Das Buch von Maria Framke zur indischen Perspektive auf die faschistischen und nationalsozialistischen Gesellschaftsentwürfe bietet tiefere Einblicke in die intellectual community einer Kolonie im Kampf um staatliche Unabhängigkeit, die sich in Teilen radikale äußere Vorbilder suchte, um ihr Ziel zu erreichen. Bei allem, so der Grundeindruck nach Lektüre des Buches, bestimmte ein gewisser Eklektizismus die indische Auseinandersetzung mit Faschismus und Nationalsozialismus zwischen 1922 und 1939.
In jüngerer Zeit diskutiert die Geschichtswissenschaft verstärkt einen etwas offeneren Faschismusbegriff, der zunehmend auch Bewegungen außerhalb Europas mit einschließt. Stein U. Larsen hat dabei herausgearbeitet, dass der Faschismus, trotz seiner Verwurzelung im europäischen Kontext, etwa in Lateinamerika und Asien von lokalen Bewegungen adaptiert, mit vorhandenen Identitäten kombiniert und dann zur Herausbildung eigenständiger Varianten genutzt wurde.1 Davon ausgehend fragt Framkes Studie, die als Dissertation an der Jacobs University Bremen entstand, wie spezifische intellektuelle Milieus in Indien Faschismus debattierten, und knüpft damit an Thesen aus neueren Forschungen an.2 Es geht insbesondere um die indischen Intellektuellen im Umfeld der Unabhängigkeitsbewegung, und dabei besonders um die zwei großen Lager, des als anti-faschistisch geltenden INC (Indian National Congress) einerseits, und der beiden nationalistischen Gruppierungen RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh, das radikal-hinduistische Freiwilligenkorps nach den Regeln des Hindutva) und HMS (Hindu Mahasabha, eine hinduistisch-nationalistische Gruppierung).3 Hier gibt es nun manche Überraschung, denn insbesondere das konservative Parteivolk war längst nicht so homogen, wie das die Legende gerne hätte.
Methodisch sauber als Transferanalyse angelegt, analysiert die Autorin hochkomplexe Interaktionen anhand eines ausgewählten Korpus englischsprachiger indischer Zeitschriften und Zeitungen, welche Bedeutung indische Intellektuelle Faschismus und Nationalsozialismus zumaßen, bzw. was genau ihnen daran attraktiv erschien. Das Buch widmet sich dieser Frage entlang mehrerer Schlüsselthemen: Ausgehend von einem sehr lesenswerten Kapitel zum Kulturaustausch, in dem der Wissenstransfer zwischen indischen (mehrheitlich bengalischen) Intellektuellen mit deutschen oder italienischen Universitäten in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren beleuchtet wird (S. 79), steigt der Band in die großen Kapitel zu Jugendbewegung, Disziplin, nation building und Führerkult, Rassismus bzw. Antisemitismus, Wirtschaft und Außenpolitik ein. Die Kapitel sind systematisch angelegt und vergleichen jeweils den Italien- und Deutschlandbezug in den untersuchten Quellen. Aus der Transferanalyse intellektueller Positionen ergibt sich ein gerade im Vergleich mit früheren Studien4 differenzierter Befund, was die Spitzenriege der indischen Unabhängigkeitsbewegung und die Männer hinter den Führungsfiguren wie Gandhi, Nehru aber auch der offiziell als „fehlgeleiteten Nationalisten“ geltenden INC-Politikern wie Subras Chandra Bose angeht. Der biographische Anhang mit ausgewählten Politikerbiographien Indiens und Bengalens ist daher besonders zu loben.
Es wird im Verlauf der Studie auch deutlich – etwa anhand der Kritik indischer Intellektueller am italienischen Abessinienfeldzug –, dass die Rezeption und partielle Faszination für den Faschismus nicht als generelles Einverständnis mit den Zielen des Faschismus missverstanden werden darf. Eine der Hauptthesen von Framkes Arbeit ist, dass die Auseinandersetzung mit dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland vor allem vor dem Hintergrund gelesen werden muß, dass sie das britische Modell der parlamentarischen Demokratie und der liberalen Wirtschaftsordnung in ihren Auswirkungen für das koloniale Indien in Frage stellten. Eine etwaige Zustimmung war somit stets stark von der indischen Perspektive geleitet.
Die Auswertung zeigt, dass bestimmte Aspekte von Faschismus und Nationalsozialismus als Modell eines post-kolonialen nation building angesehen wurden und man sich insbesondere zu Italien als Muster für die Entwicklung Indiens hingezogen fühlte, weil es einen vermeintlichen Referenzrahmen für eine starke, geeinte Nation bildete. Der bengalische Universalgelehrte Benoy Kumar Sarkar befand, dass von allen europäischen Nationen Italien das Land sei, „das hinsichtlich des Ausmaßes und der Intensität seiner modernen Entwicklung am ehesten vergleichbar mit uns ist. Deshalb ist es das geeignetste Land, um das Junge Indien in seinem Modernisierungsversuchen in punkto Technik, wirtschaftliche Institutionen und soziale Strukturen anzuleiten“ (S. 212).
Die indische Beschäftigung mit Mussolinis und Hitlers Jugendorganisationen und Bildungspolitik, sowie mit dem Führerkult und dem Gedanken eines Dienstes an der Nation reichten von Bewunderung bis zur Ablehnung. Der Gedanke der rassischen Auslese wurde überwiegend kritisch zurück gewiesen, insbesondere, mit Blick auf die subalterne Rolle die das nationalsozialistische Rassesystem den Indern zuwies. Auffallend ist jedoch, dass die Kritik nicht zu Solidarisierungskundgebungen mit anderen, durch den Nationalsozialismus diskriminierten Gruppen, namentlich den Juden führte. Im Gegenteil vermischten sich hier die Debatten um rassische Auslese mit politischen Erwägungen, bei denen die Angst vor einer „Überfremdung“ der jungen indischen Nation durch jüdische Flüchtlinge aus Österreich oder der Tschechoslowakei eine Rolle spielte.
Dagegen erschien die Wirtschaftspolitik des nationalsozialistischen Deutschland wie auch des faschistischen Italien, als Variante planerischen Denkens, vielen indischen Intellektuellen zunächst durchaus als nachahmenswert. An Deutschland lobten die Intellektuellen die Vier-Jahres-Pläne, während an Italien die korporatistische Organisation der Arbeit beeindruckte. Mit Bezug auf letztere befand etwa Sukurma Roy, sie sei geeignet, den Konflikt zwischen Arbeit und Kapitel „ein für allemal zu lösen“ und damit „ein Problem anzugehen, das Liberalismus und Demokratie nicht hatten lösen können“ (S. 210). Interessant ist, dass zeitgleich auch andere Wirtschaftsmodelle, etwa das amerikanische „New Deal“ Modell, oder sowjetische oder auch japanische Ansätze als Referenz herangezogen und diskutiert wurden.
Den kritischsten Punkt in den Augen indischer Intellektueller stellte die faschistische und nationalsozialistische Außenpolitik dar. Dabei gab es grundsätzlich unterschiedliche Wahrnehmungen: Während Italiens Überfall auf Abessinien 1935 als Ausdruck imperialen Expansionsdrangs kritisiert wurde, der Solidaritätsbekundungen sowie Hilfsaktionen für die Angegriffenen hervorrief, sah man Deutschlands Annexion des Sudetenlandes 1938 als legitime Ausdehnung des Herrschaftsbereichs und Zeichen nationaler Selbstbestimmung. Beide Beispiele dienten zudem als Anlass, um Großbritanniens ambivalente Haltung zu geißeln und die Neugestaltung Europas nach dem Ersten Weltkrieg, insbesondere durch den Völkerbund, als verfehlt zu brandmarken. Die Auseinandersetzungen leistete dadurch wichtige Impulse zur Initiierung einer eigenständigen Außenpolitik durch indische Nationalisten – und dies weit stärker, als bisher angenommen. Allerdings zeigt die Rezeption auch, in wie weit die These bezüglich einer ‚Verwandtschaft’ zwischen Faschismus und Imperialismus (Dimitroff) in Indien breite Zustimmung selbst in nationalistischen Kreisen fand.
Die Zustimmung zu Faschismus und Nationalsozialismus, so macht Framkes Studie deutlich, sind in der Suche nach Entwicklungsoptionen und Bündnisgenossen eines Landes auf dem Weg in die Unabhängigkeit zu suchen und spiegeln daher die Konflikte innerhalb divergierender intellektueller Gruppierungen, die sich unter dem Dach der Unabhängigkeitsbewegung einten. Sie zeigt aber auch deutlich indische anti-liberale oder sogar autoritäre Tendenzen, die über den bisher bekannten Subhas Chandra Bose hinausgehen. Neben einer Milieustudie zum Indien der Zwischenkriegszeit leistet dieses Buch durch den außereuropäischen Blickwinkel daher auch erste Ansätze zur Phänomenologie des „global fascism“, die noch am Anfang steht. Framke zeigt, dass die Ausstrahlung und Wirkung des Faschismus in außereuropäischen Kontexten quer durch alle Richtungen und Parteien ging. Die These, wohingehend einerseits der Hindunationalismus einer Hindutva Partei sich deutlich, quasi als faschistischer Spielart, von einer anti-faschistischen Kongresspartei INC abgrenzte, läßt sich nach Lektüre des Buches jedenfalls nicht aufrechterhalten, vielmehr sind ambivalente Positionen und Zwischentöne weit häufiger als bisher angenommen. Das Hauptinteresse bei der Rezeption fremder Gesellschaftsmodelle, so Framke, waren stets Nützlichkeitserwägungen im Kampf um die indische Unabhängigkeit untergeordnet. Manchmal hätte man der Studie noch mehr Analysefreude bei der Auswertung der interessanten Quellenfunde, etwa zum Antisemitismus, gewünscht, doch wahrscheinlich hätte dies nur um den Preis einer Entfernung von der Forschungsfrage geschehen können. Dieses Buch leistet, so läßt sich resümieren, wichtige Grundlagenforschung zu den Partikularinteressen indischer Intellektueller und ihrer jeweiligen Motivationsfelder bei der Rezeption faschistischer Theoreme. Man darf im Sinne einer Intellectual History gespannt sein, was man noch von Maria Framke lesen wird, die in Zürich bereits an weiteren Studien arbeitet.
Anmerkungen:
1 Stein Ugelvik Larsen (Hrsg.), Fascism outside Europe. The European Impulse against Domestic Conditions in the Diffusion of Global Fascism, Boulder 2001.
2 Vgl. Hier die beiden Aufsätze Benjamin Zachariah, Rethinking (the Absence of) Fascism in India, c. 1922–45, in: S. Bose / K. Manjapra (Hrsg.), Cosmopolitan Thought Zones. South Asia and the Global Circulation of Ideas. Basingstoke 2010, S. 178–209; und: Mario Prayer, Creative India and the World. Bengali Internationalism and Italy in the Interwar Period, in: S. Bose / K. Manjapra (Hrsg.), Cosmopolitan Thought Zones. South Asia and the Global Circulation of Ideas. Basingstoke 2010, S. 236–259.
3 William Gould, Hindu Nationalism and the Language of Politics in Colonial India, New Delhi 2005.
4 Zum INC vgl. Bipan Chandra, India’s Struggle for Independence 1857–1947, New Delhi 1989; zu Hindunationalisten vgl. Tobias Delfs, Hindu-Nationalismus und europäischer Faschismus. Vergleich, Transfer und Beziehungsgeschichte, Hamburg 2008; Marzia Casolari, ,Hindutva’s foreign Tie-up in the 1930s. Archival Evidence’, in: EPW (22.01.2002), S. 218–228.