Der auf eine Tagung am Deutschen Historischen Institut und am Woodrow Wilson International Center in Washington zurückgehende Band bietet eine neue und erweiterte Sicht auf den in den 1970er- und 1980er-Jahren eingetretenen Wandel in den Ost-West-Beziehungen. Dass sie auf eine friedliche Konfliktbeilegung zulaufen konnten, wird nicht nur auf das spektakuläre Einlenken Ronald Reagans und Michail Gorbatschows zurückgeführt, ganze Waffensysteme verschrotten zu lassen, sondern auch als Ergebnis eines längeren Prozesses betrachtet, in dessen Verlauf die Konfliktparteien das Wagnis der Vertrauensbildung eingingen. Indem „trust as a policy element“ (S. 11) zur leitenden Fragestellung erhoben wird, treten Begriffe wie Détente beziehungsweise Entspannung oder Zweiter Kalter Krieg, die üblicherweise zur Erfassung dieses Untersuchungszeitraums herangezogen werden, deutlich in den Hintergrund. Gleichzeitig bewegt sich die Publikation in einem Forschungstrend, der mit unterschiedlichen Akzentsetzungen den längerfristig wirkenden deeskalierenden Momenten nachspürt, die zur Transformation der „Cold War Order“ geführt haben.1
Die Einleitung der Herausgeber, in der ein interdisziplinärer Zugriff auf die Kategorie Vertrauen vorgestellt wird und die die Handschrift von Reinhild Kreis trägt, ist zusammen mit dem Resümee von Deborah Welch Larson zu lesen, die als Politikwissenschaftlerin schon vor über 30 Jahren um eine psychologische Erklärung der Anfänge des Kalten Kriegs bemüht war und der Thematik auch weiterhin nachgegangen ist. Sie spricht von „mistrust as a baseline“ (S. 279). Der Abbau von Misstrauen werde durch die mangelnde Fähigkeit zur Empathie erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Helfen würde demgegenüber die Vorstellung darüber, wie man vom Kontrahenten wahrgenommen wird. In der Regel aber perzipierten die Akteure die Gegenseite im Licht eigener Sicherheitsparameter. Wollte man im Ost-West-Konflikt nicht in dem damit gegebenen Sicherheitsdilemma steckenbleiben und dem Risiko eines Nuklearkriegs ausgesetzt sein, musste ein anderes Risiko eingegangen werden, das Risiko der Vertrauensbildung in einer Konstellation bleibender Unsicherheit und ohne Erfolgsgarantie.
Das Buch kann als Ermutigung, sich darauf einzulassen, und damit als friedenspolitischer Aufruf verstanden werden (S. 11 und 286). Vor allem aber stellt es einen bedeutsamen friedenswissenschaftlichen Beitrag dar, der vertrauensbildende Schritte als Instrument der Konflikteindämmung untersucht. Unabdingbar war zunächst der Wunsch, aus der „Orthodoxie von Abschreckung und wechselseitig angedrohter Vernichtung“ (S. 2) auszubrechen. Dann aber bedurfte es spezifischer Methoden und Instrumente, um diesen Wunsch glaubwürdig erscheinen zu lassen. Eine Grundbedingung bestand in der Bereitschaft zu einer kommunikative Öffnung. Ob sie gelang und welche Form sie annehmen konnte, wird anhand von zwölf Fallstudien untersucht, die sich auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Kontexten mit Vertrauensbildung oder auch Vertrauensverweigerung befassen. Dies geschieht in einem ersten Abschnitt anhand von Persönlichkeiten auf der obersten Führungsebene, sodann zweitens am Beispiel von Verhandlungen zwischen Experten aus Ost und West und schließlich drittens mit dem Blick auf bündnisinterne Vertrauensprobleme. Im Folgenden wird versucht, zentrale Aussagen der Autoren herauszuarbeiten, ohne auf einzelne Beiträge eingehen zu können.
Auf der politischen Führungsebene gilt die Aufmerksamkeit den zwischen 1981 und 1993 amtierenden US Präsidenten und deren Bemühen, die USA in Moskau als vertrauenswürdigen Gegner und nicht als Feind erscheinen zu lassen. Reagans vertrauensbildende Leistung bestand in dessen „stiller“ Diplomatie. Sie erreichte Erfolge in der Menschenrechtsfrage, ohne dies an die große Glocke zu hängen. Damit wurden die Fehler Carters vermieden und Gorbatschow konnte nicht nur sein Gesicht gegenüber der eigenen Öffentlichkeit wahren, sondern auch bei Reagan eine Vertrauensdividende verbuchen. Bush wird aufgrund seiner ausgleichenden Politik und Berechenbarkeit als Friedensmacher portraitiert, der allerdings in der Selbstgewissheit amerikanischer Überlegenheit ruhte und damit ebenso über eine Rückfallposition verfügte wie zuvor schon Reagan, der – wie der Titel des Buches zum Ausdruck bringt – in Inspektionen vor Ort eine Rückversicherung für das durch den INF-Vertrag 1987 (Intermediate Range Nuclear Forces) besiegelte Vertrauensverhältnis erblickte. Umgekehrt habe Gorbatschow dem zustimmen können, weil er seit 1985 im Zuge einer „zwischenmenschlichen Dynamik“ (S. 134) Vertrauen zu Reagan aufbauen konnte.
Als im Übergang von den 1960er- zu den 1970er-Jahren Bewegung in die Ost-West-Beziehungen kam, wurde sie schon zeitgenössisch als antagonistische Kooperation bezeichnet. Ihren Niederschlag fand sie in den hier behandelten Verhandlungen über SALT (Strategic Arms Limitation Talks), die KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und den INF-Vertrag. Ob und in welchem Maß von Vertrauen als stimulierender Kraft oder Verhandlungsergebnis gesprochen werden kann, bleibt ungewiss. Im Verlauf der KSZE mit 35 bündnisgebundenen und neutralen Staaten und Hunderten von Politikern und Diplomaten gelang es, Kompromissformeln „even in the absence of trust“ (S. 114) auszuhandeln. SALT beruhte auf der Annahme, es mit einem verlässlichen Partner zu tun zu haben, der ebenfalls ein vitales Interesse an der Begrenzung strategischer Waffensysteme hatte. In anderen Bereichen ging das Wettrüsten ungebremst weiter. Damit sollte nicht die Vertragstreue der Gegenseite in Zweifel gezogen, aber für den Ernstfall vorgesorgt werden. Was zählte, war die Erfahrung, nur noch mit einem Bein in den Denkmustern des Kalten Kriegs zu stehen. Mit dem anderen war neues Gelände betreten worden: „The SALT experience left an influential legacy.“ (S. 97) Künftige Konflikte konnten im Vertrauen auf diese Erfahrung wahrgenommen werden. Anders formuliert: Die gegen Ende der 1970er-Jahre auftretenden Spannungen führten nicht zur Annullierung des zuvor Erreichten.
Nicht unerheblich war dabei, dass in Europa unterhalb oder neben der Supermachtebene am blockübergreifenden Dialog festgehalten wurde. Dass damit wiederum bündnisinternes Misstrauen und Entfremdung einhergehen konnte, wird im dritten Teil beleuchtet. Am Beispiel der wechselseitigen Wahrnehmungen in Washington und Bonn wird deutlich, wie aus der Nachkriegszeit stammende Rollenzuweisungen an Überzeugungskraft einbüßten. Wie verlässlich waren die USA als Stabilitätsanker und Sicherheitsgarant angesichts des Vietnamkriegs, der Abkehr von Bretton Woods und isolationistischer Stimmen? Umgekehrt: Gefährdete die Bundesrepublik mit ihrer Ostpolitik den Zusammenhalt des westlichen Bündnisses? Gegen drohende Erosionstendenzen sollte regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit ebenso helfen wie das Knüpfen transatlantischer Netzwerke, die Vertrautheit beförderten und auf diese Weise Vertrauen schufen. Parallel dazu entstanden institutionelle Verflechtungen wie die G7-Treffen oder der Europäische Rat als Forum regelmäßiger Konsultationen. Nach dem säkularen Einbruch infolge der Ölkrise erschien innerwestliche Kohäsion ebenso wichtig wie die Zivilisierung des Ost-West-Konflikts. Die Eigendynamik multilateraler Strukturen konnte die explizite Vertrauensfrage vergessen lassen: „Successful cooperation does not necessarily need trust.“ (S. 229) Misstrauen auf der anderen Seite blockierte Kooperation, entweder völlig, wie am Beispiel Mao Zedongs Fehlperzeption sowjetischer Absichten 1969 und unzulänglicher Signale Moskaus deutlich wird, oder in erheblichem Maß, was am Verhältnis der „Bruderländer“ Polen und DDR ablesbar ist.
Die Beiträge lassen das Bemühen der Herausgeber erkennen, in möglichst große Breite vorzuführen, wie Vertrauen als „Analysekategorie für die internationalen Beziehungen“ nutzbar gemacht werden kann.2 Die empirischen Befunde fallen recht unterschiedlich aus. Deutlich wird, dass Vertrauen keinen in Reinform vorkommenden statischen Zustand darstellt. Vielmehr muss von Stadien der Annäherung gesprochen werden und von einem nicht linear verlaufenden und sich Generalisierungen entziehenden Prozess der Vertrauensbildung. Im Kern handelt es sich nach Überzeugung der Herausgeber um die emotionale Dimension politischen Handelns, ohne freilich emotionale Momente ausdrücklich zu benennen. Von Emotionen ist in den Beiträgen so gut wie nie die Rede, so dass man annehmen kann, Vertrauen wird von den Autoren stillschweigend als Emotion eingestuft. Auf die Bedeutung von Emotionen hinzuweisen, steht derzeit hoch im Kurs. Wie schwierig es ist, ihren Stellenwert in einem multifaktoriellen Geflecht zu bestimmen, zeigt dieser Band. Gleich zu Beginn bieten die Herausgeber denn auch eine Umschreibung von großer Elastizität an: „Trust is more than shared interests. It has an emotional quality, and can best be described as a mixture of calculation and emotion.” (S. 2)
Anmerkungen:
1 Erwähnt seien Oliver Bange / Poul Villaume (Hrsg.), The Long Détente. Changing Concepts of Security and Cooperation in Europe, 1950s–1980s, Budapest 2017; Kristina Spohr / David Reynolds (Hrsg.), Transcending the Cold War. Summits, Statecraft, and the Dissolution of Bipolarity in Europe, 1970–1990, Oxford 2016; Matthias Peter / Hermann Wentker (Hrsg.), Die KSZE im Ost-West-Konflikt. Internationale Politik und gesellschaftliche Transformation 1975–1990, München 2012.
2 So schon Reinhild Kreis, Arbeit am Beziehungsstatus. Vertrauen und Misstrauen in den außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, in: dies. (Hrsg.), Diplomatie mit Gefühl. Vertrauen, Misstrauen und die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 2015, S. 9.