Der Titel des Bandes weckt Gedanken an "dritte Wege" jenseits sozialistischer Staats- oder (neo) liberaler Finanzherrschaft. Und tatsaechlich erwecken die im vorliegenden Band versammelten Beitraege den Eindruck, dass der "Dritte Sektor" zu einem Hoffnungstraeger fuer viele zu werden scheint, die weder vom "ersten Sektor", dem Markt, noch dem "zweiten Sektor", den staatlich organisierten oeffentlichen Diensten, allein die zukuenftige Loesung zentraler gesellschaftlicher Verteilungs- und Integrationsprobleme erwarten. Das Buch praesentiert 34 Autorinnen und Autoren, die den "Dritten Sektor" als Analysemodell vorstellen wollen, mit dem an Debatten um die Interaktion von Markt und Staat in demokratischen Gesellschaften angeknuepft werden kann. Gleichzeitig wird beabsichtigt, die Vielfalt nicht-staatlicher privater Organisationen, die oeffentliche Ziele verfolgen, unter dem Oberbegriff "Dritter Sektor" als eigenen Gegenstandsbereichbereich zusammenzufassen. Beide Aspekte bieten Anregungen fuer die geschichtswissenschaftliche Diskussion. Zum einen in Hinblick auf die Untersuchung genereller Tendenzen und Eigenheiten der Geschichte von Wohlfahrtsstaaten; zum anderen hinsichtlich der historischen Entwicklung gemeinnuetziger Organisationen, Vereine, Verbaende, Initiativen und Stiftungen als identitaetsvermittelnde Instanzen der Zivilgesellschaft. Zu beiden Aspekten findet sich auf den ueber 600 Seiten vielfaeltiges Material, aus dem hier nur einige Fundstuecke kurz vorgestellt seien.
Entstanden ist die Idee eines "Dritten Sektors" in den USA, wo man ueberwiegend vom "non- profit sector" spricht. Auch die hier zu besprechende Veroeffentlichung nimmt ihren Ausgangspunkt bei einer an der Johns Hopkins Universitaet im letzten Jahr entstandenen Studie, die erstmalig unter diesem einheitlichen Begriff Daten aus acht Industrielaendern erfasste. In einem eroeffnenden Referat stellen der Politologe Lester M. Salamon und der Soziologe Helmut K. Anheier einige Ergebnisse des "Comparative Non-Profit Sector Projects" 1 der Johns Hopkins University vor. Ihre Untersuchung ergab, dass unabhaengige, nicht-staatliche, nicht erwerbswirtschaftliche Organisationen, so die Definition des Projekts, in allen untersuchten Laendern einen bedeutenden Anteil am gesamten Wirtschaftsgeschehen haben, der ueberproportional zum Beschaeftigungswachstum beitrug.(15) Mit den Ergebnissen dieses Projekts wurden ausser dem "non-profit sector" der USA erstmals die gemeinnuetzigen Wirtschaftsbereiche von Frankreich, Grossbritannien, Deutschland, Italien, Japan, Schweden und Ungarn zu einer quantifizierbaren, und damit handhabbaren, Groesse.
Effekte auf politischer Ebene sind bereits zu verzeichnen. So sah sich die Europaeische Kommission, wie der Herausgeber des Bandes schreibt, unter explizitem Bezug auf die genannten amerikanischen Arbeiten zu einer Mitteilung ueber die "Foerderung gemeinnuetziger Stiftungen und Vereine in Europa" veranlasst.2 Damit wurde der dort definitorisch umrissene "Dritte Sektor", so Rupert Graf Strachwitz in seinem Beitrag ueber die Rezeption des Begriffs, zu einem gesellschaftspolitischen Betaetigungsfeld der EU, das ueber die bislang vorherrschenden, rein wirtschaftlichen Fragen hinausreicht. (555)
Aber auch unter wissenschaftspolitischen Gesichtspunkten verspricht der "Dritte Sektor" zu einem expansiven Forschungsfeld zu werden. In den USA existieren entsprechende Forschungszentren mittlererweile an fast allen groesseren und kleineren Universitaeten, und auch international ist ihre Zahl in den letzten Jahren schnell angewachsen.3 Aus amerikanischer Perspektive spielt dabei sicherlich eine Rolle, dass mit der "non-profit sector" Forschung analytische Modelle entwickelt wurden, die in einer spezifisch amerikanischen Tradition des Wohlfahrtsstaates entstanden und nun auf einer globalen Ebene Anwendung finden koennen. Nicht nur fuer die "Entwicklung" zivilgesellschaftlicher Strukturen in der sog. Dritten Welt sondern auch fuer deren Rekonstruktion in den einst staatsautoritaeren Gesellschaften des Ostens ist die Frage nach den Mechanismen privater und staatlicher Kooperation von zentraler Bedeutung. Hier besteht eine Nachfrage nach "beratender" Forschung, auf die amerikanische Universitaeten oft schneller reagieren als ihre europaeischen Pendants. Aber immerhin weisen die Kurzbiographien der Autorinnnen und Autoren im Anhang des vorliegenden Werkes bereits drei wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland aus, die sich speziell der Forschung ueber Fragen der "Gemeinnuetzigkeit" oder ausdruecklich dem "Dritten Sektor" widmen.
Deutschland ist in Hinblick auf seinen "Dritten Sektor" weder ein Entwicklungsland noch waeren hier besondere "zivilgesellschaftliche" Verhaeltnisse zu rekonstruieren. Die Bundesrepublik weist vor allem im Gesundheits- und Sozialwesen feste "korporative" Strukturen der Kooperation zwischen Staat und einigen grossen Wohlfahrtsverbaenden auf, wie Helmut K. Anheier in seinem Beitrag ueber den deutschen Fall darstellt. Aehnlich wie in Frankreich ist der "Dritte Sektor" hierzulande im Gesundheits- und Sozialwesen staerker reguliert und in die staatliche Verwaltung eingebunden als im eher "liberalen" angelsaechsischen Raum; allerdings nicht so sehr staatlich vereinnahmt wie in den "sozialdemokratischen" skandinavischen Laendern oder dem "etatistischen" Japan. Das sollte jedoch nicht zu dem Trugschluss verleiten, so Anheier, dass der gesamte "Dritte Sektor" in Deutschland "staats-zentriert", also eher auf seinen wichtigsten "Geldgeber" den Staat, als auf Kunden und Wirtschaft hin orientiert sei. Die Untersuchung, die Anheier im Rahmen des Johns-Hopkins Projekts fuer Deutschland durchfuehrte, belegt, dass vielfaeltige Einrichtungen vor allem in den Bereichen Beschaeftigung, Wohnungsbau, Freizeit und Umweltschutz existieren, die marktorientiert wirtschaften und ueber gemischte Einkommen aus staatlichen, privaten und eigenen Quellen verfuegen.
Einen Grund fuer die enge Verflechtung von Staat und Wohlfahrtsverbaenden im Gesundheits- und Sozialsektor Deutschlands untersucht Christoph Sachsse in seinem Beitrag ueber die historische Entwicklung und die Perspektiven des Subsidiaritaetsprinzips. Der Gedanke einer weitgehenden Zurueckhaltung des Staates gegenueber buergerlicher Selbstverwaltung entstammte der liberalen Gesellschafttheorie des 18. Jahrhunderts und wurde dann waehrend des Kulturkampfes am Ende des 19. Jahrhunderts im katholischen Milieu wieder reaktiviert. Gesellschaftliche Selbstorganisation und Selbsthilfe wurden Teil einer "staatsfernen" katholischen Vereinskultur, die in den 1890er Jahren zur Gruendung reichsweiter Einrichtungen fuehrte. In der Weimarer Republik wurden dann die "Aussenseiter" des Kaiserreichs, Sozialdemokratie und katholisches Zentrum, zu den staatstragenden Kraeften der republikanischen Sozialpolitik. Die Erfahrungen des Kaiserreichs trugen dazu bei, statt einer Verstaatlichung der kommunalen Wohlfahrtspflege, die Professionalisierung und Institutionalisierung vor allem der konfessionellen Wohlfahrtsverbaende voranzubringen. Sachsse weist jedoch darauf hin, dass hinter der Bevorzugung kleinerer Einheiten gegenueber dem grossen Staatswesen nicht nur der Wunsch nach mehr Pluralitaet und Minderheitenschutz stand, sondern vor allem die zutiefst konservative Vorstellung eines hierarchisch, staendestaatlich verfassten Gemeinwesens. Ausserdem verlor das Prinzip seine lebensweltliche Verankerung in der Vereinskultur und wurde mehr und mehr zu einem buerokratischen Organisationsschema.
In dieser Entwicklung sieht Sachsse ein generelles Problem des Verhaeltnisses staatlicher und freier Traeger bei der Organisation oeffentlicher Aufgaben - und damit eine Problemstellung fuer die Forschung ueber den "Dritten Sektor". Die gesetzliche Verankerung "weltanschaulicher Pluralitaet der Leistungsangebote" in der staatlichen Sozial- und Gesundheitsversorgung, mit der in den sechziger Jahren die Bundesrepublik an das Subsidiaritaetsdenken der Weimarer Zeit anknuepfte, privilegierte wenige konfessionelle Spitzenverbaende. Damit verloren jedoch die freien Traeger ihren Charakter als "ungebundene Kraefte". "Das wertgebundene religioes oder humanitaer begruendete Sozialengagement - einst Markenzeichen verbandlicher Wohlfahrtspflege - weicht immer mehr dem weltanschaulich neutralen, buerokratischen und professionellen Handeln." (376) Entgegen diesem Trend zur Verstaatlichung und Buerokratisierung stellt Sachsse jedoch in den letzten Jahren deutlicher zu beobachtende Entwicklungen zu mehr Markt und "neuer Subsidiaritaet" in den Verhaeltnissen freier Traeger und Staat heraus. Staatliche Stellen werden flexibler in der Auftragsvergabe an eine Vielzahl kleinerer kommerzieller Traeger, und neue Netzwerke kleinerer Organisationen und Inititativen treten an die Stelle der grossen Verbaende. Damit entstehen, laut Sachsse, gesellschaftliche Steuerungsmechanismen, die "der funktionalen Autonomie der zu steuernden Problemfelder moeglichst weitgehend Rechnung tragen." Sachsse fuegt mit dieser Analyse der Forschung ueber den "Dritten Sektor" nicht nur eine systemtheoretische Perspektive hinzu, sondern er zeigt auch, wie am Beispiel von Interaktionen privater und staatlicher Akteure im oeffentlichen Raum eine Neuorientierung der Rolle von Politik in der Gesellschaft stattfinden kann - eine Orientierung, die nicht einem der beiden "traditionellen" Sektoren notwendigerweise den Vorrang einraeumen muss.
Historische Langzeitbetrachtungen oeffentlicher und privater Interaktion, wie die Sachsses, bilden unter den versammelten Beitraegen eher die Ausnahme. Die Autorinnen und Autoren des Bandes konzentrieren sich auf gegenwaertige und kommende Aufgaben und Probleme eines "Dritten Sektors". Das Spektrum der dabei vertretenen Perspektiven und Herangehensweise ist gross und wirkt oft disparat. So beschwoert der amerikanische Wissenschaftskritiker Jeremy Rifkin beispielsweise den "Dritten Sektor" als Gegenmacht, die die Wirtschaft baendigen und den Staat zu freiheitlichen Konzessionen zwingen wird. Einige Seiten zuvor dagegen stellt ein Vertreter der Bertelsmann-Stiftung die Betaetigung im Dritten Sektor als Aufgabe der Wirtschaft dar, denn der "Sinn unternehmerischen Handelns" laege aus der Sicht seines Hauses darin, "Arbeitsplaetze zu sichern und zu schaffen, die Gemeinschaft bzw. den Staat ueber Steuerzahlungen bei der Erfuellung ihrer Aufgaben zu unterstuetzen, vor allem aber durch die Produkte und Dienstleistungen Sinnvolles und Nuetzliches fuer die Gemeinschaft und die Verbraucher bereitzustellen." Ob versoehnlich oder aus einer Perspektive des Konfliktes heraus - die Mehrheit der Autorinnen und Autoren vertritt mit Engagement jeweils ihre eigene Sache.
Dies mindert jedoch nicht den wissenschaftlichen Wert des Bandes sondern macht die Lektuere nur spannender. Eine privilegierte, dem geschuetzten Raum der Akademie entspringende Sicht wird hier aufgeloest in Richtung pluraler Interessen und Ansaetze. Die Mehrheit der Schreibenden ist nicht an einer Universitaet beschaeftigt. Es finden sich neben namhaften Politikern Vertreter von Wohlfahrtsverbaenden, Kulturorganisationen, Initiativen, Selbsthilfegruppen sowie politischen- und Unternehmensstiftungen. Dazu kommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Beratungsagenturen, die professionell mit Angelegenheiten des "Dritten Sektors" befasst sind. Der Band repraesentiert damit von seiner ganzen Anlage her bereits seinen Forschungsgegenstand: Der "Dritte Sektor" als Schnittmenge oder Differenz eigener Interessen und gemeinsamer Ziele. Er fuehrt exemplarisch vor, dass die Vorstellungen davon, was als Gemeinwohl verstanden wird, in einem pluralen, marktwirtschaftlichen System notwendigerweise differieren. Bereits damit leistet er einen bemerkenswerten Beitrag zum Verstaendnis individueller Freiheit und kollektiver Verfassung in einer zivilen Gesellschaft.
Anmerkungen:
1 Vgl. <http://www.jhu.edu/~ips/civil.soc.html>, November 1998; Salamon, Lester M./Anheier Helmut K., Defining the Nonprofit Sector. A Cross National Analysis, hrsg. v. und, Manchester 1997
2 <http://europa.eu.int/comm/off/com/orgfnd.htm>, November 1998
3 Vgl. bsp. die entsprechenden Uebersichten des "Journals of Philanthropy" <http://www.philanthropy.com>, November 1998