K. Hokanson: A Woman's Empire

Cover
Titel
A Woman’s Empire. Russian Women and Imperial Expansion in Asia


Autor(en)
Hokanson, Katya
Erschienen
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
$ 80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexa von Winning, Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde, Universität Tübingen

Katya Hokanson hat sich ein prominentes und lange nicht erschöpftes Forschungsgebiet vorgenommen: die Teilnahme von Frauen am europäischen Empire-Building im 19. Jahrhundert. Imperiale Eroberung und Expansion gelten nicht mehr als rein männliche Unternehmungen, wenn auch weibliche imperial agents weiterhin deutlich unterrepräsentiert sind. Der häusliche Bereich und die zentrale Rolle von Frauen darin tritt insbesondere in der Forschung zum britischen Empire inzwischen als entscheidende Sphäre hervor, in der imperiale Machtverhältnisse definiert, demonstriert und herausgefordert wurden.1 Ebenso wie Missionen und andere religiöse Tätigkeitsbereiche erlaubte die „domestic sphere“ Frauen die Ausübung von Autorität, ohne dass ihre „Weiblichkeit“ gefährdet wurde. Aber auch weit jenseits des häuslichen und religiösen Bereichs gibt es Frauen zu entdecken, wie Hokansons Studie zum russländisch kontrollierten Zentralasien im späten 19. Jahrhundert eindrucksvoll zeigt. Hokansons acht überwiegend adlige Protagonistinnen konstruierten ihr „women’s empire“ auf militärischen und wissenschaftlichen Expeditionen, bei Jagdreisen ins schneebedeckte Alaigebirge (einem Teil des Pamir-Gebirges im heutigen Kirgisistan und Tadschikistan) sowie auf gewagten Zugreisen durch Aufstände und Cholera-Ausbrüche. Sie berichteten dem heimischen russischsprachigen Publikum in fiktiven Erzählungen, persönlichen Reiseberichten, Memoiren, Briefen und wissenschaftlichen Abhandlungen lebhaft vom „russischen Asien“.

Anhand dieser vielseitigen Quellen versucht Hokanson, die Bedeutung weiblicher Autorinnen und ihrer Texte für das russische Empire-Building zu erfassen. Obwohl sie selbst Literaturwissenschaftlerin ist, nähert sich Hokanson den Texten der Autorinnen vorrangig mit historischen Fragestellungen. Das mag daran liegen, dass Zentralasien in der russischen Literatur und ihrer Erforschung weit weniger prominent ist als der Kaukasus, auch wenn dessen russischsprachige Mythisierung den Blick auf Zentralasien stark prägt, wie Hokanson mehrfach bemerkt. Es geht also nicht vorrangig um literarische Motive, Figuren und Imaginationen. Stattdessen will Hokanson untersuchen, auf welche Weise Frauen am Empire-Building mitwirkten und wie sich selbst und ihren Beitrag wahrnahmen (S. 16). Hokanson versteht die Texte als Teil der kulturellen Festigung des imperialen Projekts. Der enge Zusammenhang der ausgewählten Schriften mit der russländischen Expansion ist offensichtlich: „Their journeys correlated closely with Russia’s imperial advances and aspirations at the cusp of the nineteenth and twentieth centuries, and their words were saturated by the particular imperial consciousness of that period“ (S. 5). Zugleich möchte Hokanson aber auch die Leben russischer Frauen in Zentralasien darstellen, die sie als „important but little-studied element of Russian imperial life“ versteht (S. 5). Tatsächlich überwiegt dieser Aspekt in den einzelnen Kapiteln oft. Hokanson verwendet viel Zeit darauf, sich in die Erlebnisse, Schreibpositionen und Erzählweisen der Autorinnen einzufühlen.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, die die acht Autorinnen nach ihren Tätigkeitsbereichen und geografischen Schwerpunkten unterscheiden: Begleitung des im Staatsdienst tätigen Ehemanns nach Turkestan (Teil I); Rivalität mit Großbritannien im Pamir-Gebirge und in Indien (Teil II); wissenschaftliche Expeditionen (Teil III). Der erste Teil untersucht die Aufzeichnungen von Varvara Duchovskaja (1854–1931) und Elena Apreleva (1846–1923). Duchovskajas Memoiren erlauben einen Einblick in die politische Repräsentation an der imperialen Peripherie und die emotionalen Kosten, die die langen Trennungen von der eigenen Verwandtschaft und den russischen sozialen und politischen Zentren für die Autorin verursachten.2 In Aprelevas Texten treten Zentralasien, seine Landschaft und seine Bevölkerung etwas stärker in den (russischen) Blick als bei Duchovskaja. Sie fungieren aber vor allem als orientalisches Gegenüber, um den „zivilisierenden“ Charakter der russischen Herrschaft zu betonen, auch wenn Apreleva zuweilen Phänomene wie Ausbeutung, Unterdrückung und Bestechung als russische Unzulänglichkeiten bemerkt.

In Teil II wird deutlich, dass die russische Eroberung Zentralasiens von den ausgewählten Autorinnen als Dreiecksbeziehung gedeutet wurde, die neben Russland und dem asiatischen Gegenüber stets die westeuropäische Konkurrenz umfasste. Wenig überraschend versuchten die Autorinnen, das russische Vorgehen von Großbritanniens Kolonisierung des indischen Subkontinents abzugrenzen, etwa wenn sie Russlands größere Nähe zu Asien als vorteilhaft und seine Herrschaft als „humaner“ darstellten (so Elena Blavackaja, 1831–1891). Im dritten Teil versammelt Hokanson schließlich vier Autorinnen, die allesamt Teilnehmerinnen wissenschaftlicher Expeditionen nach Zentralasien und China waren und dort „imperiales Wissen“ in den Bereichen Archäologie, Botanik und Ethnografie sammelten. Diese „scientific practitioners of empire“ (S. 191) waren in Begleitung ihres Ehemanns oder als eigenständige Wissenschaftlerinnen unterwegs (wobei sich diese Rollen, wie Hokanson richtig bemerkt, kaum sauber voneinander trennen lassen).

Was genau an dem produzierten Wissen imperial war, wie die Autorinnen zu „imperialen Praktikerinnen“ wurden und welche Schlussfolgerungen dies für das – ja nicht unerforschte – Verhältnis von Wissenschaft und Imperialismus hat, wird dabei leider kaum reflektiert. Auf knapp 350 Seiten erfährt man viel über die ausgewählten Autorinnen und ihre Erlebnisse im russländisch kolonisierten Zentralasien zwischen 1868 und 1910. Hokanson versäumt es aber, die Texte intensiv auf die Forschungslandschaft zu beziehen und zentrale Konzepte weiterzuentwickeln. Das „besondere imperiale Bewusstsein“ der Texte wird beispielsweise konstatiert (S. 5), aber nicht mit Inhalt gefüllt. Dabei hätten sich viele aufschlussreiche Analyserichtungen angeboten. Manche der Frauen schreiben unter einem männlichen Pseudonym, andere nennen selbstbewusst den eigenen Namen, während wieder andere die Schilderung des eigenen Lebens mit dem Tod des Ehemanns abbrechen. Was sagt uns das über die öffentliche Benennung von weiblicher Aktivität in der russländischen Gesellschaft? Welche weiblichen Handlungsspielräume lassen sich erkennen, und wie kann man die offensichtliche Pluralität der Rollenmodelle von russischen Adelsfrauen innerhalb und jenseits ihres Ehelebens konzeptualisieren? Eine andere Möglichkeit wären die imperialen Herrschaftspraktiken und ihre Verzahnung gewesen, die in den Texten in großer Vielfalt hervortreten. Schließlich wäre auch ein tieferes Nachdenken über den russischen Blick auf Zentralasien und damit zusammenhängende geografische Imaginationen eine lohnende Richtung gewesen, möglicherweise in Form einer gründlicheren, vergleichenden Auseinandersetzung mit dem Kaukasus als literarisch konstruiertem Raum.

Hokansons Studie enthält Ansatzpunkte und Quellenaussagen zu allen diesen Themen. Es fehlt aber an der konsequenten Entfaltung. Im Ergebnis versammelt das Buch so zwar aufschlussreiche historische Literatur und hochinteressante Autorinnen, liest sich aber – wie seine Quellen – eher wie eine Erkundung und nicht wie eine Analyse. Bei allem Bedauern über diese ungenutzten Chancen zeigt Hokanson allerdings eindrücklich, dass es sich lohnt, auf die Suche nach den Frauen des Empires zu gehen: Es gab sie in Küchen und Klöstern ebenso wie in Jurten und auf der Jagd.

Anmerkungen:
1 Vgl. Ulrike Lindner / Dörte Lerp (Hrsg.), New Perspectives on the History of Gender and Empire. Comparative and Global Approaches, London 2018.
2 Benjamin Schenk hat bereits mit diesen Schriften gearbeitet: Benjamin Schenk, „Ich bin des Daseins eines Zugvogels müde“. Imperialer Raum und imperiale Herrschaft in der Autobiographie einer russischen Adeligen, in: L'Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 23 (2012), S. 49–64.

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