Cover
Titel
Empathy. A History


Autor(en)
Lanzoni, Susan Marie
Erschienen
Anzahl Seiten
XIV, 392 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Hannig, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Vierzigmal findet sich das Wort „empathy“ in Philip K. Dicks Science-Fiction-Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“.1 Doch nicht nur die Häufigkeit des Begriffs in dem Buch von 1968 ist bemerkenswert. Für die Romanfiguren markiert Empathie die einzige Eigenschaft, die Menschen von künstlicher Intelligenz unterscheidet. Im Roman ist sie die Fähigkeit, sich als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen und die Gefühle anderer – sowohl der eigenen als auch von anderen Spezies – nachzuempfinden. Diese wesentliche Rolle von Empathie in der US-Populärkultur der 1960er-Jahre ist erstaunlich, bedenkt man, dass der Begriff nur 60 Jahre zuvor ins Englische eingeführt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg außerhalb von Expertenkreisen bekannt war. Mittlerweile ist Empathie ein Grundbegriff für die Beschreibung des menschlichen Daseins. Warum dieser Begriff im 20. Jahrhundert in den USA eine so steile Karriere erlebte, mit welchen Bedeutungen er aufgeladen war und ist, lässt sich in Susan Lanzonis wunderbarem Buch nachlesen.

Lanzoni hat vor allem eine Wissenschaftsgeschichte von Empathie geschrieben, die sie anhand einzelner Personen erzählt, die nicht nur etablierten wissenschaftlichen Institutionen entstammten. Die Autorin blickt auch auf vermeintlich obskure Figuren, die das Nachdenken über Empathie von den akademischen Rändern beeinflussten. Somit gelingt es Lanzoni, die Aufstiegsgeschichte von Empathie nicht nur als Geschichte großer Männer zu erzählen, sondern von Beginn an die Rolle von Frauen zu berücksichtigen. Die Kriterien für die Auswahl der untersuchten Personen werden allerdings nicht reflektiert, sodass auch die Reichweite von Lanzonis Aussagen nicht immer deutlich wird.

Das Ziel der an der Harvard University lehrenden Historikerin ist die anschauliche Ausleuchtung der Kontexte, in denen Empathie mit neuen Bedeutungen aufgeladen wurde. Neben dem Wandel interessieren sie aber auch die Kontinuitäten in der Begriffsverwendung. Das Buch ist chronologisch aufgebaut und in drei Teile gegliedert, die verschiedene Stadien in der Begriffsgeschichte thematisieren. Im ersten Teil beschreibt Lanzoni, wie sich der Begriff um die Wende zum 20. Jahrhundert in der ästhetischen Wahrnehmungstheorie etablierte. Um die Wirkung von Kunst zu untersuchen, hatte sich im deutschsprachigen Raum der Begriff „Einfühlung“ eingebürgert. Darunter verstanden Psycholog/innen die Projektion eigener Gefühle auf Objekte. Die deutschsprachige Psychologie war um die Jahrhundertwende weltweit führend, weshalb viele amerikanische Vertreter/innen der Disziplin in Deutschland studiert hatten. Dies gilt auch für Edward Titchener, der zusammen mit seinem englischen Kollegen James Ward 1908 „empathy“ als Übersetzung von „Einfühlung“ vorschlug. Die Psychologen griffen bei ihrer Wortfindung bewusst auf das Griechische zurück, um die Sprache der Naturwissenschaften nachzuahmen und ihrer noch jungen Disziplin Legitimität zu verschaffen.

Im zweiten Teil behandelt Lanzoni Versuche aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, Empathie auf zwischenmenschliche Beziehungen zu übertragen und messbar zu machen. In der Zwischenkriegszeit erlangte Empathie damit eine über die Kunstwahrnehmung hinausgehende Bedeutung und wurde immer wieder auch mit strategischen Interessen angeeignet. Bis dahin hatten Diagnosen von Schizophrenie auf Erfahrungswerten basiert, die schwer nachprüfbar waren und dem Ansehen der jungen Wissenschaft nicht als förderlich galten. Der Psychiater Elmer Ernest Southard begegnete diesem Legitimationsdefizit mit einem von ihm entwickelten sogenannten Empathie-Index. Für ihn stellte Empathie die Fähigkeit dar, die Antworten seiner Patienten auf seine Fragen nachvollziehen zu können. Schizophren waren demnach Menschen, deren Verhalten und Denken für Gutachter unverständlich war.

Zeitgleich versuchte die Sozialpädagogin Jesse Taft in den 1930er-Jahren, ihr Arbeitsgebiet unter Rückgriff auf psychoanalytische Ansätze zu reformieren. Ihr ging es darum, die Gefühle ihrer minderjährigen Klienten nicht zu verurteilen, sondern sie als bedeutsam zu interpretieren. Dazu müsse das Kind seine Gefühle zunächst einmal ausleben können. Dem Therapeuten falle dabei die Aufgabe zu, die emotionale Entfaltung zu fördern, ohne sie durch die eigenen Gefühle zu beeinflussen. Diese Haltung verstand Taft als empathische Identifikation. Ein ähnliches Therapeuten-Verständnis entwickelte der Psychologe Carl Rogers. In dessen „klientenzentrierter Therapie“, die als eine der wichtigsten therapeutischen Innovationen des 20. Jahrhunderts gilt, war der Therapeut auch eine nicht wertenden Instanz, die dem Klienten verhilft, seine Gefühle eindeutig auszudrücken. Auch von Soziologen wurde Empathie aufgenommen, um die Disziplin zu erneuern. Ernest Burgess, einer der Gründerväter der stadtsoziologischen Chicago School, bezeichnete Empathie in den 1920er-Jahren als Grundlage für das Schreiben von Fallstudien. Dadurch sollten diese besser lesbar und objektiver werden, da Empathie Soziologen helfe, nicht ihre Vorurteile auf die untersuchten Personen zu projizieren. Der Wissenschaftler müsse sich mit seinen Urteilen zurücknehmen und dem Untersuchungssubjekt helfen, sich selbst auszudrücken. Wie bei Taft stand hinter dieser wissenschaftlichen Innovation auch ein politisches Anliegen. Es ging darum, eine Expertengläubigkeit zu hinterfragen und Menschen Wege aufzuzeigen, sich selbst zu ermächtigen.

Als zu Beginn des Kalten Kriegs Empathie als wichtige Ressource für Demokratie, friedliche Konfliktbeilegung und Entspannung verstanden wurde, unternahmen Wissenschafler/innen vielfältige Experimente, um Empathie zu messen. Dabei kam es zu einer weiteren Bedeutungsverschiebung. Die Psychologin Rosalind Dymond führte Experimente durch, in denen Versuchspersonen sich selbst und andere Versuchsteilnehmende einschätzen sollten. Umso mehr die Selbst- und Fremdzuschreibung übereinstimmte, umso höher veranschlagte Dymond die Empathiefähigkeit der Versuchsperson. Der Psychologe Willard Kerr unternahm mit anderen Zielen und einer anderen Anordnung Tests, die die Bedeutung von Empathie ähnlich verschoben, wie diejenigen von Dymond. Kerr untersuchte, wie gut seine Studierenden die Vorlieben durchschnittlicher Fabrikarbeiter vorhersagen konnten. Die Empathie, die mit diesen Skalen gemessen werden sollte, war die Fähigkeit zum Erspüren von Massenbedürfnissen, die gute Verkäufer und Manager ausmache. Sowohl bei Dymond als auch bei Kerr hatte sich Empathie zur Fähigkeit des richtigen Einschätzens einer anderen Person entwickelt.

Im dritten Teil untersucht Lanzoni die Rolle von Empathie im Werk des Psychologen und Bürgerrechtlers Kenneth B. Clark, der sich mit Vorurteilen und Diskriminierung befasste. Clark verstand Rassismus in den USA als Resultat einer wettbewerbsorientierten Kultur, die persönlichen Erfolg und Status hochhielt und sich gegen die sozialen Neigungen des Menschen richte. Insbesondere als die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren ins Stocken gerieten, klagte Clark auch weißen Liberale an, sich nicht in die häufig unangenehme Lebenswelt von Afroamerikaner/innen einfühlen zu wollen. Um die unerträglichen Lebensbedingungen der Armutsviertel zu verändern, müssten diese mithilfe von Empathie von den Privilegierten nachempfunden werden. Clark kämpfte aber auch gegen akademische Gleichgültigkeit. Seiner Meinung nach sei Wissenschaft so organisiert, dass sie die Gefühle der Forschenden und somit moralische Fragen bewusst ausklammere. Dem stellte Clark den „empathic professional“ (S. 242) entgegen, der die Welt auch aus der Perspektive der Unterdrückten und ihrer Wünsche und Sorgen betrachte.

Im letzten Kapitel geht Lanzoni auf die Entwicklungen der Neurowissenschaften in den letzten Jahren ein. Insbesondere thematisiert sie die Auseinandersetzung um die sogenannten Spiegelneuronen seit den 1990er-Jahren. Dieses Kapitel bietet einen guten Einstieg in die aktuelle Debatte über Empathie in der Hirnforschung und zeigt gleichzeitig, dass gegenwärtige Kontroversen mit dem historischen Rückgriff besser zu verstehen sind. Lanzoni erklärt einige Konflikte über Empathie in den Neurowissenschaften auch dadurch, dass Wissenschaftler/innen auf unterschiedliche Bedeutungstraditionen von Empathie zurückgriffen. In deren kurzer Begriffsgeschichte hatten sich mehrere, sogar gegensätzliche Bedeutungsschichten angelagert. Zunächst war Empathie die Fähigkeit, das Selbst gewissermaßen über die eigene Person hinaus auf Kunstobjekte auszudehnen. Übertragen auf zwischenmenschliche Beziehungen sollte das Selbst hingegen immer mehr hinter anderen Personen zurücktreten. Aus einer subjektiven Projektion wurde eine objektive Einschätzung beziehungsweise akkurate Vorhersage des Verhaltens eines anderen Individuums oder eines Durchschnittsmenschen. Mit diesen neuen Bedeutungsschichten wurde „empathy“ in den 1960er-Jahren als „Empathie“ ins Deutsche rückübersetzt.

Fragt man nun noch einmal, wie sich eigentlich die gesellschaftliche Ausbreitung von Empathie erklärt, kommt man nach der Lektüre von Lanzonis Buch darauf, dass es gerade diese Vieldeutigkeit des Begriffs war und ist, die ihn anschlussfähig an ganz unterschiedliche zeitgenössische Bedürfnisse machte. Laut Lanzoni beschreibt er „a tool, a technique, a practice, and an aspiration“ (S. x). Zu fragen wäre nun noch, wie und warum sich Empathie auch außerhalb der Wissenschaft verbreitete und Autoren wie Philip K. Dick beeinflusste.

Anmerkung:
1 Philip K. Dick, Do Androids Dream of Electric Sheep?, London 2007, Erstausgabe 1968.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch