W. Wette (Hrsg.): Filbinger - eine deutsche Karriere

Cover
Titel
Filbinger - eine deutsche Karriere.


Herausgeber
Wette, Wolfram
Erschienen
Springe 2006: zu Klampen Verlag
Anzahl Seiten
191 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Richter, TU Dresden

Im April 2007 zeigte sich, dass der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, auch über seinen Tod hinaus Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen sein würde. Sein amtierender Nachfolger, Günther Oettinger, bezeichnete Filbinger in seiner Trauerrede trotz dessen Tätigkeit als Marinerichter im Zweiten Weltkrieg als „Gegner des NS-Regimes“.1 Nachdem Oettinger für seine Worte mehrfach scharf angegriffen worden war, distanzierte er sich von seinen Äußerungen, nicht ohne den Eindruck zu hinterlassen, eigentlich doch zu seiner ursprünglichen Einschätzung zu stehen.

Filbingers Tod und Oettingers Rede frischten die Erinnerung an die „Filbinger-Affäre“ von 1978 auf, jene für die alte Bundesrepublik wichtige öffentliche Debatte über den Umgang mit persönlicher Verantwortung und politischer Verstrickung in der NS-Zeit. Seit Sommer 2006 liegt ein neuer, vom Freiburger Historiker Wolfram Wette herausgegebener Band mit dem Titel „Filbinger – eine deutsche Karriere“ vor, der seinen Lesern die „Filbinger-Affäre“ und ihren historischen Kontext auf knapp 200 Seiten nahe bringen möchte. Ein Anspruch an das neue Buch bestand darin, die fast dreißig Jahre zurückliegende Kontroverse jenseits der damaligen Konfliktlinien vorzustellen.2

Der Band versammelt neben einer Einleitung des Herausgebers neun Beiträge. Jeweils zwei Texte stammen von Wette selbst sowie von Manfred Messerschmidt. Beide sind durch ihre Zeit am Militärhistorischen Forschungsamt in Freiburg miteinander verbunden; ihre Texte bilden ein Grundgerüst des Buches, in dem es nicht immer um Hans Filbinger selbst geht. Die Einleitung relativiert den nach politischer Biographie klingenden Titel des Buches, vielmehr möchte es, „über die Person Filbingers hinaus Kontinuitätslinien in der Geschichte der deutschen Justiz des 20. Jahrhunderts aufzeigen“ (S. 8). Der geschichtspolitische Dauerbrenner, an dem es sich von Beginn an reibt, ist der Filbinger zugeschriebene Satz über das damalige Recht, das „heute nicht Unrecht sein kann“.

Wolfram Wette ist kein Freund von Hans Filbinger. Sowohl in der Einleitung als auch in seinem ersten Beitrag („Der Fall Filbinger“) vermengen sich Darstellung und politische Antipathie, die nicht allein in Filbingers Tätigkeit als Marinerichter wurzelt. Konservative Politik findet in Wettes Darlegungen, mit denen er einen eigenen Vortrag von 2003 wiedergibt 3, in der Regel wenig Lob. Die „Schadenfreude“, die er dem links eingestellten Bürgertum im südlichen Baden anlässlich Filbingers Rücktritt zuschreibt, hat er wohl selbst verspürt. Wette verfolgt daher die These, Filbinger sei 1978 nicht an seiner Beteiligung an Todesurteilen für Deserteure vor 1945 gescheitert, sondern „an seinem Umgang mit den historischen Fakten in einer politisch sensibilisierten Öffentlichkeit“ (S. 22).4

Für Wette war Filbinger in Anlehnung an Rolf Hochhuths Diktum ein „furchtbarer Jurist“, weil er „ein ganz normaler NS-Militärrichter war“ (S. 30). Die beiden Beiträge von Manfred Messerschmidt versuchen, das Bild vom „normalen NS-Militärrichter“ schärfer zu konturieren. Sein Text über „Wege in den Unrechtsstaat“ verfolgt mit der „Freirechtsbewegung“ einen von mehreren Wegen in die NS-Gerichtsbarkeit. Er verdeutlicht, dass jene politisch zunächst neutralen rechtstheoretischen Überlegungen nach Gründung der Weimarer Republik in republikfeindliche Bereiche gerieten. Denn vom Bild des rechtsgestaltenden Richters, der in der Urteilsfindung offen sei für den ideellen „Starkstrom“ normativer Prämissen, so der Ansatz der Freirechtler um die Jahrhundertwende, war es nach 1933 nicht weit bis zum „gesunden Volksempfinden“ und dem „Führerwillen“, die aus richterlicher Sicht über die Anwendbarkeit einer positiven Rechtsregel entscheiden mussten. Damit wurden die Feindbilder des Nationalsozialismus die Feindbilder seiner Juristen (S. 40). Welche verheerenden Folgen dies für viele Soldaten hatte, illustriert Messerschmidt in seinem Beitrag über die „elastische“ Gesetzesanwendung durch Wehrmachtsgerichte. Diese trieben die von der NS-Führung geforderte „richtige“ Rechtsprechung mitunter voran, etwa wenn das Reichskriegsgericht über Fragen der Strafmilderung „nur vom Standpunkt der Allgemeinheit und von den Kriegsnotwendigkeiten her“ urteilen wollte (S. 70). Dönitz’ Anweisungen für die Marinegerichte gingen sogar über Hitlers eigene Richtlinien zur Verhängung der Todesstrafe hinaus und produzierten ein „gehorchendes Rechtsprechen“ (S. 76), das – je nach Druck der militärischen Führung – den gerichtlichen Oberinstanzen „rechtsverbösernd“ (S. 73) zuarbeitete.

Überlässt es Messerschmidts zweiter Beitrag noch den Lesern, ob und wo sie das Handeln und die Person Filbingers in dem mit vielen Gerichtsfällen illustrierten Bild der Wehrmachtsjustiz verorten, liefert Ricarda Berthold eine genaue, detaillierte Beschreibung der Tätigkeiten und Funktionen, in denen Filbinger bei Marinegerichten eingesetzt worden war. Der Ansatz dieses Berichts zahlt sich aus, indem er die öffentlich bekannten Fälle, vor allem den des zum Tode verurteilten Matrosen Gröger, in ein umfassenderes Tätigkeitsbild Filbingers einordnet. Berthold benennt ein Grundmerkmal damaliger Urteile – das sich auch auf deren nachträgliche Bewertung ausgewirkt hat – wenn sie „die Übergänge von soldatischen zu nationalsozialistischen Wertvorstellungen in einer durch und durch militarisierten Gesellschaft [als] fließend“ bezeichnet (S. 60). Filbinger war demnach, verglichen mit anderen Richterkollegen, „kein scharfer Hund“ im Dienste des NS-Regimes (ebd.), wohl aber einer, der mit seinen Urteilen, selbst nach Kriegsende, zur „Aufrechterhaltung der Manneszucht“ in der Truppe – ein schwer definierbarer und daher leicht instrumentalisierbarer Tatbestand – beizutragen suchte. Berthold sieht Filbinger „tiefer im System verwurzelt, als er wahrhaben und vor allem zugeben wollte“ (S. 62). Ihre Analyse ist ausgewogen, zumal sie einen als „Rettungstat“ Filbingers ausgegebenen Marinegerichtsfall anführt, aber deutlich auf die irritierende Eile hinweist, mit der Filbinger die Vollstreckung der Todesstrafe an dem Matrosen Gröger vorangetrieben hatte.

Joachim Perels beschäftigt sich mit dem Problem der Fortgeltung nationalsozialistischen Rechts in der Bundesrepublik. Während er für die unmittelbare Nachkriegszeit den Willen erkennt, die Normen des Nationalsozialismus wegen des Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze ihrer rechtlichen Legitimation zu entkleiden, spricht er für die Zeit nach 1949 von einer „vielfachen Verdoppelung der NS-Justiz“ (S. 92). So habe auch in der Bundesrepublik das Recht auf seiner Seite gehabt, wer sich vor 1945 „im Rahmen der ‚Normalität’ justizförmig betriebener Judenverfolgung“ bewegt habe (S. 88). Anhand mehrerer bundesdeutscher, höchstrichterlicher Urteile diagnostiziert Perels eine „Tendenz, die gesamte Justiz des Hitler-Regimes mit dem Prädikat der Rechtmäßigkeit zu versehen“ (S. 87). Wie sehr diese Entwicklung an eine personelle Kontinuität im Justizwesen geknüpft war, beleuchtet Helmut Kramer in seinem Beitrag über „Karrieren und Selbstrechtfertigungen ehemaliger Wehrmachtsjuristen nach 1945“. Dass eine große Zahl ehemals hochrangiger Militärjuristen auch in der Bundesrepublik zu Rang und Namen kam, schreibt er der allseits vertretenen Sichtweise zu, nicht die Justiz, sondern ganz allein der Gesetzgeber habe im Dritten Reich die „Fahne des Rechts verlassen“ (S. 106). Tatsächlich aber, so Kramer, errichteten Militärjuristen, die sich auf ihren Gesetzesgehorsam glaubten berufen zu können, „vor dem Unrecht eine Legalitätsfassade“ (S. 117).

Mit Anton Maegerles kenntnisreichem Beitrag über das Studienzentrum Weikersheim (SZW) und Walter Mossmanns Schilderung der Vorgänge um das geplante Atomkraftwerk Wyhl rückt der Band wieder an die Person Filbinger heran. Maegerle stellt bei dem von Filbinger 1979 als neokonservativem think tank gegründeten SZW die inhaltlich wie personell bedenkliche Nähe zu rechtsextremen Kreisen heraus und dringt auf die genaue Beobachtung des SZW über das – inzwischen eingetretene – biologische Ende seines Gründungsvaters hinaus. Mossmanns Beitrag, der inhaltlich recht durchmischt zwischen Wyhler Anti-Atomkraft-Bewegung, NS-Schelte, südbadischem Wählerverhalten und der Rolle der ’68er Generation oszilliert, erhellt die Tätigkeit Filbingers als Ministerpräsident nur knapp.

Wolfram Wette beleuchtet abschließend den öffentlichen Meinungswandel in Deutschland nach 1980 bis hin zur Aufhebung der Urteile gegen Wehrmachtdeserteure und deren moralische Rehabilitierung durch den Bundestag im Jahr 2002. Ohne seine eigene politische Wertung dieses Prozesses zurückzuhalten, verweist er auch auf die Positionen der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) zur Desertion im Zweiten Weltkrieg von 1996 und die Argumente der Ständigen Ausstellung „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ in Berlin. Sie zeigen, dass sich diesem Thema differenziert, ohne plakative Zuspitzung nähern lässt. Über den Satz Herta Däubler-Gmelins von 1990: „Wer sich der Maschinerie des Krieges entzog oder widersetzte, auch der muss unser Verständnis und unseren Respekt beanspruchen können, der verdient nicht unser schamvolles Wegschauen“(S. 162), besteht heute ohne Zweifel breiter Konsens.

Anmerkungen:
1 Vgl. http://www.baden-wuerttemberg.de/fm/1899/Rede_Oettinger_Staatsakt_Filbinger_110407.pdf.
2 Vgl. Heck, Bruno (Hrsg.), Hans Filbinger – Der „Fall“ und die Fakten. Eine historische und politologische Analyse, Mainz 1980.
3 Vgl. http://www.vauban.de/pub/wette.pdf.
4 Vgl. bereits Jäger, Wolfgang, Der Sturz des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger 1978- Dokumentation und Analyse, in: Heck, Bruno (Hrsg.), Hans Filbinger, S. 103-175, hier S. 120.

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