A. Paravicini Bagliani: La papessa Giovanna

Cover
Titel
La papessa Giovanna. I testi della leggenda (1250-1500)


Autor(en)
Paravacini Bagliani, Agostino
Reihe
Millennio Medievale
Erschienen
Anzahl Seiten
694 S.
Preis
€ 140,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Veronika Unger, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Agostino Paravicini Bagliani hat sich mit La papessa Giovanna. I testi della leggenda (1250—1500) eines Themas angenommen, das auch in der Populärkultur gewisse Konjunkturen hatte, im Bereich der Mittelalterforschung nicht gerade untererforscht ist, aber nicht im Fokus der Forschung stand. Dies könnte mit der komplexen Quellenlage zu tun haben, was Paravicini Bagliani zum Anlass nahm, statt einer weiteren Monographie zur Päpstin Johanna ein Quellenkompendium herauszugeben, das er mit einer 114 Seiten langen Einleitung bereichert.

Zu Beginn legt Paravicini Bagliani die Entstehungshintergründe des Buchs dar und verweist auf die vielen Lehrveranstaltungen, die er an der Universität Lausanne zum Thema gehalten hat. Das Buch kann hervorragend in der Lehre genutzt werden, da alle Quellen von einer italienischen Übersetzung begleitet und zudem umfassend eingeordnet werden, was Entstehungskontext, Quellengattung, Quellensprache, Hintergründe zum Autor etc. angeht.

Nach den Ausführungen zur Verbundenheit des Autors mit dem Thema folgt ein kurzer Forschungsüberblick, allgemeines zur Legende einer Päpstin im Mittelalter und eine Gesamtschau der Quellen zwischen 1200 und 1500 sowie einige Hinweise auf neuzeitliche Interpolationen in mittelalterlichen Quellen, die dazu führten, dass man lange Zeit von ersten Erwähnungen der Päpstin deutlich vor 1200 ausging. Anschließend werden die verschiedenen in den Quellen mit der Päpstin verbundenen „Fakten“ erläutert und eingeordnet; hier geht es um Name und Geschlecht, um Zeitpunkt und Dauer des Pontifikats, um die Bildung der Päpstin, die Papstwahl, die Schwangerschaft und Geburt, um den in einem Teil der Quellen vorkommenden Vers, in dem alle Wörter mit P beginnen (Papa Pater Patrum Papisse Pandito Partum — teilweise leicht abweichend, entweder als Grabinschrift oder als Ausspruch des Teufels während des Konsistoriums oder während eines Exorzismus), um die Statue der Päpstin, das Fehlen in Papstkatalogen und die bildlichen Darstellungen. Die Hinführung wird abgeschlossen mit einem Kapitel zur Legende der Überprüfung der Männlichkeit von neu gewählten Päpsten, die in den Quellen in der Regel mit der vorausgegangenen Wahl einer Frau zum Papst in Verbindung gebracht wird.

Auf rund 450 Seiten findet sich das Quellenkompendium zur Päpstin. Der Autor hat in zehn thematischen Kapiteln Auszüge aus 118 Quellen gesammelt. Die Abschnitte zu den Quellen sind durchnummeriert (die Zahlen in eckigen Klammern im Inhaltsverzeichnis), so dass Vor- und Rückverweise eindeutig sind. Auf jeden Quellenauszug folgt die italienische Übersetzung des Quellentextes (in der Regel vorhandenen Übersetzungen entnommen). Einen kritischen Apparat gibt es nicht, entscheidende Varianten werden mitunter dennoch in den Fußnoten angegeben. Nach der Übersetzung findet man Angaben zu Handschriften und Editionen, woraufhin sich ein Kommentar anschließt, der die handschriftliche Überlieferung, den Entstehungskontext der Quelle, aber vor allem auch intertextuelle Abhängigkeiten erläutert. Die Länge dieses Teils ist je nach Quelle sehr unterschiedlich.

Die Quellenauszüge sind thematisch geordnet, jedes Unterkapitel für sich chronologisch. Zunächst kommen zwei Quellen zu einer weiblichen Patriarchin von Konstantinopel, dann die ältesten Quellen, die eine Päpstin erwähnen, aus der Mitte des 13. Jahrhunderts: Jean de Mailly und Étienne de Bourbon nennen die Päpstin ohne Namen an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert; die wohl in Erfurt entstandene Chronica minor und mehrere mit ihr im Zusammenhang stehende Quellen führen eine Päpstin ebenfalls ohne Namen an und ordnen sie am Ende des 9. Jahrhunderts im Umfeld der Pontifikate des Formosus (891–895) und des Sergius III. (897/904–911) ein. Das nächste Kapitel gehört allein der Chronik des Martin von Troppau (auch Martinus Polonus genannt), welche die Version der Päpstin bietet, die sich so oder so ähnlich in den meisten danach entstandenen Quellen findet: Die Chronik Martins erwähnt (nur in der dritten Version von 1277) nach dem Pontifikat Leos IV. (847–855) einen Iohannes Anglicus, der eine Frau gewesen sei, als Mann verkleidet in Athen studiert und in Rom gelehrt habe, schließlich zum Papst gewählt worden sei, während des Pontifikats per suum familiarem schwanger geworden sei, das Kind unterwegs in Rom zwischen dem Kolosseum und der Basilika San Clemente bekommen habe, dabei gestorben und am selben Ort begraben worden sei. Bei Martin findet sich dagegen nicht der alliterierende Vers, auch nicht die Statue der Päpstin.

In den folgenden Kapiteln sind Auszüge aus insgesamt 69 Quellen wiedergegeben, die überwiegend die Version Martins von Troppau weiterverarbeiten, manche um einige Aspekte angereichert, manche sehr viel knapper, zunächst aus der Perspektive der Bettelorden, dann auch in den Volkssprachen, einige Werke zudem in Versform. Von vielen Handschriften, teilweise auch von Editionen gibt es Abbildungen im Anhang, auf die leider immer etwas versteckt verwiesen wird. Es kommen auch Auszüge aus illustrierten Weltchroniken sowie Hinzufügungen und Interpolationen in Handschriften aus der Zeit zwischen 1298 und 1432, teilweise in deutlich älteren Chroniken. Anschließend sind Auszüge aus zwei Quellen des 14. und 15. Jahrhunderts angefügt, welche ganz neue Versionen der Päpstin-Legende bieten, und danach fünf Auszüge aus Werken derselben Zeit, die auf bekannte mittelalterliche Frauen fokussiert sind.

Das Quellenkompendium umfasst noch vier weitere Kapitel mit Auszügen aus 39 Werken, welche spezifische Perspektiven bieten. Hier stehen die Quellen im Mittelpunkt, die die Verifizierung der Männlichkeit eines jeden neu gewählten Papstes beinhalten, was als Reflex gesehen wird auf den Fehler, eine Frau zum Papst gewählt zu haben. Die Quellen des folgenden Kapitels sind weniger Geschichtswerke als Traktate in unterschiedlicher Form, in denen die kirchlich-institutionellen Gegebenheiten rund um das Faktum einer Frau als Päpstin thematisiert werden. Auszüge aus zwei Quellen zeigen erste Zweifeln an der Historizität der Päpstin schon im ausgehenden Mittelalter. Mit „apokryphen Notizen“ meint Paravicini Bagliani neuzeitliche Interpolationen in mittelalterliche Chroniken, und zwar vor allem in Ersteditionen, die nicht auf überlieferte Handschriften zurückgeführt werden können.

Dieses umfangreiche Quellenmaterial wird durch einen 80-seitigen Tabellen-Anhang noch einmal systematisch erschlossen. Die Autoren und Werke werden hier alphabetisch und chronologisch geordnet, aber auch nach gesellschaftlichem Stand des Autors. Es gibt Tabellen zur geographischen Verteilung der Quellen, zu Romaufenthalten der Autoren, zur Quellengattung der Werke. Tabellarisch aufgeschlüsselt wird auch die Biographie der Päpstin: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bieten die frühen Quellen? Welche Namen finden sich in den Quellen, welches Geschlecht hat der Name, welche Informationen gibt es zum Geliebten der Päpstin, zum Studium in Athen, zur Papstwahl, wie wird der Pontifikat chronologisch eingeordnet, wie lange dauerte er, wann erfolgten die Wehen und die Geburt des Kindes, welche Quellen bieten den auf P alliterierenden Vers und erwähnen die Statue? Weitere Tabellen ordnen die bildlichen Darstellungen ein und beleuchten die Verifizierung der Männlichkeit des neugewählten Papstes aus unterschiedlichen Perspektiven. Vielleicht etwas versteckt folgen ein Abkürzungsverzeichnis, ein Auswahl-Literaturverzeichnis, eine Chronologie aller Päpste des Mittelalters sowie ein Abbildungsverzeichnis.

Die Paginierung wird nun unterbrochen durch 120 Farbabbildungen von Handschriften, frühen Drucken und neueren Editionen; wenige Abbildungen zeigen auch Objekte (z.B. ein Marmorthron, auf dem der neu gewählte Papst sitzen musste, mit einer Aussparung im Sitz, von der man glaube, sie sei für die Überprüfung der Männlichkeit notwendig gewesen). Abgeschlossen wird das Buch von 40 Seiten Orts- und Personenregister, einem Handschriften- und einem Inkunabelverzeichnis.

Das Buch spiegelt in vielem die jahrzehntelange Beschäftigung des Autors mit dem hoch- und spätmittelalterlichen Papsttum wider. Nur ein Spezialist für den päpstlichen Hof, Zeremoniell und Rituale, Bilder und Symbole rund um das römische (und avgignonesische) Papsttum kann wohl ein solches Werk verfassen. In beeindruckender Weise hat Paravicini Bagliani die bisherigen Forschungen zum Thema und die wichtigsten Untersuchungen zur hoch- und spätmittelalterlichen Chronistik zusammengebracht. Durch den Aufbau in Einführung, Quellenauszüge mit ausführlichem Kommentar und Tabellen ergeben sich freilich einige Redundanzen, welche aber eine Nutzung des Buchs als Nachschlagewerk ermöglichen. Hierfür könnten allerdings die einzelnen Abschnitte zu den Quellenauszügen noch etwas klarer gegliedert sein: Die Verweise auf Abbildungen sind sehr versteckt gesetzt, ebenso die Angaben zu den Handschriften. Für eine breitere Rezeption wären Übersetzungen in weitere Sprachen wünschenswert. Es bleibt zu hoffen, dass ähnliche Werke zu anderen (populären und umstrittenen) Themen des Mittelalters in Angriff genommen werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch