M. Welz: Afrika seit der Dekolonisation

Cover
Titel
Afrika seit der Dekolonisation. Geschichte und Politik


Autor(en)
Welz, Martin
Reihe
Ländergeschichten
Erschienen
Stuttgart 2020: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Spielbüchler, Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz

Die postkoloniale Geschichte Afrikas umfasst als Thema einen Kontinent, 54 Staaten und das Territorium Westsahara sowie verschiedene zentrale Probleme der Zeitgeschichte bzw. der Internationalen Politik. Im deutschen Sprachraum nahmen zuletzt Franz Ansprenger1 oder Rainer Tetzlaff und Cord Jakobeit2 diese Herausforderung an. Fasst man das Thema Afrika zeitlich und inhaltlich etwas weiter, sind auch Christoph Marx3, noch einmal Ansprenger4 und Tetzlaff5 zu nennen.

Inhaltlich lässt sich das Buch von Martin Welz, das nun auch in einer englischen Version vorliegt6, am ehesten mit der Herangehensweise von Tetzlaff vergleichen: Nach einer (hier sehr kurzen) historischen Einführung wird auf einzelne Themengebiete näher eingegangen. Welz erhebt dabei keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Er verspricht im Prolog vielmehr seine Perspektive, seinen Versuch mit der Komplexität und Diversität dieses Kontinents und dessen Geschichte umzugehen. Welz nimmt das Buch damit gewissermaßen aus dem Feld einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Afrika, behält aber wissenschaftliche Methoden bei, um diese persönliche Annäherung an die Geschichte und Politik des nachkolonialen Afrikas darzustellen.

Konkret bedeutet dies, dass zu den einzelnen Themen in beinahe deskriptiver Art verschiedene Schlaglichter gesetzt und durchaus unterschiedliche Perspektiven präsentiert werden. Daraus versucht Welz Inhalte zu weben, welche die jeweiligen Themen möglichst breit abdecken. Zu den einführenden historischen Kapiteln bleiben dabei Lücken, die dem Fokus des Buches auf die nachkoloniale Zeit geschuldet sind. Für die im weitesten Sinn politischen Kapitel bietet die offene Herangehensweise von Welz aber ausreichend Stoff, um nach der Lektüre fundierte Fragen stellen zu können.

Der Text ist in zwölf Kapitel gegliedert: Im ersten inhaltlichen Block (der nicht als solcher gekennzeichnet ist) tastet sich Welz historisch bis zur Dekolonialisierung vor. Beginnend mit dem präkolonialen Afrika und der Phase der europäischen Fremdherrschaft entstand im ersten Kapitel weniger ein roter Faden durch die Geschichte (wie es beispielsweise Ansprenger in seiner Geschichte Afrikas versuchte) als vielmehr der Versuch, zentrale Themen dieser Epoche anzusprechen. Ab dem zweiten Kapitel zur Entkolonialisierung und den unterschiedlichen Facetten des Themas ermöglicht die zunehmende Informationsdichte eine Orientierung im historischen Raum. In diesem Kapitel macht Welz klar, nicht an monokausalen Erklärungsmodellen zu hängen – ein begrüßenswerter Ansatz, der sich durch das gesamte Buch zieht. Kapitel drei beschäftigt sich mit dem Erbe des Kolonialismus. Hier wagt sich Welz auch in das Minenfeld, verschiedene Bewertungen der europäischen Fremdherrschaft nebeneinanderzustellen. Insgesamt dient dieser historische Block dazu, das grobe Fundament zu formen, auf dem sich die weiteren Kapitel aufbauen lassen.

Mit dem nächsten Block beginnt die politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Afrika. Zunächst wird dabei das weite Feld der außerafrikanischen Interessen und Einflussnahmen abgedeckt. Kapitel vier, externe Einflüsse, weist eine nachvollziehbare zeitliche Dreiteilung auf: der Kalte Krieg bis 1990 mit Fokus auf den beiden Supermächten, der Volksrepublik China und Frankreich. Es folgt eine kurze Phase der liberal-kosmopolitischen Ordnung bis 2000, ehe die neuen Realitäten seit der Jahrtausendwende betont werden. Hier finden sich auch die großen Themen, mit denen Afrika in Verbindung gebracht wird: die Rolle der Volksrepublik China, die Welz konsequent immer nur als China bezeichnet, der Krieg gegen den Terror, Migration und Rohstoffe. Für Afrika-Interessierte werden die hier angesprochenen Themen den größten Wiedererkennungswert haben. Kapitel fünf fokussiert auf die ökonomische Entwicklung 1960–2000. Es ist fast unmöglich, die wirtschaftliche Situation von schließlich 54 Staaten einheitlich nachzuzeichnen. Welz gelingt es aber, mit sehr breitem Pinselstrich zentrale Themen und gemeinsame Probleme darzustellen. Er präsentiert seinen Blick auf das Zusammenspiel von Dynamiken und Akteuren rund um Neokolonialismus, Entwicklungszusammenarbeit (EZA), afrikanischen Initiativen und Instrumente der Internationalen Gemeinschaft. Kapitel sechs beschäftigt sich mit der sozioökonomischen Entwicklung. Hier spricht Welz auch das heikle Kapitel der großen, multilateralen EZA an, ohne sich zu akademischen Lösungsansätzen hinreißen zu lassen.

Der dritte Block ist der Politik gewidmet und ließe sich mit Strukturen, Netzwerke und Krisen übertiteln. In Kapitel sieben werden zunächst Staaten, politische Systeme und Akteure beleuchtet. Nach einer Einführung in die Herausforderungen des State-Building wagt Welz eine Generalisierung der politischen Geschichte afrikanischer Staaten, die er über vier Umbrüche spannt: Entkolonialisierung und demokratische Strukturen, Autokratien und Big Men, Rückkehr zur Mehrparteien-Demokratie und schließlich das Wiedererstarken autoritärer Herrschaft. Welz spricht dabei die zentralen Prinzipien und Akteure der Macht an, verzichtet aber darauf, die Mechanik hinter diesen Elementen näher zu beleuchten.

Kapitel acht, innerafrikanische Beziehungen, thematisiert die Bemühungen rund um die afrikanische Integration. Der Panafrikanismus endete 1963 vorerst in der Organisation der Afrikanischen Einheit, deren Regelwerk jede weitere Integration behinderte. Diese formalen Hürden konnten erst mit der Gründung der Afrikanischen Union 2002 überwunden werden. Welz weist neben den Schwierigkeiten der kontinentalen Kooperation aber auch auf die regionalen Integrationsprozesse hin, die teilweise auf ökonomischer Ebene gut funktionieren.

Abgeschlossen wird dieser Block mit Kapitel neun zu politischen Krisen. Dazu bespricht Welz vier Grundtypen: Sezession, Staatsstreiche, Gewalt im Kontext demokratischer Wahlen und Terrorismus, anhand derer sich negative Dynamiken der afrikanischen Politik erklären lassen.

Konflikte und Konfliktmanagement bilden inhaltlich den vierten Block. Dazu werden in Kapitel zehn zunächst die Grundtypen von Konflikten behandelt und exemplarisch dargestellt. Welz geht dabei auch auf eine Folge dieser Konflikte ein: erzwungene Migration.

Kapitel elf beleuchtet die Chancen und Grenzen des internationalen und afrikanischen Konfliktmanagements. Ein Fokus liegt dabei auf der aktuellen Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur, ehe Welz sich den unterschiedlichen Formen der Friedensbemühungen zuwendet: Peace-Making, Peace-Enforcement, Peace-Keeping und Peace-Building. In diesem Kapitel werden auch Transitional Justice und Wahrheitskommissionen als Friedenswerkzeuge thematisiert.

Im letzten Block, Kapitel zwölf, beleuchtet Welz afrikanische Akteure in der internationalen Politik. Ein zentraler Aspekt dabei ist die seit der Jahrtausendwende Afrika verstärkt zugestandene Agency auf internationaler Bühne. Vertreten wird diese von verschiedenen Akteuren, deren Interessen in fünf exemplarischen Politikarenen dargestellt werden: die Reform des UN-Sicherheitsrates, internationale Sicherheits- und Großmachtinteressen, der Internationale Strafgerichtshof, Klimaverhandlungen und der mauritische Anspruch auf die Chagos-Inseln.

Martin Welz hat ein lesenswertes Buch zu einem herausfordernden Thema verfasst: Geschichte und Politik des nachkolonialen Afrikas. Der Text ist dabei nicht als große Erzählung angelegt, sondern verfolgt vielmehr das Ziel, einen persönlichen Blick auf Afrika darzulegen, „eine Geschichte von nicht erfüllten Hoffnungen und Erwartungen“ (S. 236). Welz hat dabei bewusst auf abschließende Erklärungen verzichtet, sondern stellt wissenschaftliche Standpunkte nebeneinander. Damit will er zu weiterführenden Fragen anregen. Entstanden ist ein Buch, das sich weniger an Fachleute wendet (obwohl auch sie von Welz‘ Blick auf die Dinge profitieren können). Es bietet sich vielmehr als Einstieg für Interessierte an, die sich dem Abenteuer hingeben, auf Basis breiter und fundiert dargestellter Grundüberlegungen weiterzudenken. Neugierig gewordenen Leserinnen und Lesern wird die Literaturliste fehlen oder Angaben zu weiterführender Literatur. Die Arbeitsanweisung an Leserinnen und Leser im Schlusssatz des Epilogs ließe sich damit leichter umsetzen: „Es [d.h. dieses Buch] soll die Tür öffnen, afrikanische Geschichte, Politik und ihre Auswirkungen zu sehen und zu verstehen. Jetzt sind Sie dran.“ (S. 239)

Anmerkungen:
1 Franz Ansprenger, Politische Geschichte Afrikas im 20. Jahrhundert, München 1992.
2 Rainer Tetzlaff / Cord Jakobeit, Das nachkoloniale Afrika. Politik – Wirtschaft – Geschichte, Wiesbaden 2005.
3 Christoph Marx, Geschichte Afrikas. Von 1800 bis zur Gegenwart, Stuttgart 2005,
4 Franz Ansprenger, Geschichte Afrikas, München 2010.
5 Rainer Tetzlaff, Afrika. Eine Einführung in Geschichte, Politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2018.
6 Martin Welz, Africa since Decolonization. The History and Politics of a Diverse Continent, Cambridge, UK 2021.

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