C. Ruch: Akquisitionen als Teil der Unternehmensstrategie

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Titel
Akquisitionen als Teil der Unternehmensstrategie. Eine Untersuchung der Übernahmen der heutigen Henkel AG & Co. KGaA (1945–1985)


Autor(en)
Ruch, Claudius
Reihe
Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa (7)
Erschienen
Baden-Baden 2021: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
389 S.
Preis
€ 84,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Schöttler, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Entwicklung eines globalen Markts für Unternehmenskontrolle und die Aufwertung von Mergers and Acquisitions (M&A) für die Unternehmensstrategie sind einer der zentralen Trends der jüngeren Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. Die empirische Aufarbeitung dieses Prozesses steht jedoch noch am Anfang und es ist deshalb zu begrüßen, dass Claudius Ruch sich diesem Thema aus einer unternehmenshistorischen Perspektive widmet.

Die vorliegende Monografie basiert auf seiner im Oktober 2019 in Marburg eingereichten Dissertation, in der Ruch die Akquisitionspolitik des Chemieunternehmens Henkel im Zeitraum von 1945 bis 1985 untersucht. Er fragt danach, inwieweit das Unternehmen seine Akquisitionsstrategie in den vier Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs geändert hat, welche Rollen „Moden“ und „Zeitgeist“ spielten und welche Entscheidungsprozesse, Akteure und Gremien hinter den Akquisitionen standen (S. 30–31). Ruch interessiert sich außerdem für den Ablauf der Verhandlungen zwischen den beteiligten Unternehmen und Eigentümern, die anschließende Integration und den Erfolg oder Misserfolg der Akquisitionen. Seine Untersuchung endet mit dem Börsengang Henkels im Jahr 1985.

Mit Henkel hat Claudius Ruch ein Unternehmen gewählt, das bereits Gegenstand mehrerer unternehmenshistorischer Forschungsarbeiten war.1 Mit seiner Untersuchung der Akquisitionspolitik und -praxis Henkels erweitert Ruch diese Literatur um eine wichtige Perspektive. Die sorgfältig recherchierte Studie basiert weitestgehend auf Archivalien des Henkel-Konzernarchivs in Düsseldorf, darunter die Protokolle diverser Führungs- und Kontrollgremien, Geschäftsberichte sowie Unterlagen der von Henkel akquirierten Unternehmen. Nicht überliefert sind hingegen Quellen, aus denen sich die jeweilige Finanzierungspolitik Henkels im Zuge der Akquisitionen rekonstruieren ließe. Das ist insofern bedauerlich, als der Zusammenhang zwischen Unternehmensfinanzierung und -politik mitunter weitreichende Thesen hinsichtlich eines aufkommenden Finanzmarktkapitalismus inspiriert hat2, eingehende empirische Untersuchungen aus unternehmenshistorischer Perspektive aber bisher fehlen. Als ertragreich erwiesen sich dagegen die Unterlagen der Unternehmensberater des Stanford Research Institute aus den Jahren 1967/68, „in denen sich grundsätzliche Überlegungen und Empfehlungen zur strategischen Ausrichtung finden, die die Unternehmenspolitik in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraumes maßgeblich prägen sollten“ (S. 58). Ergänzt wird die Quellengrundlage schließlich durch Akten des Niedersächsischen Landesarchivs, des Historischen Archivs der Kreisstadt Siegburg und des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen.

Den Fallstudien vorangestellt sind zwei Querschnittskapitel, die einmal allgemeine ökonomische Rahmenbedingungen für Fusionen und Akquisitionen im Untersuchungszeitraum referieren (Kapitel 2) und zum anderen einen knappen Abriss der Geschichte Henkels liefern (Kapitel 3). Das hat einerseits den Vorteil, dass sich Leser:innen schnell orientieren können. Andererseits wird der Zusammenhang mit dem eigentlichen Gegenstand Ruchs, den einzelnen Fallstudien, so weniger deutlich. Die Kapitel 4 bis 7 widmen sich den acht plausibel ausgewählten Fallstudien und sind gewissermaßen „divisional“ gegliedert. Jedes Kapitel behandelt jeweils zwei Unternehmensübernahmen in den Geschäftsfeldern Kosmetik/Körperpflege, Klebstoffe/Bauchemie, Anorganische Produkte und US-Aktivitäten. Die Kapitel folgen dabei dem stets gleichen Aufbau: Zunächst präsentiert Ruch einen kurzen Abriss der Geschichte des Geschäftsfelds und des übernommenen Unternehmens, bevor er sich den Gründen widmet, die zur Aufnahme von Übernahmegesprächen führten. Anschließend schildert Ruch Verhandlungen, Probleme und Erfolge bei der Integration des neuen Tochterunternehmens sowie die geschäftliche Entwicklung nach der Übernahme. Sein Zugriff erlaubt ihm einen fokussierten Blick auf die Motivlagen der Akteure und es gelingt ihm, die oftmals langwierigen Akquisitionsprozesse detailliert nachzuzeichnen.

Dabei zeigt sich, dass nahezu alle Übernahmen in den frühen Jahren auf bereits bestehende persönliche oder geschäftliche Kontakte zurückgingen und nicht etwa auf eine konsistente Akquisitionsstrategie bei Henkel. Nicht selten ging die Initiative auch von den später übernommenen Firmen aus, die finanziell unter Druck standen. Die Gründe auf Seiten Henkels waren vielfältig: Neben der Möglichkeit vielversprechende, aber angeschlagene Unternehmen zu sanieren, um anschließend Verbundeffekte zu realisieren, stand der Wunsch, schrittweise in neue Märkte zu expandieren und zu diversifizieren, ohne das Risiko der Eigenentwicklung tragen zu müssen. In anderen Fällen ging es Henkel zunächst darum, die eigene Marktführerschaft zu sichern oder einer Übernahme durch ausländische Konkurrenten zuvorzukommen, etwa bei der Akquisition der Sichel-Werke im Jahr 1962 oder der Cordes & Co. OHG im Jahr 1970. Dass Henkel sich in seiner Expansionspolitik lange Zeit zurückhielt, führt Ruch darauf zurück, dass das Unternehmen sich durch einige Akquisitionen in direkte Konkurrenz zu den Kunden der eigenen Grundstoffproduktionen begab.

Erst ab Mitte der 1960er-Jahre gab Henkel diese Zurückhaltung unter dem neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung, Konrad Henkel, und unter dem Einfluss der Unternehmensberater des Stanford Research Institute auf. Mit Beginn der 1970er-Jahre versuchte die Geschäftsführung, eine systematischere Akquisitionspolitik zu etablieren. So oblag die Vorabprüfung möglicher Akquisitionsprojekte ab 1971 der Stabstelle Unternehmensplanung und -entwicklung, die unmittelbar der Zentral-Geschäftsführung unterstand. Eine neu geschaffene Richtlinie sowie ein festgelegtes jährliches Budget setzten den Rahmen für sämtliche Vorhaben. Zu dieser Zeit rückten zunehmend ausländische Märkte in den Fokus des Unternehmens. In den Jahren zwischen 1974 und 1983 investierte Henkel fast eine halbe Milliarde DM in andere Unternehmen, davon rund 80 Prozent außerhalb der Bundesrepublik. Die Hälfte dieser Summe entfiel auf den Kauf der beiden US-Unternehmen Generall Mills Chemicals (1977) und Amchem Products (1980), die die letzten beiden Fallstudien bilden. Ruch kann zeigen, dass es Henkel wie in den anderen Fällen eher um Risikostreuung als um Renditemaximierung ging. Diese Priorisierung geriet angesichts nicht erfüllter Renditeerwartungen spätestens ab Ende der 1970er-Jahre intern in die Kritik. Unter dem neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung, Helmut Sihler, beschleunigte Henkel nach 1980 die Trennung von renditeschwachen Geschäftsteilen und folgte damit einem Trend, der in den USA schon ein paar Jahre zuvor eingesetzt hatte.

Ruch gelingt es durch genaue Quellenstudien zu zeigen, welche Gründe oder welches Verhalten einzelner Akteure das (Nicht-)Zustandekommen von Übernahmen beeinflussten. Im Untersuchungszeitraum scheint sich das Unternehmen mit seiner Akquisitionspolitik im Trend der Zeit bewegt zu haben, wie Ruchs kursorische Blicke auf Henkels Wettbewerber nahelegen. Irritierend ist die für eine historische Studie eher untypische Schlussfolgerung, die „analysierte Akquisitionspolitik“ könne als „erfolgreich bewertet werden“, wobei „die Tatsache, dass das Motiv der Risikostreuung lange Zeit als wichtiger erachtet wurde als das Erreichen einer befriedigenden Renditesituation, durchaus kritisch beurteilt werden muss“ (S. 359). Gewünscht hätte man sich stattdessen eine thesenhaftere Zuspitzung der empirischen Ergebnisse, gerade in Hinblick auf die Gewichtung des Einflusses, den die einzelnen Faktoren Personen, Zeitgeist (Berater) und ökonomische Rahmenbedingungen auf die Entwicklung der Akquisitionsstrategie hatten. So bleibt Henkel als Familienunternehmen in Ruchs Studie über weite Strecken blass, auch wenn er schreibt, die „Risiko-Aversion“ der Henkel-Brüder Jost und Konrad habe „größeren Erfolgen“ womöglich im Weg gestanden (S. 360). Profitiert hätte das Buch außerdem von einer stärkeren Bezugnahme auf Forschungsdebatten. So verwundert es beispielsweise angesichts jüngerer Veröffentlichungen zu Vermarktlichungsprozessen3, wenn Ruch davon spricht, dass „die wirtschafts- und unternehmenshistorische Forschung […] nur wenig Anknüpfungspunkte für eine Untersuchung von Akquisitionsstrategien“ (S. 36–37) biete. War etwa die Entwicklung zum Markt für Unternehmenskontrolle wirklich „unausweichlich“, wie Werner Plumpe in seiner Geschichte des Kapitalismus schreibt?4 So bleibt der Eindruck, dass Ruch das Potenzial seiner Studie, etwa die genauen Handlungsspielräume eines einzelnen Unternehmens in diesem Prozess zu bestimmen, nicht vollends ausgeschöpft hat.

Dessen ungeachtet hat Claudius Ruch eine flüssig geschriebene, klar strukturierte Arbeit vorgelegt, die als Ausgangspunkt für weitere vergleichende Betrachtungen dienen und als wichtiger Beitrag zu einer quellengesättigten Unternehmensgeschichte gelten kann.

Anmerkungen:
1 Stellvertretend seien hier genannt: Susanne Hilger, American Consultants in the German Consumer Chemical Industry. The Stanford Research Institute at Henkel in the 1960s and 1970s, in: Enterprise et Histoire 25 (2000), S. 46–64; dies., “Amerikanisierung” deutscher Unternehmen. Wettbewerbsstrategien und Unternehmenspolitik bei Henkel, Siemens und Daimler-Benz (1945/49–1975), Stuttgart 2004; Christian Kleinschmidt, Der produktive Blick. Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950–1985, Berlin 2002.
2 Siehe dazu Paul Windolf (Hrsg.), Finanzmarkt-Kapitalismus. Analysen zum Wandel von Produktionsregimen, Wiesbaden 2005.
3 Vgl. Ralf Ahrens / Marcus Böick / Marcel vom Lehn, Vermarktlichung. Zeithistorische Perspektiven auf ein umkämpftes Feld, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 12 (2015), S. 393–402.
4 Werner Plumpe, Das kalte Herz. Kapitalismus: die Geschichte einer andauernden Revolution, Berlin 2019, S. 559.

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