A. Cremer u.a. (Hrsg.): Objekte als Quellen der hist. Kulturwissensch.

Titel
Objekte als Quellen der historischen Kulturwissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung


Herausgeber
Cremer, Anette Caroline; Mulsow, Martin
Reihe
Ding, Materialität, Geschichte 2
Erschienen
Köln 2017: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominik Hünniger, Lichtenberg-Kolleg / Historische Sternwarte, Georg-August-Universität Göttingen

Objekte als Quellen und die Materialität des Vergangenen haben spätestens in den vergangenen zehn Jahren eine Menge Bewegung in die Kulturwissenschaften insgesamt und die Geschichtswissenschaften im Besonderen gebracht. In den Fokus der Betrachtung gerieten vor allem (akademische) Sammlungen und Alltagsdinge, die auch in diesem Band eine zentrale Rolle spielen. Hervorgegangen aus zwei Tagungen in Gießen und Gotha, ist das von Annette Caroline Cremer und Martin Mulsow herausgegebene Werk Teil einer neuen Reihe, die unter dem Titel „Ding, Materialität, Geschichte“ neue Erkenntnisse und methodisch anregende Studien zu materiellen Aspekten der Geschichte verspricht. Anhand von Beispielen des 16. bis 18. Jahrhunderts erkunden die 15 Beiträge die Potentiale von „material culture research“ für die Geschichte der Frühen Neuzeit.

In ihrer zweigeteilten Einführung breitet Annette Caroline Cremer zunächst in einer Art historiographischem Überblick verschiedene Zugangsweisen zur Objektforschung aus und geht in einem weiteren Schritt zusammenfassend auf die einzelnen Beiträge ein. Der Überblick ist sicher hilfreich für alle, die sich noch auf der Suche nach spezifischen Zugängen zu den Dingen in der Geschichte befinden. Wie die Zusammenfassung der Beiträge allerdings zeigt, liegt der Charme der materiellen Kulturforschung vor allem in ihrer Eklektik. Annette Caroline Cremer betont zusammenfassend dementsprechend die produktive Bandbreite des fachdisziplinären Hintergrunds der Beitragenden. Viele verorten sich tatsächlich als zwischen den Disziplinen stehend, und die verschiedenen Blicke und Kombinationen aus Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte, Ethnologie und Klassischer Archäologie machen den Reiz des Bandes aus. Die einzelnen Beiträge zeichnen sich dementsprechend durch einen großen Methodenpluralismus aus. Zentral ist allen die „spezifische Rolle von Objekten in der frühneuzeitlichen Wissensproduktion“ (S. 23). Die Herausgeberin und der Herausgeber geben dem Band eine hilfreiche Untergliederung in fünf Teilbereiche: 1. Geschichtswissenschaft und Objektforschung, 2. Objekt-Bild-Text, 3. Objekt-Norm-Praxis-Diskurs, 4. Objekte als Erkenntnisanlass und Erkenntnismedium und schließlich 5. Integrierte Objektforschung. Diese Untergliederung spiegelt auch den „Systematisierungsversuch“ (S. 16) verschiedener Zugänge wider, um den Cremer in der Einleitung bemüht ist.

Die drei Aufsätze des Geschichtswissenschaft- und Objektforschung-Bereichs sind stark theorie- und methodenorientiert. Kim Siebenhühner macht Vorschläge zur Konzeptualisierung des Themas Dingmobilität für die Frühneuzeitforschung. Nach einer Diskussion verschiedener Forschungsansätze, wie dem „commodity chain approach“, der Objektbiographie und dem Itinerar, führt sie anhand von empirischen Beispielen aus ihrem Buch „Die Spur der Juwelen“ vor, wie diese Ansätze für eine globale Verflechtungsgeschichte der Dinge fruchtbar gemacht werden können. Hans Peter Hahn setzt den von Siebenhühner begonnenen globalhistorischen Ansatz fort und beschäftigt sich aus der Perspektive der Ethnologie kritisch mit der „Materiellen Kulturforschung.“ Hahn legt besonderes Augenmerk auf die Technik- und Konsumgeschichtsforschung und fragt danach, welche Erkenntnisse diese über den Zusammenhang von Sachbesitz, Individuum und Gesellschaft hervorgebracht haben. Abschließend äußert sich die Herausgeberin Annette Caroline Cremer noch einmal zu verschiedenen methodischen Ansätzen für die kulturwissenschaftliche Annährung an materielle Kultur. Im Zentrum stehen hier vier Quellengattungen bzw. Methoden: Text, Bild, Objekt und Re-enactment. Diese möchte Cremer idealerweise in einem „integrierten Methodenapparat“ untersucht bzw. angewendet wissen.

Der Abschnitt zu Objekt-Bild-Text eröffnet mit einem Beitrag von Ariane Koller und Anna Pawlak, die sich der „Mühlberg-Rüstung“ Kaiser Karls V. über deren materielle Inszenierung nähern. Aus einer machthistorischen und ikonographischen Perspektive werden hier die Verhältnisse zwischen realem Gegenstand und dessen vielfältiger medialer Aufbereitung über einen langen Zeitraum thematisiert. Stefan Laube untersucht ebenfalls einen einzelnen Gegenstand, das sogenannte „Idol von Sondershausen“ und dessen Wahrnehmung in der longue durée. Erneut kommen die Zusammenhänge von medialer Repräsentation und Interpretation sowie Aneignung eines Objekts zur Sprache. Der Transfer von Dingen in ihrer zweidimensionalen Form ist Thema des Beitrags von Anne Mariss. Am Beispiel der Zeichnungen Georg Forsters werden die „materielle Prekarität von Naturalien“ und die Praktiken des Zeichnens untersucht und gezeigt, wie der wissenschaftliche Austausch erst über die Transformation der Naturalien in eine Zeichnung ermöglicht wurde. Über Austauschprozesse etwas anderer Art berichtet Christof Jeggle. Er konzentriert sich auf bildliche Darstellungen, um Aussagen über die „Materialität von Märkten“ und deren gegenständliche Spuren im Nürnberg des 17. Jahrhunderts treffen zu können.

Der Abschnitt über Objekt-Norm-Praxis-Diskurse wird durch einen Aufsatz von Gianenrico Bernasconi eingeleitet. Er widmet sich, ähnlich des Ansatzes von Jeggle, Konsumartikeln. Fokussiert auf die Praktiken kommen die Verbindungen der Dinge zum menschlichen Körper zur Sprache, wie sie auch in anderen Aufsätzen zumindest am Rande thematisiert werden. Ganz explizit tut dies ferner Patricia Kotzauer, die die „materielle Selbstmodellierung“ Herzogs August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772–1822) mit Hilfe von Queer-Theory-Ansätzen und soziologischen Modellen über Distinktionskonsum untersucht. Silke Förschler greift das Thema naturhistorischer Beobachtungspraktiken wieder auf und verfolgt, wie auch andere Autorinnen und Autoren des Bandes, verschiedene mediale Repräsentationen. In diesem Fall geht es um ein Tier und zwar um „Clara“, ein Panzernashorn, welches von 1741 bis 1758 an verschiedenen Orten in Europa ausgestellt wurde. Förschler kann zeigen, wie wissenschaftliche Beschreibung des Nashorns und dessen ästhetische Aneignung sich der gleichen Ressourcen bedienten bzw. diese füreinander hervorriefen.

Paola von Wyss-Giacosa nimmt am Beginn des Abschnitts Objekte als Erkenntnisanlass und Erkenntnismedium die Untersuchung des frühneuzeitlichen Idolatrie-Diskurs wieder auf, die bereits in Stefan Laubes Beitrag angedeutet wurde. Sie kann zeigen, wie eine thailändische Buddhastatue in der Gottorfer Kunstkammer zu einem wichtigen Akteur in religionsgeschichtlichen Diskussionen in der Gelehrtenrepublik wurde. Gelehrtendebatten mit religiösem Fokus sind auch Thema in Lisa Regazzonis Beitrag zur Interpretation von Megalithen im Frankreich der 1720er-Jahre. Auch sie stellt Informationsaustausch und Verflechtungen fest, die bei Sinnstiftungsversuchen und konkurrierenden Weltanschauungen eine zentrale Rolle spielten. Britta Rabe widmet sich schließlich der antiken Numismatik und ihrer Reproduktion im späten 18. Jahrhundert in Frankreich. Hier geht es auch um technische Innovationen der medialen Repräsentation und ihrer Bedeutung für Wissensgeneration und Austausch.

Im abschließenden letzten Teilbereich „Integrierte Objektforschung“, der aus einem ausführlichen Beitrag von Martin Mulsow besteht, steht ebenfalls die „Herstellung numismatischen Wissens“ im Fokus der Betrachtung. Dieser nimmt mit 83 Seiten fast ein Viertel des gesamten Bandes ein und führt viele der angesprochenen methodischen Überlegungen anhand eines spezifischen historischen Beispiels im Detail vor Augen.

Ein hilfreiches Namensregister und Abbildungsverzeichnis runden diesen anregenden Band ab, der die Potentiale einer Objektgeschichte der Frühen Neuzeit deutlich und gut nachvollziehbar macht. Trotz der Diversität der Ansätze und der Unterschiede der untersuchten Objektgattungen, ergeben sich immer wieder Verknüpfungen und interessante Verweise. Diesem Buch ist, wie auch der Reihe „Ding, Materialität, Geschichte“, eine große Leserschaft und eine die Disziplinen übergreifende, hohe Aufmerksamkeit zu wünschen.

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