Im Verlauf des 13. Jahrhunderts hatten sich in der Stadt Leipzig vier Ordensgemeinschaften angesiedelt, darunter als einzige weibliche Institution der Nonnenkonvent von Sankt Georg – ein heute im Stadtraum nicht mehr existentes Kloster. Obwohl für diese Institution seit 1894 ein Urkundenbuch vorliegt, ist deren Geschichte bisher noch nie umfassend aufgearbeitet worden. Diesem Umstand bereitet Antje J. Gornig mit ihrer, auf einer Magisterarbeit zum selben Thema aufbauenden, im Jahr 2016 abgeschlossenen Dissertation ein Ende. In fünf Hauptkapiteln werden Gründungsumstände, räumliche Verortung, Besitz- und Wirtschaftsgeschichte, „innere Struktur, Verwaltung und geistliche Ausprägung“, Reformbemühungen und „Maßnahmen nach der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen“ (S. 19, Kapitel I: Einleitung) des vor 1230 vom heutigen Hohenlohe nach dem circa 25 Kilometer entfernten Leipzig verlegten Klosters (Kapitel II: Erster und endgültiger Sitz) behandelt. Ein kürzeres Zwischenkapitel beschäftigt sich mit dem einzigen Klosterpatronat Rötha (circa 15 Kilometer südlich Leipzigs) und der dort um 1500 aufkommenden Marienwallfahrt, die 1518 zum erzwungenen Patronatsverzicht der Nonnen gegenüber dem Merseburger Metropoliten führte (Kapitel V). Hier deutet sich bereits der schwindende Stellenwert des Klosters im gesellschaftlichen Gesamtgefüge an. Wenige Jahrzehnte später wurde das Kloster im Zuge der Reformation aufgelöst und schließlich schon 1543 unmittelbar nach dem Austritt der letzten Frauen und dem Erwerb der Gebäude durch den Rat der Stadt abgerissen. Die Steine der Gebäude dienten schlussendlich dem Ausbau der städtischen Befestigungsanlagen.
Mit ihrer Arbeit möchte A. Gornig sowohl eine Grundlage „für zukünftige Vergleichsstudien innerhalb der Regionalgeschichte“ als auch einen „Zugewinn an Erkenntnissen für die spätmittelalterliche Stadtgeschichte Leipzigs“ leisten „sowie ein wenig Licht auf die ‚Schatten der Reformationsgeschichtsschreibung‘ und somit Licht ins historische Dunkel bringen.“ (S. 15) Letzterer Punkt zielt also zugleich auf ein breiteres Lesepublikum, weshalb in der Arbeit auch vielfach geschichtliche Grundkenntnisse vermittelt werden.
Nicht für alle Aspekte dieser gründlich recherchierten Klostermonografie ist die Quellenlage gleich ergiebig. Für das 14. Jahrhundert bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts „ist für ganze Dekaden kaum Material existent“. „[D]ie überwiegende Mehrheit der Schriftzeugnisse über das Nonnenkloster entstanden nach Einführung der Reformation […] 1539.“ (S. 16f.)
Ein bisher nur in wenigen Auszügen ediertes Gerichtsbuch des Klosters („Lehen- und Handelbuch“), das die Jahre 1500 bis 1543 umfasst, ist eine wichtige Grundlage für die ausführliche Beschreibung von „Besitz und Klosterwirtschaft“ (Kapitel III). Die Verwaltung des Klosters im Verlauf der Sequestration und Auflösung wird in Kapitel VI „Reform und Reformation“ behandelt. Auch das „Klosterleben und [die] Außenbeziehungen“ (Kapitel IV) des Konvents, der um 1500/ 01 je sechs Konversinnen und Kostkinder sowie 28 namentlich genannte Sanctimoniales umfasste, kann erst ab dieser Zeit genauer beschrieben werden. Innerhalb dieses Themenkomplexes fragt A. Gornig unter anderem auch nach der Spiritualität und geistlichen Tätigkeit der Nonnen oder deren Bildungsstand. Dabei ist die Autorin an zahlreichen Stellen aufgrund „spärlicher Hinweise in den Quellen“ (S. 239) auf „vorsichtige Interpretationen“ (S. 254) wie auch Rückschlüsse aus anderen Untersuchungen zu weiblichem Religiosentum angewiesen 1.
In diesem Zusammenhang betont sie besonders den Wert der durch die Nonnen betriebenen Klosterschule als Bildungsmöglichkeit für Frauen und Mädchen in der Stadt. Die Klosterschule, die, anders als behauptet, bisher nicht gänzlich unbehandelt geblieben ist2, diente vorrangig der Ausbildung und Erziehung der künftigen Chorschwestern. Sie stand aber auch Mädchen offen, die als sogenannte Kostkinder vermutlich aus dem Leipziger Bürgertum zur Unterrichtung in das Kloster gegeben wurden. Die Autorin führt aus, dass diese Schule „die einzige Möglichkeit einer Ausbildung für Mädchen in Leipzig über handwerkliche und häusliche Tätigkeiten hinaus“ darstellte. Nach der Schließung des Klosters sei dann eine „Teilhabe an Bildung für Frauen und Mädchen in Leipzig zunächst stark eingeschränkt bis gar nicht möglich […] und lange Zeit dem Bereich der Privatschulen überlassen“ gewesen (S. 276f.). Sie widerspricht damit eindeutig der Meinung von einer verbesserten Bildungssituation für Frauen im Zuge der Reformation.
Die konkreten Bildungsinhalte lassen sich aus dem Klosterinventar des Jahres 1541 und den in einigen Beispielen (S. 319) gegebenen Schriftzeugnissen der Nonnen nur indirekt fassen. Zur Schule gehörte zwar eine liberey mit 48 pergamen bucher und 10 (gedruckten) bucher (S. 269), deren Inhalt aber nicht bekannt ist, da die Bände als verloren gelten müssen. Ob es das von der Autorin angenommene, von den Nonnen parallel zur Schule durchgängig gepflegte Archiv (S. 214, Lemma fehlt im Register), das Zweitausfertigungen aller ausgestellten Urkunden beinhaltet haben soll, wirklich so gegeben hat, bedarf weiterer Untersuchungen zur Urkundentätigkeit der Nonnen.
Das Bildungsniveau wird aufgrund der Tätigkeit einiger Nonnen nach dem Klosteraustritt als „unbestreitbar“ hoch angesetzt, obzwar lediglich eine „Elementarbildung im Lesen, Schreiben und Rechnen“ „mit mehrheitlich passiven Lateinkenntnissen“ vermittelt worden sei (S. 275), die durch Kenntnis verschiedener Handarbeitstechniken und praktischer Klosterverwaltung sowie durch heilkundliches Wissen ergänzt wurde.
29 solcher Art gebildete Nonnen waren gezwungen, im Juli 1543 das Kloster endgültig zu verlassen. Für sie mussten, da „es keinen allgemeingültigen Weg ins weltliche Leben außerhalb der behüteten Klostermauern gab“, „individuelle Lösungsstrategien“ entwickelt werden (S. 351, Kapitel VII: Lebenswege der Nonnen nach Austritt und Klosterauflösung). Die Beobachtungen, die die Autorin hier für knapp ein Drittel der aus dem Kloster ausscheidenden Frauen machen kann, ergänzen vorangehende Untersuchungen zu diesem Thema im sächsischen Raum.3 Insgesamt bewertet sie aber das erzwungene Ausscheiden für die Mehrzahl der Frauen „sehr wahrscheinlich [als] eine Zumutung“ (S. 341). Sie hätten sich der von den Reformatoren vorgegebenen Rolle der Frau und den damit verbundenen „moralischen und rechtlichen Zwänge[n]“ ausliefern müssen, womit sich ihr Leben „im Gegensatz zur Mitgliedschaft in einer geistlichen Gemeinschaft“ (S. 339f.) nachteilig gestaltete und obendrein ein Statusverlust einherging.
Die Biogramme dieser Frauen wie auch aller anderen Angehörigen der Klosterfamilie, des geistlichen und weltlichen Personals werden in einem umfangreichen Anhang erfasst, aber zugleich in den entsprechenden Kapiteln der Arbeit behandelt, was an manchen Stellen zu einer gewissen Redundanz führt. Im Anhang werden zudem alle Besitzungen des Klosters alphabetisch geordnet erfasst und lokalisiert, wozu zwei Karten zur Veranschaulichung beigegeben wurden. Die Arbeit schließt mit einem Quellenanhang (gefolgt von einem Register), der 34 bisher noch nicht oder nur in Auszügen edierte Texte enthält, bei denen ein stärkeres Eingreifen in die Interpunktion für den avisierten Leserkreis ein schnelleres Textverständnis ermöglicht hätte.
Mit der vorliegenden Monografie Antje J. Gornigs zählt das Leipziger Georgennonnenkloster nunmehr zu den aktuell wohl am besten erforschten geistlichen Einrichtungen Leipzigs im Mittelalter.
Anmerkungen:
1 Siehe vor allem Eva Schlotheuber, Klostereintritt und Bildung. Lebenswelten der Nonnen im späten Mittelalter, (Spätmittelalter und Reformation 24), Tübingen 2004 und weitere Arbeiten dieser Autorin.
2 Siehe Anne-Katrin Kunde, Pro salute vivorum ... pro defunctis ... in memoriam. Bildung und Erziehung in zisterziensischen Frauenklöstern in Mitteldeutschland im Spätmittelalter, in: Rudolf Benzinger / Meinolf Vielberg (Hrsg.), Wissenschaftliche Erziehung seit der Reformation: Vorbild Mitteldeutschland, 5. Erfurter Humanismuskongress 7.–8. Mai 2015 in Erfurt, Stuttgart 2016, S. 39–61.
3 Siehe Sabine Zinsmeyer, Frauenklöster in der Reformationszeit. Lebensformen von Nonnen in Sachsen zwischen Reform und landesherrlicher Aufhebung, (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 41), Leipzig 2016.