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Title
Triathlon – auf der Strecke und darüber hinaus. Eine Ethnografie zur Erfahrung von Körper, Bewegung und Raum


Author(s)
Krahn, Yonca
Series
Zürcher Beiträge zur Alltagskultur
Published
Zürich 2022: Chronos Verlag
Extent
400 S.
Price
€ 48,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Laura Brammsen, Seminar für Europäische Ethnologie/Volkskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

In der 2022 unter dem Titel Triathlon – auf der Strecke und darüber hinaus. Eine Ethnografie zur Erfahrung von Körper, Bewegung und Raum publizierten Dissertation der Kulturwissenschaftlerin Yonca Krahn verfolgt die Autorin die Idee, „am Beispiel des Triathlons eine Annäherung an Räume zu vollziehen, die sich nach kulturwissenschaftlichem Verständnis durch die sportliche Praxis bilden“ (S. 11). Die im Feld der Anthropologie des Sports angesiedelte Arbeit wirft Fragen danach auf, wie Körper, Bewegung und Raum im Triathlon zusammenhängen und wie Körper die Bewegungen von Triathlet:innen und damit einen sportartenspezifischen Raum konstruieren.

Krahn führte ihre Forschung zum großen Teil in der Schweizer Triathlonszene durch. Dem Konzept der Multi-Sited Ethnography nach George E. Marcus folgend waren damit unter anderem auch Aufenthalte in Spanien, Norwegen und auf Hawaii verbunden. Die Forschungsmaterialien, auf die Krahn ihre Arbeit stützt, entstanden dabei im Wesentlichen durch bewegte Interviews, Fotoethnografie, kartografische Forschungsmethoden (Mental Maps; Dokumentation von Trainingsstrecken auf Kartenmaterial von Swisstopo) und weitere Feldnotizen. Daneben wurden auch digitale Kommunikationspraktiken in unterschiedlichen sozialen Medien einbezogen, um „Triathlon als multimediales Feld zu begreifen“ (S. 137). Der gewählte praxeografische Ansatz war unmittelbar mit einem autoethnografischen Zugang verbunden, der sich, so Krahn, durch die Involviertheit der Forscherin in das Feld als alternativlos erwies. In der ersten Erhebungsphase führte Krahn siebzehn offene, leitfadengestützte Interviews durch. In der zweiten Erhebungsphase weitete sie ihr Methodenspektrum jedoch deutlich aus: Der Fokus lag hier auf „sensuell orientierten“ Methoden, die insbesondere auf „visuelle, emotionale und bewegungsbezogene Aspekte“ (S. 113) abzielen.

„Formen der Verhandlung von Körpern im Triathlon“ (S. 161) fokussierend richtet Krahn in ihrer Analyse den Blick zunächst auf den Zusammenhang von Narrativen, Wissen und Zugehörigkeiten sowie auf die Kommunikation, Kontrolle und Verwaltung triathlonspezifischer Körper. Triathlet:in zu werden ist, wie Krahn herausarbeitet, als ein gradueller und über Jahre andauernder Prozess zu verstehen. In den Triathlon müssten Athlet:innen physisch und psychisch hineinwachsen und sich das Wissen über die Bedeutung von Strecken, Distanzen und Bedingungen erst aneignen. Der Sport präge den Lebensstil der Athlet:innen – auch mit Blick auf das soziale Umfeld – tiefgreifend: „Die Athlet:innen und der Sport, den sie ausüben, verschmelzen zu einer Einheit, sie verkärpern [sic!] den Sport, den sie ausüben […].“ (S. 182)

Das „Performieren von Triathlon“ (S. 210) erfolgt nun über szenespezifisches Wissen, den Einsatz von Materialien, die für den Triathlon charakteristisch sind, und das Erscheinungsbild der Körper der Triathlet:innen, wie Krahn zeigt. Über die Aneignung triathlonspezifischer Materialien, deren Wertigkeit diskursiv verhandelt wird, werden Lebensstile kommuniziert und symbolische Zugehörigkeiten erzeugt. Sie dienen als „Körperfassaden“ (S. 192) und Statussymbole und sind eingebunden in „triathlonspezifische Ordnungen“ (S. 202). Der Umgang mit Materialien im Triathlon gehe damit über den praktisch-funktionalen Sach- und Nutzwert hinaus, der eigene Status und Zugehörigkeiten werden über das Konsumverhalten kommuniziert, Materialien werden zu „einer Bühne des eigenen Tuns“ (S. 209) und dienten damit der Distinktion.

Triathlontraining wird weiterhin als eine Form der Körpergestaltungspraxis – nicht zuletzt auch als Ausweis von Körperkontrolle – verstanden. Die daraus resultierenden Körper stehen in Zusammenhang mit der Herstellung von Anerkennungslogiken des Selbst. „Körpergebundene Erinnerungsstücke“ (S. 218) verweisen als Einschreibungen in den Körper auf die Ausübung gewisser Praktiken, werden zu Statussymbolen, stellen Zugehörigkeiten her und vermitteln, dass der Sport authentisch gelebt werde. „Einen Kern triathletischer Praktiken“ (S. 228) stellen Dokumentations- und Messtechniken dar, die Krahn, unter Berücksichtigung des Gouvernementalitätskonzepts nach Michel Foucault, als „freiwillige Form der Selbstkontrolle“ (S. 235) versteht. Im Verhältnis von Körperempfinden und digitalem Wissen erkennt Krahn eine Verschränkung von Selbst- und Fremdbestimmung und erklärt, dass die Sportuhren – charakteristisches Instrument der Selbstvermessung – teilweise eine andere Wirklichkeit widerspiegelten, als sie von den Athlet:innen als „wahr, richtig, glaubhaft etc.“ (S. 252) empfunden werde. Damit seien sie sowohl Mittel der Selbstoptimierung, gleichzeitig aber auch kritisch reflektiertes Mittel der Selbstermächtigung.

Weiterhin befasst sich Krahn mit der Erfahrung von Schmerz und dem Begriff der Grenze im Feld des Triathlons. Zentral sei hier die Unterscheidung von Kopf und Körper, deren Benennung als getrennte Einheiten ein Ausdruck „innerer, sich bedingender ökonomischer Aushandlungen der Sportler:innen“ (S. 259) sei. Schmerz ist in diesem Kontext ein wichtiger Faktor, der, wie Krahn anschließend an David Le Breton erklärt, „sozial und kulturell kontextualisiert, individuell und situativ verschieden, das heisst relational“ (S. 265) sei und auch im Triathlon unterschiedliche Formen und Bedeutungen annehme. Eng mit der Bedeutung von Schmerz verbunden ist die Erfahrung individueller Grenzen, die Krahn mithilfe des Konzepts der Liminalität nach Arnold van Gennep und Victor Turner, das auch Anwendung auf weitere Elemente aus Training und Wettkampf findet, perspektiviert.

Die kognitive und physische Erschließung von Strecken und ihre Aneignung durch verschiedene Praktiken sind ein weiterer wichtiger Aspekt in Krahns Arbeit. Raumbildende Streckenkenntnisse, die sich aus Metrisch-Messbarem, individuellen Voraussetzungen, subjektiven Erfahrungen sowie situativen Streckengegebenheiten zusammensetzen, nehmen Einfluss auf persönliche Handlungen, Praktiken und Entscheidungen; sie sind grundlegend für das subjektive Erleben und die Herausbildung mentaler Vorstellungen von Strecken. „Solche Erfahrungen und Vorstellungen werden zu einer Art kulturellem Gepäck, das die Athlet:innen fortan mit sich tragen[…]“ (S. 309) und das sich u.a. in kollektiven und individuellen Narrativen über spezifische Trainingsterrains und Streckenteile niederschlägt.

Insbesondere im letzten Teil der Arbeit klingt auch eine kritische Perspektive auf den Triathlonsport an. Dieser sei „eine Blüte der Leistungsgesellschaft, die im 21. Jahrhundert Individualisten hervorbringt […]“ (S. 333), was nicht zuletzt an Elementen der Entsolidarisierung und Entgesellschaftung im Triathlon sichtbar wird. Aufgeworfen werden auch weitere Aspekte, die z.B. Kommerzialisierungsprozesse oder Gender- und Geschlechtsthematiken betreffen. Über die Triathlontreibenden schreibt Krahn: „Als Sportart, deren Wettkämpfe weltweit ausgetragen werden, ist Triathlon ein globales Phänomen, ausgeübt insbesondere von Angehörigen von Wohlstandsnationen, also von einer exklusiven Gruppe, die aufgrund ihrer finanziellen Lage und ihrer Abkömmlichkeit weitgehend unabhängig agieren kann.“ (S. 349)

Beeindruckend ist unter anderem der auf Krahns Forschungsinteresse hin fein abgestimmte Methodenmix. Die vielfältigen Forschungsmaterialien werden in ihrer sensiblen Analyse sinnvoll zusammengeführt und miteinander in Beziehung gesetzt. Sie profitieren immer wieder von gewinnbringenden Bezügen auf theoretische Konzepte und weitere empirische Arbeiten. Durchgängig ist außerdem eine präzise und sorgfältige Reflexion der Vorgehensweise herauszulesen, die in Hinblick auf den nicht unumstrittenen autoethnographischen Ansatz notwendig ist.1 Die „Hyperreflexivität“ (S. 89), die Krahn zur Anwendung bringen muss, sorgt stellenweise für Längen insbesondere im einführenden Teil der Arbeit.2 Der Ansatz der Autoethnographie ist jedoch gerade im Feld der Anthropologie des Sports nicht unüblich, wie Krahn ausführt, und ermöglicht insbesondere im Hinblick auf das Forschungsinteresse ein „Mehr an Erkenntnis“ (S. 105). Krahns präzise Schilderung macht das komplexe methodische Instrumentarium jedoch auch transparent und ihr Vorgehen anschlussfähig. Immer wieder werden Aspekte und Perspektiven in der Arbeit angeschnitten, die auf die Vielschichtigkeit des Forschungsgegenstandes im Sinne eines „nexus of body, multiplex identities, and multilayered governance structures, combined with a performance genre that possesses qualities of play, liminality, and storytelling” (Besnier / Brownell 2012 zit. nach Krahn 2022, S. 347) verweisen. Sie werden zwar zugunsten einer stringenten und zielführenden Argumentation in Hinblick auf das Forschungsthema nur angedeutet, zeugen jedoch von der Reichhaltigkeit der Forschungsarbeit und ihrer möglicherweise auch zukünftigen Bedeutung für das Feld der Anthropologie des Sports. Ergebnis ist eine überzeugende ethnographische Studie, die insbesondere in Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Methode und Forschungsgegenstand Potential hat, Vorbild für Arbeiten auch außerhalb des Forschungsfeldes zu sein.

Anmerkungen:
1 Vgl. Andrea Ploder / Johanna Stadlbauer, Autoethnographie und Volkskunde? Zur Relevanz wissenschaftlicher Selbsterzählungen für die volkskundlich-kulturanthropologische Forschungspraxis, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 116 (2013), S. 373–404.
2 Ein Beispiel aus einem Textabschnitt, in dem Krahn auf unterschiedliche Dokumentationsformen während der Feldforschung eingeht, veranschaulicht dies und wirft die Frage auf, wie transparent das Vorgehen dargelegt werden sollte und welche Informationen auch in Anbetracht des autoethnographischen Vorgehens möglicherweise redundant sind: „Ein paar Mal hatte ich Stift und Papier während eines Schwimmtrainings dabei, um zu notieren. Jedoch schrieb der Stift schlecht oder gar nicht mehr, sobald das Papier nass wurde, und schon Geschriebenes verschwamm. Der Gebrauch von Stift und Zettel während eines Trainings eignete sich nicht.“ (S. 85)

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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