Inflight Magazines sind eine zu Unrecht ignorierte kulturhistorische Quellengruppe – das verdeutlicht Claas Henschels Buch „Weltbildkonstruktionen über den Wolken“, das auf seiner an der Universität Augsburg eingereichten Doktorarbeit beruht. Vorläufer der heutzutage meist gratis in den Sitztaschen von Flugzeugen angebotenen Magazine erschienen bereits in den 1930er-Jahren. Damals wie heute werden solche Magazine von Fluglinien selbst produziert oder in Auftrag gegeben. Sie bieten den Reisenden „Informationen über das Fliegen und die Fluglinie, redaktionelle Inhalte sowie meist Werbeanzeigen“ (S. 95) und erfüllen neben ihrer Unterhaltungs- und Orientierungsfunktion an Bord vor allem Werbezwecke. Diese Merkmale des Mediums veränderten sich im Laufe der Jahrzehnte kaum. Die Art und Weise, wie in den Magazinen über Reiseziele, Länder, den Luftverkehr und die Fluglinien selbst berichtet wurde, wandelte sich hingegen grundlegend – beeinflusst von sich verschiebenden globalen Konstellationen wie Imperialismus, Dekolonisation, Nationsbildungen und Kaltem Krieg. Eben darin sieht der Autor das Potenzial dieser Quelle.
Indem er Bordmagazine erstmals als historische Quellengattung erfasst, leistet Henschel in der Tat „Grundlagenarbeit“ (S. 77). Kenntnisreich erläutert der Autor in einem Kapitel wesentliche Charakteristika des Mediums und stellt quellenkritische Überlegungen an. Interessant ist die Vielzahl von Akteuren, die an der Produktion der Magazine beteiligt waren und sind: Neben den Airlines, die vor allem das Ziel der Eigenwerbung für sich und ihre Streckenangebote verfolgen, wirken auch verschiedene Partner mit – etwa Wirtschaftsbehörden und Tourismusbüros, Handelskammern und Unternehmen als Werbekunden. Der Einfluss staatlicher Interessen, die die Magazine international operierender Airlines als Plattform für Public Diplomacy und Nation / Region Branding nutzten, ist auch deshalb zentral, da Staaten oft Anteile an Fluggesellschaften besaßen. Hinter den Inhalten stehen also durchweg wirtschaftliche, bisweilen aber auch politische Intentionen, die bei jeder Interpretation von Inflight Magazines zentral sein müssen. So wichtig der Fokus auf die Herausgeber und Geldgeber ist, blendet Henschel leider die Redakteure und Verfasserinnen der Inhalte aus. Weitestgehend unsichtbar bleibt auch die Leserschaft. Wie der Autor zu Recht bemerkt, lassen sich allein über das Medium kaum Einsichten in seine Rezeption gewinnen (die von ihm erwähnten Leserbriefe ermöglichen aber zumindest kleine Einblicke). Mehr hätte sich jedoch über die intendierte Leserschaft, die als international und zahlungskräftig gedacht wurde, und die Kommerzialisierung ihrer Transitsituation sagen lassen, gerade wenn man Bordmagazine, wie Henschel vorschlägt, als „Medien des Transits“ (S. 96) begreift. Welche Bilder von Flugreisenden wurden in den Magazinen konstruiert, und inwiefern wandelten sich diese im Laufe der Zeit? Interessant wären auch mehr Einsichten in Gestaltung und Grafik der Hefte. Solche offenen Fragen bekräftigen aber letztlich nur Henschels Plädoyer für eine weitere Beschäftigung mit dem Quellentyp.
Auf die einleitenden Abschnitte folgen vier Hauptkapitel, die sich mit insgesamt zehn Magazinen verschiedener Airlines und Publikationszeiträume auseinandersetzen. Inflight Magazines sind in vielen Fällen nur lückenhaft überliefert, weshalb ihre Verfügbarkeit Henschels zentrales Auswahlkriterium bildete. Dieses Zufallsmoment ist kein Manko; auf Basis unterschiedlichster Magazine von Pan American Airways bis Air Grönland gelingt es Henschel zum einen, ein facettenreiches Panorama sich verändernder räumlicher und politischer Kontexte von den 1930er-Jahren bis etwa 2015 zu entwickeln, zum anderen nimmt der Autor erhellende Vergleiche vor. Dabei leitet ihn die Frage, welche Selbst- und Fremdbilder von Nationen, Regionen, Imperien und Kulturen in den Magazinen und dadurch „im globalen Kontext des Flugreisens“ (S. 21) gezeichnet wurden. Wie hingen diese Repräsentationen mit den jeweils prägenden politischen Verschiebungen und Interessen zusammen? Der Fokus auf räumlich-territoriale und politische Bezüge ist produktiv und widersteht der „globalizing temptation“1, also der Versuchung, im Flugverkehr primär einen Homogenisierungsmotor zu sehen. Denn Henschel zeigt überzeugend, dass sich „für historische Inflight Magazines keine globale homogene Bildsprache des Tourismus feststellen“ lässt (S. 411); die jeweiligen Airlines und ihre Magazine waren „sehr unterschiedlich durch globale Machtasymmetrien geprägt“ (S. 412). Für die theoretische Einbettung hätten Ausführungen zu Othering, Imperial / Tourist Gaze und Nation / Region Branding in der Einleitung genügt. Das weit ausholende Theoriekapitel über nationale Identitätsbildung lenkt eher ab, als die Analyse zu stärken. Gleiches gilt für die in der Studie nicht immer sinnvoll erscheinende Verwendung von „Identität“ als Analysebegriff und Synonym für Selbst- und Fremdbilder.
Die erste Fallstudie behandelt die Magazine der US-amerikanischen Pan Am, der australischen Qantas und der belgischen Sabena vorwiegend in imperialen und kolonialen Kontexten von den 1930er-Jahren bis in die frühen 1960er-Jahre. Henschel belegt, wie sich die hegemonialen Ambitionen der USA gegenüber Lateinamerika im Bordmagazin von Pan Am in Form von Frontier- und Zivilisierungsnarrativen niederschlugen. Ähnliches beobachtet er für die Darstellung des australischen Territoriums Neuguinea im Magazin der Qantas, wobei in beiden Fällen auch der Beitrag der Fluggesellschaften propagiert wurde, etwa wenn in einem Artikel aus dem Jahr 1960 die Rolle von Qantas für die Beförderung von Missionaren, Verwaltungspersonal und Siedlerinnen gepriesen wird. Eine andere Strategie, in der ebenfalls Zivilisierungsdiskurse auf ökonomische Interessen trafen, verfolgte die belgische Airline Sabena, wenn in ihrem Magazin die Hauptstadt Belgisch-Kongos, Léopoldville (das heutige Kinshasa), mit modernen amerikanischen Städten verglichen und so Touristen schmackhaft gemacht wurde.
In der zweiten Fallstudie geht es um die Konstruktion nationaler Selbst- und Fremdbilder von Airlines junger Nationalstaaten von Mitte der 1960er-Jahre bis 1991. Dies geschieht einerseits im Kontext der Dekolonisation, wofür Henschel die Magazine der papua-neuguineischen Air Nuigini heranzieht, in denen er eine Gratwanderung zwischen postkolonialem Selbstbewusstsein, tourismusfördernder Selbst-Exotisierung und personellen Kontinuitäten aus der Kolonialzeit erkennt und die Fallstudie zu Qantas aus dem ersten Kapitel kontrastiert. Andererseits – ein großer Sprung – geht es anhand von Lufthansa und Interflug um den Kontext der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz im Kalten Krieg. Henschel zeigt, wie Tourismuswerbung und Public Diplomacy ineinandergriffen, wenn sich die Magazine der Lufthansa um ein politisch unverdächtiges Bild deutscher Geschichte mit Mittelalterromantik und regionaler Folklore bemühten sowie zugleich die Modernität und Westanbindung der Bundesrepublik betonten. Ähnliches gilt für die Interflug-Magazine, die sich vor allem an westliche Reisende richteten und die Luftfahrt zum Beweis sozialistischer Leistungsfähigkeit und Werkzeug der diplomatischen Anerkennung der DDR stilisierten.
Mit der dritten Fallstudie nimmt Henschel anhand von Air Azores und Air Greenland in den 2000er-/2010er-Jahren international operierende Fluglinien bestimmter Regionen in den Blick. Im Vordergrund steht der widersprüchliche Versuch, die globale Bedeutung der jeweiligen Region mit dem touristischen Wert vermeintlicher Authentizität und temporärer Flucht aus der Moderne in Einklang zu bringen (was, nebenbei bemerkt, gerade im hypermodernen Flugzeug paradox erscheint). Interessant ist auch die Thematisierung der negativen Folgen des Klimawandels für Grönland, die jedoch anscheinend nicht mit dem Flugaufkommen in Zusammenhang gebracht werden. Die vierte Fallstudie verschiebt den Fokus am Ende nochmal vom Regionalen ins Transnationale. Anhand von LIAT, einer durch mehrere Karibikstaaten gemeinsam betriebenen Airline, und Zambia Airways mit ihrem Magazin African Sunrise widmet sich Henschel den Konstruktionen der Karibik beziehungsweise Afrikas. Im Zentrum steht das Bemühen der Fluglinien, negative, kolonial geprägte Vorstellungen zu überwinden, wobei die neuen Images alles andere als frei von (touristisch verwertbaren) Klischees und neuen Homogenisierungen waren.
Viele der exotisierenden, romantisierenden und stereotypisierenden Tropen und Narrative, die Henschel akribisch aus den Magazinen herausarbeitet und in imperiale, nationale und postkoloniale Diskurse einordnet, sind wohlbekannt. Eine solche „Vermarktung des Fremden“2, einschließlich des Imperial / Tourist Gaze und Nation / Region Branding, findet sich schließlich auch in Reiseliteratur und Werbequellen ohne unmittelbaren Bezug zum Flugverkehr. Henschel erklärt selbst, dass die Magazine auf einen „bereits existierenden Korpus“ (S. 405) solcher Narrative rekurrierten. Außerdem entsteht der Eindruck, dass die „Weltbildkonstruktion“ im Titel des Buches so breit gefasst ist, dass es etwas ungezielt um alle möglichen Selbst- und Fremdbilder geht, die sich in den Magazinen finden lassen – vom Blick auf imperiale Peripherien bis hin zur Darstellung sozialistischer Bruderstaaten im Kalten Krieg. Damit wird zwar der Facettenreichtum der Inflight Magazines deutlich, es entgeht aber die Chance, stärker auf ihre inhaltlichen Besonderheiten scharfzustellen. Liegen diese in der „Positionierung der behandelten lokalen Identitäten in Prozessen der globalen Vernetzung“ (S. 410), wie es Henschel am Schluss eher allgemein formuliert? Oder nicht doch konkreter darin, dass die Magazine Einblicke in das Selbstverständnis und die Interessen der Fluglinien sowie der beteiligten Wirtschafts- und Tourismusakteure geben? Ihnen ging es, das zeigt Henschels Material, nicht nur um das wirtschaftliche und apolitische Ziel, den Flugverkehr ankurbeln zu wollen, sondern auch darum, dies durch die aktive Mitwirkung in ganz bestimmten geopolitischen Konstellationen, Interessenlagen und Machtverhältnissen zu tun – als imperiales Tool, nationaler Flag Carrier, regionaler Wirtschaftsmotor oder auch als Mittel der Diplomatie.3
Die Rolle der Airlines, des Flugverkehrs und der intendierten Leserschaft / Reisenden in den Inflight Magazines noch genauer unter die Lupe zu nehmen, wäre ein Ansatzpunkt für weitere global- und mobilitätsgeschichtliche Forschungen. Auch für umwelt- beziehungsweise klimageschichtliche Fragen dürften sich die Bordmagazine eignen, was in manchen Passagen der Studie aufscheint. Die Basis hat die Studie von Claas Henschel aber gelegt, der trotz schwieriger Überlieferungslage anregend einen bisher kaum beachteten Quellentyp erschließt.
Anmerkungen:
1 Nathalie Roseau, Learning from Airports’ History, in: Mobilities in History 4 (2013), S. 95–100, hier S. 98. Auch: Nils Güttler, Nach der Natur. Umwelt und Geschichte am Frankfurter Flughafen, Göttingen 2023.
2 Stefanie Wolter, Die Vermarktung des Fremden. Exotismus und die Anfänge des Massenkonsums, Frankfurt am Main 2005.
3 Dazu hätte es auch mehr einschlägige Literatur gegeben; siehe unter anderem Jenifer Van Vleck, Empire of the Air. Aviation and the American Ascendancy, Cambridge, MA 2013; Gordon Pirie, Air Empire. British Imperial Civil Aviation, 1919–39, Manchester 2009; Peter Adey, Aerial Life. Spaces, Mobilities, Affects, Malden 2010; Michał Marcin Kobierecki, Aviation Diplomacy. A Conceptual Framework for Analyzing the Relationship Between Aviation and International Relations, in: Place Branding and Public Diplomacy 17 (2021), S. 293–303.