Cover
Titel
Auf den Spuren der Arbeitstiere. Eine gemeinsame Geschichte vom ausgehenden 18. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts


Autor(en)
Schiedt, Hans-Ulrich
Erschienen
Zürich 2024: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
338 S., 86 Fotos, 23 weitere Abb.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael K. Schulz, Historisches Institut, Universität Potsdam

Schon mehrere Jahrtausende bedient sich der Mensch der Muskelkraft von Tieren, vornehmlich zwecks Fortbewegung und Gütertransport. Insbesondere während der Industrialisierung, Urbanisierung und Intensivierung der Agrarwirtschaft im modernen Zeitalter kamen animalische Helfer in zuvor unbekanntem Ausmaß zum Einsatz. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sank der Bedarf im europäischen Kontext rasant. Hans-Ulrich Schiedts neue Monografie widmet sich indes dem Höhepunkt der Verwendung von Arbeitstieren.

Der Autor ist ein erfahrener Verkehrs- und Wirtschaftshistoriker an der Universität Bern und dem Berner Archiv für Agrargeschichte. Die im Rahmen des SNF-geförderten Forschungsprojekts „Kulturen und Raumordnungen der Arbeitstiere. Grundlagen zu einer Geschichte der tierlichen Trag- und Zugarbeit, 1750–1950“ entstandene Studie rekapituliert und erweitert seine bereits in mehreren Artikeln präsentierten Forschungsergebnisse. Das Ziel der Studie ist „eine sozial-, agrar-, wirtschafts-, verkehrs- und kulturgeschichtlich orientierte Spurensicherung“ von der Verwendung der Arbeitstiere (S. 14). Dabei werden als Untersuchungsobjekte diejenigen Lebewesen berücksichtigt, die „als gesellschaftliche Bewegungsenergieressourcen“ – das heißt als Reit-, Zug- oder Saumtiere – hervortraten (S. 24). Wie das ganze Projekt fokussiert die Monografie die Schweiz als „eine Variante west- und zentraleuropäischer Verhältnisse“ (S. 15) in einem Zeitraum, der mit der intensivierten Verwendung von Arbeitstieren im ausgehenden 18. Jahrhundert ansetzt und durch die breitflächige Motorisierung der Landwirtschaft sowie des Verkehrswesens Mitte des 20. Jahrhunderts einen Endpunkt des sogenannten „Pferdezeitalters“ (R. Koselleck) erreicht.

Für künftiges Nachschlagen ist die Studie recht praktisch aufgebaut. Den zwei einleitenden Kapiteln folgen fünf Abschnitte, die sich jeweils mit einer Tierart befassen. Den Pferden als den relevantesten Energielieferanten wird am meisten Platz gewidmet. Weitere Kapitel thematisieren die Verwendung von Rindern, Maultieren, Eseln und Hunden zu Zugarbeiten. Begleitend zum Text enthält das Buch über 100 kommentierte Abbildungen, die größtenteils im Archiv für Agrargeschichte erschlossen wurden.

Die Studie ist besonders durch eine These geprägt, die dem gängigen Modernisierungsnarrativ widerspricht, wonach der Einsatz fossiler Energieträger im Verkehr, im Bauwesen oder in der Landwirtschaft mit der Abschaffung animalischer Kraft gleichzusetzen ist. Stattdessen betont Schiedt, dass im Rahmen des mehrere Jahrzehnte andauernden Prozesses Arbeitstiere keineswegs als „vormoderne Relikte“, sondern vielmehr als Agenten der Modernisierung anzusehen sind, die den sozioökonomischen Wandel erst ermöglichten. Auch nachdem die mit fossilen Energieträgern betriebenen Maschinen seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts großflächig eingesetzt wurden, blieben Arbeitstiere als eine Reserve-Zugkraft zunächst vorhanden. Dies war umso leichter umsetzbar, solange die Tiere pluriaktiv beziehungsweise mehrtätig blieben (S. 37f.), das heißt es wurde ihnen mehr als eine Funktion zugeschrieben – wie zum Beispiel den Kühen die Milch- und Fleischlieferung sowie Zugarbeiten.

Trotz Unterschieden in der Quellenlage gelingt es dem Autor einige vergleichende Aspekte zwischen den Tierarten und ihren jeweiligen Einsatzfeldern – etwa den Arbeitsumfang – detailliert herauszuarbeiten. Wie viele Stunden am Tag arbeiteten die Arbeitstiere etwa bei der Post, bei der Tram, bei Transportunternehmen oder in der Landwirtschaft? Welche Distanzen legten sie dabei zurück? Wie viele Jahre verbrachten sie im Durchschnitt in einem Betrieb und was passierte danach mit ihnen? Angesprochen wird dabei auch ein bislang wohl unterbelichteter Aspekt der Mensch-Tier-Beziehungen: die Verwendung von Hunden zur Zugarbeit. Wie die Studie belegt, bot dieses quellenmäßig schwieriger als etwa die Pferdearbeit identifizierbares Phänomen den Zeitgenossen das beste Nahrung-Pflege-Leistungsverhältnis und war allem Anschein nach genauso üblich wie Pferde- oder Ochsenfuhrwerke.

Neben den meist bekannten Entwicklungen der Verwendung von Pferdekraft in Großstädten widmet sich Schiedt auch den Verhältnissen auf dem Land, insbesondere im Gebirge, wo jahrhundertealte Strukturen weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein ihre Geltung behielten. Überregionale Spediteure bedienten sich etwa eines etappenweisen Transportsystems, das sich auf die Mitarbeit ortskundiger lokaler Bauern stützte. Sogar die Postkutsche verschwand nicht sofort mit dem Aufkommen der Eisenbahn, sondern wurde bis zum Ersten Weltkrieg ausgebaut, allerdings lokal und regional orientiert.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Betonung von Partnerschaften zwischen Menschen und ihren Arbeitstieren. Für die Fütterung und Pflege erwarteten die Tierhalter konkretes Nutzen und aus dem Verhältnis zwischen diesen Elementen ergaben sich ungeschriebene „Rechte und Pflichten“. Wie von einem Menschen wurde auch von einem Pferd in der Landwirtschaft das „Arbeiten bis zum Umfallen“ erwartet. Dafür wurde es als Teil der Familie betrachtet und die Knechte beschwerten sich unter Umständen, dass sie eine schlechtere Behandlung als die Tiere erhielten. Zwar gab es nie eine Symmetrie zwischen Menschen und ihren Arbeitstieren, aber eine Leistungs- und Leidensgemeinschaft.

All diese wertvollen Erkenntnisse ergeben sich aus dem Narrativ und der Struktur des Buches, welches der Autor treffend als „Spurensicherung“ bezeichnet. Es wird hier reichlich aus den Quellen zitiert, diese werden aber oft nur knapp kontextualisiert und lediglich durch das Hyperonym der Studie – das Arbeitstier – verbunden. Dabei geht der Verfasser in einzelnen Kapiteln nicht zwangsweise chronologisch vor und die Reihenfolge der Erzählung bleibt manchmal unklar (zum Beispiel auf S. 129–167). Was bei der Lektüre zusätzlich stört, ist die Tatsache, dass lange Zitate – die hier zahlreich vorkommen – nicht typografisch wie etwa durch Einrückung gekennzeichnet werden.

Zu begrüßen ist indes, dass der Autor mehrmals auf den in Deutschland wenig rezipierten französischen Historiker der Mensch-Tier-Beziehungen, Éric Baratay, verweist und die „bei vielen Texten zur Pferdegeschichte […] [erkennbare] Ignoranz der [bisherigen] historisch-wissenschaftlichen Leistungen“ anprangert (S. 55). Umso mehr überrascht es, dass etwa solche Forschende der Tier-, Verkehrs- und Landwirtschaftsgeschichte wie Uwe Fraunholz, Anita Idel, Wolfram Schlenker, Frank Uekötter, Amir Zelinger oder Miriam Zerbel gar nicht zitiert werden. Die Berücksichtigung der Forschungsliteratur zum Tierschutz hätte einige Aussagen besser fundieren können. Wenn also ohne Belege behauptet wird, die Einstellung der Tierschutzvereine gegenüber den Arbeitstieren sei selektiv, sentimental, vielleicht sogar heuchlerisch gewesen (S. 292), muss diese Aussage als nicht nachvollziehbar eingestuft werden.

Mehrmals verweist Schiedt auch auf Ulrich Raulffs Bestseller zum Platz des Pferdes in den europäischen und nordamerikanischen Kulturen der letzten drei Jahrhunderte.1 An der Gegenüberstellung der beiden Bücher lässt sich gut zusammenfassend der Wert der rezensierten Studie erkennen. Während nämlich Raulffs populärwissenschaftliche Impressionen der Mensch-Pferd-Beziehungen eher eine Inspiration für gründliche Geschichtsschreibung verschaffen, liefert die rezensierte Monografie einen konkreten, durch Kärrnerarbeit an den Quellen gelegten Baustein zur Erkenntnis der Mensch-Tier-Geschichte, der häufiges Zitieren verdient.

Anmerkung:
1 Vgl. Ulrich Raulff, Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung, München 2015.