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Titel
Von verschiedenen Standpunkten. Die Darstellung jüdischer Erfahrung im Film der DDR


Autor(en)
Schoß, Lisa
Reihe
Schriftenreihe der DEFA-Stiftung
Erschienen
Anzahl Seiten
654 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Hofmann, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig

Die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Jüdinnen und Juden im Film hat vor dem Hintergrund des von der Hamas verübten Massakers im Oktober 2023, des anschließenden Kriegs im Gazastreifen und des sich seither immer offener äußernden Antisemitismus besondere Aktualität erhalten. Der Einsatz von Bildern und Filmaufnahmen in gegenwärtigen Debatten unterstreicht die enorme Bedeutung audiovisuellen Materials für politische Auseinandersetzungen sowie für die Verbreitung von Ideologien. Umso wichtiger erscheint die wissenschaftliche Erforschung filmischer Repräsentationen von Jüdinnen und Juden, da sie zur Reflexion über Bilder und audiovisuelle Narrative anregen kann, die kollektive Vorstellungen und historische Gedächtnisse prägen.

Die jüdische Filmgeschichte hat sich im deutschsprachigen Raum allerdings erst in den letzten Jahren zu einem produktiven Forschungsfeld entwickelt.1 Wichtige Arbeiten in diesem Bereich haben die Bedeutung von Geschichtsbildern in der medialen Auseinandersetzung mit der Schoa sowie die Darstellung jüdischer Figuren im Spielfilm der Bundesrepublik untersucht.2 Der Filmgeschichte der DDR wurde in der deutschsprachigen wie in der internationalen Forschung indes vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zuteil. Allerdings hat ein Nachschlagewerk zur audiovisuellen Repräsentation von Jüdinnen und Juden in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR eine Grundlage für künftige Forschungen gelegt. Zudem ist eine erste Arbeit zur Darstellung der Schoa im ostdeutschen Film erschienen.3 Lisa Schoß hat nun mit „Von verschiedenen Standpunkten“ eine umfassende Studie zur Repräsentation von Jüdinnen und Juden im Film der DDR vorgelegt, die in vielerlei Hinsicht Neuland erschließt.

Das Buch, das aus einer Dissertation hervorgegangen ist, legt den Schwerpunkt auf Kinofilme der Deutschen Film AG (DEFA), bezieht aber auch ausgewählte Produktionen für das ostdeutsche Fernsehen mit ein. In grob chronologisch angeordneten Kapiteln stehen die Filme im Zentrum. Schoß verbindet detaillierte Filmanalysen mit grundlegenden inhaltlichen wie auch ästhetischen Entwicklungen der Filmproduktion sowie der Kulturpolitik der DDR. Zudem erläutert sie die historischen Kontexte der Filme. Darüber hinaus bietet Schoß Einblicke in das Wirken jüdischer Filmschaffender und fragt nach der Bedeutung ihrer individuellen Erfahrungen für deren Arbeit. So entsteht ein vielschichtiges Panorama der Kultur- und Ideologiegeschichte sowie der Konjunkturen der Erinnerungspolitik. Dabei kann Schoß zeigen, dass Filme angesichts von staatlichem Propagandaauftrag und Zensur zwar oftmals herrschende Bilder und Narrative reproduzierten, aber auch mitunter Ideologeme differenzieren oder gar unterlaufen konnten.

Zu Beginn stellt Schoß heraus, dass jüdische Themen und Figuren in der DDR nahezu ausschließlich in Filmen vorkamen, welche die nationalsozialistische Vergangenheit thematisierten. Dementsprechend waren sie vom Konzept des Antifaschismus geprägt, das die zentrale Grundlage für das Selbstverständnis der DDR bildete. Die Vorstellung des ostdeutschen Gemeinwesens als Gegenentwurf zum Nationalsozialismus zog nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl überlebende als auch aus dem Exil zurückgekehrte Jüdinnen und Juden an. Zudem ermöglichte sie die Thematisierung der nationalsozialistischen Verbrechen. In den 1950er-Jahren erstarrte der Antifaschismus aber zum staatlich verordneten Dogma. Die These vom Faschismus als höchster Form des Imperialismus wurde damit zur Grundlage der Verwischung von Grenzen zwischen Opfergruppen, trug zur Marginalisierung jüdischer Perspektiven bei und ermöglichte Verdrängung und Schuldabwehr.

Die Ambivalenzen des Antifaschismus im Land der Täter zeigten sich bereits in den ersten Filmproduktionen der SBZ. In der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden mehrere Filme, die sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit befassten und jüdische Erfahrungen thematisierten. Allerdings zeigt Schoß, dass die ersten Produktionen der DEFA oftmals noch von der Bildsprache des Dritten Reichs geprägt waren. Auch wenn sie wie „Ehe im Schatten“ (1947) von einem Regisseur jüdischer Herkunft gedreht wurden, hatte die Mehrzahl der übrigen Mitarbeitenden zuvor in der nationalsozialistischen Filmproduktion gewirkt. Das Resultat waren auf Gefühle abzielende Melodramen, die zur Verbreitung von Menschlichkeit und moralischem Handeln beitragen sollten. Zugleich universalisierten sie aber Opfererfahrungen, während Figuren des „guten Deutschen“ Wege der Selbstentlastung eröffneten.

Mit der Gründung der DDR und dem Beginn des Kalten Kriegs wurde die DEFA der SED unterstellt. In der Folge konzentrierten sich Filmproduktionen auf den Aufbau des Sozialismus und die politische Wandlung der Bevölkerung. Jüdische Erfahrungen wurden dabei nur noch implizit und am Rande thematisiert. Da die DDR-Führung darauf abzielte, die Bevölkerung für den neuen Staat zu gewinnen, wurden Filme, die sich kritisch mit sogenannten Mitläufern befassten, verboten. Zwischen 1951 und 1955 waren dann vor dem Hintergrund der antisemitischen Kampagnen im gesamten Ostblock und des Volksaufstands in der DDR keine jüdischen Figuren im breitenwirksamen Film der DDR zu sehen.

Angesichts der Verschärfung des Kalten Kriegs dienten jüdische Filmfiguren ab Mitte der 1950er-Jahre zunehmend als propagandistisches Mittel in der Auseinandersetzung der Systeme. Filme wie „Zwischenfall in Benderath“ (1956) thematisierten die Fortdauer von Antisemitismus in der Bundesrepublik. Die Auseinandersetzung mit Judenhass wurde abgespalten und auf den Systemrivalen projiziert, was der Affirmation des Bilds der DDR als Gegenentwurf diente. Diese Funktion behielten Filme, welche die nationalsozialistische Verbrechen thematisierten, über Jahrzehnte bei. So entstanden vor dem Hintergrund des Gerichtsprozesses gegen Adolf Eichmann verschiedene Kampagnenfilme, die auf Elitenkontinuitäten zwischen Nationalsozialismus und der Bundesrepublik abzielten. Kritik an der mangelnden Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit wurde dabei immer wieder mit antizionistischen Invektiven verknüpft, die zumeist jüdische Figuren aussprachen.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Schoß dem Werk von Konrad Wolf, der sich in vielen seiner Filme mit dem Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg und der Schoa beschäftigte. Dabei arbeitet sie insbesondere die Ambivalenzen der filmischen Zeugnisse heraus. So beschreibt sie, wie Wolf in „Sterne“ (1959) – dem ersten deutschen Film, der sich mit den Deportationen nach Auschwitz befasste – zwar die Wandlungsgeschichte eines guten Deutschen ins Zentrum stellte, diese aber zugleich konterkarierte, da die Hilfsaktionen der Hauptfigur für die internierten Jüdinnen und Juden immer wieder scheitern. Zugleich zeichnete sich der Film durch zahlreiche audiovisuelle Referenzen an die Schoa aus und verwies auf die Unentrinnbarkeit der deutschen Vernichtungsmaschinerie.

In den 1970er-Jahren waren nur wenige Kinofilme mit jüdischen Themen und Figuren zu sehen. Dafür entstanden aber verschiedene Fernsehproduktionen, die einen neuen Blick auf jüdische Erfahrungen im Nationalsozialismus ermöglichten. „Jakob der Lügner“ (1974) zeigte etwa den Alltag in einem nationalsozialistischen Getto und thematisierte die Nöte der jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner, ohne dass sie zum bloßen Objekt für die Rettung durch kommunistische Widerständler wurden. Die Miniserie „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ (1972) erzählte erstmals aus der Perspektive eines jüdischen Überlebenden eine Geschichte von Deportation, Lagerhaft und Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus. Zwar nahm die Produktion charakteristische Elemente des herrschenden Antifaschismus-Konzepts auf, indem sie etwa auf Elitenkontinuitäten in der Bundesrepublik anspielte. Allerdings thematisierte die Serie auch jüdisches Leben vor der Schoa, machte auf Traumata aufmerksam und verwies in eindrücklichen Szenen auf das industrielle Morden in Auschwitz. Während derartige Fernsehproduktionen versuchten, die erwachende Erinnerung an die Schoa mit dem offiziellen Konzept des Antifaschismus zu verbinden, entstanden parallel aber auch Mehrteiler, die vor dem Hintergrund der staatlichen Erinnerungspolitik judenfeindliche Stereotype reproduzierten und einen israelbezogenen Antisemitismus propagierten wie „Ich, Axel Caesar Springer“ (1968–1970).

In den 1980er-Jahren ermöglichte das nun staatlich forcierte Holocaustgedenken und die Neubesetzung der Spitze der DEFA eine offenere Auseinandersetzung mit jüdischen Themen. „Die Schauspielerin“ (1988) näherte sich etwa anhand einer Liebesgeschichte im Nationalsozialismus Fragen von jüdischer Sichtbarkeit sowie der vermeintlichen Affinität von Jüdinnen und Juden zu Theater und Rollenspiel. Da die nichtjüdische Titelheldin ihren eigenen Suizid fingiert, um mit ihrem jüdischen Geliebten vereint zu sein, produzierte der Film jedoch stereotype Bilder über den vorgeblich effeminierten jüdischen Mann. Letztlich führte die Handlung zur Glorifizierung einer nichtjüdischen Heldin vor dem Hintergrund des jüdischen Schicksals.

Mittels eingehender Filmanalysen und breiter Kontextualisierung führt Schoß souverän durch die Filmgeschichte der DDR und eröffnet überzeugende Deutungsperspektiven. Dabei gelingt es ihr, Film- mit Ideologiegeschichte, die Entwicklung von Staat und Gesellschaft sowie die Positionierung jüdischer Filmschaffender zu verbinden. Durch die Fülle des Materials – Schoß hat für die Arbeit 50 Kinofilme und über 80 TV-Produktionen ausgewertet – ergibt sich eine breite Gesamtschau über die Verhandlung jüdischer Themen im Spielfilm der DDR.

Allerdings weist das Buch auch einzelne Mängel auf. So wird der chronologische Aufbau durch Kapitel zur Darstellung Israels, zum Fernsehen oder zu Konrad Wolf durchbrochen. Die Folge sind zahlreiche Querverweise zwischen einzelnen Kapiteln. Zudem ist zu bedauern, dass die Kategorie der jüdischen Erfahrung nicht konsequenter konturiert wurde. In zahlreichen Filmen, die Schoß behandelt, erscheinen jüdische Figuren als passive Opfer oder Projektionsflächen. Auf die Frage, ob es sich dabei überhaupt um die Darstellung jüdischer Erfahrungen handelt, geht Schoß leider nicht ausführlich ein. Angesichts der herausragenden Bedeutung der jüdischen Erfahrung für die Arbeit wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Konzept wünschenswert. Dies ist umso mehr der Fall, da die Verknüpfung der Biografien jüdischer Filmschaffender mit ihrem künstlerischen Wirken zu den ertragreichsten Aspekten der Studie gehört.

Diese kleinen Kritikpunkte ändern jedoch nichts an der außerordentlichen Qualität der Studie, die mit erhellenden Filminterpretationen, umfassenden Kontextualisierungen und scharfsinnigen Deutungen aufwartet. In Zukunft wird niemand, der sich mit der jüdischen Filmgeschichte in der DDR befasst, an der Arbeit von Schoß vorbeikommen. Auch für die Kulturgeschichte der DDR und die jüdischen Studien insgesamt ist die Arbeit eine Bereicherung.

Anmerkungen:
1 Lea Wohl von Haselberg / Lucy Alejandra Pizaña Pérez (Hrsg.), Jüdischer Film. Ein neues Forschungsfeld im deutschsprachigen Raum, München 2022.
2 Tobias Ebbrecht, Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, Bielefeld 2011; Lea Wohl von Haselberg, Und nach dem Holocaust? Jüdische Spielfilmfiguren im (west-)deutschen Film und Fernsehen nach 1945, Berlin 2016.
3 Elke Schieber, Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisueller Medien der SBZ und der DDR 1946 bis 1990 – Eine Dokumentation, Berlin 2016; Elizabeth Ward, East German Film and the Holocaust, New York 2021.

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