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Titel
Der Totenkopf als Motiv. Eine historisch-kulturanthropologische Analyse zwischen Militär und Moden


Autor(en)
Ruda, Adrian
Reihe
mode global
Erschienen
Köln 2023: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
608 S., 347 meist farb. Abb.
Preis
€ 95,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Mara Baumgart, Seminar für Europäische Ethnologie/Volkskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Die vom Kulturanthropologen Adrian Ruda verfasste Dissertation „Der Totenkopf als Motiv. Eine historisch-kulturanthropologische Analyse zwischen Militär und Moden“ befasst sich mit dem Totenkopfsymbol in der Militärgeschichte und verknüpft diese mit der Modewelt. Die Arbeit bewegt sich damit sowohl in der historisch forschenden Kulturanthropologie als auch in den Geschichtswissenschaften. Nach einer Einleitung, die unter anderem den Forschungsstand und die Basis des Themas behandelt, sowie einem Abschnitt, der sich mit dem Totenkopfsymbol in Verbindung mit Piraten beschäftigt, ist die Arbeit chronologisch aufgebaut. Sie untersucht primär die Militärgeschichte ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Nachkriegszeit.

Ein großer Teil der Arbeit widmet sich den Totenkopfhusaren des früheren Preußens sowie weiteren militärischen Gruppierungen, die aufbauend auf den Uniformen der Husaren ebenfalls Totenköpfe in ihre Kleidung integrierten. Der Autor beleuchtet für jede dieser Anwendungen verschiedene mögliche Symbolebenen und legt sich nicht auf eine einzelne Betrachtungsweise fest. Damit folgt er seiner eingangs festgelegten Methodik, die historische Perspektive unter Einbezug möglichst vieler sowie diverser Quellen zu analysieren und ein Symbol immer im Kontext seiner Anwendung zu betrachten. Die diverse Quellenlage zieht sich durch das gesamte Werk hindurch. Der Text wird konstant durch verschiedene Illustrationen, Karikaturen sowie Fotografien reeller Uniformgegenstände und – sofern möglich – tatsächlich stattgefundener Ereignisse gestützt. Die moderne Bezugnahme der Modewelt wird zum Beispiel durch Katalogauszüge oder Dokumentationen von Modenschauen aufgezeigt. Die Bebilderung der Arbeit bleibt keinesfalls unkommentiert, der Autor nimmt regelmäßig Bezug auf das Gezeigte. Gelegentlich beeinflusste das ein wenig den Lesefluss, da teilweise ganze Seiten mit Bildern gefüllt sind. Allerdings ist keines der Bilder sinnlos ausgewählt – sie alle sind relevant für den Text.

Der Autor beginnt die Studie nach seiner Einleitung mit einem Abschnitt über Piraten in Verbindung mit Totenköpfen. Dies liegt nahe, da Piraten eine der prominentesten Gesellschaftsphänomene sind, die sich dieses Symbols bedienen. In dem Abschnitt räumt der Autor mit Missverständnissen über historische Piraten auf und geht unter anderem darauf ein, dass die mit ihnen assoziierte Totenkopfflagge ein durch Literatur und (Pop-)Kultur entstandenes und eher weniger ein tatsächlich von Piraten genutztes Artefakt ist. In Anschluss daran wird darauf eingegangen, wie die populäre Rolle von Piraten in literarischen und unterhaltenden Kontexten weiter gefestigt wurde und auch wie Kinder von Piraten fasziniert wurden und sind. Hier wird die Brücke zur Mode geschlagen, indem darauf eingegangen wird, wie die stereotype Verwendung von einem menschlichen Schädel mit gekreuzten Knochen darunter ihren Weg auf Alltagskleidung findet. Wenngleich sich dieser Abschnitt interessant liest und auch auf die eingehenden Fragestellungen der Arbeit gut eingeht sowie diese abrundet, wirkt er thematisch ein wenig losgelöst vom Rest des Werkes. Die übrigen Abschnitte greifen mehr ineinander über, weshalb die Piraten thematisch vielleicht weniger ausführlich oder noch viel ausführlicher hätten behandelt werden können, damit die Verbindung zu den Militäruniformen deutlicher wird.

Wie erwähnt bauen die restlichen Abschnitte kontinuierlich aufeinander auf. Wichtig hierbei erschien vor allem der Teil der Arbeit, der sich mit der Verwendung des Totenkopfsymbols im Nationalsozialismus und vor allem der SS befasste. Gerade momentan ist diese Thematik relevant, denn nicht selten finden die exakten Darstellungen Einzug in gegenwärtige rechte Szenen und Gruppierungen. Das wird auch in der Studie thematisiert, in dem Fall aber konkret im Zusammenhang mit Motorradrockern, die diese Zeichen weniger als Teil einer Ideologie als vielmehr zum Schockfaktor tragen. Dennoch ist es von höchster Wichtigkeit, diese Symbole nicht zu verkennen, da ansonsten verheerende Fehlbenutzungen zustande kommen können. Dafür wird in der Arbeit ein Beispiel genannt: „Auch die populäre Street-Fashion-Marke Obey des Künstlers Frank Shepard Fairey hat sich 2006 des Symbols bedient und damit für Aufsehen gesorgt, was Fairey zu der Erklärung veranlasste, er habe lediglich ein Biker-Logo nachbilden wollen. Besonders skandalträchtig ist der Gebrauch des SS-Totenkopfes in der Massenmode: Die US-amerikanische Warenhauskette Walmart, die Faireys Motiv im selben Jahr auf T-Shirts abgekupfert hatte, hat die medial sehr umstrittenen und zwischenzeitlich zurückgezogenen Kleidungsstücke schließlich ein Jahr später in Outlets verkauft.“ (S. 336) So ein Gebrauch des Symbols ist zurecht sehr kontrovers und durch Aufklärungsarbeit, wie diese Arbeit sie leistet, gegebenenfalls zu vermeiden. Durch die Kontextualisierung des Symbolgebrauchs, die in der Veröffentlichung immer wieder neu durchdacht wird, fällt es leichter, das Symbol erkennen und einordnen zu können.

Die Arbeit fokussiert sich auf die historische Analyse des Totenkopfes und geht hierbei sehr ins Detail. Dabei wird zum Beispiel bei der Beschreibung der Uniformen stark auf die Materialität eingegangen, was für die symbolische Aufladung des Totenkopfes als Teil davon von Belang ist. So wird beispielsweise bei den SS-Uniformen über die Auswirkung der Kleidung berichtet, die in der entsprechenden Zeitperiode als schlicht und elegant begriffen wurde, lediglich eine „mit einem Totenkopfabzeichen dekorierte Einheit“ (S. 380). Des Weiteren werden viele verschiedene Formen von Totenköpfen an verschiedenen Uniformen genannt, unter anderem auf den Kopfbedeckungen der Totenkopfhusaren, als Medaille oder Münze, als Abzeichen oder Aufnäher et cetera. Die historische und materielle Dimensionen sind wichtig, weil sie wiederum erneut eine Verbindung zu der Alltagsmode schaffen. Personen in Uniformen – also Soldaten, Offiziere und so weiter – haben seit jeher einen erhöhten Status in der Gesellschaft gehabt. Das Ansehen für diese Personengruppen wird unter anderem auch durch ihre Kleidung beeinflusst, weshalb sich deren Uniformen und damit die Symbole selbstverständlich auch in der Gesamtgesellschaft abbilden. Diese Verbindung macht die Arbeit sehr deutlich, obwohl an manchen Stellen etwas zu sehr auf die historische Dimension eingegangen wird und die kulturwissenschaftliche Deutung etwas zu kurz kommt. Die moderne Seite der Totenkopfsymbolik wird zwar immer wieder nebenbei beleuchtet und auch in einem Abschnitt eingehender behandelt, doch kommt sie im Vergleich zum Rest der Arbeit etwas zu kurz. So hätte man zum Beispiel noch mehr auf den Designer Alexander McQueen eingehen können, der in seinen Werken häufig sowohl Totenköpfe als auch militärische Einflüsse verarbeitet hat. Er wird zwar mehrfach erwähnt, aber hätte nebst seinen Haute-Couture-Kolleg:innen, die sich auch häufig des Totenkopfes bedienen (unter anderem Vivienne Westwood, die auch erwähnt wird, aber ebenfalls nicht weiter ausgeführt wird), ein eigenes Unterkapitel füllen können.

Die Betrachtung von Symbolen und der Kontext der Symbolforschung, die in dieser Arbeit im Fokus stehen, wurden sorgsam und nachvollziehbar auf den Totenkopf angewendet. Zum Ende jedes Kapitels findet sich ein hilfreiches Resümee, das die dargestellten Interpretationskontexte noch einmal zusammenfasst, vergleicht, gegenüberstellt und miteinander verbindet. Bei der Symbolforschung ist es von besonderer Relevanz, nicht bei einer einzelnen Interpretation aufgehalten zu werden. Um die zahlreichen Bedeutungsebenen eines Symbols durchdringen zu können, ist es absolut notwendig, es von möglichst vielen Seite zu beleuchten. Der Autor hat dies unter Anwendung seiner vorab vorgestellten Methodik sehr einleuchtend vollzogen. Dazu trägt vor allem die Anwendung vieler historischer Quellen bei, speziell die Diversität der verwendeten Medien. Es wird sich beispielsweise nicht ausschließlich mit politischen Karikaturen oder Lithografien, sondern auch mit Modefotografie, Soldatenporträts und so weiter befasst. So viele visuelle Erwähnungen des Totenkopfes wie möglich werden in der Arbeit untersucht, was zwangsläufig viele verschiedene Interpretationen zulässt. Nur so kann sich einer Symbolbedeutung angenähert werden, welche der Vielfalt der Verwendung auch gerecht wird. Besonders hilfreich für das Verständnis war es, dass die Kapitel häufig mit einer Bildbeschreibung eingeleitet wurden. So konnte man das, was im Kapitel ausgeführt wird, direkt auf ein Beispiel anwenden, was den Zugang zur Arbeit praktischer macht.

Alles in allem ist die Dissertation ein Werk, das für die Symbolforschung und die Kulturanthropologie fruchtbar sein kann. Der Totenkopf ist – sowohl in militärischen, modischen als auch gesamtgesellschaftlichen Kontexten – ein omnipräsentes Zeichen. Die Untersuchung dessen in einem gesamtheitlichen Zusammenhang ist daher mehr als sinnvoll. Die Symboldeutung mit einer präzisen historischen Dimension wird nachvollziehbar und zugänglich herausgearbeitet. Wenngleich die Arbeit an einigen Stellen zu sehr in die Geschichtlichkeit eintaucht und an anderen Stellen zu wenig Bezug auf die gegenwärtige Symbolverwendung nimmt, ist diese in sich abgerundet und bietet eine gute Grundlage, sich darüber hinaus mit dem Thema zu beschäftigen.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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