V. Puech: Les élites de cour de Constantinople

Cover
Titel
Les élites de cour de Constantinople (450–610). Une approche prosopographique des relations de pouvoir


Autor(en)
Puech, Vincent
Reihe
Scripta antiqua (155)
Erschienen
Bordeaux 2022: Ausonius Éditions
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Battistella, Forschungsstelle Malalas-Kommentar, Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Die Bände der Prosopography of the Later Roman Empire (PLRE) sind für die Erforschung der Spätantike noch immer unentbehrlich.1 Detailkorrekturen blieben seit ihrem Erscheinen freilich nicht aus, so geschehen zum Beispiel durch die Dissertation von Christoph Begass, die sich ihrem Titel entsprechend mit der „Senatsaristokratie des oströmischen Reiches, 457–518“ befasst.2 Eine weitere seitenstarke prosopographische Studie, die sich den Jahren 450 bis 610 angenommen hat, wurde von Vincent Puech zunächst 2020 im Rahmen seines Habilitationsverfahrens und nun in überarbeiteter Form als Monographie vorgelegt (S. 7). Diese soll im Folgenden besprochen werden, auch vor dem Hintergrund der Arbeit von Begass.

Puech beginnt mit einer kurzen Einleitung, in der er seine Sicht auf den aktuellen Forschungsstand präsentiert und erklärt, dass er, soweit dies möglich ist, die Beziehung der Eliten zum „pouvoir impérial“ ausleuchten möchte (S. 18). Wie dies methodisch erfolgen soll, wird nicht ausführlicher thematisiert. Der Einleitung folgen drei etwa gleich große Abschnitte: Der Abschnitt „Une naissance dans les crises: L’empire romain d’Orient de 450 à 518“ (S. 21–106) behandelt in vier Kapiteln die Regierungszeiten der Kaiser Marcian, Leo I., Zeno und Anastasius. Es folgt der Abschnitt „Équilibres et ruptures de l’ère Justinienne (518–565)“ (S. 107–198), der ein Kapitel zur Regierungszeit Justins I. sowie zwei zu dessen Nachfolger Justinian umfasst. Von diesen fokussiert das erste auf das „personnel du règime“, das zweite auf Unruhen, Revolten und Verschwörungen in Justinians Regierungszeit. Der dritte große Abschnitt mit dem Titel „Les successeurs contestés de Justinien (565–610)“ (S. 199–246) führt in drei Kapiteln die Analysen für die Zeit der Kaiser Justin II. und Tiberius II. (gemeinsam behandelt), Mauricius sowie Phokas fort. Es folgt ein knappes Fazit (S. 247–249), an das sich ein prosopographischer Anhang (S. 251–291), drei Stammbäume (S. 293f.), sechs Karten (S. 295–300) sowie das Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 301–319) anschließen. Abgerundet wird das Buch durch ein Stellenverzeichnis (S. 321–349) und einen prosopographischen Index (S. 351–363), gefolgt – wie häufig in französischen Büchern – vom Inhaltsverzeichnis (S. 365–367).

Die zehn Analysekapitel der drei Abschnitte sind ähnlich aufgebaut. Knappe Einführungen und Fazits geben die wichtigsten Ereignisse, Entwicklungen und Erkenntnisse wieder, während dazwischen eine bemerkenswerte Fülle prosopographischer Details ausgebreitet wird. Teilweise geschieht dies verbunden mit Verweisen auf die Ereignisgeschichte, sodass sich die entsprechenden Ausführungen gut lesen lassen und nachvollziehbar sind. An anderen Stellen hat man hingegen eher das Gefühl, eine verbalisierte Tabelle vor sich zu haben, weil man in wenigen Zeilen mit zahlreichen Namen und den zugehörigen Ämterlaufbahnen konfrontiert ist, ohne dass sich aus diesen Karrieredetails stets eine direkte Erkenntnis ableiten lässt.

Bei all diesen Ausführungen stellt Puech insbesondere drei Aspekte ins Zentrum: die familiäre Beziehung zum Kaiserhaus, die Konfession und die geographische Herkunft der entsprechenden Personen. Auf diese Weise gelingt es Puech zu zeigen, wie stark kaiserliche Politik sowie geographische Herkunft und religiöse Überzeugung der Funktionseliten miteinander verschränkt sind, woraus sich rückblickend auch der zeitliche Zuschnitt von Puechs Untersuchung erklärt, weshalb also dogmengeschichtliche Zäsuren als chronologische Eckpunkte für die Frage nach politischer Macht gewählt wurden.

Trotz dieser Erkenntnis weist Puechs Vorgehensweise Schwachpunkte auf. Einer ist, wie auch Puech selbst anmerkt, die unvollständige Überlieferung der von ihm gewählten Kriterien durch die Quellen, wodurch das Gesamtbild zwangsläufig unvollständig bleibt. Mit der Überlieferungslage hängt auch die Frage des betrachteten Personenkreises zusammen. Begass beschränkt sich auf die illustres und stellt somit einen klar definierten Personenkreis ins Zentrum seiner Analysen, der durch seine hohe gesellschaftliche Stellung verhältnismäßig gut bezeugt ist.3 Puech hingegen zählt zu den spätantiken Eliten all diejenigen, die eine „position éminente dans l’État romain tardif“ innehaben, wobei sich die von ihm näher betrachteten „élites de cour“ durch eine „relation étroite avec l’empereur“ auszeichnen (S. 11). Personen, von denen man nur ein Amt, nicht aber die Beziehung zum Kaiser(haus) kennt, schließt er von der Betrachtung aus.4 Diese fluidere, aber letztlich unscharfe Eingrenzung des analysierten Personenkreises ist diskutabel. Auf der einen Seite erlaubt die Weitung einen umfassenderen Blick auf das Netzwerk im Ganzen. Auf der anderen Seite verstärken sich jedoch die überlieferungsbedingten Unwuchten. Beispielsweise gestatten die Werke des Prokop von Caesarea Einblicke in die sozialen Strukturen unterhalb der obersten militärischen Führungsschicht. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, welche Repräsentativität die aus Prokops Schriften gewonnenen Ergebnisse haben, wenn man überlieferungsbedingt keine aussagekräftigen Vergleichspunkte hat und bedenkt, dass Prokop seine Erzählung auf bestimmte „Heldenfiguren“, allen voran den justinianischen Feldherrn Belisar, ausrichtet und die Präzision und Ausführlichkeit seiner Berichte diesem Darstellungsziel unterordnet.

Mit Blick auf die gewählten Kriterien stellt sich außerdem die Frage, ob alle Zuordnungen und die Konfliktlinien so eindeutig sind, wie Puech sie präsentiert. So ist beispielsweise nicht klar, ob der magister militum per Illyricum Konstantin5 bereits im Amt antichalkedonische Überzeugungen hegte, wie Puech (S. 87) zu glauben scheint, oder sich erst nach seiner Priesterweihe zu einem Unterstützer des Severus von Antiochia entwickelte. Ebenso lässt der Konfessionswechsel des Apion gewisse Zweifel daran aufkommen, dass man zwei klar abgegrenzte, einander unversöhnlich gegenüberstehende Lager annehmen sollte.6 Auch bei Einzelinterpretationen hätte man sich gelegentlich von Puech eine größere Sensibilität für die Darstellungsabsichten der literarischen Quellen oder zusätzliche Erläuterungen seiner Schlussfolgerungen gewünscht, etwa wenn Puech schreibt, dass Justinian „une part active“ am Ende des Lebens von Vitalian genommen habe und darin Prokop folgt – gegen die gesamte übrige Überlieferung (S. 121). Man wundert sich auch, dass Puech Kaiser Mauricius von Kaiser Markian abstammen lassen will, dies aber in seinen Stammtafeln ebenso wenig wie die von ihm angedeutete Verwandtschaft zwischen Zeno und Basiliscus’ Frau Zenonis verzeichnet. Gerade für den Fall des Mauricius wurde dadurch eine Chance verpasst, denn Puech scheint hier nicht nur (wie im zweiten Fall) eine unbestimmte Verwandtschaft, sondern eine konkrete Abstammungslinie vor Augen zu haben.7

Es können in dieser Besprechung nicht alle von Puech behandelten Personen diskutiert werden, doch sei auf einige willkommene Unterschiede zum bisherigen Forschungsstand hingewiesen. Ephraem von Amida ist zum Beispiel entgegen der Ansicht von Begass für 524 als comes sacrarum largitionum honorarius und nicht als tatsächlicher Amtsinhaber anzusehen (S. 117f., Anm. 69).8 Puechs Vorschlag, zwei Einträge der PLRE zum Namen Romanus9 zu vereinen, überzeugt ebenfalls (S. 239). Von großem Nutzen für Vergleiche dieser Art ist der erwähnte prosopographische Index (S. 351–363), in dem alle Personen, für die Puech Änderungen gegenüber der bisherigen Forschung postuliert, fett hervorgehoben sind, sodass alle jeweils relevanten Passagen schnell eingesehen werden können. Betreffen die Abweichungen die Ämterlaufbahn, so sind die entsprechenden Personen laut Puech zusätzlich im prosopographischen Anhang (S. 251–291) mit ihren Ämtern erfasst, was bedauerlicherweise zu gewissen Dopplungen und Auslassungen führt: Für Severianus zum Beispiel werden alle Informationen zur Karriere bereits auf S. 158 – sogar mit identischer Fußnote versehen – genannt. Dass Severianus später in Gefangenschaft gerät, erfährt man hingegen nur auf S. 185 – nicht aber im Anhang. Nicht zu Unrecht hebt Puech daher selbst hervor, dass der Haupttext der eigentliche Referenzpunkt sei10, was aber die Frage nach dem Nutzen des Anhangs stellt. Dies gilt umso mehr als die Neuigkeit nicht die Karriere des Severianus, sondern seine nur in der Fußnote behandelte Abstammung betrifft und außerdem die in der PLRE zu findende Angabe zu Severianus’ Alter (neanías) gänzlich fehlt. Dennoch dürfte in Detailkorrekturen eine Stärke des Buches liegen.

Eine weitere Stärke der Ausführungen Puechs dürfte trotz der oben angemerkten gelegentlichen Schwächen im Detail im Nachweis von Kontinuitätslinien mit Blick auf die Führungseliten zu finden sein, auch wenn dies bis zu einem gewissen Grad der Begass’schen Vorstellung der fluktuierenden Eliten zu widersprechen scheint.11 Ob man sich grundsätzlich für eine der beiden Optionen entscheiden kann, müssen jedoch zukünftige Untersuchungen zeigen, die nicht nur die Karrierestationen von Einzelpersönlichkeiten auflisten, sondern konsequent die einzelnen politischen wie auch personellen Entscheidungen eines Kaisers im Gesamtzusammenhang betrachten. Hierfür sollten als prosopographische Ausgangspunkte neben der PLRE die Monographien von Begass und Puech genutzt werden. Nur so lässt sich der Machtspielraum einzelner Kaiser sowie des Kaisertums an sich ausloten, sodass man sich der Frage annähern kann, inwiefern man es überhaupt mit kaiserlicher Politik im Sinne einer vom Kaiser gelenkten Politik zu tun hat beziehungsweise inwiefern der Kaiser nur eine zentrale Figur in einem Eliten-Netzwerk ist, das im Zusammenspiel mit diesem die Reichspolitik gestaltet und umsetzt.

Anmerkungen:
1 Arnold H. M. Jones u.a., Prosopography of the Later Roman Empire, 3 Bde., Cambridge 1971–1992.
2 Christoph Begass, Die Senatsaristokratie des oströmischen Reiches, ca. 457–518. Prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen, München 2018. Ältere Korrekturen der PLRE erfasst Puech, S. 14, Anm. 27.
3 Auch in der Überlieferung der senatorischen Elite gibt es jedoch Lücken und eine unterschiedliche Fülle an Details. Seit Erscheinen von PLRE II sind zahlreiche weitere Personen senatorischen Ranges z.B. durch Inschriften bekannt geworden (vgl. Begass, Senatsaristokratie, S. 285).
4 Puech, S. 18: „Mon étude ne proposera pas une prosopographie à visée exhaustive de ces élites, mais envisagera les individus dans la mesure où nous disposons à leur propos de données susceptibles d’éclairer leur relation avec le pouvoir impérial. Autrement dit, les personnages dont on connaît lapidairement la fonction sous un seul empereur n’ont pas été considérés.“
5 PLRE II Constantinus 14 u. 15; Begass, Senatsaristokratie, S. 110, Nr. 60.
6 PLRE II Apion 1–3; Begass, Senatsaristokratie, S. 79–81, Nr. 29. Für die justinianische Zeit wird die Bandbreite der Positionen innerhalb der einzelnen konfessionellen Lager unter anderem von Patrick Brimioulle, Das Konzil von Konstantinopel 536, Stuttgart 2020 aufgezeigt.
7 Verwandtschaften: Puech, S. 215f. bzw. S. 51; Tafeln: Puech, S. 293f.
8 Gegen Begass, Senatsaristokratie, S. 125–127, Nr. 79.
9 PLRE IIIB Romanus 13 u. 14.
10 Vgl. S. 20: „Figure enfin en annexe une liste alphabétique des principales carrières revues par les corrections apportées à ces deux ouvrages [=PLRE und/oder Begass, Senatsaristokratie, F.B.]: elle synthétise surtout les fonctions occupées par ces individus et ne dispense pas de se reporter au corps de l’ouvrage pour d’autres éléments à leur sujet; à l’inverse, le texte principal comporte déjà, de manière dispersée, toutes les données présentes dans cette annexe.“
11 Begass, Senatsaristokratie, S. 481 „[W]ichtige Ämter [wurden] permanent – oft binnen Jahresfrist – neu besetzt“; S. 482: „[D]as politische System [war] im 5. und 6. Jh. auf immer neue Rekruten angewiesen, die die zentralen Posten der Verwaltung besetzten.“

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