Cover
Titel
Audiowelten. Technologie und Medien in der populären Musik nach 1945 – 22 Objektstudien


Herausgeber
Burkhart, Benjamin; Niebling, Laura; Keeken, Alan van; Jost, Christofer; Pfleiderer, Martin
Reihe
Populäre Kultur und Musik (34)
Erschienen
Münster 2021: Waxmann Verlag
Anzahl Seiten
584 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Ludwig, Abteilung III: Medien- und Informationsgesellschaft, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Audiowelten versammelt 22 Objektgeschichten, die im Zuge des Verbundprojekts „Musikobjekte der populären Kultur. Funktion und Bedeutung von Instrumententechnologie und Audiomedien im gesellschaftlichen Wandel“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entstanden sind. In der Verknüpfung von Objekten und Technologien werden, so die Projektleiter und Mitherausgeber Christofer Jost und Martin Pfleiderer, musikbezogene Kulturpraktiken in einer kulturgeschichtlichen Perspektive verdichtet. In dem hier vorgestellten Sammelband geht es nun um die objektbezogene Konkretion dieses kulturgeschichtlichen Bezugs.

Der Band ist in drei Abschnitte unterteilt, wobei Alan van Keeken die Beiträge über „Musik erzeugen“ verfasst hat, Laura Niebling über „Musik speichern“ schreibt und Benjamin Burkhart über „Musik wiedergeben“ berichtet. Die jeweils sechs bis acht Aufsätze decken einen Zeitraum zwischen 1947 und 2019 ab, reichen also bis an die unmittelbare Gegenwart heran. Sie beziehen sich objektbezogen auf ein weites Spektrum von Heimorgel bis Mischpult, von Jukebox bis Bluetoothlautsprecher, und reichen thematisch vom Karnevalsschlager bis zur Internatsparty. Nicht immer ist die Zuordnung der einzelnen Beiträge zu einem der drei Hauptabschnitte zwangsläufig, die chronologische Ordnung allenfalls eine erste Orientierung, denn Musikerzeugung, Speicherung und Wiedergabe können ebenso ineinander übergehen, wie die Konstruktion und Aneignungspraktiken der einzelnen Objekte einen weiten zeitlichen Horizont abbilden. Es ist ein Verdienst dieses Bandes, den objekt- und themenbedingten Überschneidungen eine Ordnung zu geben und zugleich die Spannbreite einer kulturwissenschaftlichen und kulturhistorischen Perspektive auszuleuchten.

Allerdings erfordert die Lektüre der einzelnen Objektgeschichten technische Kompetenz und sicherlich auch generationell bedingtes Erfahrungswissen, was zugleich die Grenzen dieser Rezension markiert. So konnte der Beschreibung eines „Bananensteckers“ (S. 19 ff.) noch problemlos gefolgt werden, während die Ausführungen zu einem digitalen Verstärker (vgl. S. 165 ff.) das physikalische Hintergrundwissen des Rezensenten doch deutlich überforderten. Dass populäre Kultur eine Kultur der Aneignung ist, arbeiteten die Autor:innen in den jeweiligen Objektbeschreibungen auch intensiv mit Expert:inneninterviews heraus, was den Zugang des Rezensenten zum Verständnis und zur Kontextualisierung der beschriebenen Gegenstände wiederum erleichterte und letztlich auch die Auswahl der zu besprechenden Aspekte bestimmte.

Die Beiträge des Bandes werden als „Objektstudien“ bezeichnet und dies bedingt zunächst einen Blick auf die Methodologie. Alle Objektanalysen beruhen auf einer detaillierten Beschreibung der äußeren Form des Objekts und des Fundkontextes sowie nachfolgender Kontextualisierungen, was auf eine koordinierte methodologische Grundlage des Bandes hindeutet. Hierzu werden leider keine Ausführungen gemacht, sodass nur vermutet werden kann, dass Anregungen aus den Material Culture Studies zurate gezogen wurden.1

Die untersuchten Gegenstände stammen bis auf wenige private Leihgaben aus Sammlungen und Archiven, dem rock´n´popmuseum Gronau, dem Musikarchiv Lippmann+Rau in Eisenach und der Sammlung des Zentrums für Populäre Kultur und Musik an der Universität Freiburg. Aus diesem Rückgriff auf kuratierte und konservatorisch betreute Quellen ergeben sich Einschränkungen bei der Objektanalyse ebenso wie, auf der Komposition des Sammlungsbestandes beruhende, thematische Fokussierungen. So waren beispielsweise Aussagen über Tonqualität teils nicht möglich, weil Geräte nicht in Funktion analysiert werden konnten, die dann hilfsweise aus der Medienberichterstattung extrahiert werden mussten. Dies führte zu Unschärfen bei der Beschreibung, mehr noch aber zu Problemen bei der Quellenkritik, da die teils an der Vermarktung orientierte Berichterstattung nicht überprüft werden konnte. Konservatorische Beschränkungen betreffen auch die Inhaltsanalyse, wie etwa das Beispiel eines Tonbandes aus der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zeigt. Die listenförmigen, nicht mehr lesbaren Notizen zum Inhalt des Bandes auf dessen Verpackung und die mehrfachen Schnittstellen im Band legten die Vermutung nahe, dass es sich um einen Zusammenschnitt handelte, was allerdings nicht durch Abspielen überprüft werden konnte. Dadurch war auch eine sichere Datierung des Objekts unmöglich, die lediglich auf dem Produktionszeitraum der Verpackung zwischen 1953 und 1964 beruhen konnte (vgl. S. 251).

Dies auf den Verwahrkontexten beruhende Manko betrifft teils auch die Provenienz und damit die Beurteilung der Bestandsherkunft, -zusammensetzung und -kontextualisierung, die offenbar in den Sammlungen nicht immer dokumentiert, zumindest in den Einzelbeiträgen nur teilweise behandelt wurde. So gelangte die Schallplatte eines Karnevalsliedes in die Jukebox einer norddeutschen Gaststätte und über einen Sammler in die Freiburger Sammlung, was lediglich anhand weniger Spuren, einem Besitzstempel und der Verwahrung in einem alphabetisch geordneten Sammelalbum (vgl. S. 216 ff.), rekonstruiert werden konnte. Die Füllung der durch mangelnde Dokumentation entstandenen Leerstellen muss damit spekulativ bleiben.

Die ungleiche Quellenlage betrifft auch die für alle Objektstudien charakteristischen Kontextanalysen. Sie beruhen zum einen auf der prismatischen Funktion des Objekts, die eine charakteristische Breite der Erkundungsrichtungen bewirkt und die einzelnen Gegenstände durchgängig in ein technisches, ökonomisches und kulturelles Umfeld einbettet. Aufgrund der jeweiligen Quellenlage können die Kontextbeschreibungen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte einnehmen. So wird der sogenannte „Schneewittchensarg“, eine Radio-Plattenspielerkombination der Firma Braun, vor allem hinsichtlich seines Designs beschrieben (vgl. S. 389 ff.), ein Bereich, der sowohl vorliegenden designgeschichtlichen Forschungsschwerpunkten wie auch der Firmenwerbung zugrunde liegt. Die Beschreibung des DDR-Kofferradios Stern Contura beruht dagegen vor allem auf Werbeanzeigen und Medienberichterstattung (vgl. S. 453 ff.). Letztlich liegen damit nur teilweise vergleichbare Objektstudien vor. Dies ist ein generelles Problem der Analyse materieller Kultur, insbesondere von Objekten der industriellen Massenproduktion, für deren Untersuchung oftmals eine ausreichende archivalische Grundlage fehlt. Umso hilfreicher sind die den Beiträgen dieses Bandes beigefügten Bibliografien, die zeigen, wie verstreut und divers die Literaturlage ist, wo Werksarchive fehlen und in welchem Maße auf Internetquellen zurückgegriffen wurde, die teils werbenden Charakter haben, teils Expertengespräche wiedergeben und teils auch das Wissen von Sammlergemeinschaften dokumentieren. Dennoch bietet der vorliegende Band anregende, immer wieder neue Perspektiven erörternde Beiträge, die das Feld mechanischer, kommerzieller und alltagskultureller Aspekte akustisch-materieller Objekte der Popularkultur ausleuchten.

Kritisch anzumerken ist jedoch, dass sich die Kontextvertiefungen teilweise wiederholen, wie beispielsweise die repetitiven Erläuterungen zur Einführung der Schallplatten aus Vinyl, was durch eine Absprache unter den Autor:innen oder ein sorgfältiges Lektorat hätte vermieden werden können. Dazu kommen eine Reihe von Fehlern beziehungsweise Unsauberkeiten. So wird etwa das American Forces Network (AFN) als britischer Sender beschrieben (vgl. S. 202). Ob eine Jukebox in Jugendzentren aufgestellt werden konnte (vgl. S. 437), erscheint ebenfalls zweifelhaft. Bei der Analyse des DDR-Kofferradios Stern Contura fällt auf, dass zwar die Zielgruppe jugendlicher Hörer:innen wiederholt thematisiert wurde, das Fehlen der für diese Nutzer:innen wesentliche Ultrakurzwellen (UKW)-Frequenz und eines Anschlusses für Tonbandgeräte oder Kassettenrecorder für die Musikaufnahme jedoch gar nicht erwähnt wurde (vgl. S. 453 ff.). Dass der damals in Frankfurt ansässige mittelständische Elektrogerätehersteller Braun als „Konzern“ (vgl. S. 398) bezeichnet und für die DDR von einem „Markt“ ausgegangen wird, sind weitere Flüchtigkeiten, die sich in einigen Texten finden.

Während die Einbindung der Musikobjekte in einen breiteren kulturellen Kontext, etwa Spielorte, sozialer Gebrauch oder Nutzeransprache, in den Einzelbeiträgen durchgängig ausgeführt wurde, sind die Beschreibungen des eigentlichen Klangs der Objekte kritisch zu beurteilen. Klangwellen sind zwar physisch messbar, ihre Wahrnehmung ist sprachlich jedoch nur unzureichend auszudrücken. Damit entzieht sich ein wesentliches Feld popkultureller Musik tendenziell der Analyse und mehr noch der Interpretation, wie auch einige Beispiele in diesem Band zeigen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Objektanalyse einer Elektrogitarre, deren Klangeigenschaften hier rein elektrophysikalisch erklärt werden (vgl. S. 149), deren begrenzte Standardisierung aber nicht thematisiert wird. So handelt es sich bei der beschriebenen Gitarre zwar um ein frühes Musterbeispiel eines weitgehend industriell hergestellten Musikinstruments, das gleichwohl durch die verbauten Hölzer sehr unterschiedlich klingen konnte. Auch wird der Ton als „dünn, glasig, hohl“ beschrieben (S. 150), was die Mehrzahl der Nutzer:innen dieses Instruments wohl befremden dürfte. Hier wird zum einen deutlich, dass das Vokabular der Klangbeschreibungen ebenso unzureichend wie subjektiv ist, aufgrund fehlender Spielmöglichkeit im Museumskontext aber auch nicht korrigiert oder präzisiert werden konnte.

Zusammenfassend ergeben die 22 Objektstudien der Audiowelten eine breite Übersicht über die Objekte und Kontexte von Musik in der Popularkultur der Jahrzehnte seit 1945, deren alltägliche Relevanz die Leser:innen durch lebensweltliche Erfahrung auch exemplarisch nachprüfen können. Durch eine Einbettung von Gebrauchskontexten und ihres jeweiligen kulturellen „Settings“ wird nicht nur deutlich, wie stark alltagskulturelle Erfahrungen mit den technischen Ausstattungen ihrer Zeit zusammenhängen, sondern es wird auch die kulturelle Dimension der Zeitgeschichte herausgearbeitet, die nicht zuletzt durch korrespondierende Beispiele aus Ost- und Westdeutschland verdeutlicht wird.

Anmerkung:
1 Vgl. unter anderem Edward McClung Fleming, Artifact Study. A Proposed Model, in: Thomas J. Schlereth (Hrsg.), Material Culture Studies in America, Nashville 1987, S. 162–173; Bill Brown, Thing Theory, in: Critical Inquiry 28 (2001), H. 1, S. 1–22.

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