P. Schönhagen u.a.: Kommunikations- und Mediengeschichte

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Titel
Kommunikations- und Mediengeschichte. Von Versammlungen bis zu den digitalen Medien


Autor(en)
Schönhagen, Philomen; Meißner, Mike
Erschienen
Anzahl Seiten
194 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Wilke, Institut für Publizistik, Johannes Gutenberg Universiät Mainz

Die Kommunikations- und Mediengeschichte auf 150 (Text-)Seiten abzuhandeln, ist ein gewagtes Unterfangen. Dies zumal, wenn – nach Ausweis des Untertitels – der zeitliche Bogen „von Versammlungen zu den digitalen Medien“ reicht. Erklärbar ist dieser Versuch aus der ursprünglichen Funktion dieser Darstellung. Früher hätte man das ein Vorlesungsskript genannt, denn in dem etwas defensiven Vorwort ist von einem „Begleitbuch zur Vorlesung“ (S. 7) die Rede. Damit sind zwei weitere Randbedingungen verbunden: Die Hauptautorin lehrt Kommunikationswissenschaft an der Universität Fribourg in der Schweiz, der Co-Autor war dort ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter. Daraus folgt, dass die Schweiz notwendigerweise einen Teil der Darstellung ausmacht, wenn auch keineswegs dominiert. Ihre akademische Ausbildung hat Philomen Schönhagen allerdings in München erhalten und zwar in der sogenannten „Münchener Schule“ der Zeitungswissenschaft, die an diesem alten Fachbegriff festgehalten und theoretisch wie auch terminologisch einen gesonderten Weg beschritten hat. Die Verfasserin legt diese Herkunft offen und bezieht sich immer wieder auf ihren Münchener Lehrer Hans Wagner. Ebenso sind die Ahnen dieser „Schule“ nicht vergessen.

Schönhagen und Meißner verarbeiten im Ganzen durchaus eine beeindruckende Fülle an Literatur. Auch auf Arbeiten des Rezensenten, das sei hier offengelegt, wird öfter verwiesen. Mitunter wirkt die Darstellung aber wie ein Literaturbericht. Eigentümlich ist auch, dass dem ohnehin gedrängten Text elf Exkurse eingefügt sind, die den historischen Hintergründen und einzelnen Teilaspekten des Gegenstands gewidmet sind. Dazu gehören beispielsweise die Zensur und – eidgenössisch naheliegend – die „Geistige Landesverteidigung“.

Der umfangreiche Stoff des Buches ist in eine Einleitung und fünf Kapitel mit jeweiligen Unterkapiteln gegliedert. Im ersten werden gewissermaßen die theoretischen Grundlagen gelegt, durch Hinweise auf vorhandene Strukturbildungen und die Unterscheidung verschiedener Kommunikationsmodi nach Art der „Münchener Schule“. So erhellend und nachvollziehbar diese auch sein mögen, so eigenwillig sind zum Teil deren Implikationen. Man vermisst schon hier eine Definition des für eine solche Darstellung unentbehrlichen Medienbegriffs. Erst im Laufe der Lektüre wird offensichtlich, dass die Verfasser diesen Begriff sehr weit verstehen. Anfangs sprechen sie von „natürlichen Medien“, womit Sprache, Gestik und Mimik gemeint sind. Nur insofern kann von „Medienverfügbarkeit“ schon im Zeitalter der Versammlungskommunikation gesprochen werden, ja durch die modernen elektronischen Medien gar von einer Rückgewinnung der „Medienverfügbarkeit“. Das ist für den heutigen allgemeinen Sprachgebrauch eine zumindest irritierende Behauptung. Später ist dann von „einfachen Medien“ (S. 29) die Rede. Als Beispiele dafür dienen „lautes Rufen“ (ebd.) und das Alp- und Hirtenhorn. An anderer Stelle wird auch der Bote zum Medium erhoben. Schließlich treten als weitere Gattung die „technischen Medien“ auf.

Die Versammlungskommunikation ist der Gegenstand des zweiten Kapitels, also die Modalität direkten, zwei- oder mehrseitigen Austauschs unter der Bedingung der Anwesenheit der Kommunikationspartner. Sie hat seit Jahrtausenden und am längsten das Leben der Menschen und der Gesellschaften bestimmt – auch heute gibt es noch Erscheinungsformen dieser Kommunikation. Weil es darüber aber an Wissensspeichern fehlt, lassen sich nur allgemeine gesellschaftstheoretische (Rück-)Schlüsse ziehen.

Das zweite Kapitel ist mit „Zunehmende Kommunikation über Distanz“ überschrieben. Damit wird die Trennung der Kommunikationspartner zum entscheidenden Kriterium und Entwicklungsantrieb gemacht. Dieses Kapitel reicht von den städtischen Hochkulturen des Altertums bis zur Entstehung der neuzeitlichen gedruckten Presse. Die Bedeutung des Drucks wird dabei allerdings zugunsten der Post als Übermittlerin der Nachrichten relativiert. In dem gewählten Umfang ist freilich nur eine kursorische Schilderung möglich, gewissermaßen in „Schlaglichtern“ (S. 8), wie es im Vorwort heißt. Bei der zwangsläufigen historischen Selektivität lassen sich Verkürzungen und Lücken schwerlich vermeiden. Wichtiger aber noch scheint mir, dass gelegentlich ein irrtümlicher Eindruck entsteht, etwa bezüglich vermeintlich gegensätzlicher Motive bei der Produktion von Newen Zeytungen und Flugblättern (vgl. S. 47). Auch, ob man die frühen Zeitungen schon als „Forum“ der gesellschaftlichen Kommunikation werten und tatsächlich davon sprechen kann, dass sie einen „Überblick“ an Informationen geboten hätten, kann man bezweifeln.

Schon im zweiten Kapitel werden Journalisten als „Vermittler“ angesprochen, die für den Kommunikationswandel in der Neuzeit maßgeblich waren. Auf deren Funktion hebt denn auch die Überschrift des dritten Kapitels ab, das von den städtischen Hochkulturen des Altertums bis zur Entstehung der gedruckten Presse reicht. Schönhagen und ihr Co-Autor neigen dazu, diesen Beruf extensiv zu fassen. Bereits die Verfasser der Briefe, auf welche sich die Drucker für ihre Zeitungen stützten, werden gewissermaßen zu Akteuren der autonomen journalistischen Kommunikation stilisiert. Ob und inwieweit das gerechtfertigt ist, erscheint zumindest diskussionsbedürftig.

Gewissermaßen im Galopp durchstreift dieses vierte Kapitel die Ausweitung der Presselandschaft im 18. und die Entstehung des Meinungsjournalismus und der Massenpresse im 19. Jahrhundert. Ja, es folgen lediglich in einem eigenen Unterkapitel noch die elektronischen Medien. Angesichts der Expansion des Mediensektors muss der Stoff jetzt noch gedrängter zusammengefasst werden. Auffällig häufen sich in diesem Teil längere Fußnoten, offenbar um dieses und jenes noch aufzunehmen. Einzelne Teilentwicklungen wie die Nachrichtentechnik, die zunehmende Visualisierung, die Durchsetzung der Pressefreiheit und die Kommerzialisierung werden zwar aufgeführt und in ihren Konsequenzen gekennzeichnet. Aber je weiter die Autorin und Ihr Co-Autor voranschreiten, umso mehr kann vieles nur noch additiv aneinandergereiht werden, wenn es nicht dem Zwang zur Kürze ganz zum Opfer fällt. Das fünfte Kapitel bietet schließlich nur noch einen Ausblick auf die im Untertitel des Buches aufgerufenen digitalen Medien und mündet in die Überzeugung, dass die Gesellschaft auch weiterhin journalistisch autonomer Vermittlung bedürfe.

Schönhagens und Meißners Buch mag zu begrüßen sein, weil sie die Kommunikations- und Mediengeschichte studiengemäß aufbereiten, so wie man sie vielleicht in einer zweistündigen Einführungsvorlesung vermitteln kann. Dies gilt umso mehr, als dieser Gegenstand zumindest in den publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Studiengängen zunehmend an den Rand rückt und nur noch wenig Zeit dafür bleibt. Hier ein „Mindestangebot“ zu machen, dazu kann das Buch durchaus verhelfen. Dabei wird man Desiderate in Kauf nehmen (müssen) und Anlässe zur kritischen Diskussion nicht übersehen (dürfen). Wer mehr wissen will, muss unbedingt den Literaturhinweisen folgen.

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