Suche nach Akten zu Adoree Villany / HSta Muenchen

Von
Edward Dickinson

Ich interessiere mich fuer den Fall Adoree Villany, eine ("Nackt"-)Taenzerin franzoesischer Staatsangehoerigkeit, die Mitte November 1911 in Muenchen wegen oeffentlicher Unsittlichkeit verhaftet wurde. Klage beim Strafgericht fallengelassen; zusaetzliche Klage beim Gewerbegericht endete mit Freispruch der Villany sowie auch des Theaterdirektors Eugen Robert vom Lustspielhaus (wo sie aufgetreten war); sie wurde aber dann trotzdem Mitte Maerz 1912 des Landes verwiesen. Der Fall wurde ueberall in Deutschland und in Europa in der Tagespresse kommentiert (sowie auch noch ein zweiter Fall in Paris Anfang 1913, wo sie abermals wegen oeff. Unslkt. verklagt wurde).

Leider sind die Akten (anscheinend waren es mal zwei bis drei Aktenordner, Pol. Dir. 3786, 3787, 3788) zum Fall Villany aus dem Bestand Polizei-Direktion im HStA Muenchen verschwunden, und zwar vermutlich schon seit Jahrzehnten, da der Vermerk ("vermisst") in der alten deutschen Schrift ins Findbuch eingeschrieben wurde.

Ich waere fuer jeden Hinweis auf den moeglichen Verbleib dieser (oder auch anderer einschlaegigen) Akten aeusserst dankbar.

Der Fall ist aufschlussreich. Die Villany tauchte naemlich in einer heiklen Lage in Muenchen auf. Kurz davor hatte die Zensur eines Stueckes von Wedekind den 1908er Waffenstillstand zwischen Polizei und Theaterwelt umgekippt. Die Wahl 1912, nach der das Zentrum endlich doch noch die Regierung stellen konnte (z. Teil auf Grund der Wahlreform von 1906), stand davor, und die Zentrumspresse machte aus dem Fall Villany auch einen Grundfuer die Absage an der herkoemmlichen Regierungspolitik. Der Muenchener Maenner-Sittlichkeitverein (gegruendet 1907) wuchs staendig an Einfluss und Zahl, aber die Lage innerhalb der katholischen Sittlichkeitsbewegung gerade in Muenchen war etwas gespannt, da der Ortsverein des Katholischen Deutschen Frauenbundes sich nicht aus der Debatte um die Prostitution heraushalten wollte (trotzt Verbots der nationalen Zentrale). Der Fall wurde Anlass fuer eine ziemlich hitzige und komplizierte Debatte. Fakultaet und Studentenschaft der Kunstakademie luden die Villany zu "privaten" Vorstellungen ein, nachdem die Polizei ihr oeffentliches Auftreten verboten hatte; fuer die Kuenstlerwelt war die Frage hauptsaechlich die, ob der Buerger frei entscheiden koenne, was ihm moralisch schade oder nicht schade, was ihm als schoen und was ihm als unsittlich zu gelten habe, d.h., ob der Buerger (und zwar der gebildete und wohlhabende) moralisch muendig sei oder die moralische Vormundschaft des Staates benoetige. Fuer Kritiker war das auch die eine Frage (mit entgegengesetzter Antwort); eine andere war aber auch, ob sich katholische Frauen das gefallen lassen muessten, dass - um es in moderner Sprache auszudruecken - Frauenkoerper dermassen kommerzialisiert wurden, um des Kunstsinns des maennlichen Kunstpublikums willen. Diese politischen Fragen wurden dann aber auch natuerlich in der damaligen Sprache der Aesthetik eingewickelt - Expressionismus, Griechentum, kantianische Ueberlegungen zur geistigen Beziehung des Zuschauers zum/zur Zugeschauten, usw. usf. Es handelt sich also um die Beziehungen zwischen Aesthetik, Politik, Religion und gender; und der Fall wurde auch damals als wichtiger "test case" aufgefasst, und ueberall in der Tagespresse in Deutschland und Europa (von London ueber Paris bis nach Madrid) kommentiert.

Wissenschaftlich ist der Fall mir als Teil einer groesseren Arbeit zur Politik der Sittlichkeit in Deutschland zwischen 1880 und 1935 interessant;siehe z.B. meine verschiedene Aufsaetze in der Journal of Modern History, Central European History, Journal of the History of Sexuality, German Studies Review, and Gender and History.

Kontakt:
erdickinson@ucdavis.edu

Zitation
Suche nach Akten zu Adoree Villany / HSta Muenchen, In: H-Soz-Kult, 06.05.2008, <www.hsozkult.de/query/id/anfragen-981>.
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