Cover
Titel
Learning to Live Together in Africa through History Education. An Analysis of School Curricula and Stakeholders' Perspectives


Autor(en)
Bentrovato, Denise
Reihe
Eckert. Expertise 8
Erschienen
Göttingen 2017: V&R unipress
Anzahl Seiten
91 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Kuß, Historisches Institut, Universität Bern

Die Studie der an der Universität von Pretoria lehrenden Denise Bentrovato hat ihren Ursprung in einem Workshop zum Geschichtsunterricht in Afrika, der im November 2015 in Abidjan in der Republik Côte d’Ivoire stattfand. An dem Workshop nahmen 16 Vertreter/innen aus zehn subsaharischen Staaten teil, darunter zahlreiche für die Curriculum-Planung zuständige Ministerialbeamte sowie Schulinspektor/innen und Geschichtslehrer/innen.1 Die Veröffentlichung der Untersuchung wurde vom Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung in Braunschweig und von der UNESCO unterstützt. Dabei versteht die Autorin ihre Studie explizit als Teil der UNESCO-Bildungsagenda 2030, die weltweit auf die Sicherstellung einer hochwertigen inklusiven und chancengerechten Bildung abzielt. Teilprogramme dieser Agenda sind die Global Citizenship Education, die politische Bildung im globalen Maßstab fördern möchte, und die pädagogische Arbeit mit der aus afrikanischer Perspektive verfassten neunbändigen General History of Africa. Diese Initiativen laufen in der gleichfalls von der UNESCO promulgierten Maxime „Learning to live together“ zusammen, die sich freilich nicht nur auf Afrika bezieht.2

Die Intention ihrer Studie zur aktuellen Profilierung des Geschichtsunterrichts in Afrika formuliert Bentrovato folgendermaßen: „Its aim is to shed light on the current state of history education across Africa and to highlight some of the trends, challenges and opportunities relating to current practices in the teaching and learning of history and, particularly, to history education’s potential to prepare learners for the challenges of the twenty-first century.” (S. 13) Um dieses Ziel erreichen zu können, hat die Autorin, über den Workshop in Abidjan hinaus, weitere Daten herangezogen. Dazu wurden bereits 2014/15 in allen subsaharischen Staaten Afrikas – die nordafrikanischen Länder seien aus sprachlichen Gründen herausgefallen – Fragebögen zu ihren in der Primar- und der Sekundarerziehung gültigen Curricula vorgelegt (S. 20). Zudem erhielten Schüler/innen in etwa 2.500 Sekundarschulen in Zentral- und Ostafrika Fragebögen über die Wahrnehmung der Schule, über die Wertschätzung historischen Lernens und über Empfehlungen, wie der Geschichtsunterricht verbessert werden könnte. Beide Fragebögen sowie das Programm des Workshops sind im Anhang der Publikation enthalten.

Zu ihrem methodischen Vorgehen verweist die Autorin darauf, dass auf eine Befragung von Lehrkräften und eine Analyse von Schulbüchern wegen des damit verbundenen erheblich höheren zeitlichen wie finanziellen Aufwands verzichtet worden sei. Zugleich stellt sie die Problematik der Studie heraus, die sich aus der unterschiedlichen Reichweite der Curricula ebenso wie aus der unterschiedlich zuverlässigen Beantwortung der Fragebögen ergeben könnten (S. 22). Diese Transparenz der Quellenbasis verdeutlicht, dass die Autorin nicht intendiert hat, einen kohärenten, durch quantitative oder qualitative Analyse gesicherten Überblick über den Geschichtsunterricht in Afrika zu geben; vielmehr geht es ihr darum, erstmals dessen ganz grobe Linien aufzuzeigen, wobei die Ergebnisse nicht an binnenafrikanische Diskurse angeschlossen sind. Zu den einzelnen Fragekomplexen werden jeweils Antworten aus zum Teil sehr unterschiedlichen afrikanischen Ländern präsentiert. Die auf diese Weise ermittelten Trends werden hin und wieder durch kartographische und statistische Materialien oder durch Beispiele ergänzt. Allerdings muss offenbleiben, ob bzw. inwieweit die jeweiligen Trends tatsächlich für alle Staaten gültig sind oder ob es sich jeweils um Trends in einzelnen Staaten Afrikas oder in breiteren Regionen handelt.

Den ersten Schwerpunkt ihrer Untersuchung legt Bentrovato auf den in den Schulcurricula verankerten Status der Geschichte. Sie konstatiert einen grundsätzlichen Wechsel von der politischen Geschichte zur Geschichte der kleinen Leute sowie die zunehmende Fokussierung aktueller Themen und den Wechsel von chronologischen zu thematischen Herangehensweisen. Allgemein angestrebt würden kompetenzbasierte Kenntnisse und neue Evaluationsformen. Zugleich weist sie darauf hin, dass die Geschichte mehr und mehr ihren Status als spezielles Unterrichtsfach verliere und in einem sozialwissenschaftlichen Fach aufgehen würde (S. 29).

Einen weiteren Schwerpunkt setzt die Autorin mit den Zielen des Geschichtsunterrichts. So sollen sich die Schüler/innen zunächst Wissen über die Vergangenheit aneignen. Vor allem aber sollen sie afrikanische Angelegenheiten verstehen, Stolz und Loyalität, aber auch Patriotismus entwickeln. Der staatsbürgerliche Sinn solle ebenso gefördert werden wie ein Verständnis für individuelle und kollektive Rechte und gesellschaftliche Verantwortlichkeiten. Als weitere Stichpunkte werden unter anderem Wertschätzung und Respekt für Verschiedenheit, gesellschaftliche Inklusivität, juristische Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, friedliche Konfliktlösung und die Anerkennung der Menschenrechte genannt (S. 33f.). Die Bedeutung dieser zu vermittelnden Lehrinhalte zeigt sich darin, dass sie im zweiten Teil der Studie, der das „Learning to live together“ fokussiert, aufgegriffen und noch einmal pointiert als wesentliche Ziele des Geschichtsunterrichts herausgestellt werden.

Zu den Themenbereichen des Faches Geschichte werden die Vorgeschichte Afrikas benannt sowie der Beginn der Menschheitsgeschichte dort. Die Themen reichen sodann von den frühen afrikanischen Zivilisationen und den frühen Kontakten mit Islam und Christentum über Sklaven und Sklavenhandel sowie europäischem Kolonialismus bzw. Imperialismus bis zu den beiden Weltkriegen, den Kampf um Unabhängigkeit und die Zeit danach (S. 36). An diesem Kanon fällt auf, dass die Erinnerungsachse der mündlich überlieferten Geschichte nicht angesprochen wird.

Bentrovato erwähnt weiterhin, dass viele der befragten Erziehungsfachleute die Vernachlässigung der zeitgeschichtlichen Entwicklung nach der Unabhängigkeit beklagt hätten. Doch auch die jüngste ebenso bedeutungsvolle wie schwierige Vergangenheit sei zu thematisieren – vor allem als Geschichte aktueller Gewalt. Die Studie macht darüber hinaus problematische Kontinuitäten im Unterrichten von Geschichte und praktischem Lernen aus. Einerseits wird eine auf Schulbücher konzentrierte traditionelle Pädagogik kritisiert, andererseits die fehlende Bereitstellung von Büchern überhaupt (S. 40f.).

In ihrer Studie plädiert die Autorin dafür, dass es im Geschichtsunterricht in Afrika weniger um kognitives Lernen und Kompetenzen als um Werte und Haltungen gehen solle. Als eine Form der Friedenserziehung sollen Life skills eingeübt werden, um auf dieser Grundlage soziale Konflikte zu lösen und Menschenrechte umzusetzen. Dadurch wird beim Leser der Eindruck erweckt, dass die Geschichte lediglich als ein Instrument zur Internalisierung staatsbürgerlicher Gesinnung und politischer Botschaften benutzt werde. Die Forderung nach einem normativen politischen Geschichtsunterricht, welche die Studie wie ein roter Faden durchzieht, scheint konträr zu dem etwa in Deutschland anvisierten Geschichtsunterricht zu stehen, in dem Historisches Lernen vor allem auf das Erlernen von Kompetenzen gerichtet ist, die eigenständiges historisches Arbeiten ermöglichen. Dabei dominieren auch in Deutschland normgebundene geschichtsdidaktische Diskussionen, deren wichtigste sich aktuell mit der Erinnerung an den Nationalsozialismus in einer Einwanderungsgesellschaft auseinandersetzt. Eine Forschungsrichtung strebt die Überwindung des „nationalen Blicks“ auf die nationalsozialistische Vergangenheit durch Fokussierung auf Menschenrechte an.

Bentrovato kommt weiterhin zu dem Ergebnis, dass das Fach Geschichte keine einseitigen, vereinfachenden, homogenisierenden und ausschließlich nationalistischen Geschichten erzählen, sondern eine kritische Geschichte der kulturellen Diversität und der verschiedenen Perspektiven vermitteln solle. Dass Multilingualität und -ethnizität afrikanischer Gesellschaften für eine solche kritische Geschichte eine Herausforderung darstellen können oder sie gar konterkarieren, wird nur einmal kurz angedeutet (S. 39).

Bentrovatos Untersuchung führt zu der Frage, wie der Geschichtsunterricht in Afrika grundsätzlich gestaltet werden sollte. Implizit geht sie von einem gemeinsamen subsaharisch-afrikanischen Erfahrungshintergrund aus. Das führt in methodischer Hinsicht zu Einschränkungen. Offen bleibt auch, ob bzw. inwieweit diese Frage panafrikanisch angegangen werden kann oder ob sie nicht doch an die Geschichte einzelner Staaten bzw. Regionen gebunden ist. Zudem wird Geschichtsunterricht per se als politischer Auftrag verstanden und in dieser Hinsicht nicht hinterfragt. Ungeachtet dieser Inkongruenzen führt die Studie zu zentralen Fragen des afrikanischen historisch-politischen Diskurses über die Geschichtserziehung an Schulen, weshalb sie unbedingt rezipiert werden sollte.

Anmerkungen:
1 Kessete Awet, Die Darstellung Subsahara-Afrikas im deutschen Schulbuch, Opladen 2018; Susanne Grindel, Mythos Kolonialismus. Die europäische Expansion in Afrika, in: Roland Bernhard u.a. (Hrsg.), Mythen in deutschsprachigen Geschichtsbüchern. Von Marathon bis zum Élysée-Vertrag, Göttingen 2017, S. 117–136.
2https://en.unesco.org/themes/learning-live-together (02.01.2019); https://www.unesco.de/bildung/bildungsagenda-2030 (02.01.2019); https://www.unesco.de/bildung/hochwertige-bildung/global-citizenship-education/bildung-zur-praevention-von-gewalttaetigem (02.01.2019); http://www.unesco.org/new/en/social-and-human-sciences/themes/general-history-of-africa/ (02.01.2019).

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