Titel
Uniform Fantasies. Soldiers, Sex, and Queer Emancipation in Imperial Germany


Autor(en)
Schneider, Jeffrey
Reihe
German and European Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
344 S., 15 SW-Abb.
Preis
$ 42.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Gerster, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Die Geschichte des deutschen Kaiserreichs ist eine Geschichte voller Widersprüche. Darauf haben die Verfechter – und es waren bekanntlich vor allem Männer – der Sonderwegsthese früh hingewiesen. Sie diagnostizierten eine partielle gesellschaftliche Liberalisierung und gleichzeitig ein anhaltend autoritäres und illiberales Politik- und Staatsverständnis. Die holzschnittartige Gegenüberstellung ist seit Langem aufgegeben worden. Wie sich die widersprüchlichen Entwicklungen zueinander verhalten, steht jedoch weiterhin zur Diskussion. Als besonders gewinnbringend erweisen sich in diesem Zusammenhang Studien, die sich neuerer Forschungsansätze bedienen wie etwa der seit einigen Jahren diskutierten Queer History.1 Letztere zielt nicht darauf ab, an die Stelle der Frauen- und Geschlechtergeschichte zu treten, die für die Erforschung des Kaiserreichs wie des 19. sowie 20. Jahrhunderts insgesamt unerlässliche Dienste geleistet hat und noch immer leistet. Vielmehr geht es ihr darum, die Uneinheitlichkeit und Fluidität von Geschlecht in der Geschichte sichtbar zu machen.

Dem Forschungsanliegen der Queer History ordnet Jeffrey Schneider seine aktuelle Studie „Uniform Fantasies“ zu. Sie ist an der Schnittstelle von queerem Aktivismus und dem Militär angesiedelt, die nach Schneider bisher kaum die Aufmerksamkeit der historischen Forschung auf sich gezogen hat. Das überrascht, wie der Autor selbst in Vorwort und Einleitung unterstreicht, aus zwei Gründen: Zum einen war das Militär im Kaiserreich bekanntlich eine mächtige Institution und militärische Vorstellungen, Organisationen und Praktiken wirkten tief in die deutsche Gesellschaft der Zeit hinein. Zum anderen gilt das deutschsprachige Europa des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts als ein Ort, an dem wie an keinem anderen neue Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht formuliert und öffentlich diskutiert wurden. Das schlug sich in einer umfangreichen Publikationstätigkeit ebenso nieder wie in ersten organisatorischen Zusammenschlüssen – darunter dem von Magnus Hirschfeld und anderen 1897 gegründeten „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“, das sich zum Ziel gesetzt hatte, öffentlich über Homosexualität zu informieren. Dass beide Entwicklungen – militärischer Folklorismus und sexuelle Emanzipation – Berührungspunkte miteinander hatten, wurde in der Geschichtswissenschaft, wie Schneider eingangs herausstellt, bisher vor allem anhand von öffentlichen Debatten und Skandalen, die dies offensichtlich machten, thematisiert. Das galt etwa für die Diskussionen um Soldatenmisshandlungen, die nicht nur ein Thema in den Reichstagsdebatten waren, sondern für all jene einen interessanten Gegenstand darstellten, die sich für die sexuelle Liberalisierung stark machten. Darüber hinaus erzeugte vor allem eine Reihe an Gerichtsprozessen, in denen Anfang des 20. Jahrhunderts unter den Augen der interessierten Öffentlichkeit das sexuelle (Fehl-)Verhalten führender Mitglieder der Gesellschaft, darunter des Berliner Stadtkommandanten, General Kuno von Moltke, verhandelt wurde, Interesse.

Schneider möchte sich in seinem Buch von dem engen Zugriff lösen und viel grundsätzlicher nach der Beziehung zwischen dem Militär und dem „queer emancipation movement“ (S. 16) im Kaiserreich fragen. Ihm geht es darum, zu untersuchen, welche Rolle das Militär und seine Angehörigen in der Entwicklung einer queeren Kultur und Politik um die Jahrhundertwende spielten, und wie dies gegebenenfalls auf das Ansehen der Armee in der Öffentlichkeit einwirkte. Dreh- und Angelpunkt seiner Studie ist das sexuelle Begehren, das queere Akteure der Zeit mit Armeeangehörigen sowie Soldaten verbanden und das ihre Handlungen sowie Haltungen beeinflusste. Schneider fasst dies mit dem Begriff der „Uniformfantasien“ zusammen, der sich schon im Titel findet und der explizit in Anlehnung an die Arbeiten von Klaus Theweleit gewählt wurde.2 Mit Theweleit teilt er auch einen Zugriff, der zwar grundsätzlich auf den Überlegungen von Michel Foucault und seinen machtanalytischen Studien basiert, der aber psychoanalytische Einsichten miteinbezieht. Denn, um die Auswirkungen von Fantasien zu untersuchen, so argumentiert Schneider, bedarf es stets eines Models der menschlichen Psyche, in dem das Unbewusste eine wichtige Rolle spielt. Sein Interesse gilt hierbei allerdings weniger dem Individuum und seinen (verdrängten) Wünschen sowie Sehnsüchten als vielmehr in Anlehnung an die Überlegungen von Slavoj Žižek den tiefergehenden strukturellen Konflikten in der Gesellschaft.

Um den Zusammenhang zwischen queerer Emanzipation, dem Militär und den Fantasien von uniformierten Soldaten im späten Kaiserreich zu untersuchen, befasst sich Schneider konkret mit den Mitgliedern der „queeren Emanzipationsbewegung“. Welche sozialen Akteure darunter konkret zu fassen sind, und welche nicht, führt er nicht aus. Die Bewegung wird lediglich unter Rückgriff auf die Arbeiten von Isabel V. Hull als in zwei Flügel gespalten beschrieben:3 eine Gruppe, die sich bemühte, das gleichgeschlechtliche Begehren von Männern als quasi naturgegeben zu legitimieren und in Abgrenzung zur Emanzipation von Frauen, Juden und anderen Gruppen durchzusetzen, und eine andere, die auf Grundlage sexologischer Argumente die verschiedenen Emanzipationsbestrebungen mal mehr, mal weniger miteinander zu verknüpfen versuchte. Schneider geht es vor allem um die Wortführer der mannmännlichen Liebe und ihre Haltung. Darauf verweist auch die Quellenauswahl, die zwar auch militärische Handbücher, Zeitungsartikel und Ego-Dokumente einschließt, sich aber in erster Linie auf Publikationen des Wissenschaftlich-humanitären Komitees, auf sexologische Fallstudien, Prozessakten und in den letzten beiden Kapiteln auf literarische Werke stützt.

Der starke Fokus, den die Studie auf die männlichen Wortführer der öffentlichen Debatten legt, kommt auch im thematischen Zuschnitt der fünf Kapitel zum Ausdruck. Zunächst befasst sich der Autor damit, wie das Bild vom homosexuellen Offizier von den queeren Aktivisten für ihre Zwecke genutzt wurde. Er zeigt, dass diejenigen Offiziere, die vermeintlich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Selbstmord begingen, als Opfer „für die Sache“ inszeniert wurden. Zugleich arbeitet er die Krise heraus, der sich die queere Emanzipationsbewegung infolge der Prozesse um v. Moltke und andere Anfang des 20. Jahrhunderts ausgesetzt sah. In einem zweiten Kapitel setzt sich Schneider mit den Soldatenmisshandlungen auseinander. Er veranschaulicht, wie die Debatten darüber zwar halfen, liberale Ansichten über (Homo-)Sexualität in die Gesellschaft zu tragen, sie aber gleichzeitig auch Sichtweisen beförderten, die einer stärkeren Disziplinierung das Wort redeten.

Dass die soziale Realität meist viel komplexer und ambivalenter war, als dies sowohl die eine wie auch die andere Seite in diesen Debatten darstellte, belegt der Autor eindrücklich am Beispiel der Soldatenprostitution. Dass Soldaten sich bisweilen anderen Männern sexuell anboten, war bei allen, die in Politik, Armee oder der Presse sich intensiver mit dem Militär befassten, bekannt, wurde aber in der Regel beschwiegen. Dagegen setzten sich queere Zirkel von Anfang an intensiv mit dem Phänomen auseinander. Schneider zeigt in diesem Zusammenhang auf, wie facettenreich die Fantasien waren, die sich auf den Soldaten als Objekt der Begierde richteten, und arbeitet heraus, wie diese als Wissen oder Nicht-Wissen machtstrategisch eingesetzt werden konnten. Besonderes Augenmerk richtet er hierbei auf die Funktion der Uniform, die dazu dienen konnte, den Soldaten als gut gebauten und zugleich „unschuldigen“ Mann zu imaginieren, die aber auch als Fetisch Verwendung fand. Am Beispiel von Thomas und Heinrich Mann buchstabiert Schneider in den letzten beiden Kapiteln schließlich detailliert und häufig in origineller Lesart aus, wie unterschiedlich „Uniformfantasien“ letztlich genutzt werden konnten, um sich gesellschaftlich und politisch zu positionieren. Während Thomas Mann in seinen Werken militärische Männlichkeit – bisweilen explizit in ihrer Queerness – schilderte und damit seine Unterstützung für das bestehende gesellschaftliche System zum Ausdruck brachte, kritisierte sein Bruder das Kaiserreich gerade auch über scharfe Angriffe an den Idealtypus des uniformierten Soldaten.

Jeffrey Schneider hat mit „Uniform Fantasies“ fraglos ein interessantes Buch vorgelegt. Indem er mit der Geschichte des Militärs und derjenigen von sexueller Emanzipation zwei Stränge zusammenbringt, die bisher in der historischen Forschung weitgehend getrennt betrachten worden waren, liefert er neue Einsichten vor allem darüber, wie die frühe queere Szene des Kaiserreichs sich und ihren Gegenstand in einer intensiven Beschäftigung mit dem Militär und mit uniformierten Soldaten selbst definiert und in der Öffentlichkeit präsentiert hat. Kaum neue Ansichten finden sich dagegen in der Frage, wie sich dies auf das Ansehen der Armee in der Öffentlichkeit ausgewirkt hat. Über den eigentlichen Erkenntnisgewinn hinaus zeigt Schneider mit seinem Zugriff über „Fantasien“ zugleich, welche Chancen und Möglichkeiten ein psychoanalytischer Zugriff mit sich bringen kann, wenn er wohl dosiert und kontrolliert verwendet wird. Beim Lesen stellt sich dann auch unmittelbar die Frage ein, wie die „Uniformfantasien“ eigentlich von anderen Akteuren wie beispielsweise von Frauen verwendet wurden und welche Rolle sie etwa in der Sozialisation von Kindern sowie Jugendlichen im Kaiserreich gespielt haben. Diese Punkte gehen selbstverständlich über die Fragestellung des vorliegenden Buches im engeren Sinn hinaus. Ihnen nachzugehen wäre aber durchaus von Interesse und Bedeutung, auch um die vorgestellten Einsichten über die Funktionsweise von „Uniformfantasien“ in der frühen queeren Emanzipationsbewegung gesellschaftlich und kulturell einordnen zu können.

Anmerkungen:
1 Vgl. Jennifer Evans, Why Queer German History?, in: German History 34,3 (2016), S. 371–384.
2 Vgl. Klaus Theweleit, Männerphantasien. Bd. 1. Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Frankfurt am Main 1977; ders., Männerphantasien. Bd. 2. Männerkörper – zur Psychoanalyse des Weißen Terrors, Basel 1978.
3 Vgl. Isabel V. Hull, Sexuality, State and Civil Society in Germany, 1700–1815, Ithaca 1996.

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