Der Titel macht skeptisch neugierig. Skeptisch, da zum einen die Geschichte von Landschaft und Nation in den letzten Jahrzehnten vielfach bearbeitet worden ist und da zum anderen die im Untertitel angeführten drei Entitäten – der Rhein, die schwedische Provinz Dalarna und England – nicht nur auf unterschiedlichen Ebenen liegen, sondern auch dem Begriffspaar Landschaft und Nation unterschiedlich zugewandt scheinen. Daher die Neugier: Wie verbindet der Autor Rhein, Dalarna und England und welche neuen Einsichten gewinnt er durch seine außergewöhnliche Anlage für den Zusammenhang von Landschaft und Nation?
Eine Irritation wird mit dem Öffnen des Buchs ausgeräumt. Im Zentrum des ersten Kapitels steht nicht der Rhein, sondern die Flusslandschaft des Mittelrheins, und somit eine für Deutschland ikonisch gewordene Landschaft, zu der sich im zweiten Kapitel Dalarna als ebenbürtige Vertreterin für Schweden gesellt. England, das im dritten kürzeren Kapitel behandelt wird, soll als Kontrastfolie dienen. Es adressiert die countryside als überräumliche „Metapher für die englishness“ (S. 23). Damit falle es, räumt der Autor ein, methodisch „etwas aus dem Rahmen“ (ebd.), da es im Gegensatz zu den ersten beiden Fallbeispielen keine geografisch lokalisierbare Landschaft behandle. Welcher Gewinn daraus gezogen wird und wieso der Autor nicht etwa den Lake District ins Zentrum rückte, anstatt ihn auf wenigen Seiten abzuhandeln, blieb dem Rezensenten allerdings verborgen. Vielmehr wusste er nach der Lektüre nicht einzuschätzen, inwieweit die herausgearbeiteten Unterschiede zu Deutschland und Schweden der Andersartigkeit der englischen Entwicklung zuzuschreiben sind oder aus dem andersartigen Vorgehen resultieren.
Die Auswahl seiner drei Fallbeispiele begründet der Autor nicht (Sprachkenntnisse und Vorwissen scheinen ausschlaggebend gewesen zu sein). Dies ist nicht die einzige konzeptionelle Schwach- bzw. Leerstelle. So bietet die Einleitung zwar eine lesenswerte Auseinandersetzung mit dem Landschaftskonzept, eine ebensolche mit der Nation bleibt hingegen aus. Dies ist umso erstaunlicher, als der Autor den Begriff der imaginary landscape stark macht, wozu sich eine Konturierung der Nation als imagined community geradezu aufdrängt.1 Eine Diskussion der einschlägigen historischen Forschung sucht man vergebens, in der Bibliografie fehlen hingegen gewichtige Werke: So ist Thomas Lekan nur mit einem Aufsatz vertreten und nicht mit seiner Monografie zur deutschen Landschaft und von David Blackbourn findet sich gar keine Schrift.2
Als Grundlage dienen Etzemüller hauptsächlich gedruckte Quellen, insbesondere Reiseberichte und -führer, Landschaftsbücher und Prospekte, sowie bildliche Darstellungen. Dies seien die Quellen, in denen die Landschaft mehr „als nur ein Raum, nämlich eine aktive Heldin im Durcheinander der Moderne“ sei. Irritierend wird es, wenn die Heldin nicht mehr als Imagination herauspräpariert wird, sondern vom Autor quasi personifiziert wird, indem sie etwa ein Problem bekommt, wenn immer mehr Touristen mit dem Auto anreisen und Straßen und Ortschaften verstopfen (S. 169). Weniger die titelgebende Nation, sondern die im Zitat angesprochene (fehlende) Ordnung und die Moderne sind die Begriffe, auf welche die Produktion von Landschaftsbildern und deren gesellschaftliche Wirkungen bezogen wird. Dies geschieht in der narrativen Form einer Rundreise, wobei insgesamt 69 Abbildungen von guter Druckqualität die Argumentation des Lauftexts unterstützen und ergänzen. An der ersten Destination angekommen wird die imaginative Arbeit an der Landschaft des Mittelrheins über 250 Jahre verfolgt und als eine Abfolge von historischen Schichtungen gedeutet, die sich in enger Abhängigkeit von den politischen Wechsellagen über die Imagination des „romantischen“ Rheins legten, ohne diese je ganz zu verschütten. Es sind dies in zeitlicher Abfolge der herrschaftlich preußisch geprägte Rhein des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der durch den deutsch-französischen Gegensatz seit 1840 aufgeladene nationale Rhein und der re-romantisierte und touristisch optimierte Rhein der Nachkriegsjahrzehnte. An der zweiten Destination rekonstruiert der Autor die Stilisierung Dalarnas als Quintessenz Schwedens im 19. und vor allem 20. Jahrhundert, wobei die Landschaft hier nur ein Teil der Imagination ausmachte und den Menschen vor Ort mehr Beachtung als am Rhein zukam. Dieses Schweden in Miniatur vereinigte alle für das Land charakteristischen Landschaftselemente: Berge und Täler, Flüsse und Seen, Wälder und Moore. Zugleich wurde die Region nationalhistorisch überhöht, als Gustav Wasas Rückzugsort, und auch das dortige Agrarland und die Rentierzucht sowie alte und neue Ortschaften und selbst die moderne Industrie wurden, in unterschiedlicher und wandelbarer Gewichtung, ins Bild integriert. England wird abschließend unter dem Nord-Süd-Gegensatz verhandelt: einer im Süden als countryside imaginierten englischen Kulturlandschaft, und einem Norden, der zum einen für Schwerindustrie stand und zum anderen mit Wildnis assoziiert worden sei. Für den Mittelrhein und Dalarna thematisiert der Autor zudem die Soundscape, wobei die Quellen für beide Orten vornehmlich Stille evozierten. Im Sinne einer Geschichte der Sinne hätte es auch interessiert, ob sich in den Quellen Spuren finden, wie die Landschaften die Geruchssinne ansprachen.
Die ersten beiden Kapitel schließt der Autor jeweils mit der Schilderung einer eigenen Begehung bzw. Befahrung ab. Bei zweiterer ist zu lesen, man müsse „den Raum erfahren, um ihn mit dem image abgleichen zu können“ und bei einer Begehung stoße man „unweigerlich auf die Differenz zwischen Imagination und Materialität“ (S. 174). Durch den Abgleich würden die Projektionen nicht widerlegt, doch zeige sich, dass Imaginationen lediglich einer schmalen Grundlage in der Landschaft bedürften. Dieser Versuch, die Imaginationen mit den materiellen Gegebenheiten vor Ort abzugleichen, leuchtet dem umwelthistorisch geschulten Rezensenten ein. Konsequent weitergedacht, stellt er jedoch die Gesamtanlage der Untersuchung in Frage. Denn müsste, um die Qualität zeitgenössischer Landschaftsimaginationen adäquat beurteilen zu können, nicht der historischen Rekonstruktion der Materialität dieser Räume viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden?
Am Ende der Einleitung schreibt der Autor, er wolle „drei Facetten des Umgangs mit und der Imagination von Landschaften aufzeigen“ (S. 23). Dies ist ihm gelungen. Ein darüberhinausgehendes Mehr leistet das Buch leider nicht.
Anmerkungen:
1 Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, 2nd, revised and extended ed., London 1991 (1st. ed. 1983).
2 Thomas M. Lekan, Imagining the Nation in Nature. Landscape Preservation and German Identity, 1885–1945, Cambridge 1994; David Blackbourn, Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2007.