Das bisherige Fehlen neuerer vertiefter Einzelanalysen zu manchem hagiographischen Text des Mittelalters offenbart einen gewissen Aufholbedarf der Forschung, die sich zum Teil mit jahrzehntealten Monographien begnügen muss. Mit der vorliegenden Studie gelingt es Fiona Fritz, eine weitere Lücke dieser Art zu schließen, indem sie sich en detail und aus einer aktuellen Forschungsdebatte heraus einer dänischen Quelle des frühen zwölften Jahrhunderts annimmt. Verfasst wurde selbige von Ælnoth von Canterbury, einem in Dänemark ansässigen angelsächsischen Benediktiner. Den sperrigen, auf den Editor M. C. Gertz zurückgehenden Titel Gesta Swenomagni regis et filiorum eius et Passio gloriosissimi Canuti regis et martyris kürzt Fritz dankenswerterweise zu einem griffigeren Gesta et Passio ab.
Die Quelle bedient mehrere Genres zugleich: Es handelt sich sowohl um eine Chronik der Herrschaften König Sven Estridssons von Dänemark und seiner zahlreichen Söhne als auch um die vita und passio des 1086 in Odense getöteten heiligen Königs Knut, eines ebendieser Söhne. Fritz macht die Komplexität und Heterogenität dieses Textes zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtung und zeichnet seine Multifunktionalität nach, um ein besseres Verständnis für das eher ungewöhnliche literarische Format zu entwickeln. Sie nutzt hierfür etablierte Methoden der Geschichts-, Literatur- und Sprachwissenschaften zur Erforschung mittelalterlicher Hagiographie. Angesichts des königsbiographischen Sujets ergibt sich ein deutlicher, aber nicht alleiniger Fokus der Studie auf politische Geschichte. Im Vordergrund der Analyse bleiben jedoch stets die Quelle selbst und ihr unmittelbarer Kontext, nicht die Person und Figur des Knut, zu dem in den letzten Jahren bereits anderweitig reichhaltige, auch interdisziplinäre Forschungsarbeiten entstanden sind.1
Fritz stellt ihrer Analyse einen umfangreichen Einführungsblock voran. Zunächst gibt sie einen übersichtlichen Abriss der skandinavischen und insbesondere dänischen Christianisierung. Inkludiert sind eine Karte, ein Zeitstrahl der wichtigsten Ereignisse und Quellen durch die Wikingerzeit und bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts und eine Stammtafel der dänischen Königsdynastie mit Herrschern und anderweitig wichtigen Personen. Auch wer sich bislang noch nicht ausführlich mit dem mittelalterlichen Dänemark auseinandergesetzt hat, sollte auf dieser Grundlage den vertieften Ausführungen der nachfolgenden Kapitel gut folgen können. Fritz liefert weiterhin eine Einführung zu Heiligen und Heiligkeit im Mittelalter und positioniert sich damit gleichzeitig in einem Forschungsumfeld, das gerade die Pluralität der Heiligkeiten betont. Besonders deutlich wird dies im von der Autorin selbst und Andreas Bihrer herausgegebenen Sammelband „Heiligkeiten“2, dessen Beiträge eine theoretische Grundlage der vorliegenden Studie leisten. Deren durchaus überzeugende Prämisse ist es, dass die Pluralität der Heiligkeiten mit der Multifunktionalität von hagiographischen Texten korrespondiert. Fritz beschließt dieses einleitende Kapitel mit einigen kurzen Bemerkungen zum stark beschränkten Korpus mittelalterlicher dänischer Quellen zur dänischen Geschichte.
Damit leitet sie sogleich zu einer Übersicht über die Quellen speziell zu St. Knut, auch jenseits der Gesta et Passio, über. Die Gesta et Passio und verwandte Quellen des späten elften und frühen zwölften Jahrhunderts bilden das in unmittelbarer geographischer Nähe zu Knuts Todesort und Schrein entstandene Kernkorpus der Odense-Literatur, mit einer starken Betonung von Knuts Heiligkeit aufgrund angeblicher Parallelen zu Jesus Christus. Spätere, stärker historiographisch geprägte Quellen wie Saxos Gesta Danorum und die isländische Knytlinga saga finden ebenfalls Erwähnung, sind für Fritz’ Studie jedoch von geringem Belang.
Die eigentliche Analyse der Gesta et Passio beginnt Fritz mit dem Herunterbrechen der Struktur des Textes und den narrativen und rhetorischen Strategien, die Ælnoth darin anwendet. Davon ausgehend legt sie kapitelweise die unterschiedlichen Funktionen dar, die sie der Quelle beimisst. Den Anfang macht Ælnoths Beitrag zur Konstruktion von Knut als königlichem Heiligen mittels des Motivs der imitatio Christi, Vergleichen mit anderen Heiligen, Wunderberichten und der Darstellung Knuts als christlichem, kirchenfreundlichem König. Diese Konstruktion von Heiligkeit ist mit den übrigen von Fritz aufgeführten Funktionen zumindest verknüpft, wenn nicht sogar deren Grundlage. So argumentiert die Autorin, dass Ælnoths Beschreibung des entstehenden Knutskultes und (möglicherweise falsche) Behauptung früher päpstlicher Förderung der weiteren Verbreitung des Kultes gedient habe.
Jenseits dieser geradezu klassischen Funktionen der Hagiographie identifiziert Fritz die Gesta et Passio weiterhin als einen möglichen Fürstenspiegel, da darin die ideale Königsherrschaft dargestellt und propagiert werde. Ælnoth beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Idealisierung Knuts, sondern präsentiert auch andere Dynastiemitglieder als vorbildliche Herrscher, während seine Brüder Harald und Olaf als Gegenbeispiele Verurteilung erfahren. Ælnoth leistet zudem einen Beitrag zum Prestige der Dynastie insgesamt und insbesondere Knuts Bruders und Nachfolgers Erik, indem er die Assoziation mit dem heiligen Verwandten betont.
Die Autorin widmet sich auch dem klerikalen Blickwinkel und zeigt, wie die zu Ælnoths Lebzeiten immer noch im Aufbau befindliche dänische Kirche von der positiven Darstellung von Königen zu profitieren hoffte, die als Förderer der Geistlichkeit galten. Fritz glaubt des Weiteren, frühe Anzeichen des Konfliktes um die libertas ecclesiae zu erkennen, sodass der Text auch als ein Plädoyer für die größere Unabhängigkeit der dänischen Kirche interpretiert werden könnte. Als zwei letzte Funktionen mit weniger weitreichenden politischen Implikationen führt Fritz Erbauung und Unterhaltung der Leserschaft an.
Wer bereits mit dem Feld der mittelalterlichen Hagiographie vertraut ist, wird vermutlich von keiner der identifizierten Funktionen völlig überrascht sein. Die Überraschung könnte aber vielleicht darin liegen, dass Fiona Fritz gute Argumente dafür liefert, all diese Funktionen, mal stärker, mal schwächer ausgeprägt, einer einzigen Quelle zuzuordnen und sie im politischen und gesellschaftlichen Kontext zu verorten. Sie tut dies in einer sehr strukturierten und übersichtlichen Art und Weise, methodisch konsequent und klar im sprachlichen Ausdruck. Als Fallstudie zu einer bislang von der Forschung noch relativ wenig ausführlich behandelten Quelle ist das Buch daher ein willkommener Beitrag. Ebenso mag es sich in Zukunft womöglich als nützliche Grundlage für weitere Forschungen zur Hagiographie im Allgemeinen und St. Knut im Besonderen erweisen.
Anmerkungen:
1 Bspw. Steffen Hope u. a. (Hrsg.), Life and cult of Cnut the Holy. The first royal saint of Denmark, Odense 2019.
2 Andreas Bihrer / Fiona Fritz (Hrsg.), Heiligkeiten. Konstruktionen, Funktionen und Transfer von Heiligkeitskonzepten im europäischen Früh- und Hochmittelalter (Beiträge zur Hagiographie 21), Stuttgart 2019.