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Title
Der Krieg der Anderen. Venedig, die deutschen Reichsfürsten und die Anfänge internationaler Subsidienprojekte in der Frühen Neuzeit


Author(s)
Flurschütz da Cruz, Andreas
Series
Krieg in der Geschichte
Published
Extent
XIV, 684 S.
Price
€ 129,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Veronika Hyden-Hanscho, Institut für Geschichte, Universität Klagenfurt

Aktuell erleben wir durch Globalisierung und Entstaatlichung eine Ökonomisierung des Sicherheits- und Gewaltsektors, der zunehmend an private Militär- und Sicherheitsdienstleister ausgelagert wird. Das gab es schon einmal. Das frühneuzeitliche Subsidienwesen ermöglichte eine seit dem Westfälischen Frieden völkerrechtlich legitimierte Truppenvermietung zwischen Fürsten und Souveränen. Schätzungen zufolge sollen zwischen 1500 und 1900 europaweit rund 45 Millionen Menschen im Zuge von Solddienst und Subsidienverträgen im weiteren Sinn migriert sein, ein Wert, der andere Migrationsgründe wie Religion und Konfession weit hinter sich zurücklässt (S. 32f.).

Mit „Der Krieg der Anderen“ legt Andreas Flurschütz da Cruz seine überarbeitete Habilitationsschrift als Monographie vor, die 2021 von der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bamberg angenommen wurde. Der Titel verweist bereits metaphorisch auf das Thema. Es geht um eine neue Aufarbeitung der sogenannten Gewaltmärkte in Mitteleuropa vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und insbesondere um den Umstand, dass deutsche Truppen und Soldaten in jedem größeren Konflikt zwischen dem Prager Fenstersturz und dem Sturm auf die Bastille überdurchschnittlich auf den europäischen Kriegsschauplätzen vertreten waren. Dabei konzentriert sich der Autor auf den Beginn des Subsidienwesens mit Aushandlungsprozessen zwischen der Republik Venedig und deutschen Adeligen sowie deutschen Reichsfürsten während des Candiakriegs (1645–1669). Flurschütz da Cruz vertritt die These, dass die in der Literatur prominent, aber teilweise reduziert beschriebenen Subsidienverträge des 18. Jahrhunderts – etwa die Hannovers und Hessen-Kassels für Großbritannien im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg – ohne eine Aufarbeitung der Anfangsphase nicht richtig verstanden werden können. Seine Monographie verweist darauf, dass das Subsidienwesen auf Kooperationen deutscher Niederadeliger zurückgeht, die während oder nach dem Dreißigjährigen Krieg ihren Lebensunterhalt außerhalb des Reiches suchten und damit den Reichsfürsten als Vorbild für deren spätere Ausgestaltung von Subsidienverträgen dienten (S. 8).

Die Arbeit reiht sich in den Ansatz der new military history ein, einer Militärgeschichte mit kulturgeschichtlichem Ansatz, die ab den 1980er-/1990er-Jahren eine Abkehr von der ereignisgeschichtlichen Militärgeschichte einläutete und seit der Jahrtausendwende äußerst produktiv wurde. Als maßgebliche, die vorliegende Arbeit prägende Referenzen nennt der Autor den Arbeitskreis Militär und Gesellschaft1 und kulturgeschichtliche Forschungen zum Schweizer Söldnerwesen (S. 17) sowie Vorarbeiten aus dem anglo-amerikanischen Raum wie etwa von Peter Wilson. Zwar ist die Literatur bereits reich an Arbeiten zum deutschen Subsidienmarkt, der Großteil davon befasste sich allerdings summarisch mit der Endphase des Subsidienwesens im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, die nicht repräsentativ für das System war, da sich daraus eben jene Sonderstellung von hessischen Soldaten auf dem Gewaltmarkt ergibt, die in der Literatur zum Subsidienwesen vorherrscht.

Nach einer umfassenden Einleitung zum Forschungsstand, Quellen und Methodik teilt sich das Buch in fünf Großkapitel und eine Zusammenfassung samt Einordnung der Ergebnisse. Im ersten Großkapitel bietet der Autor einen umfassenden Überblick über alle am Subsidienwesen und dessen Ausgestaltung beteiligten staatlichen Akteure (Frankreich und die Eidgenossenschaft, Habsburg, Großbritannien und die Generalstaaten sowie Dänemark und Schweden) und deren Interessen an der Übernahme oder Anmietung fremder Truppenkörper. Das zweite Großkapitel widmet sich ausführlich den Bestimmungen des Westfälischen Friedens und dem ius foederis als rechtliche Grundlage für das in Folge des Dreißigjährigen Kriegs entstandene Subsidienwesen, in dem Militärunternehmer und Reichsfürsten ihre Truppen nicht mehr abdanken ließen, sondern möglichst gewinnbringend an andere Mächte verliehen. Im dritten Kapitel steht die Markusrepublik Venedig und ihr politisches und verwaltungstechnisches Funktionieren im Zentrum. Venedig benötigte zur Aufrechterhaltung seiner Machtstellung im oberitalienischen Hinterland sowie seiner Streubesitzungen entlang der adriatischen und ägäischen Küsten die Indienstnahme von Kriegsunternehmern. Venedigs Vermittlerrolle am Westfälischen Friedenskongress nutzte es, um Kontakte zu deutschen Kriegsunternehmern zu knüpfen, denn es lag ab 1645 mit dem Osmanischen Reich im Krieg um Candia, der erst 1669 mit dem Fall Candias an die Osmanen endete.

Das Kapitel vier, mit 322 Seiten (!) das unverhältnismäßig längste Kapitel, vereint den Beginn der Aushandlungen Venedigs um Truppen mit niederadeligen Kriegsunternehmern und das daraus entstehende Subsidienwesen der deutschen Fürsten zunächst mit Venedig und später mit anderen Mächten, Großbritannien und den Niederlanden. Im Zentrum dieses Kapitels steht die mikrogeschichtliche und teilweise biographische bzw. prosopographische Aufarbeitung der ersten Generation von niederadeligen Kriegsunternehmern zwischen Süddeutschland und Venedig: die Maklertätigkeit von Ferdinand Geizkofler und seines Netzwerks rund um Christoph Martin von Degenfeld, Claus Dietrich von Sperreuth und die Gebrüder von Waldeck war beispielgebend für alle nachfolgenden Aktivitäten deutscher Fürsten mit Venedig, allen voran Hessen-Kassels, Württembergs und der Welfen in Braunschweig-Lüneburg und Hannover, um die wichtigsten zu nennen. Kapitel fünf rundet die Arbeit inhaltlich ab durch einen Blick in den weiteren Verlauf des Subsidienwesens im 18. Jahrhundert.

Anhand akribischer Recherchen in zahlreichen Archiven Deutschlands sowie in Venedig kann Flurschütz da Cruz nachweisen, dass Subsidienverträge und die Vermietung von Truppen ein gesamtdeutsches Phänomen waren (S. 519). Zu Flurschütz da Cruz Hauptquellen zählen urkundliche Subsidienverträge und ihre zahlreich vorhandenen korrespondierenden Akten vor und nach dem Vertragsabschluss sowie Korrespondenzen und Berichte von Fürsten und Truppenkommandanten und Quellen zu den einzelnen Truppenkörpern. Gerade der Blick auf die Vermittlungsstrategien und Netzwerke Niederadeliger zeigt, dass Subsidienprojekte nicht zufällig, vereinzelt oder anlassgebunden zustande kamen, sondern komplexe Beziehungsnetze darstellten, die die europäische Hocharistokratie im systematischen Bereitstellen von Truppen unterstützten. Strukturen, die in der ersten Generation zwischen dem Geizkofler-Netzwerk und Venedig bilateral errichtet wurden, entwickelten sich am Ende des 17. Jahrhunderts zu Maklernetzwerken, die mehrere Reichsfürsten und die Seemächte akkordieren konnten.

Zu den wichtigsten Forschungsergebnissen zählen der Zusammenhang von Subsidienverträgen, dynastischen Heiratsprojekten und Standeserhöhung bzw. Königswürde. Subsidien stifteten und erhielten Loyalitäten, schufen vertikale und horizontale Abhängigkeiten zum Beispiel zwischen Kaiser, Fürsten und dem Hochadel. Auch waren sie ohne Eheprojekte nicht denkbar, da sie manchmal als Mitgift fungierten. Auf diese Weise trugen sie wesentlich zum europäischen Mächtegleichgewicht bei. Hier nimmt der Autor eine konträre Interpretation zur bisherigen Forschung ein. Seiner Meinung nach waren Truppenprojekte die Grundlage dafür, sich nach oben zu verheiraten und nicht umgekehrt. Die armierten deutschen Stände konnten ihr militärisches Potenzial in ihre diplomatischen Außenbeziehungen einbringen und trafen bei den auswertigen Mächten auf der Suche nach Truppen auf Gehör. Diese neue Form der Diplomatie war ebenfalls ein Medium sozialen Aufstiegs. Insbesondere nachgeborene Söhne engagierten sich im Subsidienwesen. Damit wuchsen stehende Armeen in den einzelnen Territorien, die ständig in fremdem Sold standen. Sobald Reichsfürsten zur Königswürde gelangten oder eine Standeserhöhung erreichten, war dies das Ende des Subsidienwesens im jeweiligen Territorium. Dies betraf vor allem das Haus Hannover als Könige von England und die Hohenzollern als Könige von Preußen, die von Truppenvermietern zu Subsidiengebern wechselten, da sie nun im Ernstfall viel mehr Truppen benötigten, als sie selbst zu stellen vermochten. Bayern hingegen schaffte es nicht, langfristig nach einer Königskrone zu greifen. Der Autor führt dies darauf zurück, dass die Wittelsbacher stets auf Kirchenämter und zeitweise auf eine Annäherung an Frankreich statt auf Subsidienprojekte setzte, insbesondere wenn es darum ging, nachgeborene Kinder zu versorgen. Flurschütz da Cruz sieht daher eine Interdependenz zwischen dem Erwerb einer Königskrone und Subsidienverträgen. Diese vielleicht gewagte, aber interessante These eröffnet jedenfalls Anknüpfungspunkte für zukünftige Fragestellungen (S. 479).

Flurschütz da Cruz schafft es über weite Strecken, die Leser:innen flüssig in die Welt der Subsidienverträge einzuführen. Das vierte Kapitel leidet allerdings in der Lesbarkeit unter der unverhältnismäßig langen Kapitelstruktur. In der zweiten Buchhälfte nimmt der Autor die Leser:innen mit auf eine Subsidienvertrags- und Heiratsralley quer durch den gesamten deutschen Hochadel. Wer in der Genealogie der deutschen Fürsten nicht den Durchblick hat – Stammbäume würden helfen – kann hier leicht den Überblick verlieren. Auch die Einführung des Influencer-Begriffs für die Vorbildhaftigkeit der ersten niederadeligen Generation von Subsidiennehmern (S. 327) erscheint angesichts der schwer vergleichbaren Öffentlichkeitskonzepte der Frühen Neuzeit mit der heutigen online Vermarktung von Dienstleistungen über internetbasierte Medien als problematisch. Bei der Interpretation des Kreditvertrags von Sperreuth (S. 320) gibt es Unwägbarkeiten – vielleicht aufgrund fehlender Quellen. Die veranschlagten Zinsen von 48 Prozent erscheinen in der Geschichte des Kredits tatsächlich als horrend. Zinseszinsen, die laut dem Autor noch hinzukämen, wurden in der Frühen Neuzeit allerdings als Wucher empfunden und nicht eingehoben außer von Juden.2

Dies schmälert allerdings nicht die Leistung des Autors, das aufgrund der heutigen geopolitischen Situation brisante Thema, Truppenkauf und Militärunternehmertum, nach wirtschafts- und sozialhistorischen Leitthemen neu aufzuarbeiten. Das Buch leistet damit einen wertvollen Beitrag zur neuen Militärgeschichte und ist anschlussfähig an Fragestellungen zur Staatsbildung und zur fiscal-military-state-Forschung, die zuletzt zu Großbritannien, den Niederlanden und zur Habsburgermonarchie neue Erkenntnisse zu Tage förderte.

Anmerkungen:
1 Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V. https://amg.hypotheses.org/ (29.10.2024).
2 Markus A. Denzel, Art. „Zins“, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 15, Stuttgart 2012, S. 494–495.

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