2017 brachte Ellen Welch die französische Festkultur mit Schwung auf das Tableau der neueren Diplomatiegeschichte, indem sie Festveranstaltungen des französischen Hofs als wirksamen Teil des diplomatischen Geschehens analysierte, in welches die Gesandten aktiv eingebunden waren.1 Die vorliegende Studie zum Verhältnis von Diplomatie und Festkultur knüpft an diese Pionierleistung an. Van Leuveren, Kunsthistoriker an der Universität Utrecht, hat hierfür seine 2019 an der Universität St. Andrews (Modern Languages, French Studies) eingereichte Dissertation sowie einen bereits veröffentlichten Artikel (Kapitel 3) überarbeitet.
Fünf Kapitel, gerahmt von einer Einleitung und einem Schluss, verorten die französische Festkultur des ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhunderts ganz grundsätzlich im diplomatischen Kontext: „the late Valois and early Bourbon rulers of France deployed festival culture predominantly for purposes of negotiation, hospitality, and publicisation“ (S. 4). Für die Untersuchung formuliert van Leuveren zusätzlich zwei Ziele. Zum einen möchte er die französische Festkultur in einem europäischen Kontext situieren, zum anderen die Beziehungen zwischen den vorgegebenen und den tatsächlichen Zielen der Festkultur nachzeichnen. Wunsch und Wirklichkeit also – oder in den Worten van Leuverens: „the real-world effects that these festivals had on differing audiences“ (S. 10).
Um diese Ziele zu erreichen und sein Hauptargument zu untermauern, wählt van Leuveren einen originellen Zugriff. Statt die von der Diplomatiegeschichte der Frühen Neuzeit vorrangig benannten Praktiken des Repräsentierens, Verhandelns und Informierens der Diplomaten zum Ausgangspunkt zu nehmen, nutzt van Leuveren das Begriffsinstrumentarium der modernen Diplomatie und Politikwissenschaft, um mit negotiation, hospitality und publicisation drei Hauptfelder aufzuwerfen, deren Instrumentalisierung er nahezu ausschließlich bei den Regent:innen verortet. Es ist der Staatsbesuch Donald Trumps in Großbritannien von 2017, der ihm als Blaupause dient, um seine Analysekategorien Verhandeln, Gastgeben und Bekanntmachen zu finden, mit denen er die frühneuzeitliche Festkultur-Diplomatie nachzeichnet (S. 1–3, 8–9).
Im ersten Kapitel wird der Versuch unternommen, die drei genannten Begriffe mit frühneuzeitlichen Normvorstellungen von Diplomatie zu verbinden, wobei die einschlägige Traktatliteratur dies nur bedingt erlaubt, wie van Leuveren beim Begriff „publicisation“ auch einzuräumen scheint (vgl. S. 65). Man ist gespannt, wie die Begriffe in den folgenden Kapiteln konkretisiert werden. Sie widmen sich „festivals, or episodes thereof, that have remained understudied by researchers of early modern diplomacy and spectacle“ (S. 26). Van Leuverens einziges Auswahlkriterium dieser Episoden –„understudied“ – lässt mit Blick auf die gewählten Ereignisse stutzen. Es sind allesamt diplomatie- als auch kulturgeschichtlich extensiv erforschte Felder.2 Doch van Leuverens Fokus ist ein anderer. Statt sich vorrangig dem Geschehen selbst oder seinen gut erforschten Artefakten wie Libretti, Kunstwerken oder Musik zu widmen, sucht van Leuveren diplomatische Randzonen und mögliche Chancen, die sich während einer Feierlichkeit ergeben haben könnten: Verhandlungsmodi während der Hochzeitsfeierlichkeiten von 1572 (Kapitel 2), das Handling der Gastgeberschaft beim Besuch der niederländischen Delegation von 1585 (Kapitel 3), Strategien der Bekanntmachung, die mit dem Edikt von Nantes (1598) und dem Friedens von Vervins (1600) korrelieren (Kapitel 4), sowie die Kontrollbemühungen um das Publikum bei den Pariser Feierlichkeiten der Doppelhochzeit von 1612/1615 (Kapitel 5). Am Sommer 1572 interessiert van Leuveren weder der diplomatische Furor, der auf die Bartholomäusnacht folgte, noch eine hermeneutische Ausdeutung der Festallegorien, sondern unter anderem das Auftreten der Hugenotten während der Feierlichkeiten. Auf der Grundlage hugenottischer Augenzeugenberichte interpretiert er ihr Verlassen der Kathedrale, ihre Kleiderwahl oder ihre Verweigerung zum Tanz während eines Banketts als Ausdruck einer Religiosität, die bewusst die Katholizität der französischen Monarchie nicht infrage gestellt habe – eine Art performative Selbstvergewisserung unter diplomatischen Vorzeichen. Das Verhandeln der jeweiligen Positionen im Vorfeld beschreibt er als Strategie der Königsmutter Jeanne d’Albret, welche eine „cross-confessional diplomacy“ verfolgt habe – die Festlichkeiten aller Art seien dabei ihr Mittel zum Zweck gewesen (S. 93).
An einigen Stellen entsteht der Eindruck, die Quellen werden im Sinne der Konzepte etwas weit ausgelegt (vgl. S. 82, Catarina de‘ Medicis Brief an Elizabeth I.) oder mit zu geringer Distanz behandelt (vgl. S. 230–235, Bassompières Memoiren). In der Analyse von Gartenvisiten, Banketten und Krankenbesuchen bringt die magere Quellenlage van Leuveren zuweilen an den Rand der Spekulation – auch, weil er bemüht ist, die herausragende Rolle der Herrscher:innen als intentionale Strategie darzulegen (vgl. zum Beispiel S. 198 zu Heinrich IV.). Möglicherweise wird diese Top-down-Perzeption durch van Leuverens Literaturauswahl begünstigt, welche zwar einerseits bemerkenswert breit angelsächsische, französische, niederländische und einige deutschsprachige Titel einbezieht, anderseits der älteren Literatur und Editionen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert großen Stellenwert beimisst (vgl. Kapitel 2).
Wie erhellend sein Ansatz jedoch mit einer entsprechenden Quellenbasis sein kann, zeigt Kapitel 3, welches auf Manuskripten des Nationalarchivs in Den Haag aufbaut. Am Beispiel der gescheiterten niederländischen Gesandtschaft, die 1585 versuchte, Henri III. die Statthalterschaft anzutragen, setzt van Leuveren verschiedene Formen ostentativer und weniger offensichtlicher Gastfreundschaft des französischen Königs zueinander in Beziehung. Während die niederländischen Gesandten nur langsam und möglichst unauffällig in die Nähe der königlichen Residenz rücken dürfen, zieht die englische Gesandtschaft mit Pomp an ihnen vorbei. Das gegenseitige Beäugen fängt van Leuveren sehr schön ein. Es gelingt ihm herauszuarbeiten, in welche Dilemmata die Existenz einer niederländischen Delegation den französischen König mutmaßlich gebracht haben musste: Er wahrte ein Mindestmaß an Gastgeberpflichten gegenüber den protestantischen Niederländern, indem er mit dem Privileg eines direkten privaten Zugangs hinter verschlossenen Türen das Fehlen einer bedingt öffentlichen Diplomatie aufwog. Der eigentliche Clou des Kapitels passiert dabei en passant, denn van Leuverens Schilderung der Delegation illustriert, wie der diplomatische Vorteil in einer Verhandlungsposition zeremoniell durch die Kontrolle von Tempo, Raum und Wegführung der niederländischen Delegation bestimmt werden konnte. In diesem Muster, welches ebenso die Tanztheater der Zeit konzeptionell umsetzen, berühren sich Diplomatie und Festkultur im Europa des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts tatsächlich im Kern; ein Kern, den van Leuveren in der Konklusion als „diplomatic ballet“ (S. 172) knapp zusammenfasst, aber nicht näher erläutert.
Auch anderes hätte man sich explizierter gewünscht, beispielsweise die vielversprechende Engführung des Edikts von Nantes und des Friedens von Vervins (Kapitel 4) oder der royalen Hochzeiten 1612 und 1615 (Kapitel 5). Die Ereignisse werden jeweils hintereinander verhandelt, doch bleibt ein systematischer Vergleich in beiden Kapiteln (vgl. hingegen die Ankündigung S. 179f., S. 215) aus. Am augenfälligsten ist aber die fehlende Diskussion der Übertragbarkeit von Begrifflichkeit und Handlungskonzepten der heutigen internationalen Beziehungen auf vormoderne Strukturen. Van Leuveren weist lediglich darauf hin, dass der moderne Begriff „Diplomatie“ Praktiken umfasse, welche bereits in der Frühen Neuzeit existiert hätten (S. 13), auch wenn sie anders benannt worden seien (S. 12). Der Komplexität einer frühneuzeitlichen Diplomatie-im-Entstehen, von der die Festkulturdiplomatie, wenn man sie so nennen möchte, überdies nur einen kleinen Ausschnitt umfasst, wird dies nicht gerecht. Bis zum Ende bleibt unklar, was mit frühneuzeitlicher „publicisation“ gemeint sein könnte, setzt doch der Begriff eine moderne Form von Öffentlichkeit und eine bestimmte Art der Medienlandschaft voraus. Der ergänzend gebrauchte Begriff des „broadcasting“ (Kapitel 4) macht die Analogie noch schwieriger. Der wichtige Begriff „audience(s)“ wird nicht erläutert. Das Konzept der „hospitality“ gewinnt hingegen durch einen Exkurs über Jaques Derridas Deutung des Begriffs (S. 150), doch auch hier wird der Anschluss an die bestehende Frühneuzeitforschung nicht gesucht.3 „Negotiation“ bleibt die verlässliche, aber breite Brücke (vgl. S. 6).
Diplomatie und Festkultur waren im untersuchten Zeitraum eng verbunden. Dass an diesem Zusammenhang nach der Lektüre keine Zweifel bestehen, ist ein Gewinn. Ob die Festkultur aber vorrangig für diplomatische Zwecke genutzt wurde, wie es das Hauptargument nahelegt, ist weniger eindeutig zu beantworten. Auch van Leuverens zu Beginn formulierten Ziele erscheinen im Nachhinein ein wenig hochgesteckt. Doch van Leuverens Beobachtungen sind wertvoll, denn sie werfen die Frage auf, ob die frühneuzeitliche Diplomatiegeschichte den Erfolg von Verhandlungen nicht mit noch größerer Vehemenz in den „Rahmenprogrammen“ diplomatischer Ereignisse suchen sollte. Van Leuveren gelingt es, auf ungewöhnliche, anregende und in sich stringente Weise neue Lesegewohnheiten und einen geschärften Blick für Dinge zu entwickeln, die bislang häufig als diplomatische Nebensächlichkeiten abgetan wurden.
Anmerkungen:
1 Ellen Welch, A Theater of Diplomacy. International Relations and the Performing Arts in Early Modern France, Philadelphia 2017. Auf die Verbundenheit von (französischer) Tanzkultur und Diplomatie verwiesen bereits Margaret McGowan, L’art du ballet de cour en France, 1581–1643, Paris 1963; Kate van Orden, Music, Discipline, and Arms in Early Modern France, Chicago 2005; Barbara Ravelhofer, The Early Stuart Masque. Dance, Costume and Music, Oxford 2006.
2 Vgl. beispielsweise den vorbildhaft interdisziplinären Sammelband: Margaret McGowan (Hrsg.), Dynastic Marriages 1612/1615. A Celebration of the Habsburg and Bourbon Unions, Farnham 2013.
3 Vgl. zum Beispiel David B. Goldstein / Marco Piana (Hrsg.), Early Modern Hospitality, Toronto 2021.