Peter Hoeres in seiner Studie beschreibt. Bekanntlich gibt es über das Neue Frankfurt bereits zahlreiche ältere und neuere Arbeiten, von denen der Verfasser auch einige zitiert. Zunächst gewinnt man beim Lesen des Aufsatzes den Eindruck, dass Hoeres das Rad neu erfinden will, doch dann fällt mehr und mehr ins Gewicht, dass er einige in der Literatur vorfindliche Auffassungen zurechtrückt. So zweifelt er mit guten Gründen daran, dass die berufstätige Hausfrau und Mutter gefördert werden sollte (S. 86), was mittlerweile längst auch quellenmäßig belegt ist. Er räumt ferner mit der Mär auf, dass es sich um Arbeitersiedlungen gehandelt habe. Darüber hinaus betont er ähnlich wie Becker die Widersprüche, die, wie er schreibt, in „der Moderne selbst“ lägen. Deshalb dürften nicht alle Bedenken, wie sie damals etwa von Seiten der Handwerker vorgebracht wurden, gleich als Fundamentalablehnung der Moderne interpretiert werden (S. 92). Auch spricht er sich gegen die in der Literatur häufig anzutreffende Verniedlichung des erziehungsdiktatorischen Anspruchs aus, der dem Neuen Bauen zugrunde lag (S. 93). Schließlich stellt er den Begriff der „Krisenjahre der Moderne“ (Peukert) in Frage und betont zudem die Komplexität des Amerika bezogenen Kulturtransfers.

Während in Frankfurt am Main eine Moderne Einzug hielt, die amerikanischen Einflüssen gegenüber offen eingestellt war, nahm sich die Situation im Bildungssystem viel verschlossener aus. Thomas Koinzer zeigt am Beispiel von Erich Hyllas Buch „Die Schule der Demokratie“ aus dem Jahre 1928 die engen Grenzen auf, innerhalb welcher das amerikanische Schulsystem in der Weimarer Republik rezipiert wurde. In überzeugender Weise macht er dafür einerseits die im pädagogisch-akademischen Milieu verbreitete Republik- und Demokratiefeindschaft verantwortlich, andererseits hätte der Stolz auf das deutsche Schulsystem rezeptionsresistente Wahrnehmungsfilter geschaffen.

Einem Einzelbeispiel widmet sich auch Peter Ellenbruch in seinem Beitrag über die in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren sehr erfolgreichen Sendungen von Peter von Zahn, die den Titel trugen „Bilder aus der Neuen Welt“. Der Grund für Zahns Erfolg habe in den innovativen Kompositionen von Information und Unterhaltung und der Anwendung verschiedener Stilmittel gelegen – wie imaginäre Dialoge, „assoziativ-abstrakte“ Montage-Sequenzen, Interview-Situationen, „Dokumentaraufnahmen mit wohl erkennbaren Inszenierungen“ (S. 183). Die „hohe filmische Qualität“ (S. 184) der Sendungen hätte zum Mitdenken eingeladen und die an den 1920er-Jahren angelehnten Features einen „Demokratisierungsschritt in der Geschichte der frühen Bundesrepublik“ markiert (S. 185).

Der aktuellen Frage, ob es heute einen deutschen Hollywood-Film gibt, geht Jost Keller nach. In seinen Schlussfolgerungen aus seiner sehr genauen Beispielanalyse versteht er den Hollywood-Film als ein internationales, längst standardisiertes Genre-Kino. Dem ist sicherlich zuzustimmen; offen bleibt allerdings die Frage, welche nationalen oder gruppenspezifischen Aneignungsprozesse dem standardisierten Film doch ein je subtiles Eigengepräge geben, wie dies beispielsweise in Bezug auf die Hip-Hop-Kultur bereits herausgearbeitet worden ist.

Aktuelle Diskussionen, die vor allem vom "Institute for American Values" begonnen wurden, greift Alexander Stephan in seinem Beitrag über "Cultural Clash" auf. Der Autor arbeitet in seinem sehr nachdenklich machenden Beitrag die Gefährdung der Konstruktion „The West“ als eine einheitliche Zivilisation heraus. Dabei stützt er sich „auf eine kleine, aber wachsende Zahl von Amerikanern“, wie vor allem Jeremy Rifkin, die meint, „dass die zivilisatorischen Bruchlinien der Zukunft nicht nur zwischen dem Westen und anderen Kulturkreisen wie dem Islam verlaufen werden, sondern mitten durch den Atlantic“.

Greift man die eingangs gestellten Fragen nach den Besonderheiten des vorliegenden Buches auf, dann lässt sich folgendes Resümee ziehen: Die gemeinsame Grundlage der aus verschiedenen Fachdisziplinen stammenden Beiträge liegt darin, die Komplexität des amerikanischen Kulturtransfers offen zu legen und Amerika als Projektionsfläche für ganz verschiedene Vorstellungen herauszuarbeiten. Die meisten Artikel analysieren Einzelbeispiele und bieten dadurch neue, recht genau recherchierte Einzelbefunde, deren Reichweite allerdings nicht immer optimal ausgelotet wird. Die interpretatorische Stärke, mit der Becker die Zwischenkriegszeit fokussiert, hinterlässt den nachhaltigsten Eindruck.

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