A. Cazorla-Sánchez u.a. (Hrsg.): The Bloomsbury Handbook of the Spanish Civil War

Cover
Titel
The Bloomsbury Handbook of the Spanish Civil War.


Herausgeber
Cazorla-Sánchez, Antonio; Ribeiro de Menezes, Alison; Shubert, Adrian
Reihe
Bloomsbury Handbooks
Erschienen
London 2023: Bloomsbury
Anzahl Seiten
VII, 509 S.
Preis
€ 159,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christin Hansen, Historisches Institut, Universität Paderborn

Betrachtet man die Masse an Literatur zum Spanischen Bürgerkrieg, ist es verwunderlich, dass bisher noch kein Handbuch zum Thema erschienen ist. Einen ersten Versuch legen nun Antonio Cazorla-Sánchez, Alison Ribeiro de Menezes und Adrian Shubert vor. Sie haben insgesamt 25 Beiträge von 32 Autor:innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zusammengetragen, um den aktuellen Forschungsstand, Forschungslücken sowie Forschungsprobleme aufzuzeigen. Der Schwerpunkt liegt zumeist auf der englisch- und spanischsprachigen Forschung, die aber unzweifelhaft auch die größte Zahl an Studien hervorgebracht hat. Das Handbuch ist in vier große Themenbereiche eingeteilt: „The Conflict“, „Society and Culture“, „Politics“ und „Debates, Methodologies and Representations“. Jedem dieser Themenabschnitte ist eine kurze Zusammenfassung der enthaltenden Kapitel vorangestellt.

Naturgemäß stechen in einer Sammlung vielfältiger Aufsätze und verschiedener Autor:innen einige Beiträge stärker heraus als andere. So ist im ersten Themenkomplex „The Conflict“ insbesondere der Beitrag „Causes“ von Francisco J. Romero Salvadó hervorzuheben, dem es auf wenigen Seiten gelingt, die komplexen Ursachen des Spanischen Bürgerkriegs umfänglich darzustellen. Er wirft seinen Blick bis ins ausgehende 19. Jahrhundert zurück und zeigt, wie sich langfristig Misstrauen und tiefe Spaltungen in der spanischen Gesellschaft verfestigten. Seine Ausführungen bleiben dabei nicht auf innerspanische Verhältnisse beschränkt, sondern beziehen internationale Einflüsse und Entwicklungen mit ein. Nach dieser starken Eröffnung folgen zwei Beiträge zur Militärgeschichte: Während der Beitrag von Fernando Puell de la Villa in der Tradition der klassischen Militärgeschichte steht, verknüpft James Matthews diese mit sozial- und kulturgeschichtlichen Ansätzen am Beispiel der Erfahrungen von Kämpfer:innen im Spanischen Bürgerkrieg. Angel Viñas schließt den ersten Themenkomplex mit einem Aufsatz zu internationalen Interventionen – ein Themengebiet, welches aufgrund eines relativ leichten Zugangs zu Archivmaterialien und Publikationen abseits von Zensur bereits sehr umfangreiche Erforschung erfahren hat.

Der zweite Themenabschnitt zu „Society and Culture“ beginnt mit dem Beitrag „Material Conditions“ von Joan Serrallonga, Just Casas und Manuel Santirso. Sie thematisieren den Zugang der Zivilbevölkerung zu Alltagsgütern wie beispielsweise Lebensmitteln sowie die weitreichenden Konsequenzen, die Rationierung und Mangel für das alltägliche Leben hatten. Die mitunter zusammenhangslos wirkende Reihung der einzelnen Abschnitte lässt sich eventuell mit der bis dato vergleichsweise dünnen Forschungslage zu diesem Thema erklären. Diesem Aufsatz schließt sich ein äußerst lesenswertes Kapitel „Gender“ von Nerea Aresti und Miren Loona an, die anhand der gesellschaftlichen Aushandlungen zur „modernen Frau“ die sozialen Veränderungen, Ängste und Ablehnungen innerhalb des gespaltenen Spaniens veranschaulichen. Sandie Holguin zeigt in ihrem Beitrag „Cultural Production and Propaganda“ eindrücklich auf, wie technologische Veränderungen die Entwicklung des Spanischen Bürgerkriegs zu einem Medienkrieg ungekannten Ausmaßes begünstigten und somit auch Auswirkungen auf den Zweiten Weltkrieg hatten. Ebenso geht sie der Frage nach der Effektivität der Propaganda durch die verschiedenen Konfliktparteien nach, wobei sie selbst die Überprüfbarkeit dieser Variable kritisch hinterfragt. Auch ihr gelingt es nicht, hier eine überzeugende Methode und Antwort zu liefern. Der Beitrag von Verónica Sierra Blas zu „Children und Childhood“ ist schon deswegen erwähnenswert, da hier einem Thema Beachtung geschenkt wird, das in den bisherigen historischen Studien äußerst randständig behandelt wird. So ist der Beitrag auch als ein Plädoyer für die Relevanz und Notwendigkeit der Berücksichtigung und Analyse von Zeugnissen von Kindern zu lesen. Gerade im Spanischen Bürgerkrieg kam Kindern eine wichtige Stellung zu: Allein im ersten Kriegsjahr waren circa 30 Prozent der Toten Kinder unter 14 Jahre. Es gründeten sich nicht nur in Spanien, sondern auch international zahlreiche Hilfsorganisationen, die sich um Kinder als Opfer des Krieges kümmerten. Diesen Fokus auf Hilfsorganisationen vertieft Kerrie Halloway in ihrem Beitrag „International Humanitarism“, der insbesondere die Probleme der Organisationen bei der Wahrung ihrer Neutralität beleuchtet. Auch das Kapitel „Refugees and Exiles“ widmet sich einem bisher weitgehend vernachlässigten Forschungsfeld. David Alegre und Javier Rodrigo betrachten dabei nicht nur die Fluchtbewegungen gegen Ende des Bürgerkrieges, sondern auch die großen Migrationsbewegungen in den Jahren 1936–1938: So waren zu den eine Millionen Einwohnern in Madrid circa 300.000–500.000 Flüchtlinge gekommen, was die Stadt vor erhebliche logistische Probleme stellte.

Im ersten Beitrag des dritten Themenbereichs „Politics“ veranschaulicht Nigel Townson sowohl die verschiedenen Ansichten und Ziele der zersplitterten Parteien sowie Gruppen auf Seiten der Republik als auch Francos Bemühungen, zur Stärkung seiner Position alle Gruppierungen auf Seite der Aufständischen zu einen. In einem darauffolgenden wirtschaftshistorischen Kapitel betont Elena Martínez Ruiz die Problematik fehlendender Datensätze und argumentiert, dass der Vorwurf des wirtschaftlichen Missmanagements seitens der Republik zu kurzgefasst sei. Beispielsweise werde oftmals vergessen, dass die Einwohnerzahl auf den der Republik verbliebenen Gebiete größer gewesen sei, gleichzeitig jedoch den größeren Verlust an Lebensmittel-produzierenden Gebieten zu verzeichnen gehabt hätte. Der äußerst gelungene Beitrag von Xosé M. Núñez Seixas zu „Nationalism“ zeigt, wie beide Seiten im Bürgerkrieg auf nationale Rhetorik zur Mobilisierung zurückgegriffen haben. Historische Mythen und Symbole sowie Stereotype dienten zur Abgrenzung des Eigenen vom Anderen; das Konzept der Nation und Nationalismus nahmen somit entgegen früherer Forschungspositionen durchaus eine relevante Rolle ein. Einem Bereich, der kaum wie ein anderer die spanische Gesellschaft geprägt und gespalten hat, widmet sich Mary Vincent in ihrem anregenden Beitrag „Religion“. Auf beiden Seiten kam es zu Gewaltausbrüchen gegenüber kirchlichen Vertreter:innen sowie zu Zerstörung von Bauten und Heiligtümern. Auch in den beiden nachfolgenden Kapiteln „Repression“ (Peter Anderson) und „Repression of Elites“ (Octavio Ruiz-Manjón) werden Fragen von Repressionen und deren Opfern im Bürgerkrieg nachgegangen, wobei erneut auf beiden Seiten umfangreiche Repressionshandlungen stattfanden und zahlreiche Opfer zu beklagen waren.

Den vierten Abschnitt „Debates, Methodologies and Representations“ eröffnet Pamela Radcliff mit einem Abriss zur Historiographie, dem sich das Kapitel „Archives“ von Jesús Espinosa Romero anfügt. Espinosa Romero führt die Folgen des Bürgerkriegs für Sammlungsbestände auf und geht hierbei nicht nur auf die Bestände zum Bürgerkrieg selbst, sondern auch auf die vielfältige Zerstörung von Archiven während des Krieges ein. Neben Bombardierungen und ideologischen Zensuren hätte insbesondere der Papiermangel während und nach dem Krieg zur Vernichtung zahlreicher Bestände beigetragen. Wie die ideologischen Kämpfe um die Deutungshoheit der Erinnerung bis heute nachwirken, wird auch in den Beiträgen „Memory“ (Paloma Aguilar / Carsten Humblebæk) und „Public History“ (Antonio Cazorla-Sánchez / Adrian Shubert) deutlich. Sie zeigen, wie Narrative der Geschichte die breite Öffentlichkeit beeinflussten und diese erst mit Ende der Diktatur Zugang zu Informationen zum Bürgerkrieg abseits der Staatspropaganda erhielt. Über die begrenzten Möglichkeiten der Archive hinaus plädiert das Kapitel von Alfredo González-Ruibal für eine stärkere Berücksichtigung der Archäologie durch Historiker:innen, mit deren Hilfe sich beispielsweise das soldatische Alltagsleben an der Front zumindest teilweise rekonstruieren ließe. Während Andrea Davis in „Digital Approaches“ anhand verschiedener Datenbanken aufzeigt, wie über die Sammlung von Datensätzen und deren Inhalte unterschiedliche Narrative gebildet werden können, verdeutlichen die anschließenden Beiträge „Film“ (Duncan Wheeler) und „Theater“ (Emilio Peral Vega) die aufgrund der hohen Analphabetismus-Rate des Landes hohe Bedeutung audio-visueller Medien für Propaganda. Das Handbuch schließt mit einem Beitrag, der sich an die vorherigen Kapitel wenig anschlussfähig zeigt: Alison Riberio de Menezes möchte in „New Cultural Directions“ unter anderem darlegen, welche Relevanz Emotionen bei der Interpretation von Quellen einnehmen.

In der Gesamtheit ist ein nützliches und gut fundiertes Handbuch erschienen, welches insbesondere für einen Einstieg in die aktuelle Forschung zu den unterschiedlichen Teilbereichen des Spanischen Bürgerkriegs geeignet ist. Wer jedoch auf der Suche nach Schlachtanalysen ist, der ist bei diesem Handbuch mit Schwerpunkt auf sozial- und kulturhistorischen Themen falsch aufgehoben. Zwar gelingt dieser inhaltliche Fokus einigen Autor:innen besser als anderen, dennoch wird in fast allen Kapiteln deutlich, welche Probleme in der historischen Aufarbeitung des Bürgerkrieges durch die Franco-Regierung entstanden sind; wie stark die bisherige Forschung, Aufarbeitung und Erinnerung durch politische Einflussnahme bestimmt war und entsprechenden Interpretationen unterlag. Vor diesem Hintergrund wäre es konzeptionell eine Überlegung wert gewesen, das Kapitel zur „Public History“ zu unterteilen und beispielweise Denkmälern, Museen oder Erinnerungsorten punktuell mehr Raum zu geben. Zudem wird die internationale Dimension nur randständig beachtet, was aber sicherlich eines eigenen Handbuchs bedürfte. Dennoch werden viele der Beiträge gewiss dankbaren Eingang in so manche Lehrveranstaltung finden.

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