Cover
Titel
Kriegerdenkmäler in Oberbayern. Von der Heldenverehrung zum Friedensmahnmal


Autor(en)
Göttler, Norbert; Tworek, Elisabeth
Erschienen
Anzahl Seiten
159 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Hettling, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Kriegerdenkmäler oder Kriegerdenkmale1 sind einfache und schwierige Gegenstände für die historische Forschung. Die dreidimensionale Präsenz im öffentlichen Raum, die Verbindung von Symbolik und Sprache, der Verweis auf Krieg, Gewalt und Tod vermitteln eine Präsenz und Suggestivität der Bedeutung, welche sich unterscheidet von der Distanz vieler Untersuchungsgegenstände der Historie, die sich nur durch Aktenstudium erschließen lassen. Schwierig aber sind Kriegerdenkmale als Untersuchungsgegenstand, weil sie eine Massenquelle darstellen, bei der oft nur schwer zu ermitteln ist, welche Objekte von früher inzwischen verschwunden sind. Und weil die objekthafte Gegenwärtigkeit nur einen kleineren Teil des Bedeutungsraums präsentiert, in dem das Denkmal steht – wie beim Eisberg, bei dem nur der deutlich kleinere Teil über der Oberfläche schwimmt und sichtbar ist. Die geschichtswissenschaftliche Erschließung der vergangenen Deutungsräume, in denen und aus denen Denkmäler errichtet wurden, steht dabei immer in der Spannung zur politischen Deutung aus dem Werthorizont der Gegenwart. Dabei wiederum ist es verführerisch und allzu leicht, die vergangenen Deutungen, die uns objekthaft mehr oder oft weniger unverändert in Denkmalen gegenüberstehen, als „anders“ zu kritisieren und den heutigen Betrachter zu belehren.

Von letzterem ist der an sich informative, auch reich bebilderte, Band nicht ganz frei. In Deutschland ist es gemeinhin üblich, „Kriegerdenkmale“ eher als „Steine des Anstoßes“2 zu betrachten. Der Begriff „Kriegerdenkmal“ wurde nach 1813 geprägt – als Freiwillige sich zum Militär meldeten, gegen die napoleonische Besatzung und der in der vormodernen ständischen Welt negativ besetzte Begriff des „Soldaten“ inadäquat wurde, um die nun deutlich größere soziale Breite der Kriegsteilnehmer zu bezeichnen. Mit „Krieger“ griff man auf einen alten Begriff zurück, der positiv konnotiert war und sprachlich eher dem hohen Stil entsprach. Ebenfalls eine Neuprägung nach 1800 war der Begriff „Gefallene“ für alle ums Leben gekommenen aktiven Kriegsteilnehmer. Ein Zugang zum Genre Kriegerdenkmal wie etwa in Großbritannien erscheint in Deutschland vielfach befremdlich.3 Das liegt aber nur zum geringsten Teil daran, dass im Englischen der „warrior“ analog zum deutschen „Krieger“ ebenfalls populär wurde und noch ist, etwa im „Tomb of the Unknown Warrior“ in Westminster Abbey 1920. Die normative Distanzierung vom Nationalsozialismus und dessen verbrecherischer Kriegspolitik und -praxis überlagert in Deutschland seit 1945 auch die öffentliche Wahrnehmung und die historische Beschäftigung mit den Erscheinungsformen des früheren Gefallenengedenkens. Wie es manchmal scheint, mit wachsendem Abstand sogar in immer größerem Ausmaß.

Was bietet der Band, der zeitlich erfreulicherweise einen langen Bogen spannt und weit vor das 20. Jahrhundert zurückgreift? Zunächst, das ist hier eindeutig positiv gemeint, präsentiert er den Überblick über eine Region, Oberbayern, das altbayrische Zentrum um München, zwischen Ingolstadt, Garmisch-Partenkirchen und Berchtesgaden. Religiös geprägt durch den Katholizismus, politisch der Kern des Kurfürstentums und, seit 1806, des Königreich Bayerns, seit 1918 des Landes Bayern in Deutschland. Das ist hervorzuheben, denn nach wie vor gibt es kaum Regionalstudien zu Kriegerdenkmälern in Deutschland, und auch gründliche Untersuchungen zum katholisch geprägten politischen Totenkult in Deutschland, um den durch Reinhart Koselleck geprägten Begriff zu verwenden, sind Mangelware.4

Deshalb ist die Studie, eher für ein breiteres Publikum als für die Fachwelt geschrieben, vor allem durch das Material, das sie präsentiert, hilfreich. Sie offeriert zuerst einen chronologisch gestalteten Überblick über Denkmäler zu Kriegstoten seit der Vormoderne (die aber für frühere Zeiten oft erst im 19. Jahrhundert errichtet wurden); zweitens ein typologisch gegliedertes Kapitel über die Formensprache (religiöse, militärische, heraldische, klassizistische etc. Symbole). Ein kürzeres Kapitel stellt für die Autoren gewissermaßen erwünschte (Friedensmahnmale) und unerwünschte (betont heroisierende bzw. revanchistische) Sonderbeispiele vor. Knapp sind die Beispiele für vollzogene Umwidmungen (leider ohne Hinweise auf die Auswahlkriterien, sind es bloße Zufallsfunde?), sehr allgemein die abschließenden „Handlungsempfehlungen“ (S. 154f.). Letztere sind vom Impuls getragen, das Kriegerdenkmal umzuwidmen zum „Friedensmahnmal“, zum Material für „Engagement in Menschenrecht- und Friedensarbeit“ (S. 155). Das hat seinen Preis, denn Geschichtsschreibung in volkspädagogischer Absicht, als politische Therapie der Gegenwart, verliert ihren genuine Aufgabe aus dem Blick, die Vergangenheit zu analysieren, die historischen Zusammenhänge hinter den fragmentarisch überlieferten Geschehnissen, den „Geschäften“, wie Johann Gustav Droysen es nannte, sichtbar werden zu lassen.

So wäre es mehr als wünschenswert, im Rahmen einer wissenschaftlichen Regionalstudie genau zu analysieren, welche Objekte wann von wem mit welchen Deutungsintentionen errichtet wurden. Waren es die Überlebenden, also die Zeitgenossen der Kriegsteilnehmer und Gefallenen, oder handelt es sich um historische Monumente der Nachgeborenen – wie die Denkmale in Erinnerung an die „Sendlinger Mordweihnacht“ von 1705, die im 19. Jahrhundert errichtet worden sind, oder inzwischen bei den neuen Denkmalen für Opfer der nationalsozialistischen Gewalt. Zweitens wünschte sich der Historiker eine umfassende und zugegebenermaßen mühsame empirische Analyse, welche errichteten Denkmale seitdem wieder entfernt wurden. Jede Denkmalslandschaft, nur vermeintlich „festgemauert in der Erden“, ist realiter in permanenter Veränderung begriffen. Nutzt man Denkmäler als empirischen Indikator für Einstellungen und Vorstellungen zur Zeit ihrer Errichtung, ist dieser veränderungsreflexive Blick unverzichtbar. Das aber erfordert aufwendige Archivarbeiten, die hier leider fehlen, auch in Ansätzen. Nur dann auch könnten serielle Analyseverfahren, die für Massenquellen eigentlich unverzichtbar sind, ihre Fruchtbarkeit zum Tragen bringen. Wenigstens ansatzweise oder exemplarisch wünschte man sich Auszählungen der zentralen Begriffe („Held“, „Vaterland“, „Ehre“ etc.). Drittens sind die Deutungen von Krieg, Tod und politischer Herrschaft, die sich in Kriegerdenkmalen manifestieren, immer vielfältig. Welche Verbindungen und Spannungen bestehen etwa zwischen religiösem Auferstehungsversprechen und politischen Legitimation des Kriegssterbens? In welchem Verhältnis stehen Bekundungen der Trauer um den Tod der Gefallenen und Bekundungen des Sieges im 19. Jahrhundert zueinander, in welchem Verhältnis Trauer und Sinnfrage nach 1918, welche Funktion übernimmt das religiöse Deutungsangebot nach 1945, als das politische meist ausgeblendet wird?

Gerade weil in Oberbayern eine vor allem auf dem Land sehr gut erhaltene Denkmalslandschaft vorhanden ist, weil ein hinreichender Kontrast zwischen den Städten, vor allem München, und dem ländlichen Raum besteht, weil Bayern – historisch gesehen – ein „besonderer“ Teil Deutschlands ist, wären derartige Analysen vielversprechend. Das wäre für den Historiker lohnender, als an die weitere Befreiung von „Zeugnissen ideologischen Mißbrauchs“ (S. 154) zu appellieren. Der vorliegende Band gibt Hinweise, wie geeignet und vielversprechend Oberbayern als Untersuchungsregion für Fragen dieser Art sein könnte, wenn auch Antworten spärlich bleiben.

Anmerkungen:
1 Die Frage der Pluralbildung von „Denkmal“, ob es nun Denkmale oder Denkmäler heißt, ist semantisch nicht zu beantworten, da im Deutschen beides möglich ist und kein Unterschied besteht; auch das Grimmsche Wörterbuch verweist auf beide Formen. Ironisch aufgelöst hat die Frage Robert Musil, indem er diese Frage des korrekten Plurals zu einem Definitionsmerkmal gemacht hat, zur „Eigenschaft, daß man nicht weiß, ob man Denkmale oder Denkmäler sagen soll“. Robert Musil, Denkmale, in: ders., Prosa und Stücke – Kleine Prosa – Aphorismen – Autobiographisches – Essays und Reden – Kritik, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 604–608, hier S. 604.
2 Justus H. Ulbricht, Zeichen der Erinnerung – Steine des Anstoßes. Anregungen zum Umgang mit den Denkmälern deutscher Kriege, Halle 2014 – ein guter, knapp einführender Überblick, der aber nicht darauf verzichtet, zum „nachdenklich-kritischen Umgang“ mit Kriegerdenkmalen Anleitungen zu geben (S. 139). Ähnliche Distanzierungsbekundungen etwa in einem analogen, ebenfalls im Detail informativen Band, in dem es als „pervers“ bezeichnet wird, wenn in früheren Zeiten Kriegsgefallene „pseudotheologische Rechtfertigung“ erfuhren: Peter Franz, Martialische Idole. Die Kriegerdenkmäler in Thüringen und ihre Botschaften, Jena 2001, S. 8.
3 Undenkbar wäre bei uns wohl eine Studie wie etwa Colin McIntyre, Monuments of War. How to read a War Memorial, London 1990, eine Art Anleitung, sich im Regionalen mit Kriegerdenkmälern zu beschäftigen, welche schlicht beginnt mit einem Kapitel „War memorials as a primary source for British social history“ (S. 17–28).
4 Als Regionalstudie, jedoch zu Denkmälern insgesamt, nicht nur zu Kriegerdenkmälern, ist auf eine mustergültige, leider zu wenig rezipierte Studie zu verweisen: Sönke Friedreich, Monumente (in) der Region. Denkmäler als Zeugnisse städtischer Erinnerungskultur in Sachsen (1871–1914), Leipzig 2020, die nicht nur einen Überblick über die sächsische Denkmalslandschaft aus der Zeit des Kaiserreichs bietet, sondern auch methodisch weiterführend ist, indem sie die unterschiedlichen Ebenen und beteiligten Akteure des komplexen Geschehens „Denkmalserrichtung“ systematisch analysiert.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension