R. Konijnendijk: Between Miltiades and Moltke

Cover
Titel
Between Miltiades and Moltke: Early German Studies in Greek Military History.


Autor(en)
Konijnendijk, Roel
Reihe
Ancient History
Erschienen
Anzahl Seiten
117 S.
Preis
€ 74,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Zerjadtke, Professur für Alte Geschichte, Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg

Wer sich in Deutschland mit griechischer Militärgeschichte befasst, ist es gewohnt, dass Fachkolleginnen und -kollegen, Studierende und Laien annehmen, man forsche über Schlachtenverläufe oder bedeutende Feldherren. Der Ursprung dieser durchaus nicht unbegründeten Annahme ist die überaus einflussreiche frühe militärhistorische Forschung in Preußen und später im Deutschen Reich, die auf diese Aspekte fokussierte. Der mit 99 Seiten Fließtext noch übersichtliche Band von Roel Konijnendijk ist genau diesem Thema gewidmet. Er ist die ausführliche Ausarbeitung einer bereits früher vom Autor verfassten Betrachtung.1 Es handelt sich um die erste Monografie über die wissenschaftlich dominanten deutschsprachigen Studien aus der Zeit von 1852 bis 1931. Roel Konijnendijk nimmt eine Auswahl einflussreicher Bücher in den Blick und ergänzt seine Betrachtungen durch viele biografische Informationen zu Karrieren, teilweise auch zu akademischen Intrigen und zu möglichen Motivationen, bestimmte Werke zu verfassen. Generell ist sein Buch stark auf die Personen fokussiert.

Nach der Einleitung ist der Band in drei Teile gegliedert: Die gemeinsamen Arbeiten von Wilhelm Rüstow und Hermann Köchly, den neuen Studien von 1880 bis 1895 und dem Streit zwischen Hans Delbrück und Johannes Kromayer. In der Einleitung wird die Kritik moderner Historiker und Historikerinnen an den frühen preußischen militärhistorischen Werken vorgestellt. Diese seien allzu mechanisch, statisch und in gewisser Weise steril, ohne die kulturellen Aspekte zu beachten. Sie würden sich hauptsächlich in bisweilen kleinlicher Weise mit Taktiken sowie mit den Feldherren befassen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unberücksichtigt lassen. Dies hebe die frühe Forschung von der „neuen Militärgeschichte“ ab. Auf elf Seiten erläutert Roel Konijnendijk die Entwicklung der Alten Geschichte in den Deutschen Ländern sowie der institutionalisierten Militärgeschichte im Militär. Sein Hauptinteresse gilt dem im Jahr 1824 gegründeten Großen Generalstab sowie der seit 1816 bestehenden Historischen Abteilung, die 1871 in Kriegsgeschichtliche Abteilung umbenannt wurde. Sie produzierte die offizielle Geschichtsschreibung der preußischen Kriege und schulte Offiziere, die später in der Militärakademie unterrichten sollten. Ziel der militärhistorischen Forschung in diesen Einrichtungen war, aus vergangenen Schlachten und Kampagnen anwendbare Lehre zu ziehen. Man beschäftigte sich auch mit antiker Kriegführung, doch 1890 wurden die Kurse zur antiken und mittelalterlichen Geschichte eingestellt.

Parallel dazu entwickelte sich in Preußen die stark philologisch geprägte akademische Disziplin der Alten Geschichte. Diese habe Beiträge von Laien unbeachtet gelassen und sich in gewisser Weise abgeschottet. Auch im Bürgertum war das Wissen um die Antike weit verbreitet, denn die Beschäftigung mit dem klassischen Altertum gehörte im 19. Jahrhundert zum Bildungskanon. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen kam es dazu, dass die Militärgeschichte als Gegenstand bei Zivilisten und Soldaten beliebt war, Militärgeschichte weitgehend vom Militär selbst geschrieben wurde und die philologisch arbeitenden akademischen Historiker ihnen das Feld überließen. Andernfalls hätte man sich dem Vorwurf ausgesetzt, man wüsste es besser als die Offiziere.

Einen Ausweg aus dieser Misere fanden der Heeresingenieur Wilhelm Rüstow und der Althistoriker Hermann Köchly. Die Biografie Rüstows, die bisher wenig untersucht worden sei, macht einen größeren Teil dieses Kapitels aus. Durch eine enge Kooperation der beiden Männer schufen sie den Band „Geschichte des griechischen Kriegswesens“, der 1852 als Rüstows Habilitation publiziert wurde. Roel Konijnendijk meint dazu, das Buch habe „claim to be the single most influential work on this subject ever written.” (S. 20). Das Buch sei in der Fachwelt sehr gut aufgenommen worden, auch, weil durch die Zusammenarbeit beide Expertisen vorhanden waren, sowohl auf militärischer als auch auf philologischer Ebene. Zudem gingen die Autoren im Buch auch über das Militärisch-technische hinaus und befassten sich mit der Wechselwirkung zwischen Armee und Gesellschaft.

Erst 30 Jahre später kamen in schneller Folge weitere Handbücher auf den Markt. Max Jähns, Mitglied im Großen Generalstab, publizierte eine Reihe von Studien, darunter 1880 ein Werk über die Militärgeschichte von der Vorgeschichte bis zur Moderne. Beinahe zeitgleich publizierten Adolf Bauer und Hans Droysen zwei Bände zur Militärgeschichte, die jeweils Teil einer Schriftenreihe waren. „Die Kriegsalterthümer“, Teil des „Handbuches der klassischen Alterthums-Wissenschaft“ von 1887, blieb vom Aufbau her dem Vorgänger von Rüstow und Köchly treu. Roel Konijnendijk wertet Adolf Bauers Buch als „little more than a conservative update“ (S. 46). Hans Droysens „Heerwesen und Kriegführung der Griechen“ von 1889 erschien als „Lehrbuch der griechischen Antiquitäten“. Es zeichnete sich durch die Betrachtung des Seekrieges und durch ein umfassendes Kapitel zu den archäologischen Artefakten aus, stand ansonsten aber ganz in der philologisch-akademischen Tradition. Weiterhin wird „Das Kriegswesen der Alten“ des Gymnasiallehrers Hugo Liers aus dem Jahr 1895 als Sonderfall hervorgehoben. Dieses Werk habe eine Reihe gänzlich neuer Aspekte berücksichtigt und sei daher der erste Versuch einer Neukonzeption einer Überblicksdarstellung der antiken Kriegführung gewesen.

Inspiriert von diesen Werken begann Hans Delbrück, sich mit Militärgeschichte zu befassen. Er beanspruchte für sich, über die Expertise auf philologischem und auf militärtheoretischem Feld zu verfügen und hob die Bedeutung von Sachkritik anstatt reiner Wortkritik hervor. Roel Konijnendijk widmet der Methodik und dem Streit Delbrücks mit seinen akademischen und militärischen Gegnern ganze neun Seiten. Dessen Werke förderten die Entstehung der zweiten Auflage von Adolf Bauers „Die griechischen Privat- und Kriegsaltertümer“. 1893 gedruckt, war sie fast doppelt so umfangreich wie die Erstauflage und glänzte mit einem detaillierten Literaturapparat. Roel Konijnendijk betont die von sieben auf 19 Seiten angewachsene Einleitung, die eine detaillierte Analyse antiker und moderner Kriegshistoriographie biete. Bauer habe darauf aufmerksam gemacht, dass ohne das Wissen über die Topografie eine fundierte Rekonstruktion der Schlachten kaum möglich sei.

Genau dieses Problem ist der Mittelpunkt des Streites zwischen Hans Delbrück und Johannes Kromayer, der die griechische Militärgeschichte bis zum Ende des ersten Weltkrieges prägte. Laut Roel Konijnendijk habe er die Entwicklung der Militärgeschichte zu einem breit aufgestellten Feld innerhalb der Geschichtswissenschaft verhindert und den zeitlichen Fokus auf die hellenistische und römische Zeit verengt. Aufgrund seiner Bedeutung nimmt der Autor den Streit der beiden Gelehrten detaillierter in den Blick. Um genaue Kenntnis der Topographie der Schlachtfelder zu erlangen, führte Johannes Kromayer selbst einen kartografischen Survey durch und erstellte geeignete Übersichten. Die Bände entstanden stets in Zusammenarbeit mit einem militärischen Berater, von 1907 bis 1935 war dies der Offizier Georg Veith. Auch wenn „Antike Schlachtfelder“ zu einem Erfolg wurde, konnte die Methodik Hans Delbrück nicht überzeugen. Er war der Ansicht, dass zwei Experten dennoch nicht einen Gelehrten mit zweifacher Expertise wie ihn ersetzen könnten. Delbrück verstieg sich in immer schärferer Kritik, die darauf hinauslief, dass in seinen Augen nur er selbst die Expertise besaß, antike Militärgeschichte zu schreiben. Der Großteil der Fachwelt akzeptierte die bessere Methodik Kromayers und aufgrund der Fokussierung auf die Schlachtentaktik blieb Militärgeschichte vorerst thematisch eng begrenzt.

Erst als diese stark einschränkende intellektuelle Umgebung nicht mehr existierte, sei das Aufkommen der „neuen Militärgeschichte“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts möglich geworden. Es war nun nicht mehr zu erwarten, dass akademisch arbeitende Historiker von Offizieren öffentlich gescholten werden, wenn sie sich mit Militärgeschichte befassten. Den Niedergang der militärischen Dominanz beschreibt Roel Konijnendijk nicht mehr. Ein weiterer Aspekt, den der Autor leider wenig beleuchtet, sind die Werke der preußischen bzw. deutschen Militärs, deren Dominanzanspruch er betont. Diese sind mit Ausnahme von Max Jähns außen vor gelassen. Es wäre interessant gewesen, zumindest einige weitere der literarisch als Militärhistoriker tätigen Offiziere zu beleuchten.

Mit seinem Band hat der Autor eine Lücke in der ungewöhnlichen Historiografiegeschichte zur antiken Militärgeschichte gefüllt. Er macht dem Leser deutlich, wie es zur Beschränkung auf taktische Fragen kam. Durch das Einflechten längerer biografischer Absätze sowie vieler übersetzter Originalzitate wird das geistige Umfeld der Zeit greifbar. Die Lektüre ist daher nicht nur aus historiografiegeschichtlicher Perspektive interessant, sondern zeichnet zugleich ein interessantes Genrebild der Zeit.

Anmerkung:
1 Roel Konijnendijk, Classical Greek Tactics. A Cultural History, Leiden 2018, S. 3–38.

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