J. B. Meister u.a. (Hrsg.): Weiblichkeit – Macht – Männlichkeit

Cover
Titel
Weiblichkeit – Macht – Männlichkeit. Perspektiven für eine Geschlechtergeschichte der Antike


Herausgeber
Meister, Jan B.; Ruprecht, Seraina
Reihe
Geschichte und Geschlechter
Erschienen
Frankfurt am Main 2023: Campus Verlag
Anzahl Seiten
359 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Gürlach, Institut für Altertumswissenschaften / Lehrstuhl Klassische Archäologie, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Jan B. Meister und Seraina Ruprecht legen mit diesem Sammelband die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung vor, die anlässlich des Ruhestands von Thomas Späth, einem der Pioniere der deutschsprachigen altertumswissenschaftlichen Geschlechterforschung, stattfand. In der Einleitung des dreiteilig gegliederten Bands skizzieren Meister und Ruprecht bisher erarbeitete Konzepte, sich daraus entwickelnde Debatten und aktuelle geschlechtergeschichtliche Perspektiven. Als wegweisende Grundlage benennen sie Joan Scotts 1986 veröffentlichten Aufsatz, in dem sie plädiert, „nebst den bereits etablierten Kategorien ,class‘ und ,race‘ ,gender‘ als eine neue, theoretisch reflektierte Kategorie zur Analyse von Macht und Ungleichheit“ einzuführen (S. 10).1 Geschlecht wird auch im vorliegenden Sammelband als analytische Kategorie verstanden, während die Herausgeber:innen darauf hinweisen, dass sich in den vergangenen Jahren, neben der Geschlechtergeschichte als Forschungsfeld der historischen Wissenschaften, auch die Gender Studies weiterentwickelt hätten.

Der erste Teil gibt einen Rück- und Ausblick auf das Thema Geschlecht und Macht in der Antike. Adrian Stähli fragt hierzu nach dem Beitrag der Altertumswissenschaften und schreibt der Rezeption von Michel Foucaults Werk eine hohe Bedeutung zu. Er beobachtet, dass einige Arbeiten im Sinne einer „neuen hermeneutischen Bequemlichkeit“ (S. 46) dazu neigen, gegenwärtige Identitäten in antike Quellen hineinzudeuten, ohne dabei aber von diesen als Basis ihrer Untersuchung auszugehen. Nach Stähli „handelt es sich um ein zunehmendes Desinteresse, sich systematisch und methodisch mit dem spezifischen epistemologischen Status der Quellen auseinanderzusetzen“ (S. 46). Infolgedessen mahnt er an, sich der Geschichte einer altertumswissenschaftlichen Geschlechterforschung bewusst zu sein, da diese stets gewissen Widrigkeiten ausgesetzt war. Als Fallbeispiel wählt er den homosexuellen Kunstmäzen Edward Perry Warren, ein leidenschaftlicher Sammler von archäologischen Objekten mit erotischem Sujet. Sein Sammlungs- und Verkaufsinteresse trug entscheidend dazu bei, dass antike Denkmäler im frühen 20. Jahrhundert in die Öffentlichkeit wirkten, wodurch überhaupt erste wissenschaftliche Debatten angestoßen werden konnten.

Die Rezeption antiker Quellen im Spiegel aktueller Fragestellungen greift auch Jan B. Meister auf, indem er nach einem Andersdenken mit der Antike fragt. Dazu nimmt er antike Konzeptionen von Geschlecht in den Blick und erörtert, welche Impulse diese für eine Auseinandersetzung mit Themen in der Gegenwart geben können und welche Grenzen dem gesetzt werden. Meister untersucht dies am Beispiel der Auseinandersetzung mit Sappho im späten 19. und frühen 20 Jahrhundert und der Projektion moderner Perspektiven auf antike Personen, welche schnell zu prägenden Identifikationsfiguren wurden.

Im Zuge solcher Debatten stellt Beate Wagner-Hasel in der Forschung auch wiederholt eine Patriarchatsimagination fest, worunter sie ein Wiederaufgreifen des Patriarchat-Konzepts versteht, bei dem vor allem das Motiv der Unterdrückung stark gemacht würde. Da der Begriff des Patriarchats im Gegensatz zu dem des Matriarchats eine lange Geschichte hat, lässt er sich in drei Bedeutungsebenen unterscheiden: „eine kirchlich-religiöse, eine staatsrechtliche und eine soziologische bzw. familiengeschichtliche“ (S. 110). Auch wenn Geschlechterforschung kaum ohne Gegenwartsbezug möglich sei, warnt Wagner-Hasel davor, das Konzept zu nutzen, um ein längst überholtes Geschichtsbild zu tradieren, dem gegenüber die Ergebnisse von vierzig Jahren althistorischer Frauenforschung stünden.

Ann-Cathrin Harders leitet den zweiten Teil zum Thema Weiblichkeit, Macht und weibliche Handlungsmacht mit einer Gegenüberstellung von zwei Frauen ein. Sie nimmt einerseits Adea, eine Nichte Alexanders des Großen, andererseits Fulvia, die Ehefrau von Marc Anton, in den Blick. Verbindendes Element sind die sowohl im fortgeschrittenen 4. als auch im mittleren 1. Jahrhundert v. Chr. greifbaren Umbrüche. Solche Zeiten des Übergangs beeinflussten die Faktoren Macht und Geschlecht auf direkte Weise; mitunter festigten sich die Geschlechterstrukturen, andernfalls brachen sie auf und Kontinuitäten stagnierten, neue Herrscher(:innen) kamen an die Macht, was den Akteur:innen entsprechende Handlungsmöglichkeiten offenbarte. Diese waren im Fall der hier in den Blick genommenen Frauen strukturell vorgegeben, da sich sowohl Adea als auch Fulvia über deren Ehekonstellation im Machtgefüge etablierten. Mit Augustus trat die Frau als „re-domestizierte Matrone“ (S. 165) in den Schatten; nur der Kaiser als ein mit potestas ausgestatteter Herrscher übte fortan Macht aus.

Ob und wie Frauen in augusteischer Zeit trotzdem eigenmächtig handeln konnten, erörtert Steffi Grundmann am Beispiel der Lucretia als nicht-historischer Figur bei Livius. Grundmann skizziert die Reichweite weiblicher Handlungsmacht sowie die Einflussnahme einer Frau zugunsten ihres eigenen Lebens. Indem Lucretia öffentlichkeitswirksam ihre Vergewaltigung anklagt, nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand und ersucht, dieses zum Positiven zu wenden, was das weibliche Handeln zentriert. Dem stellt Grundmann die römische Ehefrau gegenüber. In den Laudatio Turiae, einer monumentalen Grabinschrift, werden die Tugenden einer verstorbenen, kinderlosen Gattin wiedergegeben, welche den idealen Eigenschaften der Lucretia ganz ähnlich sind. Während Lucretia bei bzw. von Livius eine Stimme gegeben wird und sie „nicht nur Opfer, sondern in ihrem aktiven Handeln auch Täterin“ ist, gibt die verstorbene Ehefrau anderen Akteurinnen eine Stimme, wenngleich im deutlichen Eigeninteresse (S. 197).

Weibliche Handlungsmacht drückte sich auch über das Vertrauen in eine Frau aus. Im Zentrum steht das Motiv des Vertrauens in weibliche Figuren, welche etwa in den Metamorphosen des Apuleius durch partnerschaftliche Beziehungen besonders vertrauensvoll erscheinen. Hieraus leitet Alexander Thies über zum Ideal einer vertrauenswürdigen Kaiserin wie Livia. Auch später wird Vertrauen als Basis der Handlungsmacht einer Kaiserin propagiert. In den antiken Texten geht eine zunächst noch symmetrische Beziehung des Vertrauens zwischen den Geschlechtern jedoch schnell in eine Asymmetrie über, bei der der Mann den Vorzug genoss.

Im dritten Teil wird das Thema Männlichkeit, Macht und männliche Handlungsmacht fokussiert. Seraina Ruprecht untersucht anhand Sophokles’ Aias die Heroen und Bürger des klassischen Athens im Spiegel konkurrierender Männlichkeitsvorstellungen, mit denen der Dichter seinen Helden konfrontiert. Der Text dient als Zeugnis gesellschaftlicher Realität, das dem Aias zugeschriebene Ideal wird über den Athener des mittleren 5. Jahrhunderts v. Chr. geblendet. Ruprecht betont, dass die Tragödien trotz der zumeist fiktionalen Geschichten einen Zugriff auf zeitgenössische Männlichkeitsdiskurse ermöglichen. Am Aias ließe sich erkennen, wie eine literarische Figur in einem bestimmten Beziehungsgefüge Rückschlüsse auf historische Kontexte offenbart. Sie definiert drei Aspekte: „der Umgang mit Emotionen und Affektkontrolle am Beispiel des Weinens, die Integration des Mannes in das Beziehungsgefüge von Heer, Polis und Oikos […] sowie das Verhältnis von Männlichkeit, sozialem Status und Abstammung“ (S. 250).

Einige dieser Aspekte greift Kordula Schnegg auf, indem sie dem Einfluss von Erfolg auf das Männlichkeitsideal der Mittleren Republik nachgeht. Besonders einflussreiche Politiker wie die Cornelii Scipiones treten als dominante Machthaber auf, deren Erfolge in Rom weithin sichtbar waren. Da Krieg und Männlichkeit(en) sowie Triumph und Dominanz eng miteinander verwoben sind, bildet sich die virtus eine Mannes über seine Leistungen heraus. Anhand der Konzepte von Scott zu „gender“ und von Dinges und Connell zu „dominanter Männlichkeit“ skizziert Schnegg das Heer als soziale Einheit und als eine Männlichkeit(en) strukturierende Organisation (S. 273).2

Welche Rolle religiöse Akte dabei spielten, beleuchtet Christopher Degelmann anhand der rituellen Politik der toga virilis in der frühen Kaiserzeit. Bei einem juristisch, sexuell und soziokulturell prägenden Ereignis wie dem Anlegen der Männertoga wurden erneut Status und Prestige fokussiert. Die öffentlichkeitswirksame und materiell greifbare Inszenierung des männlichen Geschlechts wirkte bis in das Kaiserhaus, das Ritual der toga virilis als transitorische Zwischenstufe in die Biographie jedes heranwachsenden männlichen Römers. Als performativer Akt war dieses Ritual von hohem Stellenwert, sodass ein Abweichen weitreichende Folgen hatte. Mehrfach belegte Fälle vom Verzögern boten demnach zusätzliches Konfliktpotential, da „der ungebührliche Aufschub oder die vollständige Auslassung […] einen zentralen Lebensabschnitt“ (S. 297) eliminierte und den Betroffenen letztlich für höhere Aufgaben und Ämter disqualifizierte.

Den Einfluss von männlichen Amtsträgern beleuchtet Bernadette Descharmes am Beispiel des unter Arcadius im Oströmischen Reich bis zum Konsul aufsteigenden Eunuchen Eutrop. Seine „Quasi-Herrschaft“ stieß im Westen des Reiches auf wenig Zuspruch, was sich in der Schmähschrift des Dichters Claudian widerspiegelte. Claudian propagiert einen Konnex von Männlichkeit und Macht, dem Eutrop als Eunuch nicht nachkommen könne. Diese Abwertung mündet in einer Stilisierung als Bedrohung für das gesamte Römische Reich. Die von Claudian problematisierte Stellung eines Eunuchen machte sich Eutrop laut Descharmes aber dennoch zu eigen, da er keine Konkurrenz zum Kaiser darstellte und trotzdem hohe Ämter bekleiden konnte, die per se der männlichen Elite zustanden. Nach Claudian sei Eutrop „weder Mann noch Frau, in Bezug auf sein Alter weder Kind noch Greis“ (S. 310–311). Dass Eunuchen sowohl im Ost- als auch im Weströmischen Reich in die Hofverwaltung eingebunden waren, übergeht er. Der scharfen Polemik seiner Schriften stehe daher die faktische Macht eines Eunuchen wie Eutrop gegenüber.

Zum Schluss zieht Thomas Späth Bilanz, der darin die Fortschritte und Erkenntnisgewinne der altertumswissenschaftlichen Geschlechterforschung betont. Er hebt hervor, „dass es in den Beiträgen konsequent nicht um Frauen und Männer als reifizierte Konzepte geht, sondern um Bedeutungen von Geschlecht, die sich in sozialen Praktiken konstituieren“ (S. 328). Auf diese Weise sei es nicht nur möglich, die Dichotomie zwischen Frau und Mann weiter aufzubrechen, sondern die Kategorie Geschlecht auch konsequent als heuristisches Werkzeug einzusetzen. Unterschiedliche Theoriekonzepte ließen sich anwenden, um eine historische und sozio-politische Kontextualisierung antiker Zeugnisse zu erreichen. Hierzu seien weitere Differenzierungen der Untersuchungskategorien notwendig, wozu etwa Status, Prestige und Alter zählen. Nur so könnten neue Sichtweisen auf die Zusammenhänge entstehen und von der Geschlechterforschung weiterhin Impulse innerhalb der Alten Geschichte – und ihrer Nachbardisziplinen – ausgehen.

Die breitgefächerten Beiträge des vorliegenden Bandes verstehen es auf besonders anschauliche Weise, die Antike als einen fruchtbar zu machenden Untersuchungsgegenstand geschlechtsspezifischer Forschung vorzustellen. Die eng am Material durchgeführten Analysen im Spiegel eines theoriebasierten Rück- und Ausblickes vermitteln den Leser:innen einerseits den status quo einer Geschlechtergeschichte der Antike und zeigen andererseits auf, welches inhaltliche, aber auch methodische Potenzial noch immer in diesem Forschungsfeld steckt. An diesen Band – welcher erfreulicherweise auch Open Access erschienen ist – wird sich über folgende Arbeiten unmittelbar anknüpfen lassen.

Anmerkungen:
1 Joan W. Scott, Gender. A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review 91 (1986), S. 1053–1075.
2 Scott, Gender, S. 1069; Raewyn Connell, Der gemachte Mann. Konstruktionen und Krise von Männlichkeiten, 3. Aufl., Opladen 2006 (1. Aufl. 1999); Martin Dinges, ‚Hegemoniale Männlichkeit‘ – Ein Konzept auf dem Prüfstand, in: ders. (Hrsg.), Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt am Main 2005, S. 7–33.

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