Die Reihe der von Scheulen ausgewerteten Zeitschriften beginnt beim Amtsblatt der Kolonialabteilung im Auswaertigen Amt, dem "Deutschen Kolonialblatt", und reicht dann - um die fuer die Untersuchung wichtigsten Quellen zu nennen - von der "Deutschen Kolonialzeitung" ueber die "Beitraege zur Kolonialpolitik und Kolonialwirtschaft" bis hin zu "Kolonie und Heimat" und zur "Kolonialen Rundschau" (29ff.).
Scheulen geht von einer Verschiebung des Begriffs vom "Eingeborenen" aus, der noch 1911 eher durch sein "zivilisatorisches Niveau" vom "Weissen" abgegrenzt worden sei, waehrend sich in den letzten Vorkriegsjahren zunehmend eine auf Rassendiskriminierung beruhende Einstufung durchgesetzt habe: Das Obergericht Windhuk hat 1913 den Dipl. Ing. Baumann nicht mehr als "Weissen" zugelassen, da seine Mutter der Ehe eines Missionars der Rheinischen Missionsgesellschaft mit einem "Mischlingsmaedchen" entstamme. Zur Aburteilung wurde der Mann dem "Eingeborenenrichter" zugefuehrt (51).
Bei den in den Kolonialzeitschriften verwendeten "ethnischen Bezeichnungen" handelte es sich meist um "Fremdbezeichnungen", die von den Europaeern beim Erstkontakt "unreflektiert uebernommen" oder im Zug der kolonialistischen Landnahme "kuenstlich konstruiert" worden seien (51). Viele Benennungen seien burischen Ursprungs, mit einem pejorativen Beigeschmack (52). Die Eigenbezeichnung der sogenannten "Hottentotten" ist "Khoe-Khoe", das heisst 'Menschen der Menschen'. Wahrscheinlich von "niederlaendischen Schiffbruechigen" ist die abwertende Bezeichnung "um die Mitte des 17. Jahrhunderts" als Anspielung auf bestimmte "Tanzgesaenge" gepraegt worden (53). Der "Khoe-Khoe"-Gruppe subsumiert man die "Nama", deren unterschiedliche Siedlungsgemeinschaften wiederum mit Bezeichnungen aus dem Afrikaans ueberzogen worden sind: "Bondelswarts" sind die Traeger "schwarzer Beutel", die "Witbooi" haben als Erkennungszeichen einen "weissen Stoffstreifen" getragen. Den Term "Buschmaenner" weist Scheulen zurueck, weil diese in der Regel nicht im Busch, sondern in Wuestenlandschaften lebten (54). Die Dama wurden im Afrikaans "Klippkaffer" genannt (56). "Kafir" ist der arabische Ausdruck fuer "Unglaeubige". (58). Der veraechtlich machende Begriff "Kaffer" war auch der Sammelname fuer die bantusprachigen Voelker, zu denen die "Herero" zaehlen (58f.). Bemerkenswert ist schliesslich auch die in den deutschen Zeitschriften abschaetzig "Bastards" genannte Gruppe. Es handelt sich um die Nachkommen von burischen Siedlern und Namafrauen. Sie benutzen in ihrer Muttersprache Afrikaans "Basters" als Selbstbezeichnung (60).
Die "Neger" 'Deutsch-Suedwestafrikas' galten als 'kindisch', 'wild', 'kriegswuetig', 'vertiert blutduerstig', 'unzuverlaessig', 'kleptomanisch', 'faul', 'verlogen', 'gefraessig' und 'undankbar' (61ff.). Die Nama hielt man fuer relativ 'intelligent', aber 'wankelmuetig' und 'unberechenbar', die Hereros fuer relativ 'arbeitssam' und 'selbstkontrolliert', aber auch fuer 'feige' und 'besonders grausam' (70f.). Da die Hereros nicht bereit waren, leichthin ihr Vieh zu verkaufen, wurden sie als 'geizig' gescholten (76f.). Als sie 1904 den Aufstand gegen die Kolonialmacht probten, schlug sich das in einer Bewertung als 'stolzes Herrenvolk' nieder (78ff.). Bei den Nama machten die Kolonialherren einen 'nomadischen' Charakter, die "Freude an gefahrvollen Abenteuern" und den "Hass" gegen jede "Obrigkeit", kurzum ihren "Freiheitsdrang" fuer die Erhebung verantwortlich. Scheulen merkt an, dass "Positiva" in der Charakterisierung meist nur "Details" seien, "die den negativen Gesamteindruck nur selten aufzuwiegen vermochten" (84f.). Von einer "Buschmannplage" war die Rede, als sich die Kolonisierten mit Giftpfeilen und vergifteten Wasserstellen gegen ihre Kolonisatoren zur Wehr setzten (93).
Aus utilitaristischer Perspektive werden die "Bergdamara" als die "einzigen Farbigen in Suedwestafrika" gefasst, die "zu staendiger und anstrengender Arbeit zu gebrauchen" seien (95). Auch die "Ovambos" hielt man fuer "brauchbare Arbeiter", da sie "unter despotischem Regiment" ihrer Haeuptlinge bereits an "Gehorsam" gewoehnt worden seien (98).
Utilitarismus lag auch der Metaphorisierung der 'Eingeborenen' im Jahr 1886 als "ungeschliffene Rohdiamanten" zugrunde (108). "Wertschaetzung" wurde hier von der "wirtschaftlichen Funktion" abhaengig gemacht, "die man der einheimischen Bevoelkerung zudachte". Scheulen kritisiert am utilitaristischen Diskurs zurecht die "haeufige Verwendung des Begriffs 'Material'", der Menschen auf ihr Funktionieren im Arbeitsprozess reduziert. Diese "menschenverachtende", "materialistische Betrachtungsweise" waere allerdings durchaus noch zu unterscheiden von der rassistischen Vernichtungsstrategie Generalleutnants Trothas im Jahr 1904, die die Idee von der Bevoelkerung als Reichtumsquelle hinter den Plan eines radikalen Genozids zurueckstellt. Die Position, die "die Erhaltung der Eingeborenen" als "notwendig" fuer das "Gedeihen der Kolonie" einstuft, schuetzt sie zunaechst auch vor der rassistischen Extermination, so kalt, rationalistisch und nicht eben humanistisch motiviert die Argumentation auch sein mag (109, cf. 116ff.). Dass die Uebergaenge zwischen beiden Sichtweisen fliessend sind, zeigt eine von Scheulen zitierte Passage aus dem Jahr 1905, die die "Hottentotten" als "Nichtsnutze" ausweist, die es "so weit als moeglich zu vernichten" gelte (119). So wurde mit der "Nuetzlichkeit des betrachteten Volkes" die Frage nach seiner "Existenzberechtigung" verknuepft (121).
Um die 'Eingeborenen' auf einer 'unteren' Kulturstufe oder dem "Naturzustand" zu situieren, schrieben ihnen die Kolonisatoren zu, dass sie 'nackt', und 'schmutzig' seien. Ihre Religion wurde als "Hokuspokus" denunziert (128f.). Die Lebensweise von Jaegern und Nomaden wurde als "Vagabundentum" herabgesetzt. Das ging hin bis zu Vergleichen mit dem Verhalten von Affen und anderen wilden Tieren. Fuer diese "Tiermenschen" sei "allein der absolute Zwang" geboten. Mit dieser "Kulturverachtung" ging also eine "Rechtfertigung der kolonialen Expansion" einher (133f.).
Die "kollektiven Eigentumsformen" der 'Eingeborenen' wurden als "kommunistisch", "sozialistisch" oder gar "sozialdemokratisch" verurteilt (135). Ihr angeblicher Missbrauch der Frau als "Arbeitstier" musste herhalten, um die "Eingeborenenkultur" schlicht als "Barbarei" zu bezeichnen (136). Von den "Taenzen der Nama" nahmen die Kolonialherrn an, dass sie die "sinnlichen Begierden aufs Aeusserste" reizten. Polygamie wurde fuer eine "fehlende Arbeitsbereitschaft" verantwortlich gemacht, wenn sich der 'Eingeborene' "umgeben von seinen drei bis vier Frauen" ganz der "Sinnenlust und dem suessesten Nichtsthun" hingebe. Scheulen weist auf den Klischeecharakter dieser Passage hin, die an "Haremsvorstellungen" erinnert (137).
Im September 1905 wurden in "Suedwestafrika" die "Mischehen" verboten. Paul Rohrbach, der damalige "Siedlungskommissar", erklaerte, unter dem "Einfluss" der "farbigen Konkubinen" gingen den Ansiedlern "jedes Gefuehl fuer Sitte, Kultur, gesellschaftliche Ordnung und nationale Wuerde" verloren: "Die Leute 'verkaffern" in einer "Masse von Schmutz" (138f.).
Als "Extremposition des anthropologisch-rassistischen Menschenbildes" zitiert Scheulen einen Beitrag von Alexander Lion, einem Stabsarzt, demzufolge der "Neger, streng genommen, kein Mensch" der Spezies "homo sapiens" sei (145). Die "Nama-Herero-Kriege" wurden regelmaessig als "Rassenkampf" interpretiert. Die "Ursache" der "Auflehnung" der Herero - so hiess es von diesem Standpunkt aus - sei im "natuerlichen Rassenhass zu suchen". Scheulen bringt diese Auffassung mit dem "darwinistischen Verstaendnis kolonialer Besitzergreifung als Verdraengungskampf der weissen gegen die schwarze Rasse" zusammen (155f.). Auch den kolonisierten Ethnien unterstellten die Kolonialherren ein "Rasse- bzw. Reinheitsbewusstsein". Scheulens These ist, dass dies aber die "Rechtfertigung der deutschen Rassereinhaltungspolitik zum Hintergrund" habe (159).
In der "Mischlingsdiskussion" schossen die "Frage nach der Rassereinheit" und die der "Aufrechterhaltung der weissen Herrschaft in den Kolonien" zusammen. Man fragte sich, wieviel "Kulturanlagen" und wieviel "schwarze Triebe" in einem Mischling steckten, ob in ihm der "Kolonisator" den "Eingeborenen" oder der "Eingeborene den Kolonisator" beherrsche (159f.). Die "Bastersmaedchen" galten allgemein als "Schoenheiten", aber vor ihrem "raschen koerperlichen Verfall im Alter" wurde gewarnt. Scheulen nimmt an, dass so "weiteren Verbindungen" entgegengewirkt werden sollte (162).
"Kolonisation" wurde von den Kolonialherren als "kultureller Daseinskampf" gefasst, Scheulen spricht von "Kulturdarwinismus". Ein Zitat verdeutlicht, was der Verfasser die "darwinistische Extremposition" nennt: "Der Loewe fragt auch nicht nach dem Recht der Antilope, wenn er sie frisst. Im Kampf ums Dasein geht Macht vor Recht" (165). Dieser Machtpositivismus verband sich mit der Idee, dass das "Recht des Staerkeren" grundsaetzlich auf der Seite der "Kulturrassen", zu denen sich die Kolonialherren selbst stilisierten, liege (166). Den "Naturvoelkern" prognostizierte man das "Aussterben" (167f.).
"Bei aller gebotenen Vorsicht vor historischen Rueckprojektionen" erkennt Scheulen in einer ganzen Reihe der von ihm untersuchten Texte eine "erschreckende Parallelitaet zum nationalsozialistischen Vokabular". Die "positiven Beispiele", in denen ein freundliches Bild von den 'Eingeborenen' gezeichnet wird, fuehrt Scheulen auf "zunehmende Kenntnisse" von "Kultur und Lebensweise der einheimischen Voelker" zurueck (181). Skepsis ist selbstverstaendlich auch hier geboten, da sich die positiv exotistischen Fremdbilder oft aus einer rousseauistischen Ablehnung des zivilisatorischen Fortschritts speisen. Insofern ist Scheulen zuzustimmen, wenn er am Ende erklaert, dass das "Bild von der schwarzafrikanischen Bevoelkerung in den Kolonialzeitschriften" einen "zuverlaessigeren Eindruck von der Denkweise der Deutschen im Zweiten Kaiserreich als von den Denkweisen einheimischer Voelker gleich welcher Kolonie" bietet (184).
Im Quellenverzeichnis findet sich eine Rubrik: "Nicht eingesehene besonders beachtenswerte Zeitschriften" (188f.). Schliesslich ist auch das Literaturverzeichnis voller Angaben, die der Autor mit einem Asteriskus als von ihm "nicht eingesehen" markiert, die er aber "zum Zweck weiterer Studien" auffuehrt (193). Das bewirkt, dass die Arbeit einen vorschnell abgeschlossenen Eindruck macht. Scheulens Studie erschliesst interessantes Material, das aber nicht immer ganz durchinterpretiert ist. Seine Arbeit ist inspiriert von der "literaturwissenschaftlichen 'Imagologieforschung'" (24). Daran gemesssen weist sie aber Schwaechen auf. Die rhetorische Funktionsweise der von Scheulen untersuchten Fremdbilder haette im Hinblick auf die Frage, wie sie sich in die kolonialistische Ideologie fuegen, genauer analysiert werden koennen. Ein Blick auf die Untersuchungen von Juergen Link zur Kollektivsymbolik haette Scheulen hier sicher weitergebracht. Gerade dann, wenn Geschlechterverhaeltnisse thematisiert werden, draengen sich Vergleiche mit dem von Theweleit in "Maennerphantasien" aufbereiteten Material auf. Selbst die Thesen des postkolonialen Kritikers Edward Said laesst Scheulen aussen vor, mit ihrer Hilfe haette er einen theoretischen Zugriff auf den Zusammenhang zwischen der abwertenden Konstruktion des Anderen im afrikanistischen Diskurs und der Selbstkonstitution des Kolonialherrn als eines 'zivilisierten', 'zur Herrschaft berufenen' Subjekts bekommen. Die Anlehnung an einen theoretischen Entwurf oder eine ausgewiesene methodische Vorgehensweise haette dem Buch sicher gut getan.