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Titel
Die Moskauer Deklaration 1943. "Österreich wieder herstellen"


Herausgeber
Karner, Stefan; Tschubarjan, Alexander O.
Reihe
Kriegsfolgen-Forschung 8
Erschienen
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele-Maria Schorn-Stein, Rüsselsheim

Ausgangspunkt des vorliegenden Werks waren zwei vom Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung und der Österreichisch-Russischen Historikerkommission durchgeführte Konferenzen in Moskau am 25. Oktober 2013 und in Wien am 29. Oktober desselben Jahres. Themen dieser beiden Konferenzen waren zum einen die „Moskauer Deklaration“, die sich zu diesem Zeitpunkt zum siebzigsten Mal jährte, und zum anderen die mit der Moskauer Deklaration eng in Verbindung stehenden Fragen, wie Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wiederhergestellt werden könnte und, ganz entscheidend, der heutige Umgang mit der sehr umstrittenen sogenannten „Opferthese“. Stefan Karner und Alexander Tschubarjan haben nun die aus diesen Konferenzen entstandenen Beiträge und deren Ergebnisse in einem Band zusammengefasst, dessen Beiträge sich dementsprechend mit den beiden eng miteinander verwobenen Forschungsfeldern „Moskauer Deklaration“ und „Opferdoktrin“ beschäftigen.

Deklarierte Aufgabe der Österreichisch-Russischen Historikerkommission war es, die Entstehungsgeschichte der Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 – die eine Schlüsselstellung auf dem Weg Österreichs zur Wiedergewinnung seiner staatlichen Souveränität einnimmt – gemeinsam zu dokumentieren und aufzuarbeiten (S. 14). Dank persönlicher Initiative des österreichischen Historikers Stefan Karner entstand ein Werk, dessen wissenschaftliche Ausführungen auf der bisherigen Literatur aufbauen, einen detaillierten Überblick zum neuesten Stand der Forschung geben und sich quellentechnisch vor allem auf Archive in London und Washington und neuerdings eben auch in Moskau stützen (S. 19). Ausgehend von Grundlagenforschung sollten nicht nur gemeinsame Ergebnisse erarbeitet werden, sondern diese auch der Öffentlichkeit präsentiert und der Archiv- und Bibliothekszugang für künftige Forscher erleichtert werden (S. 14).

Die „Moskauer Deklaration“ stellt einen der Grundsteine der 2. Republik Österreich dar, sie wurde aber auch zu einem Eckstein politischer Diskussionen bis zum heutigen Tag. In ihr deklarierten die Regierungen des Vereinten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika ihre Auffassung, „dass Österreich, das erste freie Land“, sei, „das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer gefallen sei und von deutscher Herrschaft befreit werden sollte.“ (S. 269). Eine erste Frage ist nun, wie diese Erklärung zustande kam, wer die Initiative ergriff und welche Motive sich dahinter verbargen (S. 26). Das 296 Seiten starke Werk, das sich in fünf Hauptkapitel untergliedert, beschäftigt sich eingehend und aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dieser Frage, also mit der Genese der Moskauer Erklärung, dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938, mit dessen Rolle während des Zweiten Weltkrieges und letztendlich und ganz zentral mit dem „Opfermythos“, den Siegfried Beer in seinem Beitrag ganz klar als Erfindung Londons sieht (S. 99–120).

Die so genannte „Opferthese“, wonach Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen sei, wird insbesondere in den Ausführungen von Günther Bischof, Gerhard Botz, Helmut Wohnout und Erwin A. Schmidl noch einmal eindeutig widerlegt. Zwar gab es in Österreich während des Hitler-Regimes auch Widerstand, dennoch überwog eindeutig die Begeisterung der österreichischen Bevölkerung für den „Anschluss“.

Ein ganz zentraler Aspekt, der sich als roter Faden durch die einzelnen Beiträge zieht und sich dadurch auch zwangsläufig aufgrund der Fülle an Informationen wiederholt, ist die Frage, auf wessen Initiative hin eigentlich diese „Moskauer Erklärung“ zustande kam. Sowohl die Sowjets als auch die Briten nahmen dies für sich in Anspruch – besonders nachdrücklich tat dies Stalin.1 In diesem Zusammenhang finden sich Begriffe wie „Zweite Front“, „Pax Sovietica“ oder der von Winston Churchill geprägte Terminus „Donauföderation“ (S. 56). Hervorzuheben sind unter diesem Gesichtspunkt insbesondere die Beiträge von Gerhard Botz, Siegfried Beer und Günther Bischof.2

Übereinstimmung herrscht bei den Autoren dahingehend, dass innerhalb der Historikerzunft viel zu lange an der von Robert H. Keyserlingk Ende der achtziger Jahre aufgestellten These festgehalten wurde, nach der „The Moscow Declaration emerged not as political policy but as a part of wartime propaganda campaign“, um dann mit der Behauptung fortzusetzen, es habe dazu einen anglo-amerikanischen Konsens gegeben (S. 99). Günther Bischof stellt darüber hinaus die berechtigte Frage, ob die Österreicher überhaupt noch wissen, was die „Moskauer Deklaration“ ist und welche Bedeutung sie für Österreich hat und wie man das Gründungsdokument der Republik Österreich heute sieht (S. 249). Er und auch seine Kollegen kommen aber zu dem Schluss, dass sich die Österreicher auch heute noch durchaus der Bedeutung der Moskauer Erklärung bewusst sind und im Laufe der Zeit mit ihrer Vergangenheit umzugehen gelernt haben.

Abgerundet werden die auf intensivem Quellen- und Archivstudium beruhenden wissenschaftlichen Beiträge vom Text einer von Stefan Karner geleiteten Podiumsdiskussion, wo die Thematik aus der Perspektive von Zeitzeugen dargestellt wird (S. 217–231). Die Teilnehmer dieser Diskussion kommen schlussendlich zu dem Ergebnis, dass die Interpretation der „Moskauer Deklaration“ die Beziehungen zwischen Österreich und Sowjetrussland kaum tangierte.

Betrachtet man den Band als Ganzes, so gelangt man zu dem Schluss, dass er einen wertvollen Beitrag zur österreichischen Geschichtsforschung leistet. Die Beiträger kommen einvernehmlich zu dem Resultat, dass die „Moskauer Deklaration“ vom 30. Oktober 1943 eine positive Signalwirkung für Österreichs Unabhängigkeit hatte, zugleich wird aber eingeräumt, dass die einst besonders von sowjetrussischer Seite betonte „Opferrolle“ Österreichs heute keine Gültigkeit mehr beanspruchen kann.

Anmerkungen:
1 Vgl. im besprochenen Band das Geleitwort von Sergej Netschajew, Botschafter der Russischen Föderation in der Republik Österreich, S. 12f.; sowie die Beiträge von Vasilij S.Christoforov, Die Moskauer Konferenz 1943: Außenpolitische Initiativen und Erwartungen der UdSSR, S. 33–36; Jochen Laufer, Die sowjetischen Nachkriegsplanungen, S. 71–77, hier: S. 73; Gerhard Botz, Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, S. 121–133.
2 Siehe die Beiträge von Siegfried Beer, SOE, PWE und schließlich FO. Die Briten als Vorreiter der alliierten Österreichplanung, S. 99–120; Gerhard Botz, Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, S. 121–133; Günther Bischof, Die Moskauer Deklaration und die österreichische Geschichtspolitik, S. 249–261.

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