Cover
Titel
Klinisch rein. Zum Verhältnis von Sauberkeit, Macht und Arbeit im Krankenhaus


Autor(en)
von Bose, Käthe
Reihe
Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Annelie Pentenrieder, Universität Paderborn

„Da gibt’s doch viel spannendere Themen im Krankenhaus.“ „Hygiene“ passiert „nebenbei“: „Man desinfizier[t] sich die Hände, fertig.“ (S. 49) Mit diesen Worten reagierte ein Arzt auf das Vorhaben der Autorin Käthe von Bose, die Arbeit an hygienischen Räumen im Krankenhaus zu erforschen. Er trifft damit das zentrale Anliegen der ethnografischen Studie: In „Klinisch rein“ steht mit dem vermeintlichen „Nebenbei“ das „Verhältnis von Sauberkeit, Macht und Arbeit im Krankenhaus“ im Zentrum. Von queer-feministischen Ansätzen ausgehend wird nach der Bedeutung von Schmutz und Sauberkeit im Krankenhausalltag gefragt, um die sozialen Ordnungen herauszuarbeiten, die diese Kategorien zwischen den im Krankenhaus Tätigen herstellen. Eine Fülle an intimen, bedrückenden, aber auch amüsanten Szenen versetzt die LeserInnen mitten ins Geschehen, was die Studie neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auch zu einem Lesevergnügen macht.

„It’s a small world unless you have to clean it.“ Das Zitat der Künstlerin und Feministin Barbara Kruger wirkt wie ein Wegweiser durch die Krankenhausräume, die Käthe von Bose durchquert. Für den Arzt ist die Herstellung von Hygiene im Krankenhaus ein „langweiliger“, wenn auch notwendiger und wichtiger Bestandteil des Alltags (S. 49). Für die Reinigungskräfte hingegen nehmen die Räume des Krankenhauses erst in der Arbeit des Reinigens, Putzens und Sauberhaltens Gestalt an – ihre Strukturen, Risse, Widerspenstigkeiten und Winkel kommen dabei zum Vorschein. Die Reinigungsarbeiten werden zu einer Lupe, durch die die komplexen Aushandlungen nicht nur sichtbar, sondern mit allen Sinnen nachvollziehbar gemacht werden können. Aus Mülleimern „quellen“ Keime (S. 125), eine Patientin stört sich an Fingerabdrücken auf dem Fernseher in unerreichbarer Höhe (S. 126), Betten werden zu „Bakterienfängern“ (S. 58), und die Pflegekraft läuft selbst Gefahr, zur „Keimschleuder“ (S. 54) zu werden.

Bakterien, Keime, Infektionsgefahren und Erreger müssen erst imaginiert werden, bevor man sie wegwischen kann. Käthe von Bose referiert dazu auf das Aufkommen der Bakteriologie im 19. Jahrhundert, als Robert Koch und Louis Pasteur erstmals unter dem Mikroskop die Mikroorganismen sichtbar machten, vor denen es sich bis heute zu schützen gilt (Kap. II). Die interviewten Pflegekräfte Frau H. und Herr I. möchten bei manchen Zimmern und Flächen im heutigen Krankenhausalltag lieber keinen „Abstrich“ machen, in der leisen Vorahnung, wie es um diese Räume hygienisch bestellt sein könnte (S. 124). Am Übergang zwischen Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit wird stetig ein spezifisches „Wissen“ (S. 71) unter den im Krankenhaus Tätigen verhandelt. Imaginationen von Krankheitserregern verschmelzen dabei mit ästhetischen, affektiven und atmosphärischen Effekten. Was für die Hygiene und Sauberkeit zu tun ist, ist im Alltag darum oft wenig eindeutig.

Dies steht in deutlichem Widerspruch zu den überaus strengen Hygienevorschriften, die „sehr genau“ definieren, was beim Putzen „falsch oder richtig ist, was angemessen, was schlampig oder was übertrieben ist“ (S. 274). Auch die „Reinigungskraft A. [ist] voller Überlegungen, wie etwas ‚eigentlich gedacht‘ ist, wie etwas ‚sein soll‘ (S. 181). Ethnografisches teilnehmendes Beobachten vermag die Aushandlungen zu erfassen, die sich hinter den normativen Vorstellungen eines Dienstes nach Vorschrift verbergen. Es zeigt sich, dass der Mikrokosmos Krankenhaus ein „bewegliches und veränderbares Gefüge“ (S. 273) ist, das im Alltag interpretiert und situativ ausgeführt wird.

Die Studie eröffnet damit einen Blick auf Reinigungsarbeiten, die vielschichtiger sind als die Arbeit an räumlichen Oberflächen und den Imaginationen von Krankheitserregern (Kap. III). Von Bose greift hier auf emotions- und affekttheoretische Studien, etwa von Sara Ahmed1 zurück, um Gefühle des Ekels, der Scham und der Trauer zu beschreiben, beispielsweise wenn der prekäre, kranke Körper einer Patientin Verunreinigungen hervorbringt (S. 157f.). Das Reinigen geht hier mit (feminisierter) Care-Work einher, denn es gilt auch Hilfe zu leisten, Trost zu spenden und Verständnis zu äußern (S. 193), was von Bose aus gendertheoretischer Perspektive herausarbeitet.

Von Boses Studie verdeutlicht, dass es bei der Herstellung von Sauberkeit und Hygiene immer um „mehr“ (S. 78) als nur um das Reduzieren von Keimen geht (Kap. IV). An die Debatten um Hygiene und Infektionen sind stets gesellschaftliche Machtfragen geheftet: Gezeigt wird dies auch an Debatten um die Herkunft und Verbreitung multiresistenter Keime sowie an Szenen und Praktiken des Otherings von Reinigungskräften. Durch ethnografisch „genauere[s] [H]insehen“ (S. 9) wird aus der „einfachen Tätigkeit“ eine Expertise, die, raum-, affekt- und machttheoretisch beleuchtet, Krankenhausräume erst herstellt. Mit beeindruckender Akribie arbeitet von Bose Szenen heraus, bei denen Sauberkeit in einem stark ethnisierten, feminisierten und prekarisierten Tätigkeitsfeld zum Machtinstrument wird (S. 285). Sauberkeit und Schmutz fungieren dabei als „Zuschreibung[en]“ (S. 280) und werden sowohl zum Produkt als auch zum Produzent sozialer Ordnung (S. 283). Das erfährt von Bose am eigenen Leib im Verlauf ihrer teilnehmenden Beobachtung. Hautnah erlebt sie die „soziale Unsichtbarkeit“, mit der Reinigungskräfte „am unteren Rand der Hierarchie des Krankenhauses“ ihren Tätigkeiten nachgehen (S. 88). Mit der Aufgabe, Schmutz zu entfernen, werden auch diejenigen, die vermeintliche „Schmutzarbeit“2 leisten, in der Formation des Krankenhauses unsichtbar.3

Käthe von Bose beruft sich in ihrer Studie auf die Perspektiven queer-feministischer Forschung (S. 22), die ein „Reproduzieren von Kategorien und binären Machtasymmetrien“ (S. 19) problematisieren. Sie zeigt, dass Reinigungsarbeiten jenseits einfacher Positionszuweisungen zwischen unterschiedlichen Bewertungsmöglichkeiten changieren. Sie schildert, wie das Reinigungspersonal Spielräume nutzt, sich innerhalb „hierarchischer Platzanweisungen“ (S. 211) zu ermächtigen und sich eigene, kreative Freiräume schafft. Andererseits verweist sie auf das „Geflecht formaler und informeller Kontrollmechanismen“, deren Vorschriften auch Entlastung bieten in einem allzu offen empfundenen „Feld von Möglichkeiten.“ (S. 278).
Die Aushandlungen von Sauberkeit zeigen im Sinne von Foucault, de Certeau und Butler die Produktivität von Macht.4 Von Bose richtet den Fokus auf die „kleinen, alltäglichen, prozesshaften Verschiebungen“ sozialer Grenzziehungen (S. 33) und macht damit insbesondere auf die Dynamiken von sozialer Ordnung aufmerksam. Gleichzeitig wird auch die Beharrlichkeit sozialer Ordnung sichtbar, etwa in Hinblick auf Geschlechterordnungen. So meint ein Pflegeschüler ohne Verwunderung: „Als Junge muss ich relativ wenig in die Richtung machen [Waschschüsseln auswaschen, Nierenschüsseln desinfizieren, Anm. A.P.], meistens müssen die Pflegeschülerinnen da ran.“ (S. 188).

Die Studie präsentiert eine beeindruckende Vielfalt unterschiedlicher „Taktiken“5 , die aktiv zur Herstellung von „hygienischen und sauberen“ Räumen (S. 46) beitragen. An den vielschichtigen Szenarien des Krankenhausalltags zeigt sich zugleich, dass an Schmutz, Sauberkeit und dem Putzen(-Müssen) soziale Ordnung täglich performativ hergestellt, verschoben und neu justiert wird: „Die Frage danach, wer dafür zuständig ist, Schmutz zu entfernen, ist so konstitutiv für soziale Gefüge wie sie meist bagatellisiert wird.“ (S. 9) Die dynamischen Aushandlungen sozialer Ordnung gewinnen gerade im Krankenhaus, in dem Hygiene und Sauberkeit als so bedeutsam gelten, besondere Brisanz.

Anmerkungen:
1 Sara Ahmed, The Cultural Politics of Emotion. New York 2004.
2 Zu „invisible work“ vgl. Susan Leigh Star / Anselm Strauss, Layers of Silence, Arenas of Voice: The Ecology of Visible and Invisible Work, in: Computer Supported Cooperative Work, Jg. 8, Nr. 1–2, S. 9–30.
3 Robin Nagel berichtet über ein ähnliches Phänomen bei Angestellten der Straßenreinigung und der Müllabfuhr. Aufgrund ihrer Kleidung bzw. Uniform werden sie kaum wahrgenommen. Zur Unsichtbarkeit und Widerständigkeit in der alltäglichen Müllentsorgung siehe auch Laura Moisis unveröffentlichte Dissertation „Ordinary Waste. Szenen des Politischen in der alltäglichen Müllentsorgung“, Kapitel „Mit dem Müll, gegen den Müll. Szenen der Subjektivierung“.
4 Immer wieder taucht im Text ein eingeklammertes (können) auf, mit dem von Bose auf die Subtilität und Vagheit der stets präsenten Macht verweist, die auf unterschiedliche Weise von den ProtagonistInnen der Studie abgerufen wird.
5 Zum Begriff der Taktik s. Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin 1988.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/