In den deutschen Medien wurde das militärische Vorgehen westlicher Staaten in muslimisch geprägten Ländern wie Afghanistan oder dem Irak in den vergangenen Jahren wiederholt als ‚Kreuzzug‘ charakterisiert1. Die Wortwahl wird meist in einen direkten Bezug zu Äußerungen des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush gestellt, der die militärischen Aktionen im Irak einmal als „crusade“ bezeichnet hat.2 Eine wörtliche Übersetzung von Bushs Aussage übergeht freilich unterschiedliche semantische Bedeutungsgehalte, die den beiden Begriffen ‚Kreuzzug‘ und ‚crusade‘ zugrunde liegen: Während das englische Wort mit einem durchaus positiv verstandenen missionarischen Eifer in Verbindung gebracht wird3, hat die deutsche Bezeichnung einen deutlich negativen Beiklang, steht der ‚Kreuzzug‘ hierzulande doch für eine fast schon fanatische Kampagne gegen eine bestimmte Sache. Die unzureichende populäre Verwendung eines komplexen Konzepts ist bereits Anlass genug, sich aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Phänomen zu beschäftigen. Der vorliegende Sammelband, der auf eine Tagung zum Thema „Crusades of the Middle Ages and in the Modern Era. History − Reflections − Teachings“, die im Dezember 2011 in Hildesheim stattgefunden hat, zurückgeht, schließt an diese Beobachtung an, verhandelt sie aber unter einer spezifischen Fragestellung. Er setzt sich zur Aufgabe, „die Kreuzzugsidee in ihren neuzeitlichen, zum Teil säkularisierten Ausformungen zu fassen und ihre Entwicklungen bis in die Gegenwart zu beschreiben“ (Klappentext). Erklärtes Ziel ist es, nicht nur die ‚Realgeschichte‘ der Phänomene, die sich aufgrund der gewählten Definition vom Mittelalter bis heute finden lassen, zu beschreiben, sondern auch deren Rezeption in der Geschichtskultur verschiedener Länder und in geschichtsdidaktischen Konzepten und Materialien.
Auf den ersten Blick ist eine dreifache Perspektivierung der Fragestellung durch Realhistorie, Geschichtskultur und Didaktik, wie sie auch im Untertitel des Sammelbandes benannt wird, einsichtig. Allerdings kommen bei der Lektüre der einzelnen Beiträge Zweifel auf, ob der analytische Zugriff tatsächlich durchgehalten werden kann. Dass dem wohl nicht so ist, dafür spricht auch, dass die Dreiteilung sich nicht im Inhaltsverzeichnis niederschlägt. Damit bleibt, ob gewollt oder nicht, letztlich offen, welcher Kategorie einzelne Beiträge zuzuordnen sind. Ist beispielsweise der Artikel des renommierten Londoner Historikers Jonathan Phillips zur Palästinareise von Wilhelm II. im Jahr 1898 noch als ein Beitrag zu einer ‚Realgeschichte‘ der Kreuzzüge angelegt oder untersucht er ‚Geschichtskultur(en)‘, wenn er nach der „Erinnerung an Saladin und die Kreuzzüge im Nahen Osten vom 15. bis zum 19. Jahrhundert“ (S. 67) fragt? Auflösen ließe sich das Dilemma zu einem gewissen Grad, wenn man nicht auf den realgeschichtlichen Moment abhebt, sondern von Ideengeschichten spricht, wie es beispielsweise der Klappentext tut. Unter einem solchen Gesichtspunkt erweisen sich die ersten Beiträge als sehr ergiebig, wenn auch kontrovers in ihrem Zugang zum Forschungsgegenstand. So untersucht Andreas Rüther in seinem ansprechenden Beitrag die Einbettung der hochmittelalterlichen Kreuzzüge in die verschiedenen nationalen Geschichtsschreibungen. Es gelingt ihm deutlich zu machen, dass trotz transnationaler Zusammenarbeit unter Historikern auch heute noch national gefärbte Interpretamente vorherrschen. Im Gegensatz zu Rüther wählt Michael Broers in seinem Beitrag über die frühen Napoleonischen Kriege ein weites Kreuzzugs-Verständnis, wie es auch in der Einleitung des Sammelbandes angelegt ist. Es erlaubt ihm, nach der Adaption des Konzepts im Frankreich der Revolutionszeit zu fragen, und führt zu dem sicherlich nicht unumstrittenen Fazit, „dass die Zukunft des Kreuzzugs eher in seiner neuen, säkularen Verkörperung als Kreuzzug der europäischen Aufklärung lag“ (S. 64).
In welcher Hinsicht sich das Kreuzzugs-Konzept für historische Phänomene adaptieren lässt, hängt also wesentlich von der zugrunde gelegten Begriffsdefinition ab. Zugleich aber finden sich in der neuzeitlichen Geschichte immer wieder Momente, in denen die Zeitgenossen selbst den Begriff ‚Kreuzzug‘ aufgegriffen haben, er also Teil der jeweiligen Geschichtskultur wurde. Während der Sammelband für dieses Phänomen Studien zum 18. und 19. Jahrhundert bietet, wird die Rezeption in anderen Epochen, beispielsweise des Kalten Krieges, ausgeklammert. Dagegen werden gegenwärtige Phänomene sehr stark gemacht, indem in insgesamt drei Beiträgen die Rolle der ‚Kreuzzugs‘-Idee in den Auseinandersetzungen zwischen ‚der‘ muslimischen Welt und den USA herausgearbeitet wird. Der ausgewogene Beitrag von Taef el-Azhari über die „Prägung zukünftiger Generationen durch das Bild der Kreuzzüge in der arabischen Kultur und Medienlandschaft“ (S. 161) macht hierbei noch einmal deutlich, dass Geschichtskultur eben nicht nur von Historikerinnen und Historikern geprägt wird. Sie wird vielmehr von ganz unterschiedlichen Akteuren im öffentlichen Raum verhandelt, wobei die Eigeninteressen und -logiken der Teilnehmer und verwendeten Medien immer mitzudenken sind. Beispielhaft stellt dies der Herausgeber des Bandes, Felix Hinz, in seinem eigenen Beitrag über die „Orientkreuzzüge in deutschsprachigen Romanen“ (S. 203) dar. Dem Artikel stehen im Anhang ausführliche Bibliografien deutsch-, englisch- und französischsprachiger Romane zu den Kreuzzügen sowie eine Filmografie zum Thema zur Seite, die sich für Forschung und Schulunterricht sicherlich als sehr nützlich erweisen dürften.
Der Geschichtsunterricht ist und bleibt ein besonderer Ort der Vermittlung von Geschichtskulturen. Die Geschichtsdidaktik, also die Theorie des Lernens und Lehrens von Geschichte, stellt daher zurecht den dritten Schwerpunkt der Untersuchungen des Sammelbandes dar. Die versammelten Beiträge liefern fundierte empirische Befunde zu den Bereichen Schulgeschichtsbuch, Praxiserfahrung, Spiralcurriculum und interkulturelles Lernen. Gemeinsam ist allen Beiträgen die Einsicht, dass das Thema ‚Kreuzzüge‘ im Geschichtsunterricht traditionell in einem engen Verständnis behandelt wird, das heißt also in erster Linie als ein hochmittelalterliches Phänomen. Hierbei galt schon immer, so Michele Barricelli in seiner vergleichenden Untersuchung zu deutschen, britischen, französischen und italienischen Schulbüchern, „die Gegenwartstauglichkeit der zeitgebundenen Darstellung [als] oberstes Gebot“ (S. 239). Ernüchternd sei auch für die gegenwärtige Behandlung des Themas eine anhaltende nationale Lesart zu attestieren; ein Befund, den seine Untersuchung mit der Studie von Andreas Rüther zur allgemeinen Geschichtsschreibung teilt. Dass es durchaus noch Raum für Verbesserungen in der schulischen Behandlung des Themas gibt, zeigen auch die anderen didaktischen Beiträge. So arbeitet Björn Onken heraus, dass das Sujet in der Unterrichtspraxis bei Weitem nicht so umfassend behandelt wird, wie dies in den Lehrplänen vorgesehen ist. Dies sei zu bedauern, so der Autor, auch weil der Gegenstand gut geeignet sei, um beispielhaft die „Interaktionen zwischen verschiedenen Weltregionen und transregional bedeutsame[n], langfristige[n] Entwicklungsverläufe[n]“ (S. 270)4 darzustellen. Dieser Befund trifft sich mit Andreas Körbers Einsicht, dass das Thema gut zum interkulturellen Geschichtslernen tauge.
Insgesamt hinterlässt die Lektüre des Sammelbandes einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite greift er mit dem Thema ‚Kreuzzüge‘, wie eingangs ersichtlich gemacht wurde, ein wichtiges Phänomen der gegenwärtigen geschichtskulturellen Debatten auf. Seine Beiträge liefern in zum Teil minutiös erarbeiteten, empirischen Untersuchungen wichtige Einsichten in die Ideengeschichte des Sujets, seine Rezeption in verschiedenen Geschichtskulturen und die Umsetzung in Geschichtsunterricht und -didaktik. Auf der anderen Seite wird aber eine gewisse Untertheoretisierung in der Gesamtkonzeption ersichtlich. Sie zeigt sich nicht nur im ungeklärten Zusammenspiel der drei Perspektiven auf das Thema, sondern auch in der weitgehend ausbleibenden Reflexion von zentralen Konzepten wie Religion oder Säkularisierung. Insbesondere in der Einleitung wären hierzu weiterführende Überlegungen wünschenswert gewesen. Stattdessen neigt diese dazu populäre Sichtweisen von den „Neuen Kreuzzüge[n]“ (S. 13) zu reproduzieren, wobei ‚der‘ Islam zwar dekonstruiert wird, eine Essentialisierung ‚des‘ Westens aber an vielen Stellen aufrechterhalten wird. Wer das tut, befreit sich nicht aus Huntingtons Fallstricken einer kulturellen Blockbildung5. Dagegen sollte es doch Ziel einer guten Wissenschaft sein, eine zunehmend differenziertere Sicht auf die Dinge zu ermöglichen. Mit Blick auf das Thema gälte es so unter anderem, nach verschiedenen Akteuren und ihren sozialen und politischen Hintergründen und Motivationslagen zu fragen. Und es müsste eingehender, als das die Einleitung tut, geklärt werden, welche verschiedenen Vorstellungen vom Heiligen Krieg in verschiedenen religiösen Traditionen angelegt sind, wann diese zum Vorschein kommen und wie sie gegenseitigen Einfluss aufeinander nahmen und nehmen. All diese Fragen lässt der Sammelband offen und bietet folglich Raum für weitere Forschungsarbeiten.
Anmerkungen:
1 Ein jüngstes Beispiel liefert: Marc von Lüpke / Danny Kringiel, Der Kreuzzug. Schlüsselmomente im Irakkrieg, in: Spiegel Online, 6. Juli 2016, <http://www.spiegel.de/einestages/irakkrieg-2003-george-w-bush-und-der-krieg-gegen-terror-a-1101543.html> (17.07.2016).
2 George W. Bush, Remarks by the President Upon Arrival. The South Lawn, September 16, 2001, <http://georgewbush-whitehouse.archives.gov/news/releases/2001/09/20010916-2.html (11.07.2016).
3 Vgl. dazu im vorliegenden Sammelband den Beitrag von Jenny Mahlandt, Die USA und ihre globale Mission – Kreuzzüge für die Freiheit?, in: ebd., S. 119–159, hier S. 158.
4 Das Zitat stammt aus: Susanne Popp, Weltgeschichte, in: Ulrich Mayer u.a. (Hrsg.), Wörterbuch der Geschichtsdidaktik, 2. Auflage, Schwalbach am Taunus 2009, S. 196f.
5 Vgl. Samuel Huntington, The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, New York 1996.