A. Sembdner: Das Werden einer geistlichen Stadt

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Titel
Das Werden einer geistlichen Stadt im Schatten des Doms. Zur Rolle der geistlichen Institutionen im Gefüge der Bischofsstadt Naumburg bis ca. 1400


Autor(en)
Sembdner, Alexander
Reihe
Naumburg Kolleg
Erschienen
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Erik Limburg, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Die thüringisch-obersächsischen Städte des Mittelalters fristeten lange ein Schattendasein in der stadtgeschichtlichen Forschung. Im Gegensatz zu den oberdeutschen Städten, den Rheinstädten oder der Hanse wurden die Städte zwischen Elbe und Werra/Fulda, Thüringer Wald, Erzgebirge und Harz selten als eine „Städtelandschaft“ wahrgenommen und so sowohl als Einzelstädte als auch in ihren Beziehungen untereinander unterschätzt. Seit einigen Jahren rückt aber in den Fokus historischer Arbeiten, dass die Fülle an kleinen und mittleren Städten in diesem Raum mit ihren unterschiedlichen herrschaftlichen Konfigurationen ein ergiebiges Forschungsfeld darstellt. Ein großes Problem dabei ist, dass für viele der Städte kaum akzeptable Grundlagenforschung existiert, nicht zuletzt auch weil die lokalen und regionalen Archive 40 Jahre lang nur der ideologisch überlasteten DDR-Forschung einfach zugänglich waren.

Die neueren Arbeiten zu diesen Städten müssen darum häufig vor allem Grundlagenforschung leisten. Für die Bischofsstadt Naumburg hat Alexander Sembdner dies nun getan. Zwar existierte im Gegensatz zu anderen Städten bereits einige, auch aktuellere Forschung zu Naumburg – wie die bereits veröffentlichten Schriften des Naumburg Kollegs – doch sind dies meist kunsthistorische Untersuchungen des Domes – vor allem der sogenannten Stifterfiguren im Westchor – oder solche, die diese kunsthistorische Besonderheit erklären wollen. Sembdner löst sich von diesem Fokus und schafft so ein von umfangreicher Quellenarbeit gestütztes stadthistorisches Werk.

Unter den vielen Optionen zur Definition und Klassifizierung einer mittelalterlichen Stadt, die die stadtgeschichtliche Forschung hervorgebracht hat, entscheidet Sembdner sich für das von Helmut Flachenecker definierte Konzept der „geistlichen Stadt“1, was für eine Bischofsstadt wie Naumburg sinnvoll erscheint. Aus diesem Konzept entwickelt Sembdner mit Hilfe des soziologischen Konzepts der „Figuration“ nach Norbert Elias Hypothesen über das Beziehungsgefüge innerhalb der Stadt Naumburg – vor allem zwischen Bürgerschaft und Geistlichkeit –, die er anhand seines Quellenbefundes prüft. Dieses teilweise recht plakativ vorgetragene Schema strukturiert Anfang und Ende der Kapitel, während deren Kern Sembdners starke Quellenarbeit bildet.

Neben den üblichen theoretisch-methodologischen Vorüberlegungen gliedert sich Sembdners Arbeit in drei Hauptkapitel mit zahlreichen Unterkapiteln. Das erste beleuchtet die Beziehungen der Stadt zu den Institutionen des Bistums – den Bischöfen und dem Domkapitel – und bietet zudem einen allgemeinen Überblick zum mittelalterlichen Naumburg, auch wenn ein solcher in einem kompakten Einzelkapitel für viele Leser – die sicherlich nicht alle Naumburg-Experten sind – wohl besser aufgehoben gewesen wäre. Die anderen beiden Kapitel behandeln die klösterlichen Institutionen und die Pfarreien der Stadt als klassische Institutionengeschichte mit einem Fokus auf die innerstädtischen Beziehungen.

Die Stärke von Sembdners Arbeit liegt in seiner umfassenden Quellenarbeit aus lokalen und regionalen Archiven, die zum Teil weit über die im Untertitel benannte Grenze von „ca. 1400“ hinausreicht. Die Menge an Material macht einige kleinere Redundanzen im Text verzeihlich. Dabei zieht er auch viele kleinere Urkunden über alltägliche Geschäfte der Naumburger Bürger und Institutionen heran, was der Arbeit auch eine wirtschaftsgeschichtliche und vor allem im Kapitel über die Pfarreien eine sozialgeschichtliche Komponente verleiht. Auf dieser Grundlage widerspricht Sembdner einigen Theorien über die Geschichte Naumburgs im Speziellen, aber auch dem Zutreffen mancher allgemeinen Theorien der Stadtgeschichte auf Naumburg. So lehnt er beispielsweise die Existenz des von Ernst Schubert postulierten und in der Naumburger Stadtgeschichte weiterhin präsenten ekkehardinischen Burgstifts als Vorläufer des Doms oder des daneben liegenden Marienstifts ab. Auch weißt Sembdner Karlheinz Blachkes Theorie der Stadtentstehung ausschließlich durch eine Ansiedlung von Händlern – und eine damit quasi zwangsläufig verbundene, aber nicht nachweisbare Nikolaikirche – mit scharfen Worten zurück (S.75f.). Vielmehr versucht er zu zeigen, dass im Falle Naumburgs – obwohl hier sogar ein Privileg zur Ansiedlung von Händlern vorliegt – ein nicht unbedeutender, vielleicht sogar der überwiegende Teil der späteren Bürgerschaft der Ministerialität der Bischöfe sowie der Landgrafen von Thüringen und der Markgrafen von Meißen entstammt, was er trotz einiger Unübersichtlichkeit des betreffenden Kapitel (S. 87ff.) mit zahlreichen Einzelbeispielen belegt.

Ambivalenter sind Sembdners Ergebnisse zu der grundsätzlichen Annahme einer konkurrenzhaften Beziehung zwischen Bürgerschaft und (bischöflichem) Stadtherr bzw. Bürgerschaft und Geistlichkeit, von der seine Hypothesen stark geprägt sind. Den überwiegenden Teil der Hypothesen muss er angesichts seiner Quellenbefunde relativieren oder als ganz widerlegt betrachten. Eine besonders konkurrierende Beziehung zwischen Bürgerschaft und Bischöfen kann er nicht nachweisen, was wohl auch damit zusammenhängt, dass die Bischöfe seit dem späten 13. Jahrhundert wieder vermehrt im alten Bistumssitz Zeitz residierten, womit das Domkapitel innerhalb der Stadt an Bedeutung gewann. Zwischen diesem und der Bürgerschaft kann Sembdner einige Konflikte herausarbeiten, die letztlich auch in der Teilung der Stadt in zwei jurisdiktionelle Bereiche – die Ratsstadt und die Domfreiheit – um 1400 gipfeln. In dieser Teilung sieht Sembdner das Äquivalent zu der in einigen anderen Städten erfolgten Trennung vom Stadtherrn, die gern pauschal als Ziel aller mittelalterlichen Bürgerschaften postuliert wird, wobei Sembdner dies eher als Ergebnis, denn als zuvor gestecktes Ziel ansieht.(S.403)

Deutlich weniger konflikthaft zeichnet Sembdner das Bild der Beziehungen zwischen der Bürgerschaft und den anderen geistlichen Institutionen Naumburgs. Zum Benediktinerkloster St. Georg beschreibt er im Gegenteil eine „differenzierte Kooperation“(S. 223). Ähnlich, wenn auch nicht ganz so eng, beschreibt er die Beziehungen zum Augustinerchorherrenstift St. Moritz. Bei den Pfarrkirchen kann Sembdner – mit Ausnahme der eng an den Dom angebundenen Marienkirche – einen großen Einfluss der Bürger nachweisen, ohne dass dies zu größeren Konflikten mit Bischof oder Domkapitel geführt hätte, weil diese ihren Einfluss geschmälert gesehen hätten – somit revidiert er auch die meisten seiner Konkurrenz-Hypothesen in diesen Kapiteln.

Mit seiner Dissertation legt Alexander Sembdner ein wichtiges Grundlagenwerk vor, durch das die mittelalterliche Stadt Naumburg der historischen Forschung in aktueller und akademischen Maßstäben gerechter Form zugänglich wird. Eine Leistung, die für so manche mitteldeutsche Stadt noch aussteht. Dadurch, dass er viele seiner aus dem gewählten Modell der „geistlichen Stadt“ entwickelten Hypothesen revidieren muss, beweist er zudem, wie schwierig es ist allgemeingültige Aussagen zur Geschichte mittelalterlicher Städte zu treffen und wie notwendig daher solche Einzeluntersuchungen weiterhin sind.

Anmerkung:
1 Helmut Flachenecker, Eine geistliche Stadt. Eichstädt vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, Regensburg 1988.

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