Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Erziehung von Prinzen an öffentlichen Bildungseinrichtungen bereits so etabliert, dass sich sogar Kritiker der Monarchie dieses Phänomens dankbar annahmen. Im Rahmen des Eheskandals, der seinerzeit das sächsische Königshaus erschütterte, wetterte etwa die radikale „Dresdner Rundschau“ im März 1903 gegen die „Prinzen in Gymnasien oder Universitäten“. Während Berichte in der „gefälligen Presse“ den Anschein vermitteln wollten, diese jungen Männer würden genauso behandelt „wie die übrigen Schüler und Hörer“, sehe die Realität ganz anders aus: „Wer zufällig mal Gelegenheit hatte, einen fürstlichen Kommilitonen zu haben, der wird genau wissen, daß die Universität für den Prinzen sich in ‚Fechtsaal‘, Kneipe des feudalen Korps und nur bisweilen auch Kollegbesuch bemerkbar macht.“1
Der Hinweis auf die „gefällige“ Presse, der Spott über die nur angebliche Gleichbehandlung studierender Prinzen sowie das Aufgreifen des Themas im Zusammenhang mit einer Krise des Herrscherhauses weisen auf die politische Dimension des Themas Prinzenerziehung im langen 19. Jahrhundert hin. Die Anpassung des Bildungsverhaltens der Dynastien an bürgerliche Präferenzen und die mediale Verwertung dieser Entwicklung waren Teile einer Wandlungs- und Überlebensstrategie der Monarchie. Hier offenbarte sich nicht nur der Druck, unter dem sich die gekrönten Häupter befanden, sondern auch die Bedeutung der Öffentlichkeit, das Hervortreten meritokratischer Argumentationsmuster sowie das Renommee von Bildung und Bildungseinrichtungen.
Martin Stillers Bonner Dissertation von 2023/24 widmet sich einem frühen Beispiel des Phänomens (kron-)prinzlicher Universitätsstudien: der Zeit, die Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen (1831–1888), der spätere Kaiser Friedrich III., zwischen 1849 und 1852 als Student an der Universität Bonn zubrachte. Der Autor möchte vier „Hauptthesen“ bestätigen, die sich auf die Absichten der Eltern des Prinzen, den Zweck des Studiums und seine Auswirkungen auf die Ideenwelt Friedrich Wilhelms beziehen (S. 16f.). Obwohl Forschungen zur Bonner Studienzeit der Brüder Ernst (1818–1893) und Albert (1819–1861) von Sachsen-Coburg und Gotha2 bereits vor einiger Zeit erschienen sind und auch Friedrich III. in jüngerer Zeit einige historiographische Aufmerksamkeit erfahren hat, war eine moderne Detailstudie zur Universitätszeit des 99-Tage-Kaisers bisher ein Desiderat. Seit der – von Stiller vielfach zitierten – Arbeit „Kaiser Friedrich als Student“ von Paul Lindenberg aus dem Jahre 18963 wurde zu diesem Thema nicht mehr speziell geforscht.
Die vorliegende, sorgfältig recherchierte und klar formulierte Studie hat diese Lücke zum Teil geschlossen. Angesichts der problematischen Quellenlage – das ursprünglich sehr umfangreiche archivalische Material fiel weitestgehend dem Bombenkrieg zum Opfer – bedurfte dies mitunter mühevoller Rekonstruktion. Der Verfasser hat dennoch eine Fülle von Informationen, vor allem über die Bonner Lehrer des Prinzen und die (zum Teil nur vermuteten) Inhalte ihrer Vorlesungen zusammengetragen. Die Studie vermittelt so detaillierte Eindrücke nicht nur über die Herkunft, den Werdegang und die politische Verortung von Gelehrten wie Clemens Perthes (1809–1867), Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), Ferdinand Walter (1794–1879) oder Johann Wilhelm Löbell (1786–1863), sondern auch darüber, was sie ihrem prominenten Studenten vortrugen.
Mit Blick auf das Lesevergnügen ist jedoch zu bedauern, dass dies im Hauptteil der Arbeit (S. 106–189) im Verlauf von neun Unterkapiteln in mechanisch gleicher Abfolge – Professor um Professor, Vorlesung um Vorlesung – geschieht und die vermutlichen Vorlesungsinhalte dabei seitenweise auf der Basis von zeitgenössischen Veröffentlichungen oder von Mitschriften anderer Studenten referiert werden. Da es das (nicht mehr oder nur kaum) vorhandene Quellenmaterial zudem selten zulässt, die immer wiederkehrenden kurzen Unterkapitel „Einschätzung und Sicht des Prinzen“ mit überzeugenden Inhalten zu füllen, hinterlassen diese Ausführungen einen etwas unbefriedigenden Eindruck. Wie war es um den Einfluss der vorranging konservativ argumentierenden Bonner Gelehrten auf die politische Entwicklung des künftigen Monarchen bestellt? Aus den wenigen, versatzstückhaften Niederschriften, die der Prinz in diesen Jahren angefertigt hat, ist das schwerlich zu ersehen. Der entsprechenden vierten These des Verfassers, der künftige Kaiser habe damals keine „erkennbare Nähe“ zum liberalen Verfassungsstaat und den Ideen „der englischen Verfassungsgeschichte“ (S. 17) entwickelt, ist zuzustimmen, aber ob dies trotz Dahlmann oder wegen Perthes geschah oder ob die Bonner Erfahrung damit gar nichts zu tun hatte, bleibt vage.
Ein ähnlich halbherziger Befund ergibt sich hinsichtlich der Ausführungen, die Stiller zu den ersten beiden Thesen seiner Studien anbietet: dass die Eltern des Prinzen ihn, erstens, im Einklang mit dem neuhumanistischen Bildungsideal erzogen und dabei, zweitens, der gewachsenen Bedeutung einer formellen akademischen Ausbildung Rechnung gezollt hätten. Beide Behauptungen, die auf einem soliden Literaturfundament zur Geschichte der Prinzenerziehung knapp dargeboten werden, sind ebenso plausibel wie Stillers Betonung der Rolle der späteren Kaiserin Augusta (1811–1890) bei der fortschrittlicheren Gestaltung der Erziehung ihres Sohnes. Aber auch hier hätte man sich eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema gewünscht. Wie ist die politische Dimension des Universitätsbesuchs vor dem Hintergrund des Prozesses monarchischer „Selbstbehauptung durch Wandel“ (D. Langewiesche) im 19. Jahrhundert einzuschätzen?4 Hat der Versuch gefruchtet, auf diese Weise im Rheinland Sympathien zu erwecken? Wie hat die Presse das Studium begleitet? Wie hat sich die Wahrnehmung des Thronfolgers durch den Universitätsbesuch verändert – innerhalb des Herrscherhauses und in der Öffentlichkeit? Auch die Frage, ob die eine Woche andauernden Abschiedsveranstaltungen bei der Abreise des Prinzen im März 1852 (S. 221f.) wirklich ein Zeichen dafür waren, dass es Friedrich Wilhelm gelungen war, „das durch die Ereignisse des Jahres 1848 beschädigte Ansehen der preußischen Regierung [!] zu verbessern“ (S. 221), bedürfte einer gründlicheren Untersuchung als der hier angebotenen knappen Schilderung.
Auch hinsichtlich der weiteren politischen und kulturellen Kontexte, in denen Friedrich Wilhelms Studium in der unmittelbaren Nachrevolutionszeit stattfand – die Universität, die Stadt Bonn, das Rheinland –, bleiben Fragen offen. Zwar betont der Verfasser wiederholt, dass Bonn unter anderem deswegen ausgewählt wurde, weil die Universität neben ihrem guten Ruf eine „konservative Grundrichtung“ (S. 73) aufbieten konnte, die schon mehrere Prinzen regierender Häuser angezogen hatte. Zudem werden die unmittelbare Vorgeschichte („März 1848 an der Bonner Universität“) und die konfessionellen Spannungen nach der preußischen Übernahme des Rheinlandes kurz umrissen (S. 83–90). Aber diese knappen, zum Teil aus Handbüchern geschöpften Ausführungen bleiben zu sehr an der Oberfläche, so dass es erscheint, als ob die Bonner Studien des künftigen Monarchen gewissermaßen im luftleeren Raum stattgefunden hätten.
Gemäß Stillers dritter These wurde ein rechtswissenschaftlicher Schwerpunkt für die Studien des Prinzen gewählt, um ihn auf die Führung der Regierungsgeschäfte vorzubereiten. Entsprechend dem fachlichen Hintergrund des Verfassers gewährt die Studie rechtswissenschaftlichen und rechtsgeschichtlichen Themen besonders breiten Raum, und die Lektüre bietet somit Einblicke in das Jurastudium in Bonn zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Hiermit verbundene weiterreichende Themen wie beispielsweise die besondere Bedeutung der Rechtswissenschaft für die Arbeit eines Regenten im Rahmen eines seit kurzem konstitutionellen Rechtsstaats oder die Frage nach der Prägung der persönlichen Herangehensweise durch die juristische Schulung werden allerdings lediglich angetippt und würden einmal mehr von einer umfassenderen Analyse profitieren. Die Behauptung etwa, juristische Fachkenntnisse seien für einen Regenten unabdingbar gewesen, um „mit Beamten aus dem höheren Dienst auf Augenhöhe reden“ zu können (S. 211), wird der Komplexität des Themas nicht gerecht. Kronprinz Friedrich Wilhelm, dessen „enormen dynastischen Dünkel“ der namhafte Jurist Heinrich Friedberg (1813–1895) später bedauern sollte, wird vermutlich nie auf den Gedanken gekommen sein, sich hinunter auf die Augenhöhe eines Beamten begeben zu wollen.
Stillers schlanker Untersuchung gelingt es, unsere Kenntnis über das Studium des künftigen deutschen Kaisers an der Bonner Universität beträchtlich zu erweitern und in den weiteren Rahmen der deutschen Prinzenerziehung im 19. Jahrhundert einzubetten. Leider begnügt sich die Studie über weite Strecken mit der Darbietung sorgfältig zusammengetragener Informationen. Bei einer tiefgreifenderen Berücksichtigung der analytischen Anliegen der „neuen Monarchiegeschichte“5 und der transnationalen Dimensionen der Selbstbehauptung der europäischen Dynastien im langen 19. Jahrhundert hätte diese Fallstudie deutlich reichere Früchte hervorgebracht.
Anmerkungen:
1 Dresdner Rundschau, 14.3.1903, S. 3.
2 Franz Bosbach (Hrsg.), Die Studien des Prinzen Albert an der Universität Bonn (1837–1838), Berlin 2010.
3 Paul Lindenberg, Kaiser Friedrich als Student. Mit unveröffentlichtem Material aus dem Nachlasse Kaiser Friedrich's, Berlin 1896.
4 Dieter Langewiesche, Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2013.
5 Marc von Knorring, Rezension zu: Monika Wienfort, Monarchie im 19. Jahrhundert (Berlin/Boston 2019), in: Historische Zeitschrift 310 (2020), S. 206f.