Der Jesuitenorden in Ostmitteleuropa

Ohlidal, Anna; Samerski, Stefan (Hrsg.): Jesuitische Frömmigkeitskulturen. Konfessionelle Interaktion in Ostmitteleuropa 1570–1700. Stuttgart 2006 : Franz Steiner Verlag, ISBN 978-3-515-08932-6 339 S. € 49,00

: Jesuits and the Politics of Religious Pluralism in Eighteenth-century Transylvania. Culture, Politics and Religion, 1693-1773. London 2007 : Ashgate, ISBN 978-0-7546-5764-4 268 S. £ 55.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Friedrich, Historisches Seminar, Johann Wolfgang Goethe-Universität

Zwei Werke zur Geschichte des Jesuitenordens in Ostmitteleuropa sind anzuzeigen. Die beiden Bände nehmen nicht aufeinander Bezug und haben doch mehr gemeinsam als nur das geographische Untersuchungsgebiet. Beide Bücher versuchen, das Wirken der Gesellschaft Jesu in seine vielfältigen religiösen, kulturellen und konfessionellen Kontexte einzubetten. Während der Sammelband von Ohlidal und Samerski im Namen einer lokalen Differenzierung noch einmal gegen das alte Zerrbild eines hyperzentralisierten Ordens ankämpft und die vermeintlich typischen Merkmale der Jesuiten („Disziplin und Zentralisation“) erneut „auf den Prüfstand“ bringen will (Einleitung der Herausgeber, S. 7-13), erscheint Paul Shores Untersuchung hier heuristisch bereits einen Schritt weiter. In seiner Untersuchung des jesuitischen Wirkens in Cluj ist die genaue lokale Analyse nämlich immer wieder eingebettet in das Bemühen, genau diese Perspektive ihrerseits nicht zu verabsolutieren, sondern den regionalen, europäischen oder gar globalen Strukturen in den lokalen Erscheinungen auf die Spur zu kommen. Seine sehr solide und umsichtige Arbeit vermittelt klug zwischen den beiden Polen, anstatt sie gegeneinander auszuspielen. Am überzeugendsten gelingt Shore dies in vielen nebenbei eingestreuten Reflexionen über die Entstehung und den Wert der jesuitischen Quellen, auf denen seine Untersuchung vorrangig fußt. Immer wieder verdeutlicht er, dass hier sehr wohl überlokale bürokratische Konventionen und Anforderungen am Werk waren, die das lokale Detail überhaupt erst in der Form erschufen, in der es dann anschließend für ‚mikrohistorische’ Studien genutzt werden kann (Shore, S. 19, 23 und 66). Auch Shores häufige Hinweise auf die Zusammenarbeit der Jesuiten ‚vor Ort‘ mit den ‚übergreifenden‘ Interessen der Habsburger sind in diesem Kontext zu erwähnen, vermitteln sie doch ohne konzeptionelle Extrempositionen pragmatisch zwischen den beiden Ebenen.

Inhaltlich hat der Sammelband von Ohlidal und Samerski ein breites Spektrum vorzuweisen, das stark interdisziplinär ausgerichtet ist. Gábor Tüskés rekapituliert noch einmal seine literaturwissenschaftlichen Ergebnisse zu „Jesuitenliteratur und Frömmigkeitspraxis in Ungarn im 16. und 17. Jahrhundert“ (S. 17-35). Stärker vertreten ist die Kunstgeschichte. In einem sehr gelungenen Aufsatz kann Marcin Wislocki an zahlreichen Beispielen nachweisen, in welch enormem Maß protestantische Kunst jesuitische Vorbilder übernahm (S. 295-321). Jens Baumgartens Text über die Jesuitenkirchen in Glaz und Breslau entwickelt vor allem auf den letzten Seiten einen analytischen Zug, wenn „das Transitorische und das Performative als Ausdruck einer jesuitischen Synästhesie“ herausgearbeitet werden (S. 63-92). Michal Šronek rekapituliert die verworrene Beteiligung der Prager Jesuiten an der Ausschmückung der Karlsbrücke (S. 119-140), während Martin Cico detailliert die unterschiedliche Verbreitung von Kalvarienbergen in den Niederlassungen des Jesuitenordens nachzeichnet (S. 225-255). Stefan Samerskis Beitrag zur Olmützer Annabruderschaft (S. 93-117) und Anna Ohlidals Abhandlung zu zwei bedeutenden Wallfahrten (S. 207-223) variieren beide besonders deutlich die Frage, wie und zu welchem Grad Jesuiten an lokale ältere Frömmigkeitspraktiken anknüpften. Beide kommen zum Ergebnis, dass sehr wohl solche Kontinuitäten zu beobachten seien, dass häufig sogar gerade die Selbsteinschreibung in ältere Traditionen Erfolgsgarant der Jesuiten war. Istvan Fazekas widmet sich dem Anteil der Jesuiten an der ungarischen Priesterausbildung, die wesentlich durch das Pazmaneum in Wien erfolgte (S. 163-176) und schildert dabei vor allem Situationen aus dem Alltagsleben. Lily Berezhanya untersucht jesuitische und orthodoxe Jenseitsvorstellungen und deren Artikulation in der Predigt und bezieht diese auf unterschiedliche Wirkabsichten und Kontexte zurück (S. 259-278). Pál Ács untersucht das Verhältnis von protestantischen und jesuitischen Geschichtsvorstellungen (S. 279-294). Seine Erörterungen zu den Predigten Péter Pázmánys vermögen es aber leider nicht, den Unterschied beider Konzepte zu verdeutlichen. Maria Craciun bietet einen Überblick über die seelsorgerischen Tätigkeiten der Jesuiten in Transsylvanien (S. 37-61). In einem feinen Aufsatz riskiert Helga Penz einen sehr anregenden übergreifenden Versuch zur Geschichte der Beziehungen zwischen den Jesuiten und den älteren Orden. Damit schlägt sie – auf breiter Quellenbasis, die nicht nur aus jesuitischen Archiven stammt – einen innovativen Weg ein und kann zugleich einige weiterführende Schneisen in die vielen Einzelbeispiele schlagen. Hieran wird man zukünftig gewinnbringend anknüpfen können (S. 143-161). Peter Mat’a schließlich steuert einen ideenreichen Text zur Erfindung von Heiligkeit im Kontext von Ordensfrömmigkeit bei, der gelungen intensive Fallstudien mit allgemeinen Fragestellungen verbindet (S. 177-206). Alle Aufsätze bemühen sich, die konkrete Implementierung jesuitischer Anliegen vor Ort nachzuzeichnen. Meistens gehen sie dabei stark beschreibend vor. Der Leser findet im Einzelnen viele interessante Details, doch bewegen sich die meisten Beiträge insgesamt in thematisch und methodisch erprobten Geleisen. Die untersuchten Gegenstände sind deshalb im Einzelnen nicht immer überraschend (Kunstwerke, Bruderschaften, Wallfahrten), nur selten findet in den Texten eine ausgreifendere Thesenbildung statt, die über den lokalen Kontext und einige Schlussbemerkungen hinausginge.

Auch Paul Shores schlanke, aber materialgesättigte Monographie wendet sich klassischen Fragestellungen zu, um die Geschichte der Jesuiten in Cluj zu erzählen: Schulen (S. 89-109), Städteplanung und Baugeschichte (S. 111-132), Jesuitisches Theater (S. 133-146) und soziale Dimensionen (S. 147-161). Ein durchgängiger Themenschwerpunkt seines Textes ist die enge, meist kooperative, bisweilen auch spannungsgeladene Beziehung der Jesuiten zu den Habsburgern. Die Erfolge der Missionare, das ist der Grundtenor von Shores Ausführungen, waren angesichts der infrastrukturellen Schwierigkeiten aufs Ganze gesehen eher bescheiden. Die Wirksamkeit des Ordens war weiterhin eingeschränkt, da eine sozial und vor allem ethnisch sehr selektive Strategie angewandt wurde. Die Jesuiten vernachlässigten den rumänischen Bevölkerungsanteil (und die rumänische Sprache), enge Beziehungen bestanden dagegen zur ungarischen Bevölkerung. Die Beziehungen der Jesuiten zu den Calvinisten in Transsylvanien werden zwar immer wieder erwähnt, stehen aber nicht im Zentrum von Shores Interesse. Weitaus häufiger thematisiert er das (schlechte) Verhältnis des Ordens zur orthodoxen Kirche und ihrem Klerus. Von besonderem Gewicht für die kirchenpolitischen Verhältnisse war an dieser Stelle die Schaffung einer mit Rom unierten Kirche, auf welche die Jesuiten beträchtlichen Einfluss ausübten (S. 27-88). Auch was die unierte Kirche betrifft, wurden allerdings deren starke rumänische Verwurzelungen durch den Orden nicht angemessen gewürdigt, und es wurde immer wieder Kritik am Verhalten und am Zustand des unierten Klerus geäußert.

Alles in allem bietet Shores Buch eine aspektreiche Darstellung wichtiger Episoden der transsilvanischen Kirchengeschichte mit besonderem Fokus auf die Gesellschaft Jesu. Die Vielsprachigkeit der zitierten Literatur und Quellen verdient besondere Hervorhebung, ebenso die Gründlichkeit der Recherche. In der thematischen und methodischen Schwerpunktsetzung bewegt sich das Buch allerdings in vorhersehbaren Bahnen. Die Titel gebende Fragestellung der besonderen religiösen Situation Transsylvaniens wird zwar immer wieder erwähnt, doch stellt sie keinen eigenständigen Interpretationsansatz dar. An manchen Stellen scheint mir die (eher en passant eingeführte) Kategorie des „Westens“ oder der „westlichen Kultur“ nicht ausreichend gründlich reflektiert, um über ein etwas oberflächliches Label hinwegzukommen.

Welchen Stellenwert werden beide Bände im Korpus der Literatur zum Jesuitenorden einnehmen? Viele Leserinnen und Leser werden dankbar zu diesen Werken greifen, um überwiegend fundierte Kenntnisse über die leider sprachlich immer noch zu oft unzugänglichen osteuropäischen Regionen leicht rezipieren zu können. Die starke Berücksichtigung kunsthistorischer Themen im Sammelband von Ohlidal und Samerski und auch bei Shore machen beide Bücher auch interdisziplinär interessant. Interpretatorisch ist ohne Zweifel Shores Buch ausgewogener und aspektreicher. Ein grundlegender Perspektivenwechsel oder die Integration neuer Fragestellungen wird allerdings von keinem der beiden Bände erreicht.

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