Cover
Titel
Macht und Herrschaft transkulturell. Vormoderne Konfigurationen und Perspektiven der Forschung


Herausgeber
Becher, Matthias; Stephan Conermann, Linda Dohmen
Reihe
Macht und Herrschaft 1
Erschienen
Bonn 2018: V&R unipress
Anzahl Seiten
349 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Preiser-Kapeller, Institut für Mittelalterforschung/Abteilung Byzanzforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Die in diesem Band versammelten Beiträge gingen aus der im Dezember 2016 veranstalteten Eröffnungstagung des an der Universität Bonn von der DFG geförderten Sonderforschungsbereichs (SFB) 1167 „Macht und Herrschaft – Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“ hervor. Ziel dieses SFB ist unter anderem die Überwindung des „bislang ubiquitäre Eurozentrismus bei der Beschäftigung mit Macht und Herrschaft, (…) indem (…) stattdessen ein transkultureller Ansatz zur Beschreibung von Macht und Herrschaft erarbeitet wird.“ 1 Während die Vielfalt der zum Bonner SFB beitragenden Disziplinen tatsächlich eine solche „transkulturelle Perspektive“ eröffnet 2, bleibt das Spektrum der im vorliegenden Band erfassten Räume und Epochen doch deutlich beschränkter.

Nach dem Inhaltsverzeichnis (S. 5–6), dem Vorwort der neuen Schriftenreihe des SFB 1167 und dem Vorwort der Herausgeber des Bandes (S. 9) umreißt der Sprecher des SFB, Matthias Becher, in seinem Beitrag „Macht und Herrschaft. Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“ (S. 11–41) Motivationen und Ziele des SFB und verdeutlicht verschiedene Problemfelder eines solchen Unterfangens. Sind etwa die Analysekategorien von „Macht“ und „Herrschaft“ tatsächlich in allen zu untersuchenden Räumen und Perioden von Nutzen? Bereits hier erfolgt der Verweis auf die „klassischen Definitionen“ von Max Weber (S. 14–15), der den Basso continuo für mehrere Beiträge liefert.

Max Weber steht auch im Zentrum der beiden folgenden Beiträge von Andreas Anter („Macht und Herrschaft: Max Webers Perspektive“, S. 43–58) und Andrea Maurer („Herrschaft und Macht: ein altes Thema neu konturiert“, S. 59–90), die wertvolle Anregungen für eine frische, differenziertere Nutzung Webers liefern. Auf ihn bezieht sich auch Bernd Schneidmüller in seinem Beitrag „Verklärte Macht und verschränkte Herrschaft. Vom Charme vormoderner Andersartigkeit“ (S. 91–121), um dann der „Verklärung“ insbesondere kaiserlicher oder königlicher Macht als Garanten gottgewollter Ordnung im westeuropäischen Mittelalter die tatsächlichen Praktiken „verschränkter“ oder (unter Bezug auf seinen eigenen, mittlerweile „klassischen“ Aufsatz3) „konsensualer“ Herrschaft gegenüberzustellen. Besonders nützlich sind Schneidmüllers Bemerkungen über die Dynamiken und Probleme transkulturellen Arbeitens (S. 92–94).

Den analytischen Wert von Schneidmüllers „Konsensualer Herrschaft als interkulturelles Konzept“ erweist wiederum Thomas Ertl in seinem anregenden Beitrag (S. 123–143) in drei Fallstudien zum chinesischen Hof der Song im 11. Jahrhundert, zum Herrschafts- und Ordnungsdiskurs im spätmittelalterlichen Indien und zum ägyptischen Mamlukensultanat im späten 15. Jahrhundert. Auch Jürgen Paul („Komparatistisches Arbeiten in der Islamwissenschaft. Ein Erfahrungsbericht“, S. 145–161) widmet sich den Problemen des historischen Vergleichs, denen er bei der Abfassung seiner jüngsten Monographie 4 begegnete, insbesondere bei der Nutzung des Begriffs „Feudalismus“ für Regionen außerhalb Westeuropas und der Identifikation vergleichbarer Phänomene.5

In ähnlicher Weise kann Almut Höfert auf eigene grundlegende vergleichende Arbeit zurückgreifen 6, wenn sie „Königtum und imperiale Legitimation. Die facettenreiche Beziehung zwischen mulk und ›Kalifat‹“ (S. 163-197) im islamischen Diskurs des Mittelalters erkundet. Dabei ergeben sich interessante Parallelen in der Vieldeutigkeit des arabischen Begriffes „mulk“ („Königtum“) zwischen göttlicher, „kalifatsinhärenter“ und „tyrannisch-heterodoxer“ Herrschaft und den Debatten über „monarchia“ zwischen (universellem) Kaisertum und (einzelstaatlichem) Königtum, die Schneidmüller für das spätmittelalterliche Westeuropa umreißt (siehe auch S. 170–173 in Höferts Beitrag).

Wichtigen Aspekten der Fragestellung des SFB 1167 nähern sich zwei gleichfalls auf das „islamische“ Mittelalter abzielende Beiträge von Jenny Rahel Oesterle („Schutz und Macht im Zeichen von Transkulturalität. Religiöse und kulturelle Differenzbearbeitung in der Prophetenbiographie Ibn Isḥāqs“, S. 199–222) und von Wolfram Drews („Die Wahrnehmung islamischer Herrschaft durch mozarabische Christen im 9. Jahrhundert“, S. 269–289) gleichsam „von unten“ aus der Perspektive mit der Macht der führenden Herrschaftsträger ringender Gruppen. Bei Oesterle ist es die frühe Gefolgschaft Mohammeds selbst, die in der Auseinandersetzung mit den traditionellen Eliten in Mekka andernorts Schutz suchen musste, wodurch sich ein neuer „Kommunikationsraum zur Bearbeitung kulturellere Differenz“ eröffnet habe. Einen solchen Kommunikationsraum bewusst in Frage stellten jene Christen, die im 9. Jahrhundert (n. Chr.) in Cordoba durch „Schmähung der islamischen Religion und ihres Propheten“ ein „freiwilliges Martyrium“ suchten und somit den Konsens zwischen arabischer Herrschaft und christlicher Gemeinde aufbrechen wollten (S. 269–278). Dies war zumindest die hagiographische Deutung dieser Taten, die sich aber bei der Mehrheit der mozarabischen Christen nicht durchsetzen konnte und erst außerhalb des arabischen Machtbereichs und in späteren Jahrhunderten Anklang fand. Eine parallele Lektüre von Oesterle und Drews zeigt somit unterschiedliche Ergebnisse der Herausforderung der Herrschaft, insbesondere die mögliche Instrumentalisierung solcher Taten in späteren Kontexten.

Zwischen diesen beiden Beiträgen steuert Reinhard Emmerich die neben zwei der Fallstudien Ertls einzige Studie bei, die sich nicht auf den europäischen oder islamischen Raum konzentriert; er beleuchtet „Die Autorität eines chinesischen Dynastiegründers. Das Beispiel des Ersten Kaisers“ (S. 223–268), indem er sich auf die detaillierte Darstellung der kurzen Regierungszeit des zweiten Kaisers, Qin Er Shi (209–207 v. Chr.) im klassischen Werk des Sima Qian (145–90 v. Chr.) stützt. Doch während alle anderen Beiträge im vorliegenden Band auf die eine oder andere Weise miteinander „sprechen“, steht der einzige genuin sinologische Beitrag leider außerhalb dieser Dialoge; weder wird der theoretische Ansatz der einleitenden Kapitel aufgegriffen noch die „Anschlussfähigkeit“ außerhalb der eigenen Disziplin gesucht.

Einen der spannendsten Beiträge liefert Daniel G. König, indem er über „Herrschaft und Sprache. Herrschaftsumwälzungen und die Transformation von Sprachlandschaften im mittelalterlichen Euromediterraneum“ (S. 291–325) reflektiert und etwa die Schicksale der Sprachen neuer Herrschaftseliten, die sich in der Spätantike auf vormals römischen Boden etablierten, am Beispiel der germanischen Sprachen und des Arabischen vergleicht. Deutlich wird damit der Beitrag von Sprache bzw. ihrer Verschriftlichung als „pragmatisch nutzbares symbolisches Kapital“ zur Etablierung neuer Herrschaftskonstellationen (S. 317). Zum Abschluss des Bandes extrahieren Stephan Conermann und Linda Dohmen aus den versammelten Beiträgen nochmals „Ansätze und Perspektiven der Forschung“ (S. 327–339).

Insgesamt zeigt der vorliegende Band sehr gut die Potentiale und Probleme eines solchen großangelegten transkulturellen Forschungsunternehmens auf: die Absicht des Vergleichs erfordert die Identifikation über die verschiedenen Räume und Epochen hinweg tragfähiger Theorien und Konzepte, wobei die Texte im Band sowohl den prinzipiellen Nutzen „klassischer“ Ansätze in der Tradition Max Webers als auch solcher außerhalb seines langen Schattens andeuten. Dieser gemeinsame Rahmen muss dann aber je für den einzelnen Fall produktiv eingesetzt werden, um wiederum einen Beitrag zur Weiterentwicklung der allgemeinen Diskussion leisten zu können. Dies wird in den versammelten Beiträgen in unterschiedlichem Ausmaß, aber meist doch überzeugend verwirklicht, wobei insbesondere auch die Zugänge „von unten“ oder quer zur Perspektive „von oben“ vielversprechend sind. 7 Der Band ist somit ein erfolgreicher Startschuss zu neuen Reihe des SFB 1167 und erweckt große Neugier auf die weiteren Ergebnisse.

Anmerkungen:
1 Website des SFB 1167: <https://www.sfb1167.uni-bonn.de/forschungsprogramm> (05.08.2019)
2 Website des SFB 1167: <https://www.sfb1167.uni-bonn.de/teilprojekte> (05.08.2019). Ein vergleichbar breites Spektrum eröffnen u. a. Jeroen Duindam / Tülay Artan / Metin Kunt (Hrsg.), Royal Courts in Dynastic States and Empires. A Global Perspective (Rulers & Elites 1), Leiden / Boston 2011, und Jeroen Duindam, Dynasties. A Global History of Power, 1300–1800, Cambridge 2016.
3 Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig u. a. (Hrsg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 53–87.
4 Jürgen Paul, Lokale und imperiale Herrschaft im Iran des 12. Jahrhunderts. Herrschaftspraxis und Konzepte (Iran – Turan 13), Wiesbaden 2016.
5 Zu dieser Fragestellung siehe auch Reinhard Zöllner, Die Ludowinger und die Takeda: Feudale Herrschaft in Thüringen und Kai no kuni, Bonn 1995.
6 Almut Höfert, Kaisertum und Kalifat. Der imperiale Monotheismus im Früh- und Hochmittelalter (Reihe „Globalgeschichte“ 21), Frankfurt / New York 2015.
7 Dazu auch James S. Scott, The Art of Not Being Governed. An Anarchist History of Upland Southeast Asia, New Haven / London 2009; James S. Scott, Against the Grain. A Deep History of the Earliest States, New Haven / London 2017 (deutsch Berlin 2019). Ein weiterer, „basaler“ Zugang zur Thematik des SFB jenseits von geographischen und disziplinären Grenzen könnte sich durch die stärkere Berücksichtigung materieller Aspekte ergeben (nicht nur in den archäologisch oder kunsthistorisch ausgerichteten Teilprojekten innerhalb des SFB 1167), vgl. etwa Frank Trentmann, Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute, München 2017 (englisch London 2016), oder auch umwelthistorischer Aspekte, siehe dazu etwa die beeindruckende Studie von Ling Zhang, The River, the Plain, and the State. An Environmental Drama in Northern Song China, 1048–1128, Cambridge 2016.

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