B. Bleckmann: Die letzte Generation der griechischen Geschichtsschreiber

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Titel
Die letzte Generation der griechischen Geschichtsschreiber. Studien zur Historiographie im ausgehenden 6. Jahrhundert


Autor(en)
Bleckmann, Bruno
Reihe
Historia–Einzelschriften (267)
Erschienen
Stuttgart 2021: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
186 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jakob Riemenschneider, Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Bruno Bleckmann gehört zu den engagiertesten Vertretern einer Reihe deutscher Althistoriker, die sich in den vergangenen Jahren mit den späten Vertretern der klassisch-antiken Profangeschichtsschreibung auseinandergesetzt haben. Alleine für seine Initiative zur Herausgabe der „Kleinen und fragmentarischen Historiker der Spätantike“ ist ihm die wissenschaftliche Community der Spätantike und des Frühmittelalters zu Dank verpflichtet. Die vorliegende Studie ist im Grunde eine Auskopplung aus seiner Arbeit an der Edition des Menandros Protektor und einer geplanten Überblicksdarstellung allgemein zur Historiographie der Antike. Damit wird bereits ein Charakteristikum des Buches deutlich: Es handelt sich weniger um eine geschlossene Behandlung der letzten griechischen Profanhistoriker der Antike als um eine Sammlung von Einzeluntersuchungen zu Agathias, Menandros, Theophanes von Byzanz, Johannes von Epiphaneia sowie Theophylaktos. Menandros nimmt unter diesen mit Abstand den meisten Platz ein. Eine exzellente und ausführliche Einleitung sowie eine kurze Synthese zum Schluss sorgen dafür, dass der Text nichtsdestotrotz eine gewisse Kohärenz hat und auch als Einführung in die Problematik des Themas herhalten kann.

Die insgesamt sieben Kapitel sind lose chronologisch geordnet. In der Einleitung erfolgt eine Herleitung der Praxis der Profangeschichtsschreibung aus der Kaiserzeit bis in das 6. Jahrhundert; die letzte Untersuchung schließt mit einer Besprechung von Theophylaktos und anderen Geschichtswerken und -autoren des frühen 7. Jahrhunderts, von denen wenig heute noch bekannt ist. Einen weiteren leitenden Gedanken bzw. eine inhaltliche Klammer liefert die Tatsache, dass im 7. Jahrhundert ebendiese Praxis endete. Die Gründe für den Fakt, dass die hier besprochenen Geschichtsschreiber die letzte Generation ihrer Art sind, stellen nicht das zentrale Anliegen der einzelnen Studien dar. Allerdings werden sie sowohl in der Einleitung als auch im letzten Kapitel ausführlich behandelt. Bleckmann positioniert sich dabei gegen eine teleologische Deutung des Befundes: Dass Theophylaktos der letzte Autor seiner Art war, bedeute nicht, dass das Genre natürlicherweise zum Verschwinden verdammt gewesen sei. Bleckmann betont im Gegenteil (im Einklang mit der Einschätzung von Michael Whitby aus dem Jahr 1992) die „Produktivität und Kreativität“ der Autoren dieser Generation (S. 38). Dass die Profangeschichte zu einem (vorläufigen) Ende kam, habe an einer Vielzahl externer Faktoren gelegen, die ultimativ mit der radikalen Schrumpfung des Reiches zusammenhingen (S. 152).

Die in dieser chronologischen und thematischen Klammer liegenden Studien greifen verschiedene Aspekte und Begleiterscheinungen des Genres auf. Das zweite Kapitel ist eine knappe Analyse der Werke des Agathias und Menandros, funktioniert jedoch vor allem als Überleitung von Prokop zu Menandros. Prokop als bekanntestes Beispiel und Vorbild der nachfolgenden Geschichtsschreiber erhält von Bleckmann zwar kein eigenes Kapitel (angesichts der Vielzahl an rezenten Studien zu diesem Autor eine verständliche Entscheidung), wird so allerdings in den Diskurs mitaufgenommen. Das darauffolgende Kapitel ist eine Detailstudie einer der Reden aus der Geschichte des Menandros. Sie ist gewissermaßen emblematisch für den gesamten Themenkomplex der letzten griechischen Historiker. Bleckmann gelingt es, durch ein Geflecht aus intertextuellen Bezügen und Abhängigkeiten – verzerrt durch den fragmentarischen Überlieferungszustand des Menandros – plausibel zu machen, dass Menandros die entsprechende Rede anlässlich der Erhebung des Tiberios zum Mitkaiser Justins II. in sein Werk aufgenommen hatte, und zeigt auf, warum dies im Werkzusammenhang verständlich ist.

Die zentrale (und ausführlichste) Studie des Buches analysiert die Behandlung und Nichtbehandlung christlicher Themen durch Menandros. Dessen Erzählung über die Kreuzreliquie von Apameia ist ein Beispiel für die Offenheit des Genres gegenüber einer Facette christlicher Literatur. Heiligen- und Wundergeschichten sind im 6. Jahrhundert weder für Prokop oder Menandros noch für irgendeinen anderen profanhistorisch orientierten Autor verwunderlich, ebenso wenig wie die christliche Aufladung militärischer Konflikte. Bleckmann kann darüber hinaus belegen, dass eine andere Facette, namentlich die Kontroverse um Orthodoxie und Heterodoxie, bei Menandros keine Rolle spielte. Ein zentrales Anliegen vieler dezidiert christlicher Texte sucht man also auch in der letzten Generation der Profanhistoriker meist vergeblich.

Die Kapitel fünf und sechs sind auf das Thema Konkurrenz gepolt – einerseits auf die Konkurrenz zwischen Geschichtsschreibern und ihren Konzeptionen, andererseits auf die Konkurrenz, die an der Schnittstelle zwischen literarischer und politischer Sphäre entsteht. Während also Kapitel fünf vor dem Hintergrund der literarischen Konkurrenz, wie sie Lukian für die zweite Sophistik postuliert, Menandros in einem Spannungsverhältnis mit seinen Zeitgenossen Theophanes und Johannes von Epiphaneia analysiert, nimmt Bleckmann in Kapitel sechs die Konkurrenz verschiedener Militärpatrone in den Blick und untersucht, wie diese sich auf die Narrative der Geschichtsschreiber ausgewirkt haben. Die Schlussfolgerungen dieser beiden Kapitel gehören zu den prägnantesten Erkenntnissen des Buches: Auch wenn die Quellenlage bedauerlich ist, sollte davon ausgegangen werden, dass es auch in nachjustinianischer Zeit eine lebendige und vernetzte Gemeinschaft von Autoren gegeben hat, die um historische Deutungshoheit und die Gunst mächtiger Patrone buhlten.

Im letzten Kapitel unternimmt Bleckmann den Versuch einer Umdeutung (und Rehabilitierung) des Theophylaktos. Dessen Werk galt lange als minderwertig und schwer lesbar im Vergleich zu seinen klassischen Vorgängern. Hier erscheint es nun als logisches und kreatives Produkt seiner Zeit, geprägt durch einen Hang zum extensiven Exzerpieren und zu literarischen Spielereien und Genrewechseln. Vor allem war es aber wohl deutlich länger angelegt und sollte auch zeitgenössische Ereignisse beinhalten. Kurze Bemerkungen zum historischen Werk Georgs von Pisidien schließen das Kapitel und damit das Buch ab.

Die hier präsentierten Studien sind vielfältig und lesenswert und decken auch methodische und systematische Fragen ab. Hilfreich gewesen wären allerdings Hinweise auf Studien, die sich konsequent mit der Überlieferungssituation der Fragmente auseinandersetzen. Die für Menandros so wichtigen Excerpta Constantiniana oder die für Theophanes existenzielle Bibliothek des Photios funktionieren bekanntermaßen nach eigenen Regeln, und ihre Benutzung erfordert spezielle Vorkenntnisse. Vermehrte Verweise auf Studien wie die von Thomas Hägg1 oder András Németh2 hätten sich mit Sicherheit gelohnt. Davon abgesehen ist die Literaturauswahl aktuell und reichhaltig.

„Die letzte Generation der griechischen Geschichtsschreiber“ ist eine gelungene Synthese kleinerer Einzelstudien, die exemplarisch viele Probleme und Lösungen behandelt, welche sich beim Umgang mit dieser komplexen Gruppe von Texten und Autoren nicht umgehen lassen. Fragmentarischer Überlieferungszustand, offensichtliche (allerdings selten klar nachvollziehbare) textuelle Abhängigkeiten und die generelle Bewertung eines sich rapide verändernden historischen Ausblicks sind generell Themen, die die Arbeit von Historiker:innen in diesem Zusammenhang erschweren. Das vorliegende Buch beweist, dass das Arbeiten mit diesen Quellen trotzdem möglich und gewinnbringend ist.

Anmerkungen:
1 Thomas Hägg, Photios als Vermittler antiker Literatur. Untersuchungen zur Technik des Referierens und Exzerpierens in der Bibliotheke, Uppsala 1975.
2 András Németh, The Excerpta Constantiniana and the Byzantine Appropriation of the Past, Cambridge 2018.

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