Im Jahr 2003 kollabierte an einer der zentralen Straßen in Kiew eines der historischen Wohngebäude. Der Vorfall, bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde, war durch umfangreiche Renovierungsarbeiten im zweiten Stockwerk ausgelöst worden (S. 115). Dieser Vorfall steht symbolisch für das spät- beziehungsweise postsowjetische Phänomen der Remont. Während sich Remont leicht mit Renovierung übersetzen ließe, träfe eine solche Übersetzung doch nur einen sehr kleinen Teil des Sinngehaltes, mit dem das Wort im postsowjetischen Raum aufgeladen war. Diese These vertritt zumindest Kateryna Malaia in ihrer 2023 erschienenen Studie „Taking the Soviet Union Apart Room by Room“. In dem schmalen Buch von gerade einmal 132 Textseiten vertritt die Autorin die These, dass mit dem Begriff der Remont geradezu ein epochemachender Prozess verbunden war (S. 131). In diesem Prozess hätten Bürger:innen der späten Sowjetunion und der später postsowjetischen Staaten versucht, durch den Umbau ihrer Wohnung eine ideologisch vom Sozialismus gereinigte Version ihrer selbst zu schaffen (S. 3). So gelang es gerade durch die Umgestaltung der privaten Wohnräume, die alten sowjetischen Verhaltensweisen abzulegen und durch neue zu ersetzen. Laut Maia war es gerade die Remont, die einen großen Beitrag zur Entstehung von postsowjetischen Identitäten leistete.
Um diese Thesen zu untermauern, gliedert Malaia ihre Studie in fünf Kapitel. Ihr erstes Kapitel, Remodeling, nutzt Malaia für einige Begriffsbestimmungen und allgemeine Einführungen in das Thema. In diesem Kontext ist besonders positiv anzumerken, dass die Autorin ihren Leser:innen nicht nur ein umfassendes Glossar zur Verfügung stellt, sondern auch allgemein sehr sorgsam mit ihren Begriffen umgeht. Die typischen Beschreibungen für die Wohnräume (wie Badezimmer, Wohnzimmer etc.) vermeidet sie und verweist viel mehr auf die jeweilige Funktion. So ändern sich die Bezeichnungen mit den sehr unterschiedlichen Nutzungen der Räume im Laufe des Buches häufig, da sich auch die Umbauarbeiten häufig über Jahre erstreckten und Stück für Stück die sowjetischen Wohnungen und ihre sowjetischen Bewohner:innen transformierten. Malaia schlägt eine Sichtweise vor, in der die Wohnung mit ihren Bewohner:innen verbunden war: Sie beeinflussten sich gegenseitig und transformierten sich über die Zeit. Mit den veränderten Räumen veränderten sich auch die Gewohnheiten der Menschen, ihre soziale Interaktion miteinander und damit ein Teil ihrer Identität (S. 44). Gleichsam spiegelten sich in den Umbauten die Hoffnungen und auch die Ängste der Zeit, die von großen politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Umbrüchen geprägt war.
Solange die Sowjetunion existierte, waren die Möglichkeiten für Umbauten in den staatseigenen Wohnungen sehr begrenzt. Das lag zum einem am Verteilungsschlüssel für Wohnungen, der dazu führte, dass nicht für jedes Familienmitglied ein eigenes Zimmer vorgesehen war. Mehr noch aber lag es an den strikten Verboten, Wände innerhalb der Wohnung zu versetzen und damit dem Grundriss zu verändern. Flankiert wurden diese Verbote von einer umfassenden kollektiven Kontrolle durch die Hausgemeinschaft. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der sich anschließenden Privatisierung der vormals staatlichen Wohnungen, aber auch durch die zahlreichen Staatskrisen in den meisten postsowjetischen Staaten und die daraus resultierende Durchsetzungsschwäche, wurden Umbauten von nie gekannten Ausmaßen möglich.
Während renditegetriebene Renovierungen und Umbauten von Investoren eine reale Gefahr für die Bewohner:innen der Häuser darstellten, wie der eingangs erwähnte Vorfall zeigt, ergaben sich aus den teilweise langwierigen Renovierungen der Privathaushalte eher kleine Konflikte. Lärmbelästigung durch Bauarbeiten, aber auch sozialer Druck, der dadurch entstand, dass man bei der Modernisierung mit den Nachbar:innen mitziehen wollte, strukturierten einen großen Teil der postsowjetischen Konfliktlandschaft im Alltag. Hier zeigt sich eine Stärke von Malaias breiter Quellenbasis. Dadurch, dass sie bautechnische Unterlagen, mediale Angebote wie spezielle Zeitschriften zum Thema Renovierung und Interviews mit Bauarbeitern und Bewohner:innen kombiniert, gelingt es ihr, den Mikrokosmos der postsowjetischen Wohnung mit Leben zu füllen. Aus einer breiten Kenntnis der Sekundärliteratur heraus stellt sie akkurat den historischen Kontext dar und legt damit auch eine kleine, sehr präzise Geschichte der sowjetischen Wohnung vor.
In den Kapiteln Sleeping, Eating, Cleaning und Socializing zeigt die Autorin, wie sich die Wohnungen nach dem Ende der Sowjetunion räumlich veränderten. Dabei weist jedes Kapitel auch zahlreiche Überlegungen auf, die über den bloßen funktionalen Charakter der jeweiligen Räume hinausgehen. So diskutiert sie unter anderem die Themen Privatsphäre, Stilbewusstein und Distinktion im Kontext der Umgestaltung der postsowjetischen Wohnungen.
Die Autorin möchte mit ihrer Studie nicht nur einen Beitrag zur Architekturgeschichte des postsowjetischen Raumes leisten, sondern darüber hinaus auch Formen der Subjektivierung analysieren, denen die Bürger:innen der postsozialistischen Staaten unterworfen waren. Dies gelingt ihr ausgesprochen gut. Plausibel wird dargestellt, wie sich beispielsweise Orte der Hygiene wie Badezimmer von Nicht-Orten hin zu Orten der Ästhetik wandelten. Malaia gelingt es außerdem, darzulegen, dass „westliche“ Baumaterialien und Einrichtungsgegenstände zwar eine wichtige Rolle bei den Renovierungen spielten, dies aber nicht mit einer „Verwestlichung“ der Gewohnheiten und der Lebenswelt einherging. Dass die von der Autorin genannten Kontinuitäten, wie beispielsweise die sowjetische Küchenkultur, auch über den Systemwechsel hinaus stärker wirkten als westliche Vorbilder, ist einleuchtend.
Methodisch bleibt anzumerken, dass das Untersuchungsgebiet größtenteils auf die Ukraine und bei den Interviews gar auf Lwiw und Kiew beschränkt war, die Autorin allerdings Rückschlüsse auf den gesamten postsowjetischen Raum zieht. Die Ergebnisse der Studie geben der Autorin zwar in Bezug auf die Verallgemeinerbarkeit prinzipiell recht, sind aber trotzdem teilweise kritisch zu hinterfragen. Auch wenn die Autorin über einen sehr breiten Literaturüberblick verfügt, wäre es wünschenswert gewesen, auch neuere Literatur, etwa zum sowjetischen Konzept der living cell aus den 1970er-Jahren, wie es jüngst Anna Alekseyeva vorgestellt hat, auszuwerten. 1 Dies hätte sicherlich einige interessante Anknüpfungspunkte für die Diskussion um Privatheit ermöglicht.
Das kurze Buch mit zahlreichen Grundrissen und Fotografien liest sich sehr leicht und flüssig. Die in der Einleitung als grundlegend für die Studie angekündigten Interviews wurden nur in sehr geringem Umfang tatsächlich in den Text eingeflochten. Wenn sie vorkommen, bleiben die Personen häufig sehr schematisch. Hier hätte sicherlich Potenzial gelegen, der Geschichte der Menschen, die nach dem Ende der Sowjetunion von einem neuen, besseren Leben träumten, etwas mehr Farbe zu geben.
Insgesamt bleibt allerdings der Eindruck eines rundum gelungenen Buches, das sicherlich zu einem Standardwerk für all diejenigen avancieren wird, die sich für sowjetische und postsowjetische Architekturgeschichte interessieren.
Anmerkung:
1 Anna Alekseyeva, Everyday Soviet Utopias. Planning, Design and the Aesthetics of Developed Socialism, London 2021, S. 111ff.