Cover
Titel
Performing Peace and Friendship. The World Youth Festivals and Soviet Cultural Diplomacy


Autor(en)
Koivunen, Pia
Reihe
Rethinking the Cold War (9)
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 303 S.
Preis
€ 94,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Historisches Institut, Universität zu Köln

„Frieden und Freundschaft“ waren die zentralen Parolen des Weltjugendfestivals, das 1945 in London gegründet wurde und seit 1947 internationale Events abhielt – im Kern bis heute. Das letzte der 17 Festivals gab es tatsächlich 2017 in Sotchi. Frieden hatte hier eine spezielle Bedeutung, war der Begriff doch eine wichtige Parole der sowjetischen Kulturpolitik. Das hatte die Folge, dass über mehrere Jahrzehnte das Wort „Frieden“ im Westen in vielen Fällen als kommunistischer Kampfbegriff diskreditiert werden konnte. Semantiken des Friedens in ihrer wechselseitigen positiven wie negativen Verwendung könnten so fruchtbar zu einem Forschungsfeld auch des Ost-West-Konflikts vertieft werden.

Doch darum geht es in diesem neunten Band der verdienstvollen neuen Reihe der finnischen Autorin Pia Koivunen nicht. Wie schon im Titel betont steht im Kern die Performanz, stehen die Praktiken der Festivals. Die Kulturgeschichte des Kalten Krieges hat in den letzten Jahrzehnten erfreulich stark an Fahrt aufgenommen. Das gilt nicht nur für die westlichen, zumal die US-amerikanischen, durchaus mit Geheimdienstarbeit verbundenen Ansätze, sondern auch die des Ostblocks – hier also vornehmlich der Sowjetunion – haben vielfältige quellengestützte Bearbeitung gefunden. Als längst überholt gelten dabei die zeitgenössischen Entlarvungen und demgemäß Deutungen von kommunistischer Propaganda.

Die Studie zerfällt in zwei recht unterschiedliche Teile. Etwa ein Drittel der Arbeit schildert die Anfänge mit den Festivals von Prag 1947, Budapest 1949, Ost-Berlin 1951, Bukarest 1953 und Warschau 1955. Zwei Drittel sind dem Moskauer Festival von 1957 gewidmet. Dann bricht der chronologische Bericht ab und liefert im Epilog einen ganz knappen Ausblick. Eingebettet ist das Narrativ jeweils in die sowjetische Außenpolitik, in der zumal nach dem Tod Stalins 1953 neue Akzente möglich wurden, die nach Chruschtschows Entstalinisierung und Verkündung neuen weltpolitischen Selbst- und Konkurrenzbewusstseins im Moskauer Festival zentral wurden. Angestrebt wird eine Verbindung von top-down- und bottom-up-Ansatz. Koivunen stützt sich im Kern auf die Akten des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol, der KPdSU, einiger weiterer Ministerien, dazu auf einige Akten eines finnischen Arbeitsmuseums, druckt auch 20 Fotos aus dieser oder anderer privater Quelle. Gerade das Archiv des Weltjugendfestivals war jedoch leider nicht zugänglich. Ergänzt wird dies durch umfängliche englischsprachige Presseberichterstattung, viele schriftliche Erinnerungswerke von westlichen Teilnehmer:innen und Interviews aus dem ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts.

Die Jugendfestivals versammelten jeweils zwischen 10.000 und 34.000 Teilnehmer:innen mit dem einsamen Höhepunkt 1957. Den Organisator:innen, unter denen der Komsomol-Funktionär Alexander Schelepin, später KGB-Chef, bald die leitende Rolle spielte, ging es darum, gerade auch nichtkommunistische junge Menschen anzusprechen und damit im Westen, vor allem aber in Europa für das bessere politisch-soziale System zu wirken. Gelegentlich werden Schätzungen von 40 Prozent in nicht-kommunistischen Organisationen organisierter Teilnehmer:innen berichtet. Interessierte junge Personen kamen auch aus eigenem Antrieb, nutzten die kommunistischen Organisationen manchmal nur touristisch. Zu den Teilnehmern gehörten u.a. Gabriel Garcia Marquez, Pablo Neruda oder Jan Myrdal. Als Teilnehmerländer werden für Prag 71 angegeben, ab den 1950er-Jahren wuchs die Zahl ständig, erreichte in Moskau 131. Das war vor allem möglich, weil die – hier als globaler Süden bezeichneten – Personen aus zum Teil noch gar nicht unabhängigen Gebieten mitgezählt und zum Teil nur aus einer oder wenigen Menschen bestanden und Delegiertenstatus zuerkannt bekamen.

Koivunen ist bestrebt, trotz ihrer zentralen bürokratischen sowjetischen Akten ein möglichst breites Spektrum an kulturellen Events zu berichten und dabei die Rezeption vor Ort, die Performanz eben, stark in den Vordergrund zu rücken, was seine Grenzen hat. Für Moskau 1957 geht es etwa um die Vorstellung des Komsomolteams, die Herrichtung Moskaus für ein so noch nie dagewesenes Festival. Das war nicht zuletzt mit erheblichen Kosten verbunden, da die Veranstalter:innen die Reise bezahlten und somit auch rein touristische Anreize boten. Ein Kult der Offenheit mit tausenden Veranstaltungen in den beiden Festwochen, die ein breites Spektrum von kulturellen Events bis hin zum Jazz boten, aber auch eine Argumentationskultur in offenen Diskussionen sozialistische Welthaftigkeit in singulärer Weise demonstrieren sollten. „Mapping Peace and Friendship“ heißt hier ein aufschlussreiches Kapitel. Die Berichte und oft viel späteren Aufzeichnungen aus dem nicht-kommunistischen Ausland bestätigen die offiziellen positiven Bilanzen der Veranstalter in Vielem. Soziale Kontrolle ließ sich trotz großen Aufwandes der Organisatoren bei vielen Basisbegegnungen nicht durchsetzen – bis hin zu intimen Begegnungen.

Es ging den Jugendfestival-Organisatoren in manchen Fällen darum, Offenheit zu demonstrieren, aber zugleich die Kontrolle zu behalten. Antikommunistische Themen gehören gleichermaßen dazu, aber es ging auch darum, das welthistorisch überlegene sozialistische Lager in bestem Licht zu präsentieren. Wenn sich Teilnehmer gerade ans Fotografieren der Schattenseiten Moskaus machten, war das nicht gern gesehen. Kurz: Es ging 1957 um eine große Leistungsshow im Rahmen des politischen Aufbruchs Nikita Chruschtschows. „Besides legal and social deviance, authorities noted the different cultural practices of foreign visitors. Crossing cultural boundaries was a far more complicated subject than breaking legal or social norms.” (S. 185) So lautet eine der abgewogenen Beobachtungen Koivunens, mit der sie die in dieser Intensität noch nie gehabten ost-westlichen Begegnungen bilanziert. Gerade die Mischung des Zulassens von Elementen westlicher Freizeitkultur mit gleichzeitiger Betonung der Überlegenheit des eigenen sozialistischen Weges führte zu Friktionen und auch interner ideologischer Kritik in der politischen Führung der Sowjetunion.

Angesichts mühsam und in bewundernswerter Breite zusammengetragener Informationen für die Vielfalt von Moskau 1957 fallen die ersten Kapitel über die frühen Festivals deutlich ab. Gewiss wird hier der sich wandelnde Hintergrund des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts angedeutet. Sicher fanden die ersten Festivals als „cultural battles between Socialism and Capitalism“ im Sinne des Stalinismus statt. Aber wenn es um Berlin 1951 geht, dann stehen da unverbunden die Maßnahmen der FDJ, die Teilnehmer nicht nach West-Berlin gelangen zu lassen, neben dem westlichen Werben, doch dorthin zu kommen. Dann gibt es Berichte über Prügel für Besucher in West-Berlin, welche den westlichen Kampf gegen das Festival denunzierten; es folgen aber auch Angaben über Teilnehmer, die dann dauerhaft in den Westen gingen. Hier fehlt jede Vertiefung durch die reichhaltige deutsche Forschung zu Berlin und zur Teilung des Landes. Ähnliche Kritik ließe sich an den Berichten zu den anderen frühen Festivals üben, deren Kern die Moskauer bürokratischen Quellen bilden. Sehr viel mehr hätte man gern über die Erfahrungen der Teilnehmer aus denen hier schon ahistorisch mit „globalem Süden“ bezeichneten Territorien gelesen, was nur einmal ein wenig vertieft wird (S. 242f.). Vermutlich klafften hier sowjetischer Anspruch und Realität recht weit auseinander.

Die Weltjugendfestivals bildeten – das wird deutlich, aber nicht weiter expliziert – einen wichtigen Teil eines viel größeren Spektrums sowjetischer auswärtiger Kulturpolitik, zu der auch die von Moskau gegründeten Organisationen für Studenten, Gewerkschaften, Frauen, wissenschaftliche Arbeiter, Journalisten und der Weltfriedensrat gehörten (S. 9f.). Für einige von diesen gibt es bereits quellengestützte Untersuchungen. „The inability to cross the systemic divide with the World Youth Festival, or any other Soviet-invented international event or celebration, was one of the shortcomings of the Soviet Union in the Cultural Cold War.” (S. 268) Das ist nicht neu; aber die Versuche dazu fern von Lob und Häme darzustellen, ergibt doch gute anschauliche Beispiele für die systemübergreifenden Bemühungen aller Seiten, hier zwischen 1947 und 1957.

Der Kaufpreis ist prohibitiv; aber das Buch ist auch im Open Access zugänglich. Ein gutes Register in der Tradition englischsprachiger Bände ist vorhanden, leider fehlt ein Abbildungs- und Tabellenverzeichnis.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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