Der Band enthält die schriftliche Fassung von sieben Vorträgen, die 2016 an einer Veranstaltung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften präsentiert wurden. Das „Wiener Kolloquium“ wurde von Thomas Kruse und Kaja Harter-Uibopuu organisiert; um die Veröffentlichung der Beiträge kümmerte sich Kaja Harter-Uibopuu. Ein großer Verdienst des Bandes ist die betonte multidisziplinäre Perspektive: Rechtshistoriker, Epigraphiker und Archäologen legen ihre Forschungsergebnisse zum Generalthema „Bau und Recht“ vor. Eine weitere wichtige Zielsetzung besteht in dem komparativen Ansatz: Zentrale Quellen der griechischen und römischen Antike werden nebeneinandergestellt, um dem Leser die Möglichkeit zu gewähren, Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen.
Gerhard Thür (S. 13–27) erläutert die unter IG V 2,6A überlieferte Bauvergabe-Ordnung von Tegea, die den nach einem Brand vorgenommenen Neubau des Alea-Tempels regelte. Die Auslegung hebt insbesondere drei Themenkreise – als juristisch relevante Elemente – hervor: den mit dem Bau betrauten Personenkreis, den Ablauf des Vertragsschlusses und die Sanktionen, die für den Fall einer eventuellen Vertragsverletzung in dem beurkundeten Abkommen festgelegt wurden. Die abschnittsweise Zahlung des Werklohns, die mit der Fertigstellung des jeweiligen Bauloses fällig war, ist ein typisches Merkmal der antiken Bauverträge. Diese Struktur der Regelung ist sowohl in den griechischen als auch in den römischen Quellen belegt. Die Bauvergabe von Tegea kann überhaupt als Musterschema der öffentlichen Verträge betrachtet werden. Es war eine gute Entscheidung, den Band mit dieser gut erhaltenen Inschrift als Einführung in die Problematik zu beginnen.
Sebastian Prignitz (S. 29–47) stellt die rechtlich relevanten Normen vor, die er aus diversen Urkunden herausschält, die im 4. Jh. v. Chr., während der Bauarbeiten des Heiligtums von Epidauros, entstanden sind. Die verschiedenen Bauphasen liefen fast hundert Jahre lang.
Bautafel – als öffentliche Bekanntmachungen über die Vergabe von Bauaufträgen – und Rechenschaftslegungen über die verrichteten Arbeiten bilden die anregenden Quellen, die Prignitz eingehend studierte. Es ist ihm gelungen, aus diesem „Verwaltungsmaterial“ signifikante neue Erkenntnisse über den Ablauf der ausgedehnten Bautätigkeit zu gewinnen. Die herangezogenen Urkunden ermöglichen die Rekonstruktion der öffentlichen Verwaltung und der Durchführung der wirtschaftlich stark strukturierten Unternehmung. Diese „Heiligen Bauarbeiten“ waren kostspielig, deshalb waren präzise Aufsicht und rigorose Abrechnung unentbehrlich. Die Abnahme (dokimasia) der Baulose erfolgte nach Fertiggestellung des jeweiligen Bauabschnitts. Die Qualität wurde genau geprüft und die Konventionalstrafen (die vertraglich festgelegten Sanktionen) wegen eventueller Mängel konsequent verhängt (S. 38).
Der Beitrag von Peter Long (S. 49–66) untersucht die Rolle und Regelung von Bürgschaften in den hellenistischen Bauverträgen. Die herangezogenen Inschriften stammen aus Athen, Delos, Epidauros, Delphi, Tegea und Boeotia. Die eingetragenen Bürgen mussten für die vertragsmäßige Fertigstellung des Bauwerks einstehen. Bei eventuellen Vertragsverletzungen konnte der Bauherr (die Baubehörde) die Konventionalstrafen – nach den allgemeinen Regeln der antiken Bürgschaft – unmittelbar von den Bürgen einfordern. Long untersucht die Problematik aus dem Blickwinkel der Bürgen. Im Mittelpunkt steht das enorme Risiko, das von ihnen übernommen wurde.
Ursule Quatember (S. 67–81) nähert sich dem Generalthema aus dem Feld der „archäologischen Bauforschung“, die an deutschen Universitäten seit langem als Teil der Architektenausbildung angesiedelt ist. Sie betont, dass die erhaltenen antiken Bauwerke viele technische Daten bewahren, die wertvolle Hinweise auf den Ablauf der Fertigstellung des Gebäudes vermitteln. Die vergleichende Analyse der Bauarbeiten des Tempels von Segesta, des Asklepios-Tempels und des Tholos von Epidauros, und zentraler Bauten in Ephesos eröffnen einen Einblick in die Praxis der antiken Architektur.
Werner Eck (S. 83–105) führt den Leser in das kaiserzeitliche Imperium Romanum, wo er die Organisation der staatlichen und städtischen Bautätigkeit aus dem Aspekt deren sozialen, politischen und historischen Bedeutung untersucht. Senatus consulto pecunia publica faciendum curavit – die an den Bauwerken oft erscheinende Wendung verewigt den Namen des jeweiligen Bauherrn, des Finanzierers und der Person, die für die Ausführung der konkreten Bautätigkeit zuständig war. Neben dem Senat trat oft der Kaiser, Statthalter, Gemeindemagistrat oder eine Privatperson als Bauherr auf. Eck bietet eine umfassende Analyse der erhaltenen Bauinschriften. Sein Hauptanliegen ist zu zeigen, dass man nicht von einer allgemeinen „römischen Baupolitik“ ausgehen kann. Es handelt sich um Einzelfälle, aus denen ein Mosaikbild der öffentlichen und privaten Bauwerke zusammengetragen werden kann.
Wolfram Buchwitz (S. 107–130) berichtet von Mängeln der Bautätigkeit, wie sie in den Quellen des klassischen römischen Rechts erfasst werden können. Er unterscheidet zwischen Mängeln, die während der Fertigstellung auftreten und Mängeln die erst später, nach der Abnahme bemerkt werden. Die römischen Juristen differenzierten oft zwischen vitia ex ipsa re und vitia operis. Daran anknüpfend spricht Buchwitz von Mängeln im Baugrund, im Baumaterial und in der Bauausführung (S. 112). Die vitia soli sind von dem Bauherrn zu tragen. Für die Mängel im Baumaterial haftet grundsätzlich die Partei, die dessen Anschaffung vertraglich übernommen hat. In diesem Kontext hätte man Gaius 3,147 mehr berücksichtigen können: Wenn das Baumaterial vom Bauunternehmer zur Verfügung gestellt wurde, haftete er für etwaige Sachmängel wie aus einem Verkauf. Die Mängel in der Fertigstellung des Bauwerks werden im römischen Recht durch die probatio/adprobatio geregelt: Die Mängel, die bei der vertraglich ausgemachten Abnahme erkannt und gerügt werden, gehen zu Lasten des Unternehmers, während die nachher entdeckten von dem Bauherrn getragen werden müssen. Eine kleine Bemerkung: Die Nichterwähnung (fehlende vertragliche Regelung) der Mängelhaftung würde ich nicht mit einem „Ausschluss“ gleichsetzen. Von den Autoren des Bandes bemüht sich am ehesten Buchwitz, die römischen Quellen mit den griechischen Parallelen zu vergleichen, um die ähnlichen Strukturen hervorzuheben (S. 111).
Catherine Saliou (S. 131–149) beschäftigt sich mit der rechtlichen Regelung privater und städtischer Bautätigkeit in der Spätantike, im 4.–6. Jh. Sie stützt sich dabei hauptsächlich auf die einschlägigen Konstitutionen im Codex Theodosianus und Codex Jutinianus. Bemerkenswert ist P.Petra 39 aus dem Jahre 574: der Papyrus enthält ein langes Protokoll über ein Schiedsverfahren. Aber es geht darin eher um den Abriss eines Gebäudes und um dessen Eigentum und nicht um Bautätigkeit.
Zusammenfassend möchte ich betonen, dass die Lektüre der „Studien zu Bau und Recht in der Antike“ jedem Lehrenden und Studenten der antiken Welt Wertvolles und Lehrreiches anbietet. Historiker, Rechtshistoriker und Archäologen, die mit Texten über Bautätigkeiten arbeiten, finden darin Unentbehrliches zur Auslegung ihrer Quellen.