Verglichen mit anderen Städten des mittelalterlichen Reichsgebiets ist Nürnberg ein recht junger Ort: Wohl auf einen slawischen Siedlungspunkt zurückgehend und erstmals für 1050 namentlich als Nǒrenberc belegt1, waren politisches Prestige und Wirtschaftsstärke der Pegnitzstadt am Ende des Mittelalters jedoch kaum zu überschätzen. Die Grundlagen ihres Bedeutungszuwachses, für den der Status der Reichsunmittelbarkeit von zentraler Bedeutung war, wurden indes – so legt es der hier besprochene Band überzeugend dar – in staufischer Zeit geschaffen. Als Nachweis ihrer Stellung im Herrschaftsgefüge des Regnums galt den Nürnbergern der „Große Freiheitsbrief“, ein am 8. November 1219 ausgefertigtes Privileg des Staufers Friedrich II., das vor allem die städtischen Marktrechte stärkte und den römisch-deutschen König ohne Zwischeninstanz zum Stadtherrn bestimmte. Das 800-jährige Jubiläum des Erlasses bot Anlass zu einem Symposium, das am 8./9. Januar 2019 im Stadtarchiv Nürnberg stattfand und auf dessen Programm der vorliegende Tagungsband basiert. Insgesamt arbeiten 13 einschlägig versierte Spezialist:innen perspektivreich heraus, wie und warum Nürnberg ab dem Hochmittelalter an politischer wie wirtschaftlicher Bedeutung gewann. Die Beiträge sind nicht auf Sektionen verteilt, ihre Abfolge lässt keinen eindeutigen (zum Beispiel chronologischen oder thematischen) Plan erkennen.
Zum Einstieg liefert der Beitrag von Dieter J. Weiß weit mehr als den titelgemäß erwartbaren Abriss über „Nürnberg im Hochmittelalter“ (S. 1). Er stellt einleitend klar, dass in Bezug auf das Privileg Friedrichs II. unterschieden werden müsse zwischen „Freiheit“ im Sinne der ab 1219 de facto erweiterten Rechtsstellung von Nürnberg und einer Gleichsetzung des Begriffs mit „Reichsunmittelbarkeit“, von der ebendort keine Rede sei. Wie derselbe arbeitet anschließend auch Gerhard Lubich weiterhin die Beziehungen der Stadt zu den salischen und besonders den staufischen Königen als zentralen Faktor der weiteren Standortentwicklung heraus. Neben wiederholten Aufenthalten und Privilegierungen sei es „vielmehr die Summe aus einzelnen, konkreten Anlässen und räumlich-infrastrukturellen Gegebenheiten, die den Weg hin zur Etablierung der Stadt als integralem Bestandteil des Reiches ermöglichte“ (S. 30).
Drei Beiträge widmen sich der kirchen- und ordensgeschichtlichen Entwicklung Nürnbergs und ihrer Wechselwirkungen mit königlicher Herrschaft und Stadtgenese: Umfassend behandelt Enno Bünz die frühen Jahre der Stadtpfarreien St. Sebald und St. Lorenz, bei denen es sich ursprünglich um Tochterkirchen der Gemeinden von Poppenreuth und Fürth gehandelt habe. Erst ab dem 13. Jahrhundert seien sie durch die Vereinigung von Mutter- und Tochtergemeinde sowie die Verlegung des Hauptsitzes zur Eigenständigkeit in Nürnberg gelangt. Helmut Flachenecker weist auf das Konfliktpotenzial von Nürnbergs Lage im Grenzraum der drei fränkischen Diözesen Bamberg, Eichstätt und Würzburg sowie auf die Absicherung des königlichen Stadtbesitzes beiderseits der Pegnitz gegenüber dem ab 1016 zuständigen Bischof von Bamberg hin, die mittels des Schottenklosters St. Egidien und der Deutschordenskommende St. Jakob geschehen sei. Im Vergleich mit weiteren königlichen Städten nimmt Peter Rückert das gemeinhin von Nähe und herrscherlichen Gunsterweisen geprägte Verhältnis zwischen staufischen Königen und Zisterziensern in den Blick. Besonders die Zisterzienser aus Heilsbronn identifiziert er als „Protagonisten und Nutznießer staufischer Klosterpolitik“, deren durch Protektion und Privilegien geförderte Präsenz in Nürnberg die Stadtentwicklung wesentlich prägte (S. 131).
Einen weiteren thematischen Aspekt eröffnet Andreas Weber, der auf die verhältnismäßig gering erforschten Ursprünge der Nürnberger Judengemeinde eingeht. So lasse sich eine erste Phase jüdischer Präsenz im 12. Jahrhundert bis zur Vertreibung im Zuge der Rintfleischverfolgungen (1298) eingrenzen und möglicherweise auf ein Schutzersuchen bei Friedrich I. (1146) zurückführen. Anfang des 13. Jahrhunderts habe die dortige Judengemeinde bereits eine „herausgehobene Stellung in Süddeutschland“ (S. 94) besessen, sodann gegen Jahrhundertende über alle wichtigen Gemeindeeigenschaften und Organisationsstrukturen verfügt und einen wichtigen Faktor im Wirtschaftsleben der Stadt dargestellt.
Ferdinand Opll widmet seinen Beitrag den „Pfalz- und Burgstädte[n] in der Stauferzeit“ (S. 133) und vergleicht mit Nürnberg, Hagenau und Gelnhausen drei Städte, die ihre Ausbildung in der Stauferzeit erlebt und über naturräumliche Parallelen verfügt hätten (S. 134). Über vier thematische Zugänge (kirchliche Topographie, soziale Verhältnisse und städtische Verfassung, Stadtentwicklung auf Siegeln und Münzen, Wirtschaftskraft) schärft er „ein aussagekräftigeres Profil“ (S. 162) zum Vergleich ihrer Entwicklung.
Erst in der Mitte des Bandes begegnet der Beitrag von Christian Friedl, nimmt er doch in ausführlicher materieller und inhaltlicher Analyse die „Königsurkunde Friedrichs II. vom 8. November 1219“ (S. 163) in den Blick, deren Entstehungsjubiläum doch impulsgebend für die Herausgabe des Bandes gewesen ist. Dies mag am komparatistischen Ansatz des Textes liegen, der die Jahre 1212 bis 1220, das heißt die Aufenthaltszeit Friedrichs II. im deutschsprachigen Reichsgebiet, als „Phase […] beginnender Synergien und Innovationen im Urkundenbild“ (S. 171) charakterisiert, in der die Traditionen des deutschen und des sizilisch-normannischen Urkundenwesens aufeinandertrafen. Das Nürnberger Privileg stehe jedoch klar in salisch-staufischer Tradition, bilde damit auch keine Ausnahme.
Ebenso vergleichend beantwortet Knut Görich die Frage, ob die aus Sizilien bekannte Form von Städtepolitik für Friedrich II. bei der Privilegierung Nürnbergs als Muster gedient habe. Er folgert, dass dessen Handeln „situativ und je nach politischer Opportunität“ (S. 195) geschah, die bevorstehende Rückkehr nach Italien ihm aber offenkundig als guter Zeitpunkt erschien. Das Nürnberger Dokument könne rückblickend als Gunsterweis, zudem eventuell vorausschauend gedeutet werden. So habe der Staufer städtische Autonomie in einer Art „kooperativer Loyalität“ (S. 185) dann in breitem Maße anerkannt, wenn Städte ihn anerkannten; Wechselwirkungen von Treue und Belohnung unterschieden sich beiderseits der Alpen nicht.
Nur am Rande widmet sich der Beitrag von Klaus Herbers dem Nürnberger Ereignis von 1219. Sein Blick richtet sich mit Schwerpunkten auf das Vierte Laterankonzil (1215) sowie das Aufkommen neuer Ordensformen, namentlich der Dominikaner und Franziskaner, auf den breiteren historischen, insbesondere kirchengeschichtlichen, Kontext des 13. Jahrhunderts. Mit der Bedeutung Nürnbergs innerhalb des Reichsgebiets befasst sich Caspar Ehlers in seiner Analyse der Itinerare hochmittelalterlicher deutscher Könige. Während erste Aufenthalte der Salier ab 1050 feststellbar seien, lasse sich die Verschiebung der Stadt aus der Peripherie ins Zentrum in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ausmachen.
Anja Grebe widmet sich dem Thema aus kunsthistorischer Perspektive, die für das 12. und 13. Jahrhundert vor allem auch in vergleichenden Ansätzen bislang nur wenig „Würdigung“ (S. 238) erfahren habe, mit Schwerpunkten auf die Doppelkapelle der Kaiserburg sowie weitere stauferzeitliche Kunst aus und in Nürnberg (unter anderem Münzen als früheste nachweisbare Kunstzeugnisse). Gerade interdisziplinäre Ansätze, unter anderem durch Einbezug der Bauforschung, seien für die Zukunft zu begrüßen, wenngleich sich konstatieren lasse, dass es in Nürnberg kaum noch Bauten gebe, die nicht „restauriert, verändert, überformt oder teilzerstört“ (S. 241) seien. Der Band schließt mit einem Beitrag von Franz Fuchs zur Rezeption der lokalen Staufertradition in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Vor allem zwei Werke hätten zeitgenössisches Wissen über die hochmittelalterliche Vergangenheit der Metropole geprägt: zum einen die Chronik des humanistisch interessierten Benediktiners Sigismund Meisterlin (ca. 1435–1497), zum anderen ein fiktiver, nach 1198 versetzter Turnierbericht des Herolds Gerold Rüxner von 1530.
Ein Vorwort der Herausgeber, das das Veranstaltungsprogramm rekapituliert, ein Personen- und ein Ortsregister, sowie ein Verzeichnis der Mitarbeiter:innen flankieren die Beiträge. Die insgesamt 71 Farbabbildungen in überwiegend sehr guter Qualität sind ein Plus, wenngleich der doppelte Abdruck einer Karte (S. 89, 127) mit lediglich geänderter Bildunterschrift hätte vermieden werden können.
Die Publikationstätigkeit zum mittelalterlichen Nürnberg ist facettenreich und, auch gemessen mit der wissenschaftlichen Thematisierung ähnlich dimensionierter Städte des mittelalterlichen Reichsgebiets, als äußerst produktiv einzustufen. Dennoch verdient vorliegender Band innerhalb dieses thematisch wie (inter-)disziplinär vielfältigen Literaturspektrums besondere Beachtung. So wendet er sich nicht, wie bereits zahlreich geschehen, der spätmittelalterlichen Reichsstadt auf der Höhe ihrer politischen und wirtschaftlichen Stärke zu, sondern füllt eine Lücke der neueren Forschung, indem er Nürnbergs Weg zu diesem Status und die dabei geschaffenen Grundlagen des zukünftigen Erfolgs in den Fokus rückt. Bereits angesprochen wurde das Fehlen einer klaren Gliederungsstruktur und nicht jeder Beitrag fügt sich gleichermaßen harmonisch in das Gesamtensemble ein, doch tut dies dem Mehrwert des Bandes insgesamt keinen Abbruch: Wie von den Herausgebern anvisiert (S. IX), bietet er eine aktuelle und in der Themensetzung breite Ausgangsbasis sowie zahlreiche Anknüpfungspunkte einer weiterführenden Auseinandersetzung mit der stauferzeitlichen Geschichte Nürnbergs, nicht zuletzt in vergleichender Perspektive. Zwar würde das Gros der enthaltenen Beiträge wohl auch alleinstehend publiziert „funktionieren“, doch ist es gerade das Verdienst dieser Publikation, sie für den einschlägig kompakten Zugriff zusammenzuführen und eine weitreichende wie fundierte Gesamtschau über die hochmittelalterlichen Wurzeln der aufkeimenden Metropole zu schaffen. Ihre Lektüre sei somit klar empfohlen.
Anmerkung:
1 Harry Breslau / Paul Kehr (Hrsg.), Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser. Fünfter Band: Die Urkunden Heinrichs III., Berlin 1931, Nr. 253.