Die Migrationsforschung, von der noch vor einigen Jahren festgestellt wurde, sie friste ein randständiges Dasein, ist ins Herz der deutschen Zeitgeschichtsforschung vorgedrungen. In kurzen Abständen sind in den letzten Jahren umfangreiche, quellenbasierte Fallstudien vorgelegt worden.1 Zeitgleich findet ein wichtiges Ringen um konzeptionelle und methodische Zugänge statt.2
Während bedeutende Aspekte der Geschichte nach 1945 für die Bundesrepublik ausgeleuchtet wurden, sind Studien mit Blick auf die DDR und den Staatssozialismus – abseits der prägenden Arbeiten von Patrice G. Poutrus3 – noch immer rar. Marcia C. Schenck hat mit ihrer Monographie Remembering African Labor Migration to the Second World. Socialist mobilities between Angola, Mozambique, and East Germany nicht nur einen Forschungsbeitrag zur Migrationsgeschichte Ostdeutschlands geleistet, sondern die globalen Aspekte des Sozialismus verdeutlicht, auf die die Zeitgeschichtsschreibung ebenfalls seit einigen Jahren pocht. Aus Perspektive klassisch arbeitender Zeithistoriker:innen hat Schenck ein eher unkonventionelles Buch vorgelegt, über das sich vor allem hinsichtlich des methodischen Vorgehens streiten ließe, das aber dennoch – oder gerade deshalb – eine produktive Verunsicherung erzeugt. Schencks Buch basiert vor allem auf Interviews, die sie über viele Jahre in Mosambik und Angola geführt hat. Stattliche 268 Interviews (S. 29) hat die Autorin dazu in Angola und Mosambik geführt – dem Quellenverzeichnis zufolge vor allem zwischen 2011 und 2016. Diese Gattung stellt das Quellenkorpus dar, um das ihre Untersuchung kreist und das sie mit archivalischen Quellen unterfüttert. Das Buch gliedert sich in acht Kapitel – einige bereits in ähnlicher Weise in Journals publiziert –, von denen die ersten zwei Vorwort und Einführung darstellen. Das anschließende dritte Kapitel stellt einen Überblick zur Arbeitsmigration von 1979 bis 1990 dar, der vorrangig auf bestehender Sekundärliteratur basiert. Daran schließen sich zwei eher thematisch fokussierende Kapitel an, die Aspekte des Alltags in den Betrieben und des Konsums (Kapitel 4) sowie des Alltagslebens und Rassismus (Kapitel 5) in den Blick nehmen. Anschließend beschreibt Schenck die Rückkehr der Arbeiter:innen in die Herkunftsstaaten und das Leben nach dem Ende des Staatssozialismus. Schencks Buch endet mit einem Blick auf die Proteste der Madjermanes, jener Mosambikaner:innen, die vormals in der DDR gearbeitet hatten und noch heute gegen nicht ausgezahlte Sozialleistungen, die ihnen vom Lohn abgezogen worden waren, auf die Straße gehen. Sie waren Teil des zusammenbrechenden globalen Sozialismus, dessen Staaten in marktförmige Ökonomien transformiert wurden.
Zwar sind die meisten Erkenntnisse in Schencks Buch nicht neu und bestätigen vieles aus bisherigen Forschungen, aber die Autorin bindet die Perspektive der Akteur:innen vor Ort konsequent ein und legt durch ihre Interviews vor allem einen Schwerpunkt auf die Arbeiter:innen, deren transnationale Lebensgeschichten bisher kaum systematisch untersucht wurden. Auch hier kann man einwenden, dass nicht deutlich wird, mit welchen Methoden die Interviews geführt worden sind. Schenck verortet sich in der Oral History, aber auf den umfangreichen Forschungsstand dazu verweist sie nur rudimentär. Zudem formuliert sie selbst den Anspruch, die ausgewählten Zitate eher illustrativ zu verwenden, „to illustrate particular points" (S. 29). Damit wird deutlich, dass sie ihr historisches Narrativ weniger aus dem Quellenmaterial, sondern aus der bestehenden Forschungsliteratur erarbeitet hat. In dieses hat sie die Perspektive mittels ausgewählter Zitate eingebunden.
Darüber hinaus hat Marcia C. Schenck aber auch zahlreiche Archive in Angola und Mosambik konsultiert (wobei allerdings nicht genau deutlich wird, welche Bestände dabei ausgewertet wurden). Mit der globalhistorischen Herangehensweise zeigt sie auch, dass deutsche Forscher:innen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die vor Ort produziert werden, so gut wie nicht zur Kenntnis nehmen. Damit werden eurozentristische Perspektiven nicht nur mittels Fragestellungen und Material, sondern – und dies muss die Rezensentin selbstkritisch einräumen – in der Verortung des Forschungsstandes reproduziert. Die Fachcommunities sind mehrheitlich nationalstaatlich getrennt.
Da Schenck an ausgewählten Stellen Material aus den Archiven Mosambiks und Angolas einbindet, ergeben sich für Forschende vor allem neue Erkenntnisse im Detail. So verweist sie beispielsweise auf Annoncen, die in mosambikanischen Zeitungen der 1980er-Jahre geschaltet worden waren, mittels derer mosambikanische Arbeiter:innen von der DDR ausgehend Brieffreundschaften in Mosambik suchten (S. 169f.). Das ist interessant, weil bisher noch nicht ausreichend untersucht worden ist, wie transnationale Verflechtungen auf individueller Ebene vollzogen wurden. Gleichzeitig deutet sich noch mehr Potential in der Interpretation des Quellenmaterials an. So ließe sich an der Stelle fragen, wer diese Annoncen initiierte und ob der mosambikanische Staat hier seine Interessen geltend machte, seine Staatsbürger:innen für den Arbeitseinsatz im „sozialistischen Bruderland“ anzuwerben bzw. sie während des temporären Einsatzes weiterhin an die mosambikanische Gesellschaft zu binden. Antworten auf solche Fragen wären auch dahingehend bedeutend, um die staatlichen Akteur:innen des globalen Südens als politisch Handelnde mit einer eigenen Agency darzustellen.
Das Material, das Schenck mit hohem Ressourcenaufwand vor Ort mittels langer Reisen in Staaten mit einer weniger ausgeprägten Infrastruktur als in den Hochindustrieländern erhoben hat, scheint noch großes Potential für weitere Fragen und Antworten zu bieten. Es wäre wünschenswert, es stünde zukünftigen Forscher:innengenerationen für Sekundäranalysen in Archiven zur Verfügung. So sind die Sozialisationserfahrungen in den Staaten des sogenannten globalen Südens – ein analytisch umstrittener Begriff – noch immer kaum hinreichend erforscht. Für die DDR – aber auch für andere sozialistische Staaten nach 1945 – wäre zu fragen, wie sich der Sozialismus als globale Erfahrung, die durch Migrationsprozesse in die jeweiligen Gesellschaften transferiert wurden, einschrieb. So waren einige Arbeiter:innen, die in den 1980er-Jahren aus Angola oder Mosambik in die DDR migrierten, Teil einer sich konstituierenden „Zivilgesellschaft“ nach dem politischen Systemwechsel. Welche Motive, Werte und Normen diesem Engagement zugrunde lagen und auf welche Weise diese vom Marxismus-Leninismus in den afrikanischen Staaten geprägt wurden, ist noch nicht hinreichend untersucht. Dabei wären dies gute Ansätze, um transnationale Verflechtungen darzustellen. Schencks Fokus liegt jedoch vor allem auf den Remigrierten, womit auch Einschränkungen in der rückblickenden Erzählung über die DDR verbunden sind: So ließe sich durchaus einwenden, dass jene Menschen, die in Ostdeutschland geblieben sind, ihre Lebensgeschichten anders erzählen als jene, die in die ärmsten Staaten dieser Welt zurückkehrten. Da Schencks Augenmerk auf den Remigrierten liegt, deuten sich die Transferprozesse auf andere Weise an: Die Arbeiter:innen entwerfen sich in den Erzählungen als selbstbewusste Subjekte, die sich etwa mittels Streiks gegen zu geringe Löhne wehrten (S. 121). Sie sahen sich, wie Schenck zeigen kann, nicht allein als willfährige Opfer staatlicher Ausbeutung, sondern organisierten kollektiven Protest, der zum Teil auch erfolgreich war. Es wäre zukünftig zu fragen, woher sich das Selbstbewusstsein und die ideologischen Fundamente für diesen Eigensinn speisten. In welchem Zusammenhang stand dies mit dem Sozialismus, der in jüngster Zeit zunehmend als globales Phänomen historisch untersucht wird?4
Schencks Verdienst liegt vor allem in ihrem Perspektivwechsel und dem emphatischen Plädoyer, die Sozialisationserfahrungen im globalen Süden ebenso ernst zu nehmen wie die dort hervorgebrachten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Der Perspektivwechsel, den sie mit ihren Protagonist:innen vollzieht, verschiebt auch das Sprechen über die DDR, die beispielsweise aus deutscher Sicht eine Mangelwirtschaft, aber für viele Mosambikaner:innen „a land of plenty“ (S. 108) war. Die wechselhaften Bewertungsmaßstäbe historischer Untersuchungen, die sich häufig subtil in den genutzten Begriffen niederschlagen, werden dadurch einmal mehr in Frage gestellt.
Anmerkungen:
1 Maria Alexopoulou, Deutschland und die Migration. Geschichte einer Einwanderungsgesellschaft wider Willen, Ditzingen 2020; Olga Sparschuh, Fremde Heimat, fremde Ferne. Italienische Arbeitsmigration in Turin und München, Göttingen 2021; Stefan Zeppenfeld, Vom Gast zum Gastwirt? Türkische Arbeitswelten in West-Berlin, Göttingen 2021.
2 Vgl. auch jüngst die instruktive Rezension von Maria Alexopoulou zum Buch von Stefan Zeppenfeld: Vom Gast zum Gastwirt? Türkische Arbeitswelten in West-Berlin, Göttingen 2021, in: H-Soz-Kult, 18.01.2023, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-118614 (27.04.2023).
3 Vgl. u.a. Patrice G. Poutrus, Aufnahme in die ›geschlossene Gesellschaft‹. Remigranten, Übersiedler, ausländische Studierende und Arbeitsmigranten in der DDR, in: Jochen Oltmer (Hrsg.), Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin 2016, S. 853–893.
4 James Mark / Paul Betts (Hrsg.), Socialism goes global. The Soviet Union and Eastern Europe in the Age of Decolonization, Oxford 2022.