D. Junker (Hg.): Die USA und Deutschland

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Titel
Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945-1990. Ein Handbuch, 2 Bände


Herausgeber
Junker, Detlef; in Verbindung mit Philipp Gassert
Erschienen
Stuttgart u.a. 2001: Deutsche Verlags-Anstalt
Anzahl Seiten
Band 1: 977 S., Band 2: 874 S.
Preis
€ 76,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. Michael Lemke

Die Jahre 1945 und 1990 bilden markante Zäsuren sowohl in der Geschichte des 20. Jahrhunderts als auch in den vom vorliegenden Handbuch thematisierten deutsch-amerikanischen Beziehungen. Ebenso erscheint das Jahr 1968, das seine beiden Bände formal teilt, weltweit als ein Wendejahr in der Systemauseinandersetzung – außenpolitisch allerdings mehr für die USA als für die Bundesrepublik. Doch stellen sich hinsichtlich des Buchtitels zwei Fragen: Kann zum einen die gesamte Zeit zwischen 1945 und 1990 tatsächlich als die des Kalten Krieges angesprochen werden ,oder war dieser nicht vielmehr eine Periode (etwa von 1947-1962/63) des Ost-West-Konfliktes, der nach seiner Entspannungsperiode ab ca. 1963 (und einem konfrontativen Intermezzo am Ausgang der 70er/Anfang der 80er Jahre) 1990 sein Ende fand? Und zum anderen stößt man sich weniger an dem Begriff Deutschland, unter dem der Hg. auch die DDR subsumiert, als daran, dass die in der Tat weniger wichtigen ostdeutsch-amerikanischen Beziehungen – indirekte vor allem und unspektakuläre – leider auch im Handbuch(mit löblichen Ausnahmen) vernachlässigt werden. Diese relative Marginalisierung ist freilich auch eine Folge von Forschungsdefiziten, die beim Lesen dieses Werkes bewusst werden. So gesehen, gehört es zu seinen Verdiensten, wenn es - zumindest mittelbar- einen entsprechenden wissenschaftlichen Nachholbedarf anmeldet.

Diese Einwände sind allerdings ohne Belang, wenn man ihnen den immensen wissenschaftlichen Ertrag des über viele Jahre gewachsenen Projektes gegenüberstellt. Es vereint Forschungen zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen in den USA und Deutschland nach 1945, komplexe beziehungsgeschichtliche und vergleichende Untersuchungen sowie eine Reihe von Einzelthemen aus der gemeinsamen deutschen und amerikanischen Vergangenheit. Sie wird von 132 namhaften amerikanischen und deutschen Wissenschaftler(innen) in insgesamt 146 Beträgen erzählt, die verschiedene zeitgeschichtliche Disziplinen und Richtungen repräsentieren. Die methodische und inhaltliche Vielfalt wird mit dem Reiz der subjektiven Wahrnehmung verbunden: Denn die Autoren bringen die Sichten und Erfahrungen zweier unterschiedlicher Welten ein, die auch Schreibmentalität und Stil mitprägten.

Während im umfangreicheren ersten Band die Arbeit mit den Archivalien dominiert, zeigt der analytisch mit wenigen Ausnahmen keineswegs schwächere zweite Band, dass die quellengestützte historische Forschung zu den bilateralen Beziehungen nach 1968 erst begonnen hat.

Beide Teile folgen einem plausiblen Strukturschema: Die Sachgebiete(in dieser Reihenfolge) Politik, Sicherheit, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft werden jeweils durch einen problemorientierten einführenden Beitrag eröffnet, der überdies durch eine spezielle Bibliographie Raisonnee ergänzt wird. Dann folgen die kürzeren Einzelaufsätze. Gelegentlich treten Überschneidungen und Wiederholungen auf. Sie waren schon deshalb nicht zu umgehen, weil in einigen Fällen verschiedene Autoren unterschiedliche Aspekte eines gleichen Phänomens untersuchten bzw. im zweiten Band ein bereits im ersten behandeltes Thema chronologisch fortsetzten.

In seiner Einleitung geht Detlef Junker den Dimensionen der deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert nach. Er kommt zum dem thesenhaften Schluß, dass aus amerikanischer Perspektive kein Land der Welt so viel zum Aufstieg der USA zur Supermacht und zur Globalisierung der Interessen beigetragen hat wie Deutschland, Europas Zentralmacht. Wenngleich es von Woodrow Wilson bis George Bush immer ein wichtiges Ziel amerikanischer Weltpolitik gewesen sei, die Stabilität Europas zu gewährleisten und Deutschlands Macht einzudämmen, hätten die USA nach 1945 einen entscheidenden Anteil daran gehabt, dass die Bürger der Bundesrepublik Freiheit, Demokratie, Wohlstand und Modernität genießen konnten. „Existentieller noch: Sicherheit oder Untergang [ ... ] in einem atomaren Krieg, hingen von den Entscheidungen amerikanischer Präsidenten ab.“ (I, S.17, 19, 23).

Es ist erfreulich, dass theoretisch anspruchsvolle und überdies faktenreiche Untersuchungen zu Problemen von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft viel Raum einnehmen. Gerade auf diesen Gebieten erfährt der bisherige Forschungsstand auch deshalb eine erhebliche Bereicherung und Erweiterung, weil sinnvoll verglichen wird.. Erkenntnisgewinn erbringen aber auch die Analysen der polischen und sicherheitspolitischen Kooperation, die naturgemäß am besten erforscht ist, nun aber stärker als bisher unter dem Gesichtspunkt von deutsch-amerikanischen Interessensunterschieden insbesondere nach 1968 betrachtet wird.

Zur aktuellen Diskussion regt die These des Hgs. von der „Ankunft[ Deutschlands] im Westen“ in alltags- und kulturgeschichtlicher Hinsicht an. Wie groß war der amerikanische Einfluß auf die Gesellschaft und Kultur der Bundesrepublik ? Gab es hier eine „Einbahnstraße“ kultureller Amerikanisierung oder nicht vielmehr Wechselwirkungen, die überdies von anderen „westifizierenden“ Einflüssen mitbestimmt wurden? Dabei spielte natürlich immer der Kalte Krieg eine Rolle, dessen Eigenschaft als Kultur Frank Trommler untersucht. Er formuliert die interessante These, dass in den 60er Jahren, nachdem die Politik des Kalten Krieges zu einer Verteidigung des Status quo erstarrt war, der kulturelle Bereich in den Beziehungen an Bedeutung gewann, „weil in ihm neue Erfahrungen gemacht und Veränderungen möglich wurden.“(I, S. 570 ). Die sorgfältig recherchierten Beiträge u. a. von Rebecca Boehling, James F. Tent, Jessica C. E. Gienow- Hecht, Hans N. Tuch, Wulf Köpke, John A. McCarthy, Heidrun Kämper und Edward Larkey verdeutlichen, dass die historische Analyse kultureller Wechselwirkungen noch in den Anfängen steckt. Liegt das auch daran, dass die Kultur als außenpolitisches Instrument, wie Gienow- Hecht vermutet( S. 621), unter vielen Historikern noch immer nicht als wissenschaftlich „salonfähig“ gilt?
Das Handbuch praktiziert eine Art Gegenthese, wenn es auch bislang vernachlässigte Themen wie deutsch-amerikanische Austauschprogramme ( Karl-Heinz Füssl ), Wissenschaft und Wissenschaftsverkehr (Mitchell G. Ash), gegenseitige Literaturrezeption (Martin Meyer und Sigrid Bauschinger), den Einfluß der amerikanischen Populärkultur (Michael Ermarth) sowie die gegenseitige Spiegelung des Fernsehens aufgreift und so manchen intellektuellen Leckerbissen bietet: die klassische deutsche Musik in den USA (Pamela M. Potter), Hollywood und die deutsche Filmkultur (Daniel J. Leab), die postmoderne Architektur als Medium der Politik (Werner Durth )u. a. m. Es werden bislang unbekannte Fakten ans Tageslicht gefördert, Deutungen versucht und diskussionswürdige Thesen entworfen. Ist es tatsächlich so, wie Heidrun Kämper meint, dass von einer Amerikanisierung der Sprache nicht die Rede sein könne, sondern die „im Bedarfsfall“ gewählten amerikanischen Ausdrücke nur Zeichen wachsender Internationalität seien?(II; S. 506).

Solche Fragen führen immer wieder zum genannten Problem zurück: Inwiefern förderte der Ost-West-Konflikt Tendenzen einer Amerikanisierung von Kultur und Alltagsleben in Deutschland? Uta G. Poiger arbeitet in zwei Artikeln das mehrdimensionale Wechselverhältnis von konfrontativer Ideologie und amerikanischer Populärkultur erfreulicherweise unter Einbeziehung der DDR heraus. Hier klingt an, was in einigen Beiträgen des Handbuches zu kurz gekommen zu sein scheint: Der Kalte Krieg war auch ein Konkurrenz- und Wettbewerbsverhältnis, in der beide deutsche Staaten versuchten, „in den Auseinandersetzungen um amerikanische Importe eine eigene deutsche Identität zu entwickeln.“(I, S. 675 ).

Wichtige Probleme stecken auch in den von Volker Berghahn und Lily Gardner Feldman eingeleiteten Beiträgen zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen im gesellschaftlichen Bereich. Soziale Restauration oder Reformen?, fragt Berghahn bei seiner Analyse des amerikanischen Einflusses auf den sozialen Wandel in Deutschland nach 1945, während Feldman, durchaus im Kontrast zu einem Teil der Forschungsliteratur, die Auffassung vertritt, dass es sich in den 1970er Jahren nicht nur vom amerikanischen Vorbild entfernte und seine eigene Identität entwickelte, sondern nun damit begann, Amerika ein deutsches Modell anzubieten. Wenngleich die Periodisierung der Wechselbeziehung dem Rezensenten etwas zu schematisch erscheint (1968-1979: Die Entstehung von Unterschieden, 1980-1990: Die Anerkennung der Unterschiede ), überzeugt die Philosophie der Herangehensweise Feldmans: Jeder glaubhafte Forschungsansatz müsse „die Komplexität und Regellosigkeit der Beziehungen in Rechnung stellen: nicht nur Klarheit, sondern auch Zweideutigkeit, nicht nur Konflikt, sondern auch Kooperation und nicht nur Opposition, sondern auch Unterstützung.“(II, S. 629 )

In der Tat bestimmen Ausgewogenheit und Differenzierung das weite Untersuchungsspektrum. Es reicht von der „weichen Eroberung“ Deutschlands durch die Amerikaner (Klaus –Dietmar Henke)über planvolle Kooperation bis hin zum deutschen Antiamerikanismus der Jahre nach 1968 (Philipp Gassert). In diesem Zusammenhang ist der zweigeteilte Beitrag von Rainer Schnoor über die Wahrnehmung der USA durch die DDR und deren nicht homogenen Amerikabilder auch deshalb erwähnenswert, weil er den eingangs genannten Forschungsbedarf verdeutlicht.
Der Charakter der Beziehungen zwischen den USA und der Bundesrepublik als eine bei allen Einschränkungen produktive Partnerschaft wird auf den Feldern Politik und Sicherheit besonders klar. Thomas Schwartz und Klaus Schwabe arbeiten in ihren einführenden Artikeln (Politik) Kontinuitätslinien und Veränderungen heraus. Wie auch in den folgenden, von gestandenen Politikhistorikern verfaßten Beiträgen wird der deutsch-amerikanische Bilaterismus als für die Nachkriegsentwicklung der Bundesrepublik grundlegend dargestellt. Es sei eine belastbare Interessen- und Wertegemeinschaft entstanden (Schwabe, II, S.30), die den USA wesendlich dabei half, sich auf ihre internationale Führungsrolle einzustellen (Schwartz, I, S. 78). In den Analysen werden aber auch unterschiedliche Positionen und Motive klar festgestellt und differenziert bewertet.

Ausgewogenheit auch bei Wolfgang Krüger, der in seinen historischen Längsschnittartikeln zum Analysebereich Sicherheit( Sicherheit durch Abschreckung? 1945- 1968; Verteidigung durch Entspannung? 1968-1990) nach dem konzeptionellen Wandel in der bilateralen Sicherheitspartnerschaft fragt. Auch in dieser Sektion werden Themen behandelt, deren Wichtigkeit dem Leser nicht zuletzt durch den inhaltlichen und konzeptionellen Gesamtzusammenhang des Buches klar werden: Kontroversen über Rüstungskontrolle, der Wandel der Sicherheitsarchitektur, der Einfluß des Vietnamkrieges, der Transfer von Militärtechnologie ,die Kooperation der Nachrichtendienste u.a.m. Es werden neue Fakten in die Diskussion eingebracht, aber damit auch produktiver Zweifel: Ist es wirklich so, dass die offensive Rollback-Politik das Ende des Kalten Krieges mit herbeigeführt hat, fragt bspw. Bernd Stöver .

Zu den Stärken des Handbuches gehört die Analyse der wirtschaftlichen Interaktionen. Die von Christoph Buchheim und Harold James an die Spitze der Thematik Wirtschaft gestellten „Leitartikel“ tragen vor allem zur Klärung der Probleme ökonomische Amerikanisierung und gegenseitige Abhängigkeit bei. Weiterführende Fragen etwa nach der amerikanischen Reparations- und frühen Wirtschaftspolitik im besetzten Deutschland ( Jörg Fisch und Wilfried Mausbach), nach der Intensität des Konfliktes um die finanziellen Kosten des Kalten Krieges (Hubert Zimmermann),dem Einfluß der Amerikaner auf das deutsche Wirtschaftsdenken (Harald Hagemann)sowie nach den Intentionen des Handels zwischen Regionalisierung und Globalisierung (Welf Werner) bzw. zwischen Multilateralismus und Neoprotektionismus (Andreas Falke), weisen die Forschung in eine unbedingt weiterzuverfolgende Richtung.

Das Handbuch schließt mit einem ausgewogenen, verhalten optimistischen Ausblick von Hans-Peter Schwarz über Amerika, Deutschland und die Atlantische Gemeinschaft nach dem Kalten Krieg ab.

Bei der Lektüre des Handbuches wird der Leser qualitative Unterschiede zwischen den einzelnen Beiträgen feststellen. Doch ist insgesamt ein „großer Wurf“ gelungen. Und so kann auch ein kritischer Rezensent dem Selbsturteil des Herausgebers guten Gewissens zustimmen: „ Das Ergebnis ist in vieler Hinsicht ohne Vorbild.“(I, S.1). Tatsächlich ist der bislang beispiellose Versuch geglückt, das Verhältnis zweier Staaten, Gesellschaften und Kulturen zueinander in einer historischen Epoche detailliert zu beschreiben und gültig zu erklären.

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